Eine chinesisch-russische Brandmauer gegen amerikanische Einmischung - Von M. K. Bhadrakumar 08.09.2019 20:46
China hat den Vereinigten Staaten und Grossbritannien ausdrücklich vorgeworfen,
hinter den »pro-demokratischen« Demonstrationen in Hongkong zu stehen. Peking hat sich des Falles auf diplomatischem Wege angenommen und gefordert, dass die US-Geheimdienste aufhören, die Hongkonger Demonstranten zu ermutigen und zu unterstützen. Anfang August wurden Fotos in den Medien veröffentlicht, die Julie Eadeh, politische Beraterin im US-Konsulat in Hongkong, im Gespräch mit Führern der pro-demokratischen Studentenbewegung in Hongkong in der Lobby eines lokalen Luxushotels zeigen. Washington hat nicht die geringste Freude an den
Enthüllungen der wahren Identität von Frau Eadeh: Sie sei eine Expertin, die
bereits in anderen Ländern ›Farbenrevolutionen‹ organisiert habe und mit der
Inszenierung von ›subversiven
Aktionen‹ im Nahen Osten verbunden
sei. Zu diesem Punkt veröffentlichte die chinesische Zeitung ›The Global Times‹ einen heftigen
Leitartikel: »Die
amerikanische Regierung spielt bei den Unruhen in Hongkong eine beschämende
Rolle. Washington unterstützt öffentlich die Demonstrationen und hat
Gewalttaten gegen die Polizeikräfte nie verurteilt. Das US-Generalkonsulat in
Hongkong verstärkt die direkte Einmischung in die lokale Situation. Die
amerikanische Regierung ist für die Unruhen in der Stadt verantwortlich, so,
wie sie die ›Farbenrevolutionen‹ in anderen Teilen der Welt angeheizt
hat«.
Sind Chinas Behauptungen plausibel? In der ›Asia Times‹ bemerkte der renommierte
kanadische Wissenschaftler, Ökonom und Autor Ken Moak kürzlich sehr treffend,
dass die Demonstrationen grosszügig finanziert wurden und dass ihre Logistik
und Organisation so umfangreich sei, dass die benötigten Ressourcen nur »von ausländischen Regierungen oder
wohlhabenden Personen, die von ihnen profitieren könnten«, eingesetzt werden konnten. Anschliessend
erläuterte er verschiedene Beispiele, bei denen die Vereinigten Staaten und Grossbritannien
versucht hatten, China zu destabilisieren. Ken Moak prognostiziert, dass in
Zukunft »intensivere und gewalttätigere« subversive Operationen gegen China von den Vereinigten
Staaten durchgeführt werden.
Tatsächlich organisieren Provokateure tägliche
Protestaktionen wie das Verbrennen chinesischer Flaggen oder die Besetzung des
Hongkonger Flughafens. Ziel ist es, Peking zum Eingreifen zu zwingen, was eine
Vielzahl von Konsequenzen auslösen würde, unter anderem westliche Sanktionen. Angesichts
der bevorstehenden Einführung der 5G-Technologie wäre es für die Vereinigten
Staaten ein guter Zeitpunkt, ihren westlichen Verbündeten einen Boykott Chinas
aufzuzwingen, obwohl einige Länder wie Deutschland und Italien blühende
Handels- und Investitionsbeziehungen zu China aufgebaut haben und sich daher
nur ungern dem amerikanischen Trend anschliessen würden.
Francesco Sisci, ein in Peking lebender renommierter italienischer Journalist
und langjähriger Beobachter Chinas, schrieb kürzlich, dass Hongkong das ›Sicherheitsventil‹ Pekings sei; die Stadt zu ersticken, könnte das gesamte chinesische System lahmlegen. Sisci vergleicht
Hongkong daher mit einer »Druckausgleichskammer,
einem Sicherheitsventil zwischen Chinas geschlossener
Wirtschaft und den offenen Volkswirtschaften der übrigen Welt«.
Wenn China in der Lage war, gross von der
Globalisierung zu profitieren und seine Wirtschaft gleichzeitig geschlossen zu
halten, dann geschah dies dank Hongkong, das bereits völlig offen war und den
drittgrössten Finanzmarkt der Welt beherbergt. Im Falle einer grösseren
Kapitalflucht aus Hongkong müsste China seine künftigen finanziellen
Vereinbarungen mit Ländern aushandeln, über die es keine politische Kontrolle
hat. Gemäss Sisci »erlaubt der aktuelle Status Hongkongs es Peking, Zeit zu
sparen; aber das Hauptproblem bleibt der Status Chinas. Die Zeit, in der das
Land dank einer komplexen Architektur von Sondervereinbarungen sowohl innerhalb
als auch ausserhalb des Welthandelssystems lag, neigt sich dem Ende zu«.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktuellen
Unruhen in Hongkong für das amerikanische Vorgehen, das darin besteht, China
unter maximalen Druck zu setzen, um seine Dynamik zu bremsen und es daran zu
hindern, seine Führungsrolle als Konkurrent im globalen Technologiewettlauf des
21. Jahrhunderts zu behaupten, repräsentativ sind. Einflussreiche chinesische
Kommentatoren in den USA freuen sich bereits, dass »die Revolution in Hongkong
in der Luft lieg«, und dass dies »das Ende des Kommunismus auf chinesischem Boden« bedeuten
werde.
Hier kommt Russland ins Spiel. Zufällig oder nicht
sind auch Unruheherde in den Strassen Moskaus entstanden, bevor sie sich zu
grossen Demonstrationen gegen Präsident Wladimir Putin entwickelt haben. Wenn
das Auslieferungsgesetz der Vorwand für die Ereignisse in Hongkong war, dann
haben offenbar die Wahlen in die Moskauer Staatsduma die russischen
Demonstrationen ausgelöst.
So, wie die Unzufriedenheit in Hongkong
wirtschaftlicher und sozialer Natur ist, wird der Popularitätsrückgang von
Wladimir Putin auf die Stagnation der russischen Wirtschaft zurückgeführt. In
beiden Fällen verfolgt die amerikanische Strategie offen einen ›regime change‹. Dies mag überraschen, da die chinesischen und russischen
Behörden offensichtlich sehr gut verankert sind. Die Legitimität der von
Präsident Xi Jinping geführten Kommunistischen Partei Chinas und die
Popularität Putins bleiben auf einem Niveau, das jeden Politiker der Welt
eifersüchtig machen würde, aber die Doktrin der ›Farbenrevolutionen‹
gründet nicht auf demokratischen Prinzipien.
Der Zweck von Farbenrevolutionen ist es, eine
etablierte politische Ordnung aufzulösen, ohne dabei auf die Unterstützung der Bevölkerung
angewiesen zu sein: Es sind getarnte Staatsstreiche. Sie haben auch nichts mit
Demokratie zu tun. Die jüngsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der
Ukraine haben gezeigt, dass die Farbenrevolution von 2014 ein Aufstand war, den
das Volk ablehnte. Natürlich ist die Destabilisierung Chinas und Russlands eine
grosse Herausforderung. Es geht um nichts Geringeres als um das globale
strategische Gleichgewicht. Die doppelte Eindämmungsstrategie gegenüber
Russland und China ist das eigentliche Ziel des ›Project for a New American Century‹, des ›Projekts für ein neues amerikanisches
Jahrhundert‹, nämlich die Hegemonie
der USA für das 21. Jahrhundert. Die USA haben damit gerechnet, dass die Farbenrevolutionen
Moskau und Peking unter Druck setzen und sie so isolieren würden. Schliesslich
sind ja autoritäre Regimes sehr exklusiv, und selbst Nahestehende und
Verbündete sind im Heiligtum ihrer Innenpolitik nicht erwünscht.
Gerade diesbezüglich hat Moskau Washington mit einer
unliebsamen Überraschung konfrontiert. Die Sprecherin des russischen
Aussenministeriums, Maria Sacharowa, sagte am 9. August, dass Russland und
China Informationen über die Einmischung der USA in ihre inneren
Angelegenheiten austauschen sollten. Sie hielt fest, dass Moskau die
Erklärungen Chinas zur Intervention der USA in interne Hongkonger
Angelegenheiten zur Kenntnis genommen habe und dass diese Informationen ›mit grösster Ernsthaftigkeit‹ behandelt würden. »Darüber
hinaus halte ich es für richtig und nützlich, diese Art von Informationen über
unsere entsprechenden Dienste auszutauschen«, sagte
Frau Sacharowa und fügte hinzu, dass die russische und die chinesische Seite
dieses Thema bald diskutieren würden.
Weiter ergänzte sie, dass die US-Geheimdienste spezielle Technologien
einsetzten, um Russland und China zu destabilisieren. Zuvor hatte der russische
Aussenminister den Leiter der politischen Abteilung der US-Botschaft, Tim
Richardson, vorgeladen und gegen die Unterstützung einer nicht genehmigten
Kundgebung in Moskau am 3. August durch die Vereinigten Staaten formell
protestiert. Tatsächlich hat Moskau viel mehr Erfahrung als Peking in der
Neutralisierung geheimer Operationen der amerikanischen Geheimdienste. Die
Tatsache, dass in Russland während der ganzen Ära des Kalten Krieges und der
anschliessenden ›postsowjetischen‹ Zeit keine ähnlichen Phänomene wie
die durch die US-Geheimdienste
ausgelösten Ereignisse auf dem Tian’anmen-Platz (1989) oder in Hongkong (2019)
stattfanden, zeugt vom Talent, der Sachkenntnis und der Beharrlichkeit des
russischen Systems. Moskaus Botschaft an Peking ist direkt und aufrichtig: »Vereint
stehen wir, geteilt fallen wir«. Es besteht kein Zweifel daran, dass beide
Länder sich bereits beraten haben und dies
dem Rest der Welt bekanntgeben wollten. In der Tat ist die Botschaft von Frau
Sacharowa – die eine gemeinsame Brandmauer
gegen amerikanische Einmischung darstellt – von grösster Bedeutung. Sie stärkt das
russisch-chinesische Bündnis, hebt es auf eine qualitativ höhere Ebene und
schafft damit eine neue politische Grundlage für die kollektive Sicherheit.
Der Auto, M.K. Bhadrakumar, hat rund drei Jahrzehnte
als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war
unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, im Iran und
in Afghanistan, sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei.
Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und
Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im
Pazifischen Asien. Sein Blog heisst Indian Punchline
Quelle: www.indianpunchline.com vom 11. 8.
2019 resp. https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2019/nr-19-27-august-2019/eine-chinesisch-russische-brandmauer-gegen-amerikanische-einmischung.html
Zeit-Fragen Nr. 19 vom 27. 8. 2019
|