Transatlantische Konkurrenten 18.02.2018 22:35
Gewissermaßen als Vorläufer zur NATO-Sicherheitskonferenz in München
fand
am 14. Februar das Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel statt. Wie
dem nachfolgenden Bericht von ›German
Foreign Policy‹ zu entnehmen ist, »sind
in Washington ernste Warnungen vor einer eigenständigen, auf die Schwächung der
NATO zielenden deutsch-europäischen Militärpolitik laut geworden. Man
befürworte die Militarisierung der EU, sofern sie ›die NATO ergänze‹, wird
eine hochrangige Pentagon-Mitarbeiterin zitiert; doch werde man intervenieren,
wenn Berlin und die EU begännen, militärische Kapazitäten aus dem
transatlantischen Bündnis abzuziehen und sie für ihre eigenen Kriege nutzten.
Dieses
Treffen diente unter anderem der Beschlussfassung hinsichtlich der Einrichtung
zweier neuer NATO-Hauptquartiere. Eines wird in den Vereinigten Staaten
angesiedelt; es soll die militärischen Nachschubwege aus Nordamerika über den Atlantik
nach Europa sichern. Ein zweites wird in der Bundesrepublik etabliert; es soll
die blitzschnelle Verlegung von Truppen aus Westeuropa über den europäischen
Kontinent nach Osten optimieren. Nach aktuellem Planungsstand wird es deutscher
Hoheit unterstehen und auch außerhalb der NATO nutzbar sein.
Das
für die BRD vorgesehene neue Hauptquartier wird dazu dienen, die Verlegung von
Material und Truppen in Europa zu planen und zu führen. Damit will man in
Zukunft blitzschnelle Einsätze insbesondere in Ost- und Südosteuropa
ermöglichen, wenn NATO-Kräfte aus Westeuropa und aus Nordamerika über den
europäischen Kontinent hinweg in möglichst kurzer Zeit in unmittelbare Nähe zur
russischen Grenze herangeführt werden müssen.
Ein
deutscher Standort für das neue Hauptquartier war von der Bundesregierung bereits
letztes Jahr vorgeschlagen worden; er wird schon seit geraumer Zeit von den Vereinigten
Staaten befürwortet. »Ich kann mir kein anderes Land
denken, das besser dafür geeignet ist als Deutschland«,
teilte Ende November der damalige Kommandeur der US-Armee in Europa, Ben
Hodges, mit. Deutschland sei ohnehin das ›Sprungbrett‹ der USA auf dem europäischen
Kontinent: »Die meisten Soldaten, die wir in Europa stationiert
haben, leben in Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern. Wir sind
da zuhause.« Als mögliche Standorte für das neue Hauptquartier
werden Ulm sowie die Region Köln/Bonn genannt. Letztere galt zuletzt als
wahrscheinlichere Variante.
Nachschub über den Atlantik Mit
ihrer Tätigkeit auf dem europäischen Kontinent ergänzt die neue Einrichtung die
Arbeit eines zweiten, ebenfalls in Planung befindlichen Hauptquartiers, das
sich auf die Sicherung der Seewege aus Nordamerika über den Atlantik und durch
die Gewässer der Arktis nach Europa konzentrieren soll, um sie für den US-amerikanischen
und den kanadischen Nachschub offenzuhalten. Ein derartiger Nachschub wird
bereits jetzt alle sechs Monate an- und abtransportiert, um den kanadischen
sowie den US-Anteil an der NATO-Präsenz im Baltikum und in Polen zu
gewährleisten. Glaubt man westlichen Militärexperten, dann ist Rußland immer
besser in der Lage, mit seinen U-Booten unentdeckt im Atlantik und im Nordmeer
zu operieren. Dem habe das westliche Kriegsbündnis derzeit noch keine als
ausreichend empfundenen Fähigkeiten entgegenzusetzen, heißt es. Russische
U-Boote seien vor allem, wenn sie Island passiert hätten, kaum noch
aufzufinden; die Suche nach ihnen gleiche dann der Suche nach einer Stecknadel
in einem Heuhaufen, wird ein Experte des Center for a ›New American Security‹ ›CNAS‹ zitiert. Man müsse deshalb aufrüsten und regelmäßig in den
Meeresgebieten, die russische U-Boote auf dem Weg in den Atlantik zu durchqueren
hätten, patrouillieren. Das ›CNAS‹ wird zur Zeit von Victoria Nuland
geleitet, einer Diplomatin, die im State Department unter Präsident Barack
Obama und Minister John Kerry unter anderem für die Ukraine zuständig war.
Vorfahrt fürs Militär Das
künftige Hauptquartier für die Verlegung von Material und Truppen in Europa ist
bei der Optimierung militärischer Transporte unmittelbar auf Bemühungen der EU
angewiesen, um bestehende Hindernisse verwaltungstechnischer wie auch
infrastruktureller Art zu beseitigen. In der Tat haben die NATO-Manöver in Ost-
und Südosteuropa ab 2014 sowie die wiederkehrende Verlegung ganzer Bataillone
nach Polen und ins Baltikum seit Anfang 2017 derlei Hindernisse immer wieder
gezeigt. So müssen beispielsweise Grenzüberquerungen einsatzbereiter
Kampfpanzer offiziell genehmigt werden; gleichzeitig halten nicht alle
Brücken in der EU dem Gewicht von Kampfpanzern stand.
Die
EU-Kommission bemüht sich seit geraumer Zeit um Abhilfe. Sie hat am 10.
November ein erstes Papier zu dem Thema vorgelegt, in dem es heißt, man müsse »sicherstellen, daß Truppen und Ausrüstung«
auf dem europäischen Kontinent »rasch und problemlos
bewegt werden können«. Einerseits müsse man den
regulatorischen Rahmen für Militärtransporte erheblich vereinfachen; dabei ist
von einem ›militärischen Schengen‹ die Rede. Andererseits habe man, wie
EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc gefordert hat, bereits »bei
der Planung neuer Verkehrswege, Straßen, Schienen, Häfen, Flughäfen, dem
militärischen Bedarf in Zukunft klar Priorität einzuräumen.«
Die
Kommission will in Kürze einen ›Aktionsplan‹ zur Verbesserung der militärischen
Mobilität vorlegen. Ergänzend hierzu befaßt sich auch ein Projekt im Rahmen von
PESCO mit der militärischen Mobilität in der EU. Es wird von den Niederlanden
geleitet. PESCO
steht für die Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten der EU, die sich in der
gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik besonders engagieren wollen.
Mit
Blick auf die zunehmende militärische Eigenständigkeit Deutschlands und der EU
waren, wie eingangs erwähnt, vor dem Treffen der Verteidigungsminister warnende
Stimmen in der USA zu hören. Washington sei dezidiert dagegen, daß die EU
militärische Kapazitäten von der NATO abziehe, erklärte eine hochrangige
Pentagon-Mitarbeiterin. Solange EU-Initiativen wie PESCO die NATO ergänzten und
das Kriegsbündnis nicht durch eigene militärische Aktivitäten schwächten, werde
man sie unterstützen. So komme beispielsweise die Förderung der militärischen
Mobilität im Grundsatz beiden Seiten zugute. Wenn man aber nicht sicherstelle,
daß der betreffende rechtliche wie auch der infrastrukturelle Rahmen mit
NATO-Standards kompatibel sei, dann arbeite man faktisch gegeneinander. Dies
würde die USA nicht dulden.
Dem
hat sich auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg angeschlossen: Es sei
unsinnig, urteilte er, wenn »die NATO und die EU anfingen, sich
Konkurrenz zu machen«. Genau diese Konkurrenz, schließt
›German Foreign Policy‹ ist die logische Folge des ausdrücklich
erklärten deutsch-europäischen Bemühens um eine militärische Eigenständigkeit.«
[1]
Anmerkung In
ihrer Eröffnungsrede zur Sicherheitskonferenz am Nachmittag des 16. 2. betonte Bundesverteidigungsministerin
Ursula von der Leyen, Europa müsse »militärisch mehr Gewicht
in die Waagschale werfen« können. In einem mit dem Politikwissenschaftler
Dr. Cornelius Adebahr geführten Gespräch erklärt dieser, dass NATO-Generalsekretär
Stoltenberg betont hat, er wolle keine Konkurrenz der EU-Verteidigungspolitik
zur NATO. Wie schätzen Sie da die Gefahr ein?
Es
wäre ja schön, so von der Leyen, wenn die EU in der Position wäre, eine echte
Konkurrenz zur NATO darzustellen. So weit sind wir gar nicht. Ich bin selbst
überrascht. Das ist wie vor 20 Jahren, als die EU zum ersten Mal überhaupt über
eine Sicherheitspolitik nachgedacht hat. Da wurde auch sofort von
amerikanischer Seite gerufen: ›Vorsicht,
das darf die NATO nicht in Gefahr bringen‹. Und damals sprach man nur darüber,
dass es in der EU überhaupt so eine Politik gibt. Eine Entfremdung hat
allerdings ja nie stattgefunden. Und ich schätze die Gefahr auch aktuell als
relativ gering ein. Die NATO ist für Bündnisverteidigung und
Territorialverteidigung zuständig. Diese Aufgabe macht ihr auch niemand
streitig. Ferner: Die EU muss sich für sicherheitspolitische Operationen im
nahen Umfeld, in Nordafrika, im Nahen Osten
- vielleicht auch sicherheitspolitisch in Osteuropa - ausrüsten. Da wird es eine klare
Aufgabenteilung geben. Kaum jemand, der ernsthaft in Brüssel an diesem Thema
arbeitet, will der NATO die Show stehlen. Die Idee einer Europäischen Armee
steht der NATO nicht im Weg. »Da kann man ganz entspannt
drauf blicken und kann den Europäern zurufen: Dann macht mal. Und dann gucken
wir, wie wir beide Seiten weiterhin überein bekommen.« [2]
Die
Themen der Rede von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bildeten die
transatlantische Partnerschaft, die Bemühungen der EU für Verteidigung und die
nukleare Herausforderung. Er verweist auf wichtige Erfolge der NATO, trotz
derer das Bündnis immer wieder kritisiert werde: »Die
NATO hat dazu beigetragen, zwei Kriege auf dem Balkan zu beenden«,
sagt er etwa. Paradox sei, dass es in unserer Geschichte immer so gewesen sei,
dass die transatlantische Partnerschaft immer wieder in Frage gestellt werde. »Die
Realität ist aber, dass sich das transatlantische Band als belastungsfähig
erwiesen hat.«
[2]
»Wenn wir in unserer unmittelbaren Nachbarschaft
bedroht sein werden, müssen wir in der Lage sein, uns dem entgegenzustellen,
auch wenn die USA weniger dazu beitragen will«,
sagte die französische Verteidigungsministerin Florence Parly. »Wir
brauchen unsere eigenen Fähigkeiten, um eingreifen zu können.«
Als die Franzosen Emmanuel Macron zum Präsidenten Frankreichs gewählt haben,
sei das eine klare Botschaft gewesen. Das sei die Verweigerung des Fatalismus
und des Populismus gewesen. Auch Deutschland stelle Europa ins Zentrum seines
Koalitionsvertrags. Das sei gut. Das Wort ›Europa‹ müsse uns von neuem verzaubern. Eine
robuste europäische Verteidigung beginne mit Anstrengungen Zuhause. [2]
Jean-Claude
Juncker hat Vorbehalte gegen einen Ausbau der europäischen Verteidigungspolitk am
Eröffnungstag zurückgewiesen. Es habe lange Zeit Klagen
gegeben, dass die EU nicht genug für ihre Verteidigung tue. Jetzt mache sie
das, und nun sei das auch nicht recht.
Tatsächlich, so Juncker, wolle sich Brüssel in der Verteidigungspolitik
emanzipieren - aber nicht gegen die NATO und nicht gegen die USA. Europa müsse
mehr tun, um seine Sicherheitsinteressen zu wahren. Dabei müssten sich NATO und
EU ergänzen. [3]
[1] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7530/ 14. 2. 18
Transatlantische Konkurrenten -
auszugsweise -
[2] https://www.focus.de/politik/ausland/auftakt-der-sicherheitskonferenz-sicherheitszwerg-eu-innerhalb-der-nato-spielen-wir-ueberhaupt-keine-rolle_id_8482027.html 16. 2. 18
[3] http://www.br.de/nachrichten/meldungen/nachrichten-bayerischer-rundfunk100.html#n3 17. 2. 18
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