Der Fall Skripal - Vom Winde verweht 02.07.2018 00:21
Dieser extrem aufgebauschte Fall, dessen Widersprüchlichkeiten
immerhin schonungslos zutage traten, ist eher sang- und klanglos von der Bildfläche verschwunden. Der US-Autor Seymour Hersh, dem unter anderem die
Aufdeckung des während des Vietnamkriegs von der US-Armee begangenen Massakers
von My Lai und des Folterskandals im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis zu verdanken
ist, hat jetzt am 30. Juni zu dem Giftgasanschlag Stellung genommen.
»Der legendäre Investigativjournalist und
Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh«, hat ›RT‹ hierzu vorausgeschickt, »hat die offizielle Version der
britischen Regierung zur Vergiftung der Skripals in Frage gestellt. Laut seinen
Informanten hat die Vergiftung einen mafiösen Hintergrund.«
Skripal: Die wahre Geschichte hat wenig mit Russland
zu tun Im Gespräch mit der BBC-Radiosendung ›The Media Show‹ erklärte
Hersh zunächst, dass es in den Medien immer eine ›Voreingenommenheit‹ gebe und dass insbesondere das Vereinigte
Königreich von einer ›instinktiven
Abneigung‹ gegenüber
Russland durchdrungen sei: »Es gibt
die ganze Zeit Vorurteile, dieses Land ist voller Vorurteile, und es gibt hier eine
große Abneigung gegen Rußland, eine instinktive Abneigung.« »Sie sahen das Chaos, das wir im März hatten, die
beiden Russen, die angeblich durch Nervengas getötet werden sollten, was de
facto unmöglich ist«, fuhr er mit Verweis auf
die Vergiftung des ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal und
seiner Tochter Julia in Salisbury fort. »Wenn man
sie mit Nervengas tötete, tötete man die halbe Stadt«, fügte Hersh hinzu, um dann zu betonten, dass bei
westlichen Medien vielsagenderweise kaum noch ein Interesse daran bestehe, über
den Vorfall weiter zu berichten.
»Mit der Geschichte stimmt etwas
nicht«, erklärte er, um dann eine Bombe
platzen zu lassen, denn auf die Frage des BBC-Moderators, wer denn seiner
Meinung nach wirklich hinter dem Angriff von Salisbury stecke, antwortete Hersh
in Minute 3:50: »Mir wurde zugetragen, dass die wahre
Geschichte wenig mit Rußland an sich zu tun hat, außer dass er - Sergej Skripal - einige russische Mafiosi verpfiffen hat.« [1] Nach einigen Monaten im Krankenhaus waren beide
Skripals entlassen worden, nachdem sie, wie es hiess, am 4. März 2018 bei einem
mutmaßlichen Kontakt mit dem Nervengift Nowitschok schwer erkrankt waren. Von
Sergej Skripal hat man seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus nichts mehr
gehört.
Bekanntlich hatten sich die meisten Mitglieder des
Kabinetts, allen voran Aussenminister Boris Johnson, nicht lange mit
Ermittlungsergebnissen aufgehalten und unverzüglich Moskau als Schuldigen für
das Attentat ins Spiel gebracht. Am 12. März hatte Premierministerin Theresa
May vor dem Unterhaus erklärt, dass ›höchstwahrscheinlich‹ Russland für das Attentat
verantwortlich sei und dabei die angebliche Tatwaffe, das Nervengift Nowitschok
genannt; Johnson war noch einen Schritt weiter gegangen, indem er einige Tage
später erklärte, dass ›höchstwahrscheinlich‹ Putin das Attentat angeordnet
habe.
Zu den zahlreich herumgebotenen abenteuerlichen
Methoden, mit denen der Anschlag ausgeführt worden sein soll, gehört die
Theorie eines am hellichten Tag erfolgen Luftangriffs. So präsentierte
der ›Daily Star‹ folgende Version des
Tathergangs: Demnach wurden die Skripals laut britischen Geheimdienstchefs mit
dem Nervengift durch eine ferngesteuerte Drohne besprüht, die über ihnen
schwebte, als sie auf der Parkbank saßen. Der Einsatz einer Drohne würde auch
erklären, warum es keine Augenzeugen des Angriffs gab und dieser in den
Aufnahmen aus Überwachungskameras nicht zu sehen ist.« Laut der vom ›Daily Star‹ genannten
Geheimdienstquelle wisse man, dass die Russen mit waffenfähigen Mini-Drohnen
experimentieren. [2]
Das nennt man einen journalistischen Volltreffer
.....
Absolut nicht nachvollziehbar ist auch, dass die
Mehrzahl der Mitgliedstaaten von EU und NATO, darunter Deutschland, auf Grund
von tatsächlichen resp. angeblichen Geheimdienstberichten insgesamt rund 150
russische Diplomaten ausgewiesen haben.
Dem Bericht von Thierry Meyssan von ›Réseau Voltaire‹ zufolge »rief der ehemalige belgische Ministerpräsident
Guy Verhofstadt, der den Belgiern im Europäischen Parlament vorsteht, die EU
gar zur Verhängung von Sanktionen gegen Rußland
auf. Sein Amtskollege an der Spitze der britischen Liberalen, Sir Vince Cable,
schlug einen europäischen Boykott der Fußball-WM vor. Am 14. März war Theresa May
dann erneut vor das Unterhaus getreten, um ihre Anklage
auszubauen; in der Folge qualifizierte der ›blairistische‹ Abgeordnete Chris Leslie Rußland als
Schurken-Staat und beantragte die Aussetzung der russischen Mitgliedschaft im
UNO-Sicherheitsrat, wobei sich die Premierministerin dafür einsetzte, dies zu
prüfen, auch wenn sie betonte, dass diesbezüglich nur die UNO-Generalversammlung
einen Entscheid treffen könne.
Daneben hatten auf Antrag des Vereinigten Königreichs
die 29 Mitgliedstaaten der NATO in Brüssel getagt, wo sie eine Verbindung
zwischen dem Einsatz von Chemiewaffen in Syrien und dem Attentat von Salisbury
herstellten und Rußland für die beiden Ereignisse als wahrscheinlich verantwortlich
betrachteten.
In New York hatte der ständige Vertreter Rußlands,
Wassili Nebenzia, den Mitgliedern des Sicherheitsrats angeboten, die
Untersuchung des Anschlags gemäß internationalem Verfahren der ›OVCW‹
anzuvertrauen. Indessen verweigerte Großbritannien jeden Text, der nicht die Aussage enthielt, dass Rußland für den Anschlag ›wahrscheinlich verantwortlich‹ sei.
Die haltlosen Beschuldigungen setzten sich fort Während der nachfolgenden öffentlichen Diskussion erklärte
der Beauftragte Großbritanniens, Jonathan Allen, ein Agent des MI6, der den englischen
Kriegspropagandadienst aufgebaut und die Dschihadisten in Syrien aktiv
unterstützt hat: ›Rußland hat
sich bereits in die Angelegenheiten anderer Länder eingemischt, Rußland hat
bereits das internationale Recht in der Ukraine verletzt, Rußland
verachtet das Leben der Zivilisten, wie es ein Attentat auf ein
Verkehrsflugzeug in der Ukraine von russischen Söldnern gezeigt hat, Rußland
schützt die Benutzung von Chemiewaffen durch al-Assad. ….. Der russische Staat ist für diesen
Attentatsversuch verantwortlich.‹ Der
ständige Vertreter Frankreichs, François Delattre, der dank eines Ausnahmedekrets
von Präsident Sarkozy im US-Außenministerium trainiert wurde,
erinnerte daran, dass sein Land eine Initiative zur Beendigung der
Straflosigkeit jener vorgelegt hat, die chemische Waffen verwenden. Er ließ
durchblicken, dass diese Initiative gegen Syrien auch gegen Rußland angewendet
werden könnte.....« [3]
Widerlegbare Anklagen dieser Art
zeichnen ein desolates Bild, wie in der UNO gefochten wird. So hiess es denn
auch auf ›sputniknews‹: »Das Glaubensbekenntnis der neuen Religion: ›Rußland ist immer an allem schuld‹, und wie manch eine andere Glaubenslehre braucht auch diese
keine Beweise. Je nach Denkvermögen geben sich ihre Anhänger mit bloßen
Behauptungen ihrer ›Propheten‹ zufrieden.«
Auch Ursula von der Leyen hatte es nicht versäumt,
sich mit einer Stellungnahme einzuschalten: »Wir stehen fest an der Seite der Briten.« Am 18. März hatte sie die EU und die USA zu einer geschlossenen
Reaktion gegenüber Russland aufgerufen. »Der Westen muß
sich einig gegen eine russische Politik des Regelbruchs stellen. Rußland
muß
jetzt ohne Wenn und Aber zur Aufklärung des Giftanschlags beitragen.« Und die Grünen: »Es ist gut, dass Heiko Maas anders als Sigmar
Gabriel an den Sanktionen der EU gegen Rußland festhält«, so Omid
Nouripour, ihr aussenpolitischer Sprecher. Im weiteren verstieg er sich zu der
Behauptung: »Rußland ist inzwischen nicht einmal
mehr eine gelenkte Demokratie. Deutschland muß mit der
Regierung in Moskau Klartext reden wie mit jedem autoritäre Regime.« Man kann sich ungefähr ausmalen, wie sein Horizont beschaffen
sein muss, erkennt er doch nicht einmal, wie lächerlich er sich mit einer
solchen Forderung macht. Nur vom Vorsitzenden der Münchner
Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, war die Warnung vor einer Vorverurteilung zu hören: »Mit Blick auf
die Vorwürfe gegen Rußland forderte er zu Augenmaß auf.«
Der deutsche Biologe Jan
van Aken, der von 2004 bis 2006 für die UNO als Biowaffeninspekteur tätig war,
hatte schon am 17. 3. erklärt, »dass
es falsch sei, mit dem Finger auf Rußland zu zeigen. Die Belege seien ›hauchdünn‹, auch andere Länder kämen infrage.
Man wisse sehr wenig über die Produktionsverfahren
von Nowitschok. Es ist wohl - wie andere Nervengase - durchaus kompliziert
herzustellen. Deswegen bin ich mir sicher, dass eine Geheimdienstoperation
dahinter steckt. Aber zu sagen, weil Rußland Nowitschok vor 40 Jahren
entwickelt hat, waren sie das heute, das ist albern. Es gibt mit Sicherheit
einige andere Länder, die das genauso herstellen können.« Auf die Frage, welche Geheimdienste
anderer Länder infrage kommen könnten, antwortete er: »Das ist totale Spekulation. Nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion sind möglicherweise Reste von diesem Nervengas in
Teilrepubliken gelandet. Von Usbekistan weiß man das, da gab es wohl
Testgelände für Nowitschok. Und möglicherweise gab es das noch in anderen
Teilrepubliken, die heute eigene Länder sind. Außerdem gehe ich sicher davon
aus, dass die Amerikaner diesen Stoff herstellen können, weil sie damals
geholfen hatten, das Programm in Usbekistan abzubauen. Und ich würde sagen,
auch die Bundeswehr würde ihren Job nicht richtig machen, wenn sie selbst nicht
zumindest einmal geringste Mengen von Nowitschok hergestellt hätte. Sie muß
wissen, wogegen sie sich verteidigen muß. ……..
Der einzige Grund, warum ich überhaupt
anfange, über Rußland nachzudenken, ist natürlich, dass Skripal mal ein russischer
Doppelagent gewesen ist. Andererseits wäre es aus Rußlands Sicht sehr unklug, dann Nowitschok zu benutzen. Man hätte ja
auch eine andere Substanz, beispielsweise Sarin, nehmen können, dann wäre der Verdacht
nicht so direkt auf Rußland gefallen.« [4]
Den nachfolgenden Sachverhalt hat ›German Foreign Policy‹ veröffentlicht: »Mitte Mai haben
Berichte enthüllt, dass auch der Bundesnachrichtendienst im Besitz von
Nowitschok gewesen ist. Demnach konnte ein BND-Agent in den 1990er Jahren eine
Probe des Nervengifts bei einem russischen Wissenschaftler beschaffen, der
neben der Preisgabe seiner Kenntnisse über den Stoff auch die Übermittlung
einer geringen Menge davon an deutsche Stellen versprach. Als Gegenleistung
verlangte er ein sicheres Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik. Kanzleramt
und Verteidigungsministerium stimmten dem Deal damals zu. Die Probe wurde den
Berichten zufolge in einem Labor in Schweden analysiert; BND und Verteidigungsministerium
erhielten danach die chemische Formel. Anschließend
beteiligten sich deutsche Experten an einer NATO-Arbeitsgruppe, die sämtliche
Erkenntnisse zu Nowitschok zusammentrug; neben dem BND waren Geheimdienste aus
den Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien und den Niederlanden involviert.
Wie es heißt, produzierten einige NATO-Staaten geringe Mengen des Nervengifts -
mit der Begründung, man müsse ja nun einmal Schutzausrüstung, Meßgeräte und
Gegenmittel entwickeln.« [5]
Wie am 3. 4. von den ›Deutschen Wirtschafts Nachrichten‹ gemeldet, »fand das britische Militärlabor in Porton
Down keine Beweise, dass das angeblich gegen
den britisch-russischen Ex-Spion eingesetzte Nervengift aus Rußland
stammt. ›Wir
haben seinen genauen Ursprung nicht identifiziert‹,
sagte der Leiter des Labors, Gary
Aitkenhead, am 3. 4. 18 dem Sender ›Sky
News‹
laut Reuters und AFP. Aitkenhead erklärte zu dem bei dem angeblichen Anschlag
verwendeten Gift: ›Wir
konnten nachweisen, dass es sich um Nowitschok, ein Nervengift militärischer
Art, handelte.‹
Sein Labor habe jedoch die genaue Herkunft aus einem bestimmten Land nicht nachweisen
können. Sie hätten ihre Informationen an die Regierung weitergegeben, die dann ›unter Verwendung
anderer Quellen die Schlußfolgerungen zusammensetzte,
zu denen man gelangte.‹
Dass das Gift aus Porton Down kommen könne, schloß
Aitkenhead laut ›Guardian‹ aus: ›Es ist völlig
ausgeschlossen, dass so etwas jemals von uns kommen können oder die vier Wände
unserer Labore verlassen können hätte‹.« [6]
Zuletzt hatten die Briten am 18. Mai
erneut bekräftigt, von der Lösung des Falls noch weit entfernt zu sein; von
Monaten penibler Recherche, die wohl noch bevorstünden, war die Rede.
Jedenfalls steht die Klärung der Angelegenheit noch immer aus.
Laut einem Bericht der ›Sunday
Times‹
beabsichtigt nun die britische Regierung, das Haus von Sergej Skripal in
Salisbury zu kaufen. Der Erwerb des Hauses werde den Steuerzahler 350.000 britische
Pfund kosten, so die Zeitung unter Berufung auf Regierungsbeamte. Auch das Haus
des Polizisten Nick Bailey, der ebenfalls mit Nowitschok in Kontakt gekommen
sein soll, will die Regierung demnach für 430.000 Pfund kaufen. Ob die
Regierung mit dem Tatort-Aufkauf etwas verbergen wolle, fragten sich daraufhin
Mitglieder der Twitter-Community. So kommentierte ein Nutzer: »Häuser, Autos und Besitztümer von beiden Skripals und
Bailey werden vom Staat gekauft? Aus welchem Grund genau? Wollen sie ein
Nowitschok-Museum eröffnen? Oder haben sie etwas zu verbergen?« Worauf ein anderer Nutzer sarkastisch antwortete: »Mit dem Erwerb sollen ›die
nicht-existenten Beweise verborgen‹ werden.« [7]
Unter dem Titel ›Nebelwolken
verdichten sich‹
erschien auf der unverändert lesenswerten ›spatzseite‹ folgender Kommentar: »Doch welche Plausibilität hat die
Unterstellung, einen aufgeflogenen Agenten, der nach 6 Jahren Haft
2010 nach England abgeschoben wurde, heute nach weiteren 8 Jahren ermorden zu
lassen. ....... Dazu hätte man unspektakulär 6 Jahre Zeit und Gelegenheit im Gefängnis
gehabt. Der Skripal-Fall scheint dazu zu dienen, Auflösungstendenzen der westlichen Hegemonialmacht mit der zunehmenden Öffnung westeuropäischer Länder
gegenüber Rußland entgegenzuwirken.« [8]
Siehe hierzu auch http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2773 18. 3. 18
Der Doppelmordversuch von Salisbury http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=2788 15. 4. 18 Die neueste Meldung zur Skripal-Affäre
[1] https://deutsch.rt.com/europa/72255-investigativjournalist-hersh-ueber-skripal-wahre-geschichte-wenig-mit-russland-zu-tun/ 30. 6. 18 Investigativ-Journalist Seymour Hersh über Skripal:
Wahre Geschichte hat wenig mit Russland zu tun.
[2] https://deutsch.rt.com/europa/70987-skripal-affaere-auch-nach-drei-monaten-bleibt-london-beweis-schuldig/ 6. 6. 18
Skripal-Affäre: Auch nach drei Monaten bleibt London der Welt einen Beweis
schuldig – Von Sebastian Range
[3] http://www.voltairenet.org/article200271.html 21. 3. 18 Vier Tage, um einen kalten Krieg zu erklären von Thierry Meyssan
[4] http://www.tagesschau.de/ausland/skripal-interview-101.html 17. 3. 18
[5] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7613/ 22. 5. 18
Der Wille zum Machtkampf
[6] https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2018/04/03/britisches-militaer-kein-beweis-fuer-russische-herkunft-von-nervengift/ 3. 4. 18
[7] https://deutsch.rt.com/europa/71966-tatort-aneignung-britische-regierung-will-skripal-haus-kaufen/ 26. 8. 18 Tatort-Aneignung: Britische Regierung will Haus von
Sergej Skripal kaufen
[8] http://www.spatzseite.com/2018/04/nebelwolken-verdichten-sich/ 6. 4. 18
Nebelwolken verdichten sich - Dr.
Helmut Böttiger
|