Der Wille zum Krieg

Appelle zu einer größeren Kriegsbereitschaft Europas und zu einer

entschlosseneren EU-Machtprojektion in die Welt haben die am 18. 2. zu Ende gegangene Münchner Sicherheitskonferenz geprägt. Zur derzeit kräftig verstärkten Aufrüstung müsse in der EU der gemeinsame Wille hinzukommen, das eigene militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen, forderte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Außenminister Sigmar Gabriel verlangte, man dürfe bei der eigenen Machtprojektion künftig auf das Militärische ... nicht ... verzichten. Gegenwärtig komme man dabei zwar noch nicht ohne die Mitwirkung der NATO respektive der US-Streitkräfte aus; doch wolle man mit Washington auf Augenhöhe ... kooperieren und nicht im Gefolgschaftsverband. 

Freiheit und Demokratie  
Hintergrund der in München geäußerten Forderung nach größerer Kriegsbereitschaft Deutschlands und der EU ist laut Gabriel, daß sich die Bundesrepublik in einer neuen Systemkonkurrenz befinde. Dabei handle es sich um eine Systemkonkurrenz zwischen entwickelten Demokratien und Autokratien. Als Autokratien - Gabriel bezog den Begriff auf Rußland und China -  werden politische Systeme bezeichnet, in denen ein Alleinherrscher ohne jegliche Einschränkung durch Wahlen oder durch eine Verfassung regiert. Im Machtkampf gegen Moskau und Beijing, durch dessen Aufstieg sich die globalen Gewichte massiv verschieben würden, gehe es wieder um die alte Frage von Freiheit und Demokratie, behauptete Gabriel in direktem Anknüpfen an das PR-Vokabular des Kalten Krieges. Daß es sich bei dem angeblichen Kampf für Freiheit und Demokratie erneut nur um Propaganda handelt, zeigt exemplarisch, daß etwa die engsten Verbündeten des Westens in Mittelost, die arabischen Golfmonarchien und -emirate, der Herrschaftsform der Autokratie sehr nahe kommen. Im historischen Kalten Krieg war der Westen sich sogar nicht zu schade, im Namen der Freiheit mit faschistischen Diktaturen zu kooperieren, etwa in Spanien und in Lateinamerika.  

Auf Augenhöhe mit den USA    
Langfristig strebt die EU an, ihre Machtprojektion ausschließlich mit ihren eigenen militärischen Mitteln durchsetzen zu können. Dies hat die französische Verteidigungsministerin Florence Parly in München bekräftigt. Die Forderung nach strategischer Autonomie der EU bedeute auch, daß Brüssel perspektivisch in der Lage sein müsse, Militärinterventionen ohne Rückgriff auf die NATO oder die US-Streitkräfte durchzuführen, erklärte sie. Das aber sei zumindest gegenwärtig noch nicht der Fall, konstatierte Gabriel: »Wenn wir in dieser Welt ... prägend sein wollen, dann müssen wir aber auch erkennen, daß unsere eigene Kraft in Europa dafür nicht ausreichen wird. Weder wir noch die Vereinigten Staaten schaffen dies im Alleingang.« Daher suche man - gegen Rußland, gegen Nordkorea und künftig wohl auch gegen China - »den engen  Austausch und die Verständigung mit den amerikanischen Verbündeten«. Der Außenminister legt daher Wert auf die Feststellung: »Die Europäische Union ist ein durchaus selbstbewußter Partner, der vertrauensvoll und auf Augenhöhe mit den USA kooperieren will - aber eben nicht im Gefolgschaftsverband.« 

Wie Parly ferner darlegte, sei die EU in der Lage, in absehbarer Zeit so stark aufzurüsten, daß eine Unterstützung durch die USA nicht mehr nötig sein wird.

Den deutschen Wehretat müsse man tatsächlich auf 2 % des BIP erhöhen, urteilt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen. Berlin hat 2017 gut 37 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgegeben; 2 % des Bruttoinlandsprodukts wären über 65 Milliarden Euro gewesen. Frankreich hat inzwischen einen Plan vorgelegt, um seinen Wehretat entsprechend zu erhöhen; Paris will das 2 %-Ziel Mitte der 2020er Jahre erfüllen. Die Stimmung unter den europäischen NATO-Mächten hat Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in München so formuliert: »Wir brauchen mehr Kampfpanzer und weniger Denkfabriken.«

Bei alledem schließt Außenminister Gabriel für den Fall, daß Rußland zu Zugeständnissen bereit sein sollte, einen schrittweisen Abbau der aktuellen Sanktionen nicht aus; einen solchen fordert die Ostfraktion der deutschen Wirtschaft schon lange. Moskau solle »in uns auch etwas anderes erkennen als einen Gegner", warb Gabriel in München: »In der Zusammenarbeit mit Europa lägen für Rußland Chancen für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg«. Am Rande der Sicherheitskonferenz hat Gabriel allerdings bestätigt, daß über den möglichen schrittweisen Abbau der Sanktionen in der Bundesregierung noch kein Konsens besteht. Ganz unumstritten ist lediglich, daß der militärische Druck gegenüber Moskau aufrechterhalten wird.  [1]

Anmerkung politonline 
Solange Washington die EU zwingt, seine gegen Russland verhängten Sanktionen aufrechtzuerhalten und damit mitzutragen, sind den EU-Staaten die Hände weitgehend gebunden. Gabriels
Zugeständnisse beziehen sich wohl auf die Krim; auf solche wird Gabriel vergebens warten müssen, worüber er sich, ohne das zuzugeben, ganz sicherlich selbst im klaren ist. Klar dürfte ihm ferner sein, dass Russland seine wirtschaftlichen Erfolge auch ohne die EU weiterführen kann, dies zum Schaden letzterer.
 

Die Sicherheitskonferenz, so ein Bericht von Strategic Alert vom 21. Februar bestätigt es: Das alte Paradigma ist am Ende. In München war der Bankrott der abgenutzten geopolitischen Weltsicht wieder für jedermann sichtbar. Die westlichen Vertreter prügelten verbal massiv auf Rußland ein, nicht viel weniger auf China, aber auch zu einem guten Teil auf Trumps Amerika. Sigmar Gabriel etwa sagte: »Wir sind uns nicht mehr sicher, ob wir unser Amerika noch wiedererkennen.« Er warnte auch, diese drei Länder wollten die EU spalten. [Was mit Blick auf Russland und China eher als eine grundabsurde Feststellung zu betrachten ist; Anm. politonline] 

Der Vorsitzende der Konferenz, Wolfgang Ischinger, hatte am Vorabend den Ton gesetzt, als er vor einer möglichen militärischen Konfrontation zwischen Rußland und der NATO wegen des verschlechterten Verhältnisses zwischen Moskau und Washington warnte. Tatsächlich ist die Lage sehr gefährlich - aber nicht wegen Donald Trump, wie Ischinger andeutete, denn Trump hat oft genug erklärt, daß er die Beziehungen zu Rußland verbessern will, sondern wegen der Neokonservativen und Neoliberalen, die alles tun, um das zu verhindern. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat wiederholt zu verstehen gegeben, daß die Führung in Moskau sich dieses Problems sehr wohl bewußt ist. In einem Interview mit Euronews sagte Lawrow am 16. Februar offen: »Es ist ziemlich klar, daß die Demokraten sich nicht mit der Niederlage abfinden können, die sie völlig überraschend traf, und jetzt alles tun, um Präsident Trump und der ganzen Republikanischen Partei das Leben zu vergiften. Vor allem aber natürlich Trump, weil er ein Staatschef ist, der von außerhalb des Systems kommt…..«

In einer bei der Sicherheitskonferenz verteilten Sonderausgabe der German Times schrieb die Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des chinesischen Nationalen Volkskongresses, Fu Ying, China sei nicht am Systemwettbewerb interessiert und habe nicht die Absicht, sein politisches System und seine Ideologie zu exportieren. Sie warb in dem Artikel für eine internationale Zusammenarbeit, um die »Herausforderungen für die Sicherheit in der heutigen Welt« zu bewältigen.   

Das Motto der diesjährigen Münchner Konferenz lautete
Hin zum Abgrund - und zurück? Aber anders, als die Veranstalter denken, ist es das alte geopolitische Paradigma, das am Abgrund steht und nicht zurückkehren wird.  [2] 

 

US-Amerikaner fordert: Deutschland soll auch militärisch führen‹  
Am 6. Februar veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen längeren Beitrag des US-Politikwissenschaftlers James D. Bindenagel; dieser leitete als Geschäftsträger 1996 und 1997 die US-Botschaft in Bonn und ist Mitglied zahlreicher einflussreicher Organisationen; zu diesen gehören das American Jewish Committee in Berlin, der American Council on Germany und die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik.

2014 wurde Bindenagel auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung an der Universität Bonn berufen. Es handelt sich um eine Stiftungsprofessur zu Ehren (!!!) des früheren US-Aussenministers Henry Kissinger, die vom Bundesverteidigungsministerium und vom Auswärtigen Amt gemeinsam finanziert wird. Bindenagel erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den State Department's Distinguished Service Award, das Grosse Bundesverdienstkreuz der BRD und den US-amerikanischen  Presidential Meritorious Service Award. 

Sein Beitrag in der Süddeutschen Zeitung trägt den Titel Neue Weltordnung und den Untertitel Die USA haben ihre Führungsrolle abgegeben, nun muss Deutschland mehr Verantwortung tragen. Schon gleich zu Beginn heisst es: »Deutschland ist die grösste Hoffnung, wenn es um die Verteidigung der liberalen Weltordnung geht, ob das Land die Führungsrolle übernehmen will oder nicht. Die globale Macht verschiebt sich gerade: Durch den wachsenden Nationalismus in China und Russland löst sich die internationale Ordnung auf. […]  Der neu gewählte amerikanische Präsident wiederum hat die Verteidigungspflicht der USA gegenüber Europa in Frage gestellt. Mit seiner nationalistischen Politik gibt Donald Trump die Führungsrolle Amerikas in internationalen Angelegenheiten ab.« 

Bindenagel beruft sich auf Umfragen, die zeigen sollen, dass überwiegend die Meinung besteht, Deutschland solle sich in seiner Verteidigungspolitik nicht mehr auf die USA verlassen, sondern gemeinsam mit anderen EU-Staaten handeln. Er fügt hinzu, dass bei einer Umfrage des US-Instituts Gallup »41 % der Befragten eine globale Führungsrolle Deutschlands» befürwortet hätten – mehr als für die USA.«

Bindenagel weiss um die Vorbehalte der deutschen Bevölkerung gegen eine führende militärpolitische Rolle ihres Landes und geht deshalb auf die deutsche Geschichte ein. In einem Schwarz-Weiss-Bild zeichnet er ein militaristisches Deutschland bis 1945 und ein eher pazifistisches Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und bis 1990. Deutschland sei zu einer »Zivilmacht aufgestiegen – zu Europas führender Demokratie.« Um dann fortzufahren: »Bleibt die Frage, ob nach dieser historischen Verschiebung von einem Extrem zum anderen [!] jetzt die Balance zwischen Krieg und Frieden gefunden werden kann.« Auf den Punkt gebracht: Deutschland soll sich bereit erklären, wieder Kriege zu führen

Bindenagel zitiert die deutschen Stimmen, die für deutsche Kriegsbeteiligungen geworben haben, insbesondere 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz, aber auch danach: Der ehemalige Bundespräsident Gauck, der ehemalige Aussenminister Steinmeier, aber auch der noch amtierende Aussenminister Gabriel sowie vor allem die Kanzlerin Merkel.

Bindenagel fordert jedoch keine deutschen Alleingänge, sondern alles soll im Rahmen einer EU-Streitmacht und im Rahmen der NATO geschehen. Hier soll Deutschland, ein interessantes Paradoxon, »als Partner führen«. Einen deutschen Sonderweg soll es nicht mehr geben. Nicht zufällig bemüht er Stimmen wie die von Jürgen Habermas oder des ehemaligen polnischen Aussenministers Sikorski. Habermas steht für die deutsche US-orientierte Neue Linke, Sikorski für das erste Kriegsopfer der Hitler-Diktatur. Zudem werde die deutsche Erinnerungskultur schon dafür sorgen, dass es kein Übermass an deutscher Führung gibt. Mit anderen Worten: Souverän soll Deutschland auch als Führungsmacht nicht sein. 

Bindenagels Fazit: »Deutschland ist nun aufgefordert, Europa zu führen. Damit dies gelingt, benötigt das Land eine mutige, strategische Vision […]«. Von zentraler Bedeutung sei dabei, die »Inkohärenzen in der Sicherheitspolitik zwischen den politischen Eliten und der breiten Öffentlichkeit zu überwinden«.

Er schliesst mit dem Satz: »Die Welt will jetzt wissen, ob sich Deutschland blicken lässt, wenn es um die Führung geht.«  [3] 

 

 

[1]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7536/  19. 2. 18 
Der Wille zum Krieg - auszugsweise

[2]  Strategic Alert, Jahrgang 31, Nr. 8 vom 21. Februar 2018

[3]  https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2018/nr-4-13-februar-2018/man-tritt-die-geschichte-mit-fuessen-und-bereitet-die-naechste-katastrophe-vor.html  Zeit-Fragen Nr. 4 vom 13. Februar 2018