Gezielte Einschränkung der Grundrechte ? 31.03.2020 15:50
Im Windschatten der Coronakrise bereitet die Bundeswehr
einen womöglich länger andauernden Inlandseinsatz vor.
Ab 3. April sollen 15.000 Militärs voll einsatzbereit sein, um im Kampf gegen
das Covid-19-Virus unter anderem logistische Aufgaben zu übernehmen. Im
Gespräch sind auch polizeiliche Tätigkeiten. Der ›Einsatz spezifisch militärischer Waffen‹ ist laut Berichten
nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Darüber hinaus führt die Bundeswehr für den
Einsatz eine neue Befehlsstruktur ein: Sie konstituiert vier regionale
Führungsstäbe bei zwei Panzerdivisionen, im Luftwaffen- sowie im Marinekommando,
die jeweils für mehrere Bundesländer zuständig sind. Die Ausweitung des
Einsatzes und die Bündelung der Befehlsstruktur geht mit Forderungen einher, die
Grundgesetzbestimmungen für Interventionen im Inland zu lockern. Zugleich wird
scharfe Kritik am neuen Infektionsschutzgesetz laut, das massive
Grundrechtseinschränkungen ermöglicht.
Rechtswissenschaftler weisen darauf hin, es stelle »die Gesetzesbindung
von Regierung und Verwaltung weitgehend zur Disposition«.
Militärische Amtshilfe
Die Bundeswehr steht vor einem möglicherweise länger
andauerndenGroßeinsatz im Inland. Ab 3. April sollen 15.000 Soldaten voll
einsatzbereit sein, um unterschiedliche Tätigkeiten im Kampf gegen das
Covid-19-Virus zu übernehmen. Formal handelt es sich dabei um sogenannte
Amtshilfe nach Artikel 35 des Grundgesetzes; demnach können die Streitkräfte
angefordert werden, sofern dies zur Bewältigung einer Naturkatastrophe oder
eines besonders schweren Unglücksfalls als nötig gilt. Bereits Mitte März haben
Militärs in Einzelfällen Amtshilfe zu leisten begonnen, so etwa bei der
Bereitstellung und der Einlagerung von Material, darunter Atemschutzmasken und
Schutzanzüge, bei der Durchführung von Tests und bei der Versorgung von
Lkw-Fahrern, die in Dutzende Kilometer langen Staus vor der Grenze zu Polen
festsaßen. Bis Ende vergangener Woche waren gut 200 Anträge auf Amtshilfe bei
der Bundeswehr eingegangen; davon waren 44genehmigt worden,9 waren
abgeschlossen, 25 werden zur Zeit durchgeführt.
[1]
Soldaten als Polizisten
Zum Wochenende sind nähere Angaben über die Einheiten
bekannt geworden, die jetzt in volle Einsatzbereitschaft versetzt werden.
Demnach werden künftig rund 2.500 Logistiker mit etwa 500 Lkw für ›Lagerung, Transport,
Umschlag‹ bereitstehen. [2]
Für Desinfektionstätigkeiten sind 18
Dekontaminationsgruppen mit insgesamt rund 250 Soldaten vorgesehen. 6.000
Militärs können zu nicht näher definierten Aktivitäten zur ›Unterstützung der
Bevölkerung‹ herangezogen werden, rund 5.500
zu ›Absicherung/Schutz‹. Zudem sind 600 Feldjäger für ›Ordnungs- /Verkehrsdienst‹ eingeplant. Es zeichnet sich inzwischen klar ab, dass Soldaten dabei
auch Aufgaben übernehmen können, die eigentlich für die Polizei reserviert
sind. So will der Landrat des Lankreises Miesbach in Oberbayern rund zehn
Soldaten einsetzen, um ein Gebäude des Technischen Hilfswerks abzusichern, in
dem Schutzmasken und weitere medizinische Ausrüstung lagern. Einwände gegen
eine etwaige Bewaffung der Soldaten gibt es bei den Kreisbehörden nicht. [3] Darüber hinaus
hat das Bundesland Baden-Württemberg vor, krankheitsbedingte Ausfälle bei der
Polizei in Kürze durch Militärs zu decken. Dabei gehe es, heißt es, etwa um
Transportaufgaben und um den Schutz polizeilicher Einrichtungen.
Neue Befehlsstruktur
Für den Covid-19-Einsatz der Bundeswehr werden, wie
der Fachjournalist Thomas Wiegold festhält, ›neue Befehlsstrukturen im Inland‹ geschaffen. [4] Galten bislang die Landeskommandos der Truppe
als Ansprechpartner für die einzelnen Bundesländer in Sachen Amtshilfe, die
ihrerseits dem Kommando Territoriale Aufgaben in Berlin und damit dem
Inspekteur der Streitkräftebasis unterstellt sind, so wird jetzt zwischen die
Landeskommandos und die nationale Zentrale in Berlin eine weitere Ebene
eingefügt: Vier regionale Führungsstäbe, die jeweils für mehrere Bundesländer
zuständig sind. [5] Angesiedelt sind sie bei der 10. Panzerdivision in Veitshöchheim
(Bayern), bei der 1. Panzerdivision in Oldenburg, beim Luftwaffenkommando in
Berlin sowie beim Marinekommando in Rostock. Lediglich die ABC-Abwehreinheiten,
die Desinfektionsaufgaben übernehmen sollen, sowie die Feldjäger sind
unmittelbar dem Inspekteur der Streitkräftebasis, Martin Schelleis,
unterstellt. Wiegold zitiert aus einer internen Anweisung der Truppe, der
zufolge »in besonderen Ausnahmefällen und auf Weisung der Bundesministerin« der »Einsatz spezifisch militärischer Waffen..... zulässig« sei. [6] Hatte das
Bundesverfassungsgericht dies 2006 noch für unzulässig erklärt, so hat es den
Beschluss im Jahr 2012 revidiert und den Einsatz spezifisch militärischer
Mittel, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, erlaubt. [7]
Grundgesetzänderung
Mitgetragen wird der Covid-19-Inlandseinsatz der
Bundeswehr auch von Reservisten. Bis Ende vergangener Woche hatten sich knapp
8.000 von ihnen freiwillig gemeldet. Hinzu kommt, dass die Debatte über eine
Grundgesetzänderung zur Ausweitung derartiger Einsätze begonnen hat. Nach
ersten Überlegungen des CDU-Militärpolitikers Roderich Kiesewetter, den
Grundgesetzartikel 35 um die ausdrückliche Nennung von Pandemien als Einsatzgrund
zu erweitern, hat sich Patrick Sensburg, Präsident des
Bundeswehr-Reservistenverbandes sowie CDU-Bundestagsabgeordneter, entsprechend
geäußert. Bezüglich der Einsatzfelder für die Bundeswehr müsse man diskutieren,
was künftig unter »Sicherung kritischer Infrastruktur durch die
Streitkräfte« zu verstehen sei, forderte Sensburg: »Bislang war damit das Wasserwerk oder Elektrizitätswerk gemeint«. Nun aber zeige sich, dass es dabei »auch um die Versorgung des Supermarkts um die Ecke oder von Lkw-Fahrern auf
der Autobahn gehen kann«. [8] Eine Klarstellung
sei sinnvoll.
Grundrechte eingeschränkt
Unterdessen wird scharfe Kritik an dem neuen
Infektionsschutzgesetz laut, das am 25. 3. 20 vom Bundestag und am 27. 3. vom Bundesrat
verabschiedet worden ist. Es ermächtigt den Bundesgesundheitsminister, sofern
das deutsche Parlament eine ›epidemische Lage von nationaler Tragweite‹ feststellt, zu weitreichenden
Maßnahmen, die nicht zuletzt die Einschränkung oder die Aufhebung von
Grundrechten umfassen, darunter die Versammlungsfreiheit und die Freizügigkeit,
aber auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit. [9] Kritisiert wird dabei
nicht nur, dass die Maßnahmen, wenngleich das Gesetz zunächst auf ein Jahr
beschränkt ist, schwere Einschnitte mit sich bringen, sondern auch, dass sie
weitreichende, grundsätzliche Bedeutung haben.
Autoritäre Entscheidungen
So weisen die Juristen Klaus Ferdinand Gärditz und
Florian Meinel, Professoren für Öffentliches Recht an den Universitäten Bonn
bzw. Würzburg, darauf hin, »dass das neue
Infektionsschutzgesetz die Gesetzesbindung von Regierung und Verwaltung
weitgehend zur Disposition stellt«. »Der neue Paragraph 5 Absatz 2 erteilt
dem Gesundheitsminister die Befugnis, durch Rechtsverordnungen von den
gesetzlichen Regelungen dieses und anderer Gesetze abzuweichen«, konstatieren Gärditz und Meinel: »Mit der Ermächtigung eines Bundesministeriums,
gesetzesvertretendes Verordnungsrecht zu erlassen, setzt sich das Parlament in
Widerspruch zu zentralen Normen der Verfassung«. Letztere seien eine Lehre aus »dem historischen Trauma des Ermächtigungsgesetzes vom März 1933 und der
Handhabung des Notverordnungsrechts durch den letzten Reichspräsidenten« [10] In dem neuen
Infektionsschutzgesetz würden »die gesetzlichen
Regelungen ... ohne nennenswerte
Begrenzung zur Disposition gestellt«; »Zweck und Ausmaß der Abweichungen bleiben opak«. Gärditz und Meinel warnen ausdrücklich, dass »die entscheidende Frage die sei, ob die parlamentarische Exekutive in
der Situation höchster Gefahr in der Lage« bleibe, »politische Mehrheiten für ihre Politik zu gewinnen«, »oder ob die Exekutive zur Chiffre einer Sehnsucht nach autoritären Entscheidungen
mit harter Hand wird, die auf die Zustimmung einer zunehmend panischen
Bevölkerung setzt« - um »die Grenzen des Sagbaren und des Machbaren rücksichtslos auszutesten«.
Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8231/ 30. 3. 2020 BERLIN
(Eigener Bericht) - Die Grenzen des
Machbaren [1] Thomas Wiegold: Coronavirus-Pandemie und
Bundeswehr - Sammler 27. März. augengeradeaus.net 27.03.2020 [2] Matthias Gebauer, Konstantin von Hammerstein:
Bundeswehr mobilisiert 15.000 Soldaten. spiegel.de 27.03.2020 [3] Johannes Bebermeier, Tim Kummert: Übernehmen
Soldaten in der Krise bald Polizeiaufgaben? t-online.de 27.03.2020 [4] Thomas Wiegold: Bundeswehr und
Coronavirus-Pandemie: Vorbereiten auf eine lange Krise. augengeradeaus.net
27.03.2020 [5] Matthias Gebauer, Konstantin von Hammerstein:
Bundeswehr mobilisiert 15.000 Soldaten. spiegel.de 27.03.2020 [6] Thomas Wiegold: Bundeswehr und
Coronavirus-Pandemie: Vorbereiten auf eine lange Krise. augengeradeaus.net
27.03.2020 [7] Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste:
Zum Einsatz der Bundeswehr im Innern. Voraussetzungen, Rechtsgrundlagen,
mögliche Verfassungsänderungen. WD 2 - 3000 - 023/15. Berlin, 03.02.2015 [8] Thorsten Jungholt: Wann sollen Soldaten im Inland
eingesetzt werden? welt.de 25.03.2020 [9] Annelie Kaufmann, Tanja Podolski: Das steht im
Corona-Maßnahmenpaket. lto.de 25.03.2020 [10] Klaus Ferdinand Gärditz, Florian Meinel:
Unbegrenzte Ermächtigung? Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.03.2020
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