Initiative für Ernährungssouveränität: Argumente zur Sache - Von Dr. iur. Marianne Wüthrich 16.09.2018 21:29
Der globale Markt darf nicht unsere Versorgung und unsere bäuerliche
Landwirtschaft zerstören. Am 23. September stimmen wir über die Initiative für
Ernährungssouveränität ab. Sie verlangt die Ausrichtung der schweizerischen
Agrarpolitik auf eine vielfältige, kleinbäuerliche und gentechfreie
Landwirtschaft. Gemäss einer Umfrage vor wenigen Wochen wollten 75 % der Befragten der Initiative
sicher oder eher zustimmen. Auf diesem erfreulichen Echo dürfen sich die
Befürworter aber nicht ausruhen.
Pünktlich,
zwei Wochen vor dem Abstimmungssonntag, kommt der Think Tank Avenir Suisse und
behauptet, die Landwirtschaft koste den Staat und die Konsumenten 20 Milliarden
Franken pro Jahr [Tagespresse vom 8. September 2018]. Um diese Aktion richtig
einzuordnen, muss man bedenken, dass Avenir Suisse das Sprachrohr der
Grosskonzerne ist, deren Spitzen die Schweiz lieber heute als morgen in der EU
sehen würden. Wem es dagegen wie der grossen Mehrheit der Schweizer Bevölkerung
um die Erhaltung der Schweizer Landwirtschaft und um eine möglichst hohe
Selbstversorgung geht, lässt sich von seiner Position nicht abbringen. Wir bleiben
bei der sachlichen Information der Stimmbürger und geben hier wichtige Inhalte
und Stellungnahmen aus einer kürzlichen Diskussion auf Radio SRF wieder. [1]
Die
Schweizer Bevölkerung will eine bäuerliche, vielfältige Landwirtschaft in
Familienbetrieben erhalten. In den letzten zwanzig Jahren sind aber jeden Tag
drei Bauernhöfe verschwunden und sechs Arbeitsplätze in der Landwirtschaft
verlorengegangen, so Rudi Berli, Biobauer und Mitglied des Initiativkomitees.
Die Initiative will das Bauernsterben stoppen und deshalb mehr Schutz des
Bundes für die Landwirtschaft. Dazu sind keine grossen gesetzlichen Änderungen
nötig, denn die Schweiz hat gute Gesetzesgrundlagen zur Landwirtschaft. Die
Initianten fordern vom Bund in erster Linie die Umsetzung dieser rechtlichen
Bestimmungen. Genauere Erläuterungen zu den Forderungen der Initiative finden
Sie auch in dem nachfolgend wiedergegebenen Gespräch mit Rudi Berli:
Stärkung
der Schweizer Bauern und gesunde nachhaltige Produktion oder mehr Wettbewerb?
Rudi
Berli: «Der Bundesrat fährt mit seiner Politik nur auf einer einzigen Schiene,
der Grenzöffnung und der Trennung von Ökologie und Produktion. Auf der einen
Seite soll man ökologisch und auf der anderen möglichst intensiv produzieren.
Diesen Widerspruch wollen wir abschaffen, indem wir die Position der Bauern
nicht über Subventionen, sondern auf dem Markt gegenüber unseren Käufern
stärken wollen. Hier müsste der Bundesrat schon heute Rahmenbedingungen für die
Produzentinnen und Produzenten schaffen.»
Duri
Campell, ebenfalls Bauer und Mitglied des Gegenkomitees, will dagegen die
Richtung beibehalten, die das Parlament mit der Agrarpolitik 14–17 festgelegt
hat: «Die Länder um uns herum produzieren günstiger, und ich möchte den Einkaufstourismus nicht noch mehr fördern. Auf
die Agrarpolitik 14–17 beginnen die Landwirte zu reagieren, es wird mehr ab Hof
verkauft, die Regionalität nimmt zu. […] Der Konsument soll selber entscheiden:
Will ich ein Produkt, das in der Schweiz produziert wird? Oder ein günstigeres
und vielleicht nicht so gutes Produkt?»
Produzenten
wollen Verträge mit Grossverteilern auf Augenhöhe aushandeln
Die
Initiative will keine staatliche Planwirtschaft und nicht mehr Geld vom Staat,
wie die Gegner behaupten, so Rudi Berli. Der Bund müsse vielmehr, wie es heute
schon im Gesetz steht, Rahmenbedingungen schaffen, damit die Produzenten mit
den beiden marktbeherrschenden Grossverteilern (Migros und Coop) auf gleicher
Augenhöhe Verträge aushandeln können: «Dann wären wir nicht nur
Restgeldempfänger, sondern könnten anständige Preise erwirtschaften. Wir wollen
auch in Zukunft existieren und in vielfältigen, familiären, nachhaltig
wirtschaftenden Betrieben im ganzen Land produzieren.»
«Wenn
wir die Initiativen annehmen, bekommen wir Probleme mit der EU»
Duri Campell:
«Wenn man nur den Initiativtext anschaut, sollte ich auch ›ja‹ sagen. Aber wir
wissen, wenn wir die Initiativen - also
auch die Fair-Food-Initiative - annehmen,
dann bekommen wir Probleme mit der EU. ….. In der Diskussion, in der wir jetzt
sind, wenn die Landwirte da auch noch Öl ins Feuer giessen, wäre das für uns
sehr, sehr schlecht. … » Hat Nationalrat Campell noch nicht mitbekommen, dass
die Verhandlungen zum institutionellen Rahmenvertrag praktisch gestorben sind?
Probleme mit der EU haben wir sicher nicht wegen der Bauern, die, wie ein
Grossteil der Bevölkerung, kein Agrarabkommen mit Brüssel wollen, sondern da
liegen noch viele andere Brocken, die der Souverän nicht schlucken will.
«Ohne
Grenzschutz hätten wir schon lange keine Landwirtschaft mehr»
Die
Behauptung der Gegner, die Initiative für Ernährungssouveränität verletze die
WTO oder Verträge mit der EU und mit anderen Staaten, ist falsch.
Die Initiative fordert nichts Revolutionäres. Rudi Berli: «In der Initiative
verlangen wir eine vorwiegende Selbstversorgung, das heisst, sie muss über 50 %
liegen, wie dies heute der Fall ist. Wir wollen keinen weiteren Abbau der
Selbstversorgung. Ohne Grenzschutz hätten wir schon lange keine Landwirtschaft
mehr, denn wir haben nicht dasselbe Kostenumfeld wie die EU. Sonst zerstört der
Weltmarkt, die globalisierte Konkurrenz, die sich auf Mensch, Tier und Umwelt
negativ auswirkt, auch unsere Versorgung und unsere bäuerliche Landwirtschaft.
Weltagrarbericht:
Die
Bauern auf der ganzen Welt wollen lokale Selbstversorgung und Grenzschutz statt
Agrarfreihandel.
Sabine
Gorgé, SRF: «Die Initiative fordert, der Bund solle Kontrollen an den Grenzen
machen, höhere Zölle für konventionell produzierte Produkte verlangen, die
einheimischen Produkte schützen, der Bund soll ferner den Import von
Lebensmitteln verbieten können, wenn sie nicht nach schweizerischen sozialen
und ökologischen Standards produziert wurden. Rudi Berli, eine Art ‹Switzerland
first›?»
Rudi
Berli: «Genau. Das fordern Bauern auf der ganzen Welt. Sie wollen zuerst ihren
lokalen Markt bewirtschaften und ihren eigenen Markt beliefern. Das ist überall
auf der Welt sinnvoll.» Das stimmt mit den Erkenntnissen und Forderungen des
Weltagrarberichts überein.
Mehr
Kontrollen durch die Initiative?
Duri Campell:
«Schon jetzt wird jeder Schweizer Betrieb ein- bis viermal pro Jahr
kontrolliert. Stellen Sie sich vor, wenn die Produktionskontrolle dazukäme und
unsere Kontrolleure auch über die Grenzen hinausgingen. .… Kontrollen bis zum
Gehtnichtmehr …» Rudi Berli: «Nein,
nein, wir haben ja schon heute ein gutes, intelligentes Zollsystem, das die
inländische Produktion schützt, zum Beispiel beim Gemüse oder bei den Früchten:
Wenn die inländische Produktion die Bevölkerung versorgen kann, dann gehen die
Zölle hinauf, und wenn wir nicht genug produzieren, dann geht die Grenze auf.
Genau das will der Bundesrat mit den Freihandelsverträgen abbauen, er sagt, wir
müssten immer wettbewerbsfähiger werden. Das geht auf Kosten der
Selbstversorgung.»
Bringt
die Initiative teurere Produkte für die Konsumenten?
Manche
Gegner der Initiative befürchten höhere Preise im Laden, wenn die Bauern
bessere Preise für ihre Produkte erhalten. Die Initianten wollen aber nicht,
dass die Landwirte mehr von den Konsumenten bezahlt bekommen, sondern von den
Grossverteilern. Selbstverständlich hat Duri Campell recht, wenn er sagt: «Gute
Produkte kosten mehr, das soll auch so sein. Und denen, die sie konsumieren,
sind wir sehr dankbar. Aber ich verstehe auch Familien, die sich das nicht leisten
können. Wir müssen den Konsumenten die Möglichkeit geben, das einzukaufen, was
sie gut finden und was sie sich leisten können.» Denn auch in der Schweiz
müssen viele Rentner oder Familien mit ihrem Geld haushalten. Rudi Berli hält
dagegen: «Es geht nicht um höhere Preise [für die Konsumenten], sondern um
einen höheren Anteil für die Bauern. Wenn früher Milch im Laden für 1.50
Franken verkauft wurde, hat der Bauer fast 1 Franken bekommen. Heute erhält er
noch 60 Rappen. Wenn man den Brotweizenpreis verdoppelt, was wir wünschen, dann
haben wir ein anständiges Einkommen und können unsere Höfe weiterbetreiben.»
Landschaftspflege
oder bäuerliche Produktion?
Mit der
Agrarpolitik 14–17, so Duri Campell, passen sich die Preise mehr oder weniger
den Weltmarktpreisen an. Die Bauern können da, ausser bei wenigen ausgewählten
Nischenprodukten, aber tatsächlich nicht konkurrieren. Deshalb erhalten sie vom
Bund – laut Bundesrat Johann Schneider-Ammann nur noch vorläufig –
Direktzahlungen für Artenschutz und Landschaftspflege. «Was Uniterre machen
will», so Duri Capell, «wäre ein Schritt zurück zu den Produkt-Subventionen.
Vielleicht wäre das gerechter. Aber die ganzen Leistungen der Landwirtschaft
wie die Biodiversität und die Landschaftspflege gingen wieder verloren.» Die
Initianten dagegen bleiben dabei, dass die allermeisten Schweizer Bauern
produzieren wollen. Rudi Berli: «Es spricht niemand von Produkt-Subventionen.
[…] In der Direktvermarktung produziere ich für meine Kunden kostengünstig und
bekomme ein anständiges Einkommen. Die Schweizer Milchproduzenten dagegen
erhalten heute von den Grossabnehmern nicht einmal soviel, um ihre Kosten zu
decken, von einem Verdienst gar nicht zu reden. Dem muss jetzt ein Ende gesetzt
werden.»
«Wir
drehen den Strukturwandel in die andere Richtung um»
Der
Behauptung von Duri Campell, die Initianten würden mit der Richtungsänderung
weg von der Agrarpolitik 14–17 genau den Strukturwandel fördern, den sie
vermeiden wollen, entgegnet Rudi Berli: «Wir fördern den Strukturwandel, und zwar
in die andere Richtung, wir drehen ihn um. Wir wollen mehr Leute aufs Land
bringen, das ist auch ein bestehender Gesetzesauftrag, dass die dezentrale
Besiedelung des Landes und die Nachhaltigkeit gefördert werden sollen. Deshalb
braucht es mehr Menschen, mehr Herzen in der Landwirtschaft. Wir können nicht
immer ökologischere Produkte fordern, ohne gleichzeitige ökonomische
Nachhaltigkeit, faire Preise … Es gibt keine Gratis-Ökologie. Aber es kostet
für den Konsumenten sicher nicht mehr, denn wenn man die Produktion in den Regionen
bedarfsorientiert organisiert, dann kann man günstig produzieren. Wir beweisen
das jeden Tag in unseren Betrieben.»
Quelle: https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2018/nr-21-11-september-2018/der-globale-markt-darf-nicht-unsere-versorgung-und-unsere-baeuerliche-landwirtschaft-zerstoeren.html
Zeit-Fragen Nr.
21 vom 11. September 2018
[1] Radio SRF, Tagesgespräch vom 3. September
2018, mit Rudi Berli vom Initiativkomitee für Ernährungssouveränität,
Co-Direktor der Bauerngewerkschaft Uniterre und Bio-Gemüsebauer, und Duri
Campell, BDP-Nationalrat (GR), Landwirt und Mitglied im bäuerlichen Gegenkomitee.
Gesprächsleitung: Sabine Gorgé
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