Der Wille zum Krieg 25.02.2018 20:39
Appelle zu einer größeren Kriegsbereitschaft Europas und zu einer
entschlosseneren EU-Machtprojektion in die Welt
haben die am 18. 2. zu Ende gegangene Münchner Sicherheitskonferenz geprägt.
Zur derzeit kräftig verstärkten Aufrüstung müsse in der EU der
gemeinsame Wille hinzukommen, das eigene militärische Gewicht auch tatsächlich
einzusetzen, forderte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.
Außenminister Sigmar Gabriel verlangte, man dürfe bei der eigenen ›Machtprojektion‹ künftig ›auf das Militärische ... nicht
... verzichten‹.
Gegenwärtig komme man dabei zwar noch nicht ohne die Mitwirkung der NATO
respektive der US-Streitkräfte aus; doch wolle man mit Washington ›auf Augenhöhe ... kooperieren‹ und ›nicht im Gefolgschaftsverband‹.
Freiheit und Demokratie Hintergrund der in München geäußerten Forderung
nach größerer Kriegsbereitschaft Deutschlands und der EU ist laut
Gabriel, daß
sich die Bundesrepublik in einer neuen ›Systemkonkurrenz‹ befinde. Dabei handle es sich
um eine ›Systemkonkurrenz
zwischen entwickelten Demokratien und Autokratien‹.
Als Autokratien - Gabriel bezog den Begriff auf Rußland
und China - werden politische Systeme
bezeichnet, in denen ein Alleinherrscher ohne jegliche Einschränkung durch
Wahlen oder durch eine Verfassung regiert. Im Machtkampf gegen Moskau und
Beijing, durch dessen Aufstieg sich die globalen ›Gewichte
massiv verschieben‹
würden, gehe es ›wieder
um die alte Frage von Freiheit und Demokratie‹,
behauptete Gabriel in direktem Anknüpfen an das PR-Vokabular des Kalten Krieges.
Daß
es sich bei dem angeblichen Kampf für Freiheit und Demokratie
erneut nur um Propaganda handelt, zeigt exemplarisch, daß etwa
die engsten Verbündeten des Westens in Mittelost, die arabischen Golfmonarchien
und -emirate, der Herrschaftsform der Autokratie sehr nahe kommen. Im
historischen Kalten Krieg war der Westen sich sogar nicht zu schade, im Namen
der Freiheit mit faschistischen Diktaturen zu kooperieren, etwa in Spanien und
in Lateinamerika.
Auf Augenhöhe mit den USA Langfristig strebt die EU an, ihre Machtprojektion
ausschließlich mit ihren eigenen militärischen Mitteln durchsetzen zu können.
Dies hat die französische Verteidigungsministerin Florence Parly in München bekräftigt. Die Forderung nach ›strategischer Autonomie‹ der EU bedeute auch, daß
Brüssel perspektivisch in der Lage sein müsse, Militärinterventionen ohne
Rückgriff auf die NATO oder die US-Streitkräfte durchzuführen, erklärte sie. Das
aber sei zumindest gegenwärtig noch nicht der Fall, konstatierte Gabriel: »Wenn wir in dieser Welt ... prägend
sein wollen, dann müssen wir aber auch erkennen, daß
unsere eigene Kraft in Europa dafür nicht ausreichen wird. Weder wir noch die
Vereinigten Staaten schaffen dies im Alleingang.« Daher suche man - gegen Rußland,
gegen Nordkorea und künftig wohl auch gegen China - »den engen Austausch
und die Verständigung mit den amerikanischen Verbündeten«. Der Außenminister legt daher Wert auf die
Feststellung: »Die Europäische Union
ist ein durchaus selbstbewußter Partner, der vertrauensvoll und auf
Augenhöhe mit den USA kooperieren will - aber eben nicht im
Gefolgschaftsverband.«
Wie Parly ferner darlegte, sei die EU in der Lage, in absehbarer Zeit
so stark aufzurüsten, daß eine Unterstützung durch die USA nicht
mehr nötig sein wird.
Den deutschen Wehretat müsse man tatsächlich auf 2
% des BIP erhöhen, urteilt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des
Bundestags, Norbert Röttgen. Berlin hat 2017 gut 37 Milliarden Euro für die
Bundeswehr ausgegeben; 2 % des Bruttoinlandsprodukts wären über 65 Milliarden
Euro gewesen. Frankreich hat inzwischen einen Plan vorgelegt, um seinen
Wehretat entsprechend zu erhöhen; Paris will das 2 %-Ziel Mitte der 2020er
Jahre erfüllen. Die Stimmung unter den europäischen NATO-Mächten hat Polens
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in München so formuliert: »Wir brauchen mehr Kampfpanzer und weniger
Denkfabriken.«
Bei alledem schließt Außenminister Gabriel für den
Fall, daß
Rußland
zu Zugeständnissen bereit sein sollte, einen schrittweisen Abbau der aktuellen
Sanktionen nicht aus; einen solchen fordert die Ostfraktion der deutschen
Wirtschaft schon lange. Moskau solle »in uns
auch etwas anderes erkennen als einen Gegner", warb Gabriel in München: »In der Zusammenarbeit mit Europa lägen für Rußland Chancen
für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg«. Am Rande der Sicherheitskonferenz hat Gabriel
allerdings bestätigt, daß über den möglichen schrittweisen Abbau
der Sanktionen in der Bundesregierung noch kein Konsens besteht. Ganz
unumstritten ist lediglich, daß der militärische Druck gegenüber Moskau
aufrechterhalten wird. [1]
Anmerkung politonline Solange Washington die EU zwingt, seine gegen
Russland verhängten Sanktionen aufrechtzuerhalten und damit mitzutragen, sind
den EU-Staaten die Hände weitgehend gebunden. Gabriels ›Zugeständnisse‹ beziehen sich wohl auf die
Krim; auf solche wird Gabriel vergebens warten müssen, worüber er sich, ohne
das zuzugeben, ganz sicherlich selbst im klaren ist. Klar dürfte ihm ferner
sein, dass Russland seine wirtschaftlichen Erfolge auch ohne die EU
weiterführen kann, dies zum Schaden letzterer.
Die Sicherheitskonferenz, so ein Bericht von ›Strategic Alert‹ vom 21. Februar bestätigt es:
Das alte Paradigma ist am Ende. In München war der Bankrott der abgenutzten
geopolitischen Weltsicht wieder für jedermann sichtbar. Die westlichen
Vertreter prügelten verbal massiv auf Rußland ein, nicht viel weniger auf
China, aber auch zu einem guten Teil auf Trumps Amerika. Sigmar Gabriel etwa
sagte: »Wir sind uns nicht mehr
sicher, ob wir unser Amerika noch wiedererkennen.« Er warnte auch, diese drei Länder wollten die EU
spalten. [Was mit Blick auf Russland und China eher als eine grundabsurde
Feststellung zu betrachten ist; Anm. politonline]
Der Vorsitzende der Konferenz, Wolfgang Ischinger,
hatte am Vorabend den Ton gesetzt, als er vor einer möglichen militärischen
Konfrontation zwischen Rußland und der NATO wegen des verschlechterten
Verhältnisses zwischen Moskau und Washington warnte. Tatsächlich ist die Lage
sehr gefährlich - aber nicht wegen Donald Trump, wie Ischinger andeutete, denn
Trump hat oft genug erklärt, daß er die Beziehungen zu Rußland verbessern will,
sondern wegen der Neokonservativen und Neoliberalen, die alles tun, um das zu
verhindern. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat wiederholt zu
verstehen gegeben, daß die Führung in Moskau sich dieses Problems sehr wohl
bewußt ist. In einem Interview mit ›Euronews‹ sagte Lawrow am 16. Februar
offen: »Es ist ziemlich klar,
daß die Demokraten sich nicht mit der Niederlage abfinden können, die sie
völlig überraschend traf, und jetzt alles tun, um Präsident Trump und der
ganzen Republikanischen Partei das Leben zu vergiften. Vor allem aber natürlich
Trump, weil er ein Staatschef ist, der von außerhalb des Systems kommt…..«
In einer bei der Sicherheitskonferenz verteilten
Sonderausgabe der ›German
Times‹
schrieb die Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des chinesischen
Nationalen Volkskongresses, Fu Ying, China sei nicht am Systemwettbewerb interessiert
und habe nicht die Absicht, sein politisches System und seine Ideologie zu
exportieren. Sie warb in dem Artikel für eine internationale Zusammenarbeit, um
die »Herausforderungen für
die Sicherheit in der heutigen Welt«
zu bewältigen.
Das Motto der diesjährigen Münchner Konferenz lautete ›Hin zum Abgrund - und zurück?‹ Aber anders,
als die Veranstalter denken, ist es das alte geopolitische Paradigma, das am
Abgrund steht und nicht zurückkehren wird.
[2]
US-Amerikaner fordert:
Deutschland soll auch militärisch ›führen‹ Am 6. Februar veröffentlichte die ›Süddeutsche Zeitung‹ einen längeren Beitrag des
US-Politikwissenschaftlers James D. Bindenagel; dieser leitete als
Geschäftsträger 1996 und 1997 die US-Botschaft in Bonn und ist Mitglied
zahlreicher einflussreicher Organisationen; zu diesen gehören das ›American Jewish Committee‹ in Berlin, der ›American Council on Germany‹ und die ›Deutsche Gesellschaft für
Auswärtige Politik‹.
2014 wurde Bindenagel auf den neu eingerichteten
Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung an der
Universität Bonn berufen. Es handelt sich um eine Stiftungsprofessur zu Ehren (!!!)
des früheren US-Aussenministers Henry Kissinger, die vom
Bundesverteidigungsministerium und vom Auswärtigen Amt gemeinsam finanziert
wird. Bindenagel erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den ›State Department's
Distinguished Service Award‹, das
Grosse Bundesverdienstkreuz der BRD und den US-amerikanischen ›Presidential
Meritorious Service Award‹.
Sein Beitrag in der ›Süddeutschen
Zeitung‹ trägt
den Titel ›Neue
Weltordnung‹ und
den Untertitel ›Die
USA haben ihre Führungsrolle abgegeben, nun muss Deutschland mehr Verantwortung
tragen‹.
Schon gleich zu Beginn heisst es: »Deutschland
ist die grösste Hoffnung, wenn es um die Verteidigung der liberalen Weltordnung
geht, ob das Land die Führungsrolle übernehmen will oder nicht. Die globale
Macht verschiebt sich gerade: Durch den wachsenden Nationalismus in China und
Russland löst sich die internationale Ordnung auf. […] Der neu gewählte amerikanische Präsident
wiederum hat die Verteidigungspflicht der USA gegenüber Europa in Frage
gestellt. Mit seiner nationalistischen Politik gibt Donald Trump die
Führungsrolle Amerikas in internationalen Angelegenheiten ab.«
Bindenagel beruft sich auf Umfragen, die zeigen
sollen, dass überwiegend die Meinung besteht, Deutschland solle sich in seiner ›Verteidigungspolitik‹ nicht mehr auf die USA
verlassen, sondern gemeinsam mit anderen EU-Staaten handeln. Er fügt hinzu,
dass bei einer Umfrage des US-Instituts Gallup »41 % der Befragten eine globale Führungsrolle
Deutschlands» befürwortet hätten – mehr als für die USA.«
Bindenagel weiss um die Vorbehalte der deutschen
Bevölkerung gegen eine führende militärpolitische Rolle ihres Landes und geht
deshalb auf die deutsche Geschichte ein. In einem Schwarz-Weiss-Bild zeichnet
er ein militaristisches Deutschland bis 1945 und ein eher pazifistisches
Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und bis 1990. Deutschland sei zu einer »Zivilmacht
aufgestiegen – zu Europas führender Demokratie.« Um dann fortzufahren: »Bleibt
die Frage, ob nach dieser historischen Verschiebung von einem Extrem zum
anderen [!] jetzt die Balance zwischen Krieg und Frieden gefunden werden kann.«
Auf den Punkt gebracht: Deutschland soll sich bereit erklären,
wieder Kriege zu führen.
Bindenagel zitiert die deutschen Stimmen, die für
deutsche Kriegsbeteiligungen geworben haben, insbesondere 2014 auf der Münchner
Sicherheitskonferenz, aber auch danach: Der ehemalige Bundespräsident Gauck,
der ehemalige Aussenminister Steinmeier, aber auch der noch amtierende
Aussenminister Gabriel sowie vor allem die Kanzlerin Merkel.
Bindenagel fordert jedoch keine deutschen
Alleingänge, sondern alles soll im Rahmen einer EU-Streitmacht und im Rahmen
der NATO geschehen. Hier soll Deutschland, ein interessantes Paradoxon, »als
Partner führen«. Einen deutschen ›Sonderweg‹ soll es nicht mehr geben.
Nicht zufällig bemüht er Stimmen wie die von Jürgen Habermas oder des
ehemaligen polnischen Aussenministers Sikorski. Habermas steht für die deutsche
US-orientierte ›Neue
Linke‹,
Sikorski für das erste Kriegsopfer der Hitler-Diktatur. Zudem werde die ›deutsche Erinnerungskultur‹ schon dafür sorgen, dass es
kein ݆bermass
an deutscher Führung‹ gibt.
Mit anderen Worten: Souverän soll Deutschland auch als Führungsmacht
nicht sein.
Bindenagels Fazit: »Deutschland ist nun aufgefordert, Europa zu
führen. Damit dies gelingt, benötigt das Land eine mutige, strategische Vision
[…]«. Von zentraler Bedeutung sei dabei, die »Inkohärenzen in der Sicherheitspolitik zwischen
den politischen Eliten und der breiten Öffentlichkeit zu überwinden«.
Er schliesst mit dem Satz: »Die Welt will jetzt wissen, ob sich Deutschland
blicken lässt, wenn es um die Führung geht.« [3]
[1] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7536/ 19. 2. 18 Der Wille zum Krieg - auszugsweise
[2] Strategic
Alert, Jahrgang 31, Nr. 8 vom 21. Februar 2018
[3]
https://www.zeit-fragen.ch/de/ausgaben/2018/nr-4-13-februar-2018/man-tritt-die-geschichte-mit-fuessen-und-bereitet-die-naechste-katastrophe-vor.html Zeit-Fragen Nr.
4 vom 13. Februar 2018
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