Widersprüche

politonline d.a. Zum Auftakt der UN-Vollversammlung hat Generalsekretär Ban Ki Moon soeben ein »Klima des Wandels« gefordert. Die Welt stehe in den kommenden Jahren vor einer »gewaltigen Reihe von Herausforderungen«, erklärte er am 25. 9. 07 vor den Vertretern der Mitgliedstaaten. Diese reichten vom Kampf gegen den Klimawandel und die Armut auf der Welt bis zu den Konflikten im Sudan und im Nahen Osten. Dieser Wandel sei notwendig, um gemeinsam den Problemen entgegenzutreten. »Ich erwarte, dass das kommende Jahr eines der schwierigsten in unser Geschichte wird«, sagte Ban. »Und ich bin mir sicher, dass wir es zusammen zu einem der erfolgreichsten machen können.« Frieden im Nahen Osten sei von grösster Bedeutung für die Stabilität der Region und der Welt. Dazu nötig seien ein Ende der Gewalt, ein Ende der Besatzung und die Schaffung eines palästinensischen Staates. Er versicherte ferner, man werde sich mit ganzer Kraft für »ein Ende der Tragödie in Darfur« einsetzen. Er forderte die sudanesische Regierung auf, wie zugesagt eine Waffenruhe umzusetzen und sich an Friedensgesprächen zu beteiligen. Den Irak bezeichnete Ban als ein »Problem der ganzen Welt«.

Man glaubt sich regelrecht verdummt. Vorträge dieser Art scheinen in die Kategorie der UNO-Standardausführungen zu fallen, man könnte sie als reine Sprechblasen bezeichnen, denn wir hören sie seit Jahren in immer gleichbleibender Form, ungeachtet der Tatsache, dass die USA mit ihren Verbündeten, die sich selbstredend dasselbe anhören mussten, aber vermutlich mit keiner Wimper zuckten, Afghanistan und dem Irak inzwischen ein Inferno gigantischen Ausmasses bereitet haben. Was den propagierten Wandel betrifft, so wird dieser kaum näher charakterisiert, so dass eher verborgen bleibt, was Ban Ki Moon im einzelnen darunter versteht. Dass zu erwarten ist, dass die CO2-Steuer über die UNO als Weltsteuer eingeführt wird, das allerdings sollte man inzwischen begriffen haben, auch wenn unsere Regierungen das nicht aussprechen. Es steht ferner zu befürchten, dass der von Ban als Stabilitätsfaktor angeführte Frieden im Nahen Osten in Wirklichkeit die bereits programmierte Neuordnung der Region bedeutet, wie sie German Foreign Policy in Schmutziges Geheimnis aufgezeichnet hat.

Jetzt, da der Irak ausgeblutet ist, handelt es sich plötzlich um ein »Problem der ganzen Welt«. Zuvor hatte keine einzige Stimme, die gegen diesen verbrecherischen Überfall war, auch nur den Hauch eines Gewichts. Die Probleme, um dies klarzustellen, schaffen nicht wir, die zu »Dauergebern« der Internationalen Gemeinschaft degradierten Bürger, sondern in erster Linie die USA und ihre Politik, gegen die auf höchster Ebene kein Einwand erhoben wird. Wenn Ban Ki Moon darlegt, dass das Jahr 2008 eines der »schwierigsten in unser Geschichte werden wird«, muss jeder, der sich in die Materie der hinter unserem Rücken beschlossenen Strategien eingearbeitet hat, sozusagen zwangsweise an eine neuerliche Apokalypse denken, nämlich an den vorangetriebenen Angriff auf den Iran. Apokalypse deshalb, weil die verseuchte Erde in Afghanistan und im Irak und die grauenerregenden Missgeburten im Irak bereits eine solche darstellen, auch wenn die an der Spitze stehenden Verantwortlichen dies offensichtlich nicht wahrhaben wollen. Es lässt sich ferner vermuten, dass Angriffspläne für den Iran auf der diesjährigen Bilderberger-Konferenz vom 1. bis 3. Juni im Hotel Ritz-Carlton in Istanbul zur Sprache gekommen sind, was zu der Folgerung überleitet, dass der Generalsekretär bereits weiss, was im einzelnen festgelegt wurde und daher die Weisung haben könnte, uns mittels dieser unheilverkündenden Worte auf ein weiteres Inferno vorzubereiten. Die diesem Gedanken entgegenstehenden Worte, 2008 zu einem der erfolgreichsten machen zu können, dürfte nicht mehr als eine der Öffentlichkeit verabreichte Beruhigungspille darstellen, es sei denn, Ban verstünde unter dem Begriff Erfolg das endgültige Niederwalzen all derjenigen, die sich den Hegemonialansprüchen der USA widersetzen. Auch die Armutslitanei wird uns unerschöpflich vorgebetet. Dabei ist die Armut trotz aller hehren Vorsätze gewachsen. Von den 81 ärmsten Ländern der Welt befinden sich 39 in dem an Ressourcen sozusagen überquellenden Afrika, wo sich die Zahl der Armen in den vergangenen zwei Jahrzehnten verdoppelt hat, was bei den Milliarden, die einzelne Potentaten dieses Kontinents aus dem Land geschafft haben, nicht verwunderlich ist. Letzterer Fakt wird bei allen an uns ergehenden Aufforderungen, die Entwicklungshilfe für die Afrikaner zu steigern, meistens verschämt verschwiegen. Der Bürger könnte ja einmal nachrechnen und angesichts der Unsummen, die in Afrika in den Sand gesetzt wurden, aufbegehren. Was das Grauen im Sudan betrifft, so mag hier weiterhin darüber geredet werden, ein Ende der dortigen Brutalitäten dürfte erst dann in Sicht sein, wenn die dortigen Ressourcen auf eine definitiv nicht mehr rückgängig zu machende Weise verteilt sind. Die Zwischenstadien bestehen aus von uns ohne Unterlass geleisteter humanitärer Hilfe und die Stellung von Friedenstruppen - wohlbemerkt ohne irgendeine finanzielle Beteiligung der dort inmitten der Kriegswirren in aller Ruhe das Öl fördernde Konzerne. 

Führt man sich die in zahlreichen UNO-Mitgliedstaaten vorhandene Korruption und die damit oftmals verbundene, unter Ausschluss der Beteiligung der Bevölkerung vor sich gehende Ausbeutung der Ressourcen vor Augen, so wird verständlich, wieso ein Mann wie Ban Ki Moon es wagen kann, das, was wir grösstenteils als Phrasen betrachten, vorzutragen, ohne dass sich in der UNO ein Sturm der Entrüstung erhebt. Der zitierte Wandel ist somit eher als die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu betrachten. Zieht man ihm die Maske vom Gesicht, so stösst man unverändert auf dieselben Züge, wozu vor allem die Welt der Waffen und der Militarisierung gehört, in der nachweislich keinerlei Wandel geplant ist: 

- Nach Schätzungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri erreichten die Rüstungsausgaben der Staaten der Welt 2006 mehr als 1,2 Billionen US-$, rund 900 Milliarden €, eine pervers hohe und gleichzeitig unvorstellbare Summe. Bei der Aufgliederung dieser Zahl war Afrika eigenartigerweise nicht aufgeführt, vermutlich deswegen, damit die über die UNO unnachgiebig angekurbelte Entwicklungshilfeerhöhung für diesen Kontinent keine Schwächung durch Fakten erfährt. 

-  Der Waffenhandel zieht wieder an. Hinter der USA und Russland war die BRD 2006 der drittgrösste Exporteur von Militärmaterial.

  - Die Militarisierung der EU bleibt ein festes Ziel. Bis 2013 sind allein 8,2 Milliarden Euro für die Aufrüstung des Weltraums geplant. Während die nationalstaatlichen Militäretats nur geringfügig wachsen, wird der EU-Haushalt immer öfter für Rüstungsvorhaben aller Art genutzt. Gleichzeitig werden Ad-hoc-Mittelplanungen für den militärischen Kernbereich von EU-Militärmissionen erstellt. Auf diese Weise entstehen, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, geheime EU-Militärbudgets, die Frieden und Sicherheit weltweit, aber auch in Europa, gefährden 1. Nicht umsonst hiess es im Dezember letzten Jahres, dass die europäischen Rüstungskonzerne in Zukunft stärker von den neuen Kriegen profitieren wollen. Die EU bereitet ihnen politisch den Weg dazu und finanziert diesen Wirtschaftssektor hinter dem Rücken der Öffentlichkeit.  

- Die britische Rüstungsindustrie, nach der USA der zweitgrösste Produzent von Kriegsgerät, verkauft 2/3 ihrer tödlichen Waffen an Staaten, in denen die Menschenrechte mit Füssen getreten werden. Ihr grösster Kunde ist Saudiarabien, das das fundamentalistischste islamische Regime der Welt aufweist. 

- Das russische Militär meldete am 12. September 07 die Entwicklung der weltweit stärksten konventionellen Bombe; die neuartige Vakuum-Bombe, heisst es, sei von ihrer Sprengkraft her mit einer Atombombe vergleichbar. Allerdings werde die Umwelt nicht radioaktiv verstrahlt; bei der Explosion wird jedoch extreme Hitze frei. Russland plant für 2007 die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von 7,5 Milliarden Dollar. Grösste Abnehmer russischer Rüstungsgüter sind trotz einem anhaltenden Rückgang China und Indien. Auch letzteres Land rüstet auf und arbeitet am Ausbau seines nuklearen Waffenarsenals weiter; Indien erhielt jetzt erstmals seit 30 Jahren Zugang zu US-Atomtechnik und Kernbrennstoffen, obwohl die Regierung in Delhi den Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag ablehnt und Kernwaffen testet. 

- In Genf ging Anfang Dezember 2006 die Überprüfungskonferenz der Mitgliedstaaten der UNO-Konvention gegen biologische Waffen zu Ende: man einigte sich lediglich auf einen unverbindlicher Aktionsplan, der ausschliesslich auf Freiwilligkeit setzt, was allein schon alles aussagt. 

- Wie Interinfo Linz vom April 2007 darlegte, arbeitet die amerikanische Rüstungsindustrie an immer brutaleren Waffensystemen. Auf einem Militärstützpunkt im US-Bundesstaat Georgia wurde das erste Exemplar der Mikrowellen-Kanone »Silent Guardian« vorgestellt, deren Einsatz im Irak beabsichtigt sein soll. Mit dieser gegen die Genfer Konvention verstossenden Waffe werden hochfrequente Strahlen auf Menschenansammlungen gerichtet; dadurch erhitzt sich die Haut der Opfer unter unerträglichen Schmerzen. Metallteile an der Bekleidung, wie Gürtelschnallen, brennen sich mit bis zu 400 Grad ins Fleisch der Getroffenen ein. Für den Einsatz im Irak wurden sechs dieser »Mikrowellenkocher« bestellt. In Washington geht man davon aus, dass es weltweit keine grösseren Proteste gegen den Einsatz dieses Waffensystems geben wird - eine, fügen wir an, schon jetzt als sicher zu bezeichnende Prognose. 

Der anhaltende Zwang, die Kriegsfolgekosten der internationalen Gemeinschaft aufzubürden, steht einem Wandel diametral entgegen, den besagter Zwang bedeutet, bei Licht besehen, dass kriegerische Konflikte sozusagen unter der Garantie ausgetragen werden können, dass der Steuerzahler dieses Globus dafür arbeitet, die Zerstörungen zu beheben. Der Sicherheitsrat hatte die Vereinten Nationen bereits Mitte August 2007 zu einem verstärkten politischen Engagement im Irak verpflichtet, was die internationale Gemeinschaft dem Irak jetzt am 23.9.07 in New York versprochen hat. Selbstredend lobte US-Aussenministerin Rice das Treffen als »echtes Bekenntnis der Weltgemeinschaft und der Nachbarn Iraks«, dem Land zu Frieden und nationaler Einheit zu verhelfen. Es ist beachtlich, wie diese Weltgemeinschaft durch die eigenen Politiker geknechtet wird. Bernard Kouchner, der übrigens auch auf der Bilderberger-Konferenz in Istanbul zugegen war, liess uns wissen, dass der Irak »mehr als bisher die kollektive Suche nach Lösungen für seine Probleme« verdiene. Es steht allerdings zu befürchten, dass diese Lösung in der längst über die Köpfe der Iraker hinweg angestrebten Dreiteilung des Landes besteht, was einer totalen Vergewaltigung gleichkäme. Der irakische Regierungschef Al-Maliki war mit den Worten zu vernehmen, dass das Wohlergehen der irakischen Bevölkerung jedoch weiter durch den Terrorismus geschmälert werde. Wie es Leuten seines Schlags gelingt, dabei den Terror der Besatzungsmacht unausgesprochen zu lassen, ist erneut ein Beispiel der grotesken Verlogenheit auf politischer Ebene, an der fast alles krankt. Eine sozusagen einmalige Vorstellung entwickelte Bush seinerseits vor den Fernsehkameras am 14. September: Wenn die US-Besatzung im Irak nun beendet würde, profitierte Teheran von dem folgenden Chaos »und sähe sich ermutigt, sich Atomwaffen zu beschaffen und die gesamte Region zu dominieren«. Wie man es wagen kann, nach den ungeheuren Lügen, die den Beginn der Zerstörung des Iraks einleiteten, derartige Folgerungen zu präsentieren, offenbart, dass die Gesinnung Washingtons nicht von der mindesten Einsicht  getrübt ist. ‚Praktischerweise’, um bei dem Zynismus von Bush zu bleiben, untermauert diese Feststellung auch gleich die gegen diesen Staat ohne Unterlass ausgestossenen Drohungen. Interessant ist hier auch ein Kommentar von Rainer Rupp zur Rückkehr der UNO in den Irak: Vorgegebenes Ziel ist es, internationale Wiederaufbauhilfe anzukurbeln, die politischen Strukturen im Irak zu »reformieren« und die zukünftige Rolle der UNO dort neu zu definieren. Der eigentliche Zweck besteht jedoch darin, die seit Jahren als »irrelevant« beiseite geschobenen United Nations ins Besatzerboot zu holen: Je auswegsloser die Lage geworden ist, desto intensiver versuchen die Kriminellen in der US-Administration, den blauen Mantel der UNO über ihre Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen zu breiten 2. Unter Berücksichtigung all dieser Gegebenheiten lassen sich die Worte von Ban Ki Moon in Wahrheit ausschliesslich dahingehend interpretieren, dass die Steuerzahler dieses Globus die finanzielle Basis des irakischen Wiederaufbaus zu gewährleisten haben. Im Mai dieses Jahres hatte Ban im übrigen angekündigt, dem Irak eine Schuld von 30 Milliarden $ zu erlassen, die selbstredend nicht aus den Taschen der Politiker kamen, sondern allein aus der für die Aufnahme unserer Steuern reservierten ‚Schatulle’, über die wir so gut wie kein Verfügungsrecht mehr haben. Solange nicht offenliegt, auf welche Weise Politiker dazu gebracht werden, einen derartigen, zum Schaden ihrer Bevölkerungen gesteuerten Kurs einzuhalten, solange wird unsere bereits generell angeschlagene Demokratie ihre Unglaubwürdigkeit behalten. Daher lassen sich auch die Worte Ban Ki Moons, der den amerikanischen Militäreinsatz im Irak als grossen Beitrag zur »Stabilisierung des Iraks« gewürdigt hat, als nichts anderes als die Fortsetzung uns immer wieder dargebotener Zynismen sehen. Von der Zerstörung durch die Besatzer selbst kein Wort. Ban schreckte nicht einmal vor den Worten zurück: «Wir müssen diesen Beitrag der Vereinigten Staaten und die damit verbundenen Opfer zu schätzen wissen« 3

In das Kapitel fortgesetzter Verdummung fällt für unsere Begriffe daher auch der kürzlich von Ban an die Konfliktparteien in aller Welt gerichtete Appell, aus Anlass des Internationalen UNO-Friedenstags 24 Stunden lang die Waffen schweigen lassen. Während einer Zeremonie am 21. September am Hauptsitz in New York legte Ban um 12.00 Uhr eine Schweigeminute für den Frieden ein. Erstens wird er wissen, dass die Chance, dass die ‚Krisenstifter’ von ihren Auseinandersetzungen ablassen, solange es noch Ressourcen auf dieser Erde gibt, um die gestritten werden kann, im Prinzip gleich Null ist, zweitens unterschlägt er kalt den dem Frieden im Wege stehenden Hauptfaktor, die bereits erwähnte Rüstungsproduktion, über die wir ebenfalls nicht zu befinden haben. Seine Friedensglocke kann er daher ruhig ertönen lassen, sie wird ebenso wie alle Stimmen gegen den Krieg ungehört verklingen. Zwar hat die UNO in den vergangenen 5 Jahren insgesamt 18 Milliarden $ (13 Milliarden €) unserer Steuergelder für Friedensmissionen auf der ganzen Welt ausgegeben, »aber«, zu diesem Schluss kam der Weltsicherheitsrat in einer Sitzung am 28.8.07, »nicht genug, um Konflikte gar nicht erst zum Ausbruch kommen zu lassen.« Man traut seinen Augen nicht, wer sonst als der UNO-Sicherheitsrat entscheidet über Krieg oder Frieden? Verdummungen dieser Art werden immer häufiger und mit einer geradezu unverhohlenen Dreistigkeit präsentiert. 

Auf dergleichen Ebene liegt unserer Auffassung nach die Ernennung von Königin Rania von Jordanien in diesem Jahr in Davos zur «herausragenden UNICEF-Anwältin für Kinder». Mit dem neuen Titel werde das langjährige Engagement der Königin für die Rechte der Kinder, für ihre Ausbildung und ihre Gesundheit gewürdigt, erklärte UNICEF-Direktorin Ann M. Venemann am WEF-Jahrestreffen vor den Medien. Rania unterschrieb in Davos eine Vereinbarung, mit der sie sich verpflichtet, weiterhin auf Kinderrechte aufmerksam zu machen. Zu mehr als dem Aufmerksammachen dürfte es kaum reichen, die Lage von Millionen Kindern war und ist immer noch gleichbleibend miserabel, insbesondere in Afrika. Und wo immer die Ressourcenjäger ihre Zelte aufschlagen, werden die Kinder weiterhin Opfer brutaler Metzeleien. Daran hat der ‚königliche Vorstand’ bislang offenbar so gut wie nichts geändert und wird daher auch in Zukunft wenig ändern. Man stelle einmal den Fakt der Rüstung Indiens der dramatischen Lage von Millionen Kindern in diesem Land gegenüber: die Hälfte aller Kinder ist mangelernährt, jährlich sterben dort mehr als zwei Millionen Kinder an Infektionen wie Masern oder Tetanus, die mit Impfungen und besserer Hygiene vermeidbar wären, jedes fünfte Kind in Indien geht nicht zur Schule und hat keine Chance, Lesen und Schreiben zu lernen. Zu was dient dann die von der EU Indien noch immer eingeräumte finanzielle Hilfe - die das Land trotz seines Wirtschaftsbooms und ungeachtet seiner Rüstungsausgaben (!) erhält? Laut EU-Aussenkommissarin Ferrero-Waldner ist Indien noch immer ein Entwicklungsland. Ihren Angaben zufolge wird die EU-Unterstützung von 2007 bis 2013 insgesamt 470 Millionen €  betragen. Pro Jahr entspricht das 67,1 Millionen €. Im Zeitraum 2002 bis 2006 gab die EU jährlich lediglich 45 Millionen € an Indien. Wozu also die Steigerung? Was die UNO-Mission der jordanischen Königin betrifft, so können weder sie noch die in Davos Anwesenden ignorieren, dass die Folter von Verdächtigen zum Alltag in den jordanischen Gefängnissen gehört. Der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak, erklärte Ende Januar, dass sowohl der jordanische Geheimdienst GID als auch die Kriminalpolizei dafür bekannt seien, dass sie regelmässig folterten. Die Folterpraktiken würden in Jordanien auch dadurch begünstigt, dass die Täter de facto nicht zur Rechenschaft gezogen würden. Erstellt man einmal Zusammenhänge zwischen den in den einzelnen UNO-Ressorts getroffenen Entscheidungen, so steht man vor der Wahl, entweder anzunehmen, dass die rechte Hand hier willentlich übersieht, was die linke tut, oder dass die Funktionäre sich tatsächlich in dem Glauben wiegen, die Bevölkerung selbst würde die zahlreichen sich widersprechenden Vorgänge nicht erkennen. 

Eine Fortsetzung der ’Geberrunden’ bildete ein hinter verschlossenen Türen und unter Leitung von Ban Ki Moon sowie des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai am 23. 9. in New York abgehaltenes Treffen, bei dem das Engagement für Afghanistan bekräftigt wurde. Angesichts der wachsenden Gewalt in Afghanistan unterstrich man die Notwendigkeit internationaler Anstrengungen, um dem Land im Kampf gegen Terror, Drogenhandel und Korruption zu helfen. Man hörte nichts darüber, dass Mitglieder der Regierung von Hamid Karsai für zahllose Massaker, Folter, Massenvergewaltigungen und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sind, oder dass die afghanische Regierung am Drogenhandel mitverdient. Da Karsai offensichtlich keinen Rückhalt in der Bevölkerung findet, umgibt er sich zwecks Machterhalts nicht nur mit einer ganzen Reihe von mächtigen Kriegsverbrechern, sondern auch mit aktiven Mafiabossen, denen er höchste Positionen im afghanischen Polizeiapparat verschafft. Laut The Guardian belegen Dokumente, dass z.B. Amanullah Guzar in Erpressungen und Landraub grossen Stils verwickelt und ausserdem für die Entführung von drei Mitarbeitern der UNO Ende 2004 verantwortlich ist. Ihn machte Karsai trotz des Protests der NATO-Besatzungstruppen zum Polizeichef von Kabul. Zugleich hat Karsai zwölf weitere ehemalige Mudschaheddin-Feldkommandeure, die über illegale Privatarmeen verfügen und in Drogenschmuggel und organisierte Kriminalität verwickelt sind, in Spitzenpositionen der Polizei befördert. In seinem Versuch, sich im Kampf gegen die Taliban an der Macht zu halten, will Karsai jüngsten Meldungen zufolge sogar wieder die Kriegsherren in Südafghanistan bewaffnen, die zuvor mit viel Mühe und US-Geldern entwaffnet wurden. Laut Financial Times sind westliche Strategen besorgt, weil sie darin eine weitere Destabilisierung des Landes sehen 4. Was den Terror betrifft, so hat wenigstens der pakistanische Premier Shaukat Aziz dieses Jahr in Davos ein wahres Wort ausgesprochen: er betonte, dass der Terrorismus eine universelle Antwort auf verweigerte Würde und Lebenschancen ist. Der Marburger Politikwissenschaftler Dr. Martin Baraki berichtete am 17. September 2007 im Bürgerhaus Wilhelmsburg (BRD) über Geschichte und Gegenwart Afghanistans. Er erklärte u.a. folgendes: »Eine Organisation namens Al Qaida gibt es nicht. Hunderte oder Tausende Gruppen und Grüppchen im Orient werden vom Westen so genannt. Manche nennen sich selber so. Die Mafia lässt in Kabul Häuser mit europäischem Standard bauen und vermietet sie zu schwindelerregenden Preisen an die ausländischen Mitarbeiter der Nicht-Regierungsorganisationen. Die NGOs ihrerseits beauftragen ausländische Firmen mit Aufbaumassnahmen: die meisten Afghanen sind arbeitslos. Afghanische Akademiker verdingen sich bei den NGOs als Putzhilfen oder Fahrer. Die NGOs verbitten sich militärischen Beistand: er würde sie in Todesgefahr bringen. Für Landeigner lohnt nur der Anbau von Mohn. Die deutsche Bundeswehr auf afghanischem Boden ist ausschliesslich mit sich selbst beschäftigt.« Hier kann man nur noch hinzufügen: gleich was aufgedeckt und publiziert wird, es lässt die Mehrheit unserer Politiker und die UNO-Funktionäre kalt. 

Ban Ki Moons Friedensglocke wird vollends zur Farce, wenn man sich die kurz vor ihrem Auftritt vor der UNO-Vollversammlung von Bundeskanzlerin Angela Merkel geäusserten    Worte vor Augen führt: Eine weitere Verschärfung der Sanktionen sei notwendig, falls die Regierung in Teheran im Streit um ihr Atomprogramm nicht einlenke. »Nicht die Welt muss dem Iran nachweisen, dass er eine Bombe baut, sondern der Iran muss die Welt davon überzeugen, dass er die Atombombe nicht will«, behauptete sie. Das hat Ahmadinedschad allerdings wiederholt versichert, man fragt sich also, was sich Frau Merkel  überlegt hat. Sie negierte ferner erneut das Recht des Irans auf zivile Nutzung der Kernenergie. Die Kriegshetze gegen dieses Land ufert langsam aus. Vor unser aller Augen. Sarkozy seinerseits erklärte vor der Vollversammlung, dass es dem Iran nicht erlaubt werden dürfe, Atomwaffen zu besitzen. Dies würde ein «inakzeptables Risiko für die Stabilität in der Region und in der Welt» bedeuten. Es bleibt zu hoffen, dass er nicht dem Irrtum erliegt, zu glauben, dass wir sein eigenes Atomwaffenarsenal, das der USA, Chinas, Russlands, Indiens, Pakistans und Israels etwa als friedenssichernd betrachten. 

Abschliessend seien noch kurz die neben dem Terror und den grauenerregend hohen Todesraten der täglichen Massaker in Afghanistan ebenfalls die Spalten der Presse füllenden Menschenrechte erwähnt. Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey hat bei ihrem Auftritt vor der UNO-Vollversammlung dargelegt, es gebe vornehmlich drei Säulen der Ordnung, die aufrecht erhalten werden müssten: der Respekt vor den Menschenrechten, die Rechtsstaatlichkeit und die gute Regierungsführung. Wie gerade erstere durch die Politik der Besatzungsmächte im Irak und in Afghanistan in den Staub getreten werden, braucht nicht  erläutert zu werden. Was die Rechtsstaatlichkeit betrifft, so sehen wir diese allein schon durch die vorangetriebene Entnationalisierung der Staaten als konstant bedroht, und von einer guten Regierungsführung kann, solange die an den Entscheidungen beteiligten Politiker und die UNO selbst in den dargelegten Widersprüchen verfangen bleiben, keine Rede sein. Man ziehe nur einmal in Betracht, dass der Ständerat soeben einen neuen Rahmenkredit für die zivile Friedensförderung und die Stärkung der Menschenrechte in Höhe von 240 Millionen Franken für die nächsten 4 Jahre gutgeheissen hat, während andererseits die Waffenausfuhr mit insgesamt 207,8 Millionen Franken erneut massiv zugenommen hat. Auch wenn diese Summe im Vergleich mit den übrigen Staaten klein erscheint, so bleibt dennoch der Fakt bestehen, dass jede Waffenausfuhr die Konfliktherde nährt, denn der Waffenhandel ist noch nie kontrollierbar gewesen. Damit verliert die stets geltend gemachte Neutralität und humanitäre Kraft des Landes an Glaubwürdigkeit. Die drei grössten Abnehmer von Schweizer Kriegsmaterial (Deutschland, Dänemark, USA) sind im übrigen allesamt am sogenannten Krieg gegen den Terror im Irak und/oder in Afghanistan beteiligt. Auch die pakistanische Militärdiktatur wurde mit Waffen beliefert; ebenso Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate; letztere sind weltweit als Waffendrehscheibe bekannt; von  dort aus gelangte vor kurzem Schweizer Kriegsmaterial illegal an Marokko. 

Liefern uns unsere Regierungen diesen Widersprüchen weiterhin aus und erfolgt hinsichtlich der Bedrohung des Irans keine Kehrtwende, so dass der Horror eines neuerlichen Krieges am Horizont aufsteigen könnte, wird Ban Ki Moon seine Friedensglocke einschmelzen müssen. Würde es uns jemand verargen, wenn wir langsam zu der Auffassung gelangten, dass die Art und Weise, in der wir regiert werden, die Komponente des Wahnsinns in sich birgt? 

1 http://www.jungewelt.de/2007/04-07/010.php Geheime Militärhaushalte - Kriegerische Einsätze der EU werden teilweise aus zivilen Töpfen finanziert. Die Union verstärkt Investitionen in Rüstung und benötigt dafür eine Verfassung Von Martin Hantke

2http://www.jungewelt.de/2007/08-18/053.php Blaues Mäntelchen - UNO zurück im besetzten Irak Von Rainer Rupp

3 http://www.netzeitung.de/ausland/690750.html 8. 7. 2007 17:22 UN-Generalsekretär lobt US-Militäreinsatz im Irak

4 http://www.jungewelt.de/2006/06-13/043.php Karsai kooperiert mit Massenmördern und Mafiabossen - Von Rainer Rupp  

Die homepage von Dr. Baraki ist wie folgt: http://www.staff.uni-marburg.de/~baraki/ resp. http://www.steinbergrecherche.com/mohn.htm#Krieger 

Auf politonline: Schmutziges Geheimnis; Doris Auerbach - Wird der Irak geteilt?; Blick auf Afghanistan und den dortigen Drogenhandel - Von Doris Auerbach; zur Person Ban Ki Moons siehe Notizen von politonline.ch