North Stream 2 unter Dauerangriff

d.a. Was lange angedroht und dementsprechend befürchtet war, ist eingetreten.

Wie US-Aussenminister Mike Pompeo am 15. Juli bekannt gegeben hat, setzt die Trump-Administration die Zwangsmassnahmen gegen Unternehmen, die am Bau der Gaspipeline beteiligt sind, mit sofortiger Wirkung in Kraft. Nicht, dass man von Seiten der UNO auch nur ein Wort gegen die Umsetzung dieser  erpresserischen Gesetzgebung vernommen hätte. Vernehmbar indessen sind Stellungnahmen aus der deutschen Industrie und auf Regierungsebene. Fakt ist, dass die enge Vernetzung der Unternehmen und Banken mit den Vereinigten Staaten 

zweifelsohne die Grundlage dafür bildet, dass die USA Sanktionen nach Belieben verhängen können, was allein schon ihre Militärmacht garantiert.  

Es geht in diesem Fall um rund 120 Unternehmen aus 12 Ländern Europas. Dazu gehören 5 westeuropäische Energiekonzerne, die an Nord Stream 2 beteiligt sind: Uniper (Ex-EON), die sich mehrheitlich im Besitz der BASF befindliche Wintershall Dea, die österreichische OMV, welche Öl und Gas fördert und vermarktet, die französische ENGIE (Ex GDF Suez) sowie Royal Dutch Shell (Grossbritannien/Niederlande). Allein diese fünf haben jeweils 950 Millionen € in die Erdgasleitung investiert. Bedroht sind Investitionen von etwa 12 Milliarden Euro.

Wie der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Oliver Hermes erklärt, markiert Washingtons Schritt einen unfassbaren Tiefpunkt in den transatlantischen Beziehungen. Er stelle einen beispiellosen Eingriff in die europäische Energiesouveränität dar. »Die EU und Deutschland dürfen sich nicht wie ein amerikanisches Protektorat vorführen lassen«, wird Hermes zitiert. Es bleibe »nichts anderes übrig, als in gebotener Schärfe auf diesen Erpressungsversuch zu reagieren«. So müsse die EU-Kommission »alle Angriffe von aussen auf ihre Souveränität abwehren und hierfür rasch einen harten Massnahmenkatalog vorstellen«. Zudem werde »ein wirksamer Schutzschirm für zu Unrecht von US-Sanktionen betroffene europäische Unternehmen benötigt, der sie vor finanziellen Schäden bewahrt«. Dies gilt ein weiteres Mal für die Steuerzahler! Hermes erinnerte auch daran, dass die seit 2014 bestehenden EU-Sanktionen gegen Russland dazu beigetragen haben, dass der deutsch-russische Handel weiterhin jährlich rund 20 Milliarden € unter seinem alten Niveau liegt.

Völkerrechtswidrig

Auf ungewohnt scharfe Art und Weise hat die Bundesregierung reagiert. Mit ihrer Sanktionsankündigung, so Aussenminister Heiko Maas, »missachtet die US-Regierung das Recht und die Souveränität Europas, selbst zu entscheiden, von woher und wie wir unsere Energie beziehen«. »Die europäische Energiepolitik wird in Europa gemacht und nicht in Washington. Extraterritoriale Sanktionen lehnen wir klar ab«.

Bereits Ende Juni hatte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell erklärt, die Kommission bereite einen erweiterten Sanktionsmechanismus vor, der die Resilienz der EU »gegenüber den Auswirkungen extraterritorialer Sanktionen, die durch Drittstaaten verhängt werden, verbessern werde«. Indessen liegen hierzu keine Details vor.  [1]

Die soeben angeordneten Sanktionen gegen Nord Stream 2 beruhen auf dem sogenannten CAATSA-Gesetz, ein Gesetz über Massnahmen gegen Amerikas Gegner mittels Sanktionen [Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act]. Mit diesem dürfen zwecks Abwehr von US-Gegnern jeweils Sanktionen  gegen die Betreffenden verhängt werden; diese dürfen ohne Zusage des Kongresses nicht aufgehoben werden. CAATSA, das sowohl Sanktionen gegen Unternehmen wie auch gegen Einzelpersonen erlaubt, war im Juli 2017 im US-Kongress verabschiedet und am 2. August 2017 von US-Präsident Donald Trump unterzeichnet worden.  [1]  So zielt CAATSA beispielsweise auch auf russische Waffenlieferungen, so dass grundsätzlich jeder Staat mit Sanktionen bedroht wird, der etwa das russische Raketenabwehrsystem S-400 kauft. Betroffen hiervon war Indien, als es dieses System erwarb; allerdings erhielt das Land, da Washington es als potentiellen Verbündeten im Machtkampf gegen China umwirbt, eine Ausnahmegenehmigung für den Kauf. Aktuell tobt erneut ein Streit zwischen den USA und Indien, weil New Delhi den Kauf russischer Militärflugzeuge beschlossen hat.

Die Bestimmungen des 70 Seiten langen CAATSA-Gesetzes gebieten einseitig allen anderen Staaten der Welt, die US-Handelsverbote zu respektieren.

Das ist das eine; das Nächste, was aus den Forderungen Pompeos ersichtlich wird, scheint eine Vorstellung zu zeigen, aus der hervorgeht, dass der US-Allmacht keine Grenzen gesetzt sind, so dass man einerseits ein Land knebeln kann, von diesem aber dennoch, wenn es gerade erforderlich ist, Beistand verlangt. Dass Pompeo Russlands Ostsee-Pipeline zur Erdrosselung bestimmt hat, hindert ihn keineswegs daran, von dem jetzt der Willkür Washingtons ausgesetzten Land öffentlich zu verlangen, dass es den USA neuerdings in ihrem selbst verschuldeten Afghanistan-Debakel zur Seite steht.  [2]  Der Aussenminister hat sich daher Mitte Juli in einer von der Zeitung The Hill organisierten Videoveranstaltung zu dem Thema wie folgt geäussert:  

»Wir haben den Russen klargemacht, dass wir ihre Unterstützung bei diesen Bemühungen benötigen. Wir haben ihnen klargemacht, dass wir zusammenarbeiten müssen, damit Afghanistan ein souveränes, unabhängiges und friedliches Land wird. Ich denke, das liegt im Interesse Russlands, Chinas, im Interesse der Afghanen«.

Allein schon die Formulierung klargemacht zeugt eindeutig von einer krassen Überheblichkeit. Im übrigen dürfte jeder, der sich den Zustand der von den Vereinigten Staaten zu Unrecht angegriffenen und zerstörten Ländern bewusst macht, bezweifeln, dass es den USA gerade in einem Land wie Afghanistan gelingen wird, eine sich Demokratie nennende westliche Regierungsform durchzusetzen. 

Unfassbar - in jeder Beziehung

Man sollte nicht meinen, dass noch jemand mit Verstand nach all der Destruktion, wie sie Sanktionen in den davon betroffenen Ländern hinterlassen, erwägen kann, dieses Kampfmittel als Massnahme in Betracht zu ziehen. Man täusche sich nicht: Wie einem Bericht von German Foreign Policy vom 16. Juli zu entnehmen ist, plant Berlin während seiner EU-Ratspräsidentschaft die Einführung eines Sanktionsmechanismus nach US-Vorbild. [3]  Man weiss nicht so recht, ob hier der Grössenwahn obsiegt, sind doch allein schon die wirtschaftlichen Folgen, die sich aus den von der EU gemeinsam mit den USA aufrechterhaltenen Russland-Sanktionen für die gesamte Union ergeben, von grösstem Schaden.

Wie man im Programm für die aktuelle deutsche EU-Ratspräsidentschaft nachlesen kann, dringt die Bundesregierung also »auf die Einführung eines neuen globalen EU-Sanktionsmechanismus nach dem Vorbild von US-Zwangsmassnahmen. Man wolle sich in diesem Halbjahr dafür einsetzen, die Kapazitäten der Union zur Verhängung und Umsetzung von Sanktionen zu erweitern«. Nun heisst es zwar, dass die EU-Aussenminister bereits letztes Jahr die Arbeit an einem EU-Gesetz, das Menschenrechtsverletzungen offiziell bestrafen soll, auf den Weg gebracht haben, doch richtet sich dieses GFP zufolge »faktisch nur gegen Funktionsträger gegnerischer Staaten und schont verbündete Menschenrechtsverbrecher, dient also, wie sein US-Sanktionsvorbild, als Instrument im globalen Machtkampf. Es ergänzt ein wucherndes EU-Sanktionsregime, das sich schon jetzt etwa gegen Russland, Syrien und Venezuela richtet und für die massive Mangelversorgung einiger betroffener Länder mitverantwortlich ist«.

Auch die von der EU gegen Syrien gerichteten Sanktionen sind Ende Mai verlängert worden. Zur Zeit sind in der EU angelegte Guthaben von 273 Personen sowie 70 Institutionen und Unternehmen aus Syrien eingefroren; die Betroffenen sind mit Einreisesperren belegt. Dies richte sich, erklärt Brüssel, insbesondere gegen Firmen und Geschäftsleute, die aus ihren Verbindungen zum Regime und aus der Kriegswirtschaft Nutzen ziehen. Darüber hinaus beinhalten die Massnahmen das Verbot der Einfuhr von Erdöl, Restriktionen gegen bestimmte Investitionen, das Einfrieren des Vermögens der syrischen Zentralbank in der EU und Exportbeschränkungen für Ausrüstung und Technologie, die für die innere Repression genutzt werden können.

Entgegen der konstant wiederholten Behauptung, dass es sich in Syrien um einen Bürgerkrieg handelt  - diese Unterstellung ist ein weiterer Beleg für die Art und Weise, wie wir mit groben Lügen versorgt werden -  handelt es sich nachweislich um einen weiteren völkerrechtswidrigen illegalen Angriffskrieg.  [4]

Beim European Council on Foreign Relations etwa hiess es bereits im Februar 2019, dass die westliche Sanktionspolitik »eine Politik der verbrannten Erde ist, die unterschiedslos und willkürlich gewöhnliche Syrer bestraft und legitime Geschäfte bedroht«.  [5]

Ausgeweitet worden sind zuletzt auch die EU-Sanktionen gegen Venezuela, obwohl eine wissenschaftliche Untersuchung bereits im April 2019 zu dem Schluss gekommen war, dass die seit 2017 verhängten Sanktionen über 40.000 Menschen das Leben kosteten. Am 29. 6. 2020 fügte der Rat der EU seiner landesspezifischen Sanktionsliste 11 Venezolaner hinzu, die nun gleichfalls nicht mehr in die Union einreisen dürfen; zudem wird auch ihr Vermögen in der EU eingefroren. Zu den mit Zwangsmassnahmen belegten Personen zählen vor allem hochrangige Politiker, Juristen und Militärs. Auch im Falle Venezuelas begleiten die EU-Massnahmen US-Restriktionen, die noch deutlich weiter reichen; zudem sind die Folgen für die Bevölkerung ebenfalls katastrophal.  [6]  Der ehemalige US-Spitzendiplomat Thomas Shannon urteilte über die Sanktionspolitik: »Wir sehen die Zerstörung Venezuelas als Land und als Gesellschaft«.  

Mit Blick auf die Covid-19-Pandemie hatte UN-Generalsekretär António Guterres gefordert, alle ökonomischen Zwangsmassnahmen gegen Drittstaaten auszusetzen, um Zugang zu Nahrung, zur notwendigen Gesundheitsversorgung und zu medizinischer Covid-19-Hilfe sicherzustellen: »Jetzt ist es Zeit für Solidarität, nicht für Ausschluss«.  [7]   Nichts Dergleichen ......

»An eine friedliche Lösung des syrischen Konflikts«, hatte Werner Pirker schon im   Oktober 2012 festgehalten, »wurde von der Supermacht in Übersee und ihrem europäischen Juniorpartner nie auch nur ein einziger Gedanke verschwendet. Der Regimewechsel gilt längst als beschlossene Sache, mag er auch noch so langwierig und blutig verlaufen. An freie Wahlen ist dabei nicht gedacht. Das Land in der Levante soll wirtschaftlich stranguliert, die Bevölkerung und das Regierungslager sollen demoralisiert werden. Mit ihrer Politik der Sanktionen unterstützt die EU den bewaffneten Aufstand und begibt sich damit indirekt in die Rolle einer kriegsführenden Partei. Obwohl die erhöhte Gewaltbereitschaft der Antiregierungskräfte inzwischen offenkundig ist, wird die Forderung nach einem Gewaltverzicht ausschliesslich an die Adresse der regulären Streitkräfte gerichtet. Sanktionen gegen die Halsabschneider sind nicht vorgesehen«.  [8]

Auf welche Weise sich die EU gegen die Sanktionen, die ihre Gasversorgung bedrohen, zu wehren beabsichtigt, bleibt fürs erste dahingestellt. Man sollte eigentlich annehmen können, dass diese Zwangslage dazu führt, ihre eigene Sanktionsstrategie, die niemand gutheissen kann, zu überdenken und davon abzusehen, diese in EU-Gesetzen zu verankern.

Eines dürfte allerdings unumstösslich sicher sein: Washington wird jede Art von EU-Sanktionen  - die den USA im Weg sind, oder die die US-Administration selbst nicht billigt – zu verhindern wissen, wogegen sich die EU ganz klar als machtlos erweisen wird.

  

Quelle:

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8338/
17. 7. 20  Transatlantische Konflikte (III)

[1]  Siehe hierzu
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2685
13. 8. 17 Das Sanktionsgesetz gegen Rußland, den Iran und Nordkorea
sowie http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2849
23. 9. 2018  US-Sanktionen - endlos ……

[2]  https://de.sputniknews.com/politik/20200715327505429-usa-russlands-unterstuetzung-afghanistan/    15. 7. 20

[3]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8336/
16. 7. 20  Aus der Folterkammer des Wirtschaftskriegs (II)

[4]  Siehe hierzu http://www.politonline.ch/?content=news&newsid=1940    
23. 4. 12  Die
»Freunde« Syriens

[5]  Nour Samaha: The economic war on Syria: Why Europe risks losing. ecfr.eu 11. 2. 2019

[6] Mark Weisbrot, Jeffrey Sachs: Economic Sanctions as Collective Punishment: The Case of Venezuela. Center for Economic and Policy Research. Washington, April 2019

[7]  Funding the fight against COVID-19 in the world’s poorest countries. un.org 25. 3. 2020

[8]  http://www.jungewelt.de/2012/10-16/033.php   16. 10. 12
Friedensaktivismus - Syrien, Iran: Schärfere EU-Sanktionen - Von Werner Pirker