Überlegungen zum Schulwesen - von Doris Auerbach

Es ist bekannt, dass eine der Forderungen des WTO-Dienstleistungsabkommens (GATS*) darin besteht, das bislang staatliche Schulsystem zu privatisieren. Die WTO (Welthandelsorganisation bzw. World Trade Organisation 'WTO') kann nicht als legitime Institution betrachtet werden, da ihre Einrichtung nicht auf demokratische Weise erfolgt ist. Die Regeln der WTO, die keine Minimalanforderungen für Umweltschutz, Arbeitsrechte und Sozialprogramme enthalten, sind wiederholt dazu benutzt worden, um nationale Schutzgesetze zu beseitigen.

Im Kern geht es bei den demnächst  in Dauha stattfindenden GATS-Verhandlungen darum, öffentliche Dienstleistungen wie Gesundheitswesen, Wasserversorgung, Alterssicherung, Museen, Bibliotheken,  etc.,  in private Hände zu legen.  Diese Gebiete werden dann ausschliesslich auf die Optimierung des Profits umgestellt, wobei die Frage, ob dies zum Wohl der Bevölkerung des Landes geschieht, so gut wie keine Beachtung erfährt. Die geplanten Regelungen gewähren praktisch jedem internationalen Anbieter den  Zugang zu jedem Markt,   wodurch  - falls sie in Kraft treten -   beispielsweise die Japaner das Versicherungswesen der Schweiz übernehmen könnten.  In den zurückliegenden sechs Jahren hat es sich gezeigt, dass die WTO eine der mächtigsten antidemokratischen Organisationen geworden ist, die sich den Mantel einer Globalregierung umgehängt hat. Es ist unannehmbar, dass  sich Regierungen im Rahmen der WTO  hinter verschlossenen Türen treffen, um die  Rechte der Bevölkerung zugunsten ihrer Unternehmerfreunde zu beschneiden.
 
Um zu begreifen, was die Abschaffung  staatlicher Schulen bedeutet, sei dies an Hand der Situation in den USA aufgezeigt,  einer  Nation, die seit geraumer Zeit im Begriff ist, sich  willentlich als einzige Weltmacht zu konstituieren, was sie  unverhohlen  zum Ausdruck bringt. Was die Entwicklungsländer betrifft, so mussten zahlreiche Drittweltländer als Folge der vom Internationalen Währungsfonds (IWF) erzwungenen Strukturanpassungsprogramme    in den letzten Jahren   dazu übergehen,  ihre eigenen öffentlichen Sozialprogramme aufzugeben, um fremde Unternehmen in ihr Land zu lassen, die dann  landeseigene Sektoren wie Gesundheit, Erziehung, Alterssicherung,  etc.,   privatisierten. Diese versorgen in der Folge dann nur denjenigen Teil der Bevölkerung, der  sich dies finanziell leisten kann;  die  Unterschicht bleibt ohne soziale Grundversorgung.  Als regelrechte Steigbügelhalter  dieser bevölkerungsfeindlichen Massnahmen betrachte ich Wirtschaftszweige, die in den vom IWF  'vereinnahmten' Ländern ihre Investitionen tätigen sowie die dort ihren Geschäften nachgehenden  Banken. Auch die UNO, die ständig die  Menschenrechte im Mund führt, vorzugsweise dann, wenn Rüstungsgiganten und  Grossmächte die Katastrophen bereits aufbereitet haben, setzt sich über diesen schreienden Misstand  ganz offenbar hinweg.
 
Wie Gore Vidal in seinem Aufsatz  'Amerika braucht Feinde' ('Frankfurter Allgemeine Zeitung' / 18. 10. 01) darlegt, "hat die USA kein öffentliches Bildungssystem; mehr als die Hälfte der Viertelmilliarde US-Bürger sind Analphabeten und der Durchschnittsamerikaner hat fast überhaupt keine Bildung".  Eine lediglich gering gebildete  Mittelschicht führt jedoch zwangsweise zu der Möglichkeit, dass die regierende Elite jede Art von Manipulation in Gang bringen kann. Der amerikanische Historiker Christopher Lasch zeichnet von dem in  dieser so ungeheuer anmassend auftretenden Nation  herrschenden desolaten Bildungsstand in seinem Buch  'The Revolt of the Elites, The Betrayal of Democracy'  (Der Aufstand der Eliten, der Verrat an der Demokratie **) bereits 1995  ein genaues Bild. Die dort aufgezeigte Situation dürfte die gleiche sein,  die Europa erwartet, sollte  der weltweite Widerstand gegen  GATS  nicht zu dem erhofften Resultat führen. Im Folgenden werden Laschs Worte bzw. die der von ihm zitierten Autoren auszugsweise wiedergegeben.
 
Die Schulen
 
Wenn wir einen nüchternen Blick auf die  Trümmer des Schulsystems der USA werfen,  werden wir schwerlich den Eindruck verhindern können, dass zu irgendeinem Zeitpunkt irgendetwas völlig falsch lief.  Die Kritik der 50er Jahre führte die diesbezüglichen Probleme auf progressive Ideologien zurück,  die die Dinge für das Kind angeblich zu leicht machten und den Lehrplan seiner intellektuellen Striktheit beraubten. Revisionistische Historiker bestanden in den 60er Jahren auf der Ansicht, dass das Schulsystem an einem Punkt angelangt war, an dem es, wie Joel Spring anmerkt,  als  'Sortiermaschine'  diente, als Instrument, das gesellschaftliche Privilegien zuteilte, welche die Trennung der Klassen verstärkte,  aber vorgab, die Gleichheit zu fördern. In der Folge zwangen die aufgeblähten Unterrichtsgebühren  die Mittelklasse aus den an der Spitze stehenden berühmten Schulen  hinaus. Die jetzige wirtschaftliche Schichtung bedeutet, dass die liberale Bildung  ein Vorrecht der Reichen geworden ist, zu denen eine kleine Anzahl von Studenten hinzukommt, die aus ausgewählten Minoritäten rekrutiert werden. Die grosse Mehrheit der Universitätsstudenten  ist in  Institute abgeschoben worden, die jeden Anspruch auf eine liberale Ausbildung aufgegeben haben. Diesen Studenten  wird nur wenig  Übung in der Kunst des Schreibens abverlangt, sie lesen selten ein Buch  (was sich mit Gore Vidals Aussage deckt, dass nur 1% der Amerikaner Bücher lesen)  und gehen von der Hochschule ab, ohne Geschichte, Philosophie oder Literatur mitgenommen zu haben. Die meisten von ihnen gehen einer Teilzeitarbeit nach, wodurch sie wenig Zeit für Lesen und Nachdenken erübrigen können.  Das fundamentale Problem des Schulwesens, nämlich der Fakt, dass der historische Auftrag der amerikanischen Edukation, die Demokratisierung der liberalen Kultur,  aufgegeben worden ist, erfährt keine Beachtung.  Hingegen wird immerhin die Tatsache, dass das erzieherische System zerfällt,  in hohem Masse wahrgenommen und mit ihr das Problem, dass die jungen Leute anscheinend nicht mehr richtig lernen, wie man liest und schreibt und mit nicht mehr als ein paar Brocken an Kultur von der Schule abgehen; ferner, dass ihr Allgemeinwissen mit jedem Tag geringer wird und  sie Anspielungen auf Shakespeare oder die Klassiker nicht länger zu erkennen vermögen. Daneben besteht die  Erkenntnis,  dass auch  ein moralischer Niedergang vor sich geht, indem die Kinder ohne eigentliche Wertvorstellungen aufwachsen.  Sie scheinen nicht zu begreifen, dass  'Werte'  das Prinzip der moralischen Verpflichtung enthalten und bestehen darauf, dass sie der Gesellschaft nichts schulden, eine Vorstellung, die ihre Versuche, über soziale und moralische Fragen nachzudenken, beherrscht.  Heute fallen dem Besucher aus dem Ausland Gewalt,  Verbrechen und eine allgemeine Unordnung fast ausnahmslos als der hervorstechendste Zug des amerikanischen Lebens auf, so dass man die USA  als eine  'kulturlose Gesellschaft'  beschreiben kann, eine Gesellschaft, in der nichts heilig und daher auch nichts verboten ist.
 
Die akademische Linke, so Roger Kimball,  benutzt die Sicherheit ihrer akademischen Position dazu, die Grundfesten  der sozialen Ordnung anzugreifen. "Als die Kinder der 60er Jahre ihre Professur  erhielten oder zum Dekan ernannt wurden, gaben sie den Traum, eine radikale kulturelle Umwandlung herbeizuführen,  nicht auf, sondern begannen, diesen umzusetzen. Anstatt jedoch zu versuchen, die Bildungsinstitutionen selbst zu zerstören,  unterminierten sie diese von 'innen' her." Zweifelsohne wäre ihnen der Gedanke, damit Erfolg gehabt zu haben, willkommen, aber ihre Aktivitäten bedeuteten keine ernsthafte Gefahr für die  Kontrolle, die die Unternehmen über die Universitäten ausüben und es ist genau  diese Kontrolle, die die höhere Schuldbildung korrumpiert hat.  Die Kontrolle der Firmen hat  dafür gesorgt, dass für die Soziologie bereitgestellte  finanzielle  Mittel   in die militärische und technologische Forschung umgeleitet wurden; wodurch sie eine auf  Quantifizierung ausgerichtete Obsession gefördert haben, die die Sozialwissenschaften zerstört und die englische Sprache durch einen bürokratischen Jargon ersetzt hat. Die bürokratische Kontrolle sowie die Unternehmenskontrolle bezwecken u.a., dass kritische Denker von den Sozialwissenschaften weg  in die Geisteswissenschaft gedrängt werden, wo sie sich dann ihrer Neigung für  Theorien  hingeben können, ohne dass dabei die strenge Disziplin  empirischer sozialer Beobachtungen angewendet werden kann.
 
 
Zum Thema der Demokratie
 
Lasch sieht beispielsweise sich selbst verwaltende Gemeinden als Basis einer demokratischen Gesellschaft (diese Richtung wird heute durch das universell erzwungene Inkrafttreten der Agenda 21, auch ein 'UNO-Geschenk',  bekämpft). Früher wurde der Aufstand der Massen als Gefahr für die soziale Ordnung und die Traditionen der westlichen Kultur betrachtet. In unserer Zeit  scheint die hauptsächliche Bedrohung derselben von denjenigen auszugehen, die an der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie stehen, nämlich die den internationalen Kapital- und Informationsfluss kontrollierenden Eliten, welche die Institutionen der höheren Bildung  sowie die philanthropischen Stiftungen leiten. (Dazu gehören die  Carnegie- und Rockefeller-Stiftungen, die mit ihrem milliardenschwerem, unbesteuert bleibenden Vermögen beliebig Einfluss nehmen können.)  Sie haben somit die  'kulturelle Produktion' in ihren Händen und formen die öffentliche Debatte. Sie sind es, die den Glauben an die westlichen Werte bzw. an das, was  noch davon übriggeblieben ist,  aufgegeben haben. Der Begriff 'westliche Zivilisation' erzeugt heute bei vielen das Bild eines organisierten Herrschaftssystems, das so angelegt ist, dass eine Konformität der bürgerlichen Werte erzwungen wird.
 
Der jüngste Verlauf der Geschichte hat die Einebnung der sozialen Unterschiede nicht länger begünstigt. Wir bewegen uns vielmehr verstärkt auf die Bildung einer Zweiklassengesellschaft zu, in welcher wenige Begünstigte  die Vorteile des Geldes, der Edukation und der Macht monopolisieren.  Die weltweite Ungleichheit zwischen Arm und Reich ist  eklatant.   Wie Russel Mead darlegt, "erscheint der Mittelstand eines Landes nicht gerade aus der Luft; dessen Macht und Grösse hängen vielmehr von dem insgesamt vorhandenen Reichtum der inländischen Wirtschaft ab."  In den Ländern  (wozu vor allem die lateinamerikanischen gehören),  in denen "der Reichtum in den Händen einer kleinen Oligarchie konzentriert und der Rest der Bevölkerung verzweifelt arm ist, kann sich eine Mittelklasse nur in  begrenztem Ausmass entwickeln."   Meads Feststellung trifft derzeit auf eine wachsende Anzahl von Nationen zu, nämlich auf die Länder, in denen  ein steigender  Anteil am Inlandprodukt an ausländische Investoren oder Gläubiger geht (eine Tendenz, die aus meiner Sicht  durch die  Strategien des IWF und der Weltbank  ohne Unterlass gefördert wird).  In den USA kontrollieren heute  die zu der  oberen Einkommensklasse zählenden  20% der US-Bürger die Hälfte des Reichtums der Nation.  Die dominierende  Klasse  zwingt ihre Ideen, ihre Rechtsauffassung, ihre ihnen selbst dienenden Geschichtsvorlesungen, jedermann auf. Ihre Macht,  mit ihnen in  Wettstreit tretende Ansichten zu unterdrücken, ermöglicht es ihnen, wie es heisst, für ihre eigene partikularistische Ideologie den Status der universellen, alles überragenden Wahrheit zu beanspruchen.
 
Die USA weist somit ein Schulsystem  auf, dessen anscheinend auf demokratische Weise erfolgende Rekrutierung der Eliten zu Resultaten führt, die weit von einer Demokratie entfernt sind, nämlich zu einer  Trennung der sozialen Klassen, dem  Zusammenbruch der öffentlichen Schulen, dem Verlust einer gemeinsamen Kultur. Das Ganze hat dazu geführt, dass die arbeitende Klasse sozusagen für nichtig erklärt wird. Die an der Spitze der  Bevölkerung stehenden  20%  konnten  sich auf Grund der geschilderten Entwicklung  unabhängig machen, und zwar nicht nur von den zusammenbrechenden industriellen Grossstädten, deren Zustand sich denen der Drittweltländer anzunähern beginnt, sondern  auch generell von den öffentlichen Dienstleistungen. Ihre  Kinder gehen auf Privatschulen und sie selbst stellen private Wächter an, um sich gegen die steigende Kriminalität, die gegen ihre eigene Schicht gerichtet ist, zu schützen. Sie haben sich dem öffentlichen Leben entzogen. Sie sehen keinen Sinn mehr darin, für öffentliche Dienste, die sie nicht länger brauchen,  zu bezahlen. Ihre Bindung an die internationale Arbeitswelt führt dazu, dass viele von ihnen der Aussicht  auf einen amerikanischen nationalen Niedergang absolut gleichgültig gegenüberstehen. Desgleichen hat es diese Schicht in einem beträchtlichen Ausmass geschafft, sich der Verpflichtung zu entledigen, ihren Beitrag zu den nationalen Finanzen zu leisten. Die mobilen Eliten sehen die Städte nur noch als einen Arbeitsort, aber nicht mehr als einen Ort, an dem man Wurzeln schlägt, Kinder grosszieht, lebt und stirbt. Früher wurde Reichtum in den USA so verstanden, dass er Verpflichtungen mit sich brachte. Auch von diesen haben sich die Eliten des Landes längst befreit. Den Besten und Begabtesten der in den privaten Eliteschulen des Landes Grossgewordenen legt Lasch zur Last, das Land in Südostasien in einen Krieg hineingezogen zu haben,  von dem es sich immer noch nicht völlig erholt hat. Senator William Fulbright pflegte diese Haltung als Arroganz der Macht zu bezeichnen, von welcher Lasch sagt, dass sie eine den besagten Eliten angeborene Sucht darstellt.
 
Schlussfolgerung
 
Die Ausführungen Laschs bedürfen keiner Ergänzung. Nur durch den Niedergang der Bildung  erklärt es sich, dass die Mehrheit der US-Bevölkerung   die von ihrer Regierung bezüglich des  11. Septembers verbreiteten, an Lügen grenzenden Unwahrheiten noch immer nicht durchschaut, geschweige denn erkennt, dass der Irakkrieg sie erneut in einen dem Vietnamkrieg vergleichbaren  Morast hineinziehen kann.
 
Bei der Abschaffung des staatlichen Schulwesens hat die Demokratie keine Zukunft mehr, da der Machtzuwachs der Oligarchien durch eine nur ihnen zugängige hochwertige  Bildung zementiert wird. Damit wäre auch die Möglichkeit, den sich verbreiternden Graben zwischen Reichtum und Armut mittels einer durchgreifenden und aufklärenden  Edukation des Volkes zuzuschütten, zu Grabe getragen. Dann hätten es  Gruppierungen wie das 'Council on Foreign Relations' im Verbund mit den die EU-Politik im Geheimen weitgehend  mitbestimmenden  'Bilderbergern' endgültig geschafft, weltweit nur noch die ihre eigenen Theorien vertretenden Professoren und Lehrer einzusetzen.  Diese Vorstellung ist nicht von der Hand zu weisen, da der Einfluss ihrer Verbündeten  - die multinationalen Konzerne und Banken -  auf die Politik inzwischen fast unbegrenzt ist. Einer solchen Entwicklung ist unbedingt entgegenzutreten, da sie ausschliesslich  zu unseren Ungunsten verläuft. Dazu gehört, dass die Öffentlichkeit über die Organisationen, welche die Politik ohne demokratische Legitimation und ohne uns von  ihren Strategien in  Kenntnis zu setzen, im Hintergrund bestimmen, grundlegend informiert wird.
 
Es besteht die Angst, so Lasch, dass die EU von Bürokraten und Technokraten beherrscht werden wird, die keinerlei  Gefühl für die  nationale Identität oder die Treue gegenüber ihrem eigenen Land aufweisen. Das von Brüssel aus regierte Europa, so der Autor,  wird immer weniger der Kontrolle des Volkes unterliegen und die internationale Sprache des  Geldes wird lauter sprechen als die regionalen Dialekte. Die Vereinheitlichung der Märkte, die von der WTO gnadenlos vorangetrieben wird, geht seiner Auffassung nach Hand in Hand mit der Zerschlagung der Kultur.
                                                                                               
 
 
*  GATS
General Agreement on  Trade in Services, 1994 eingerichtet
** Christopher Lasch 'The Revolt of the Elites. The Betrayal of Democracy',
W.W. Norton & Company, New York, London 1995   ISBN 0-393-31371-9
 
Eine ausgezeichnete Darstellung der WTO, des IWF etc. findet sich in
Conrad C. Stein  'Die Geheime Weltmacht', Die schleichende Revolution gegen die
Völker. Hohenrain-Verlag, Tübingen 2001   ISBN  3-89180-063-0