Der Weg in die totale Kontrolle 12.06.2016 22:45
Ein Interview mit Norbert Häring, dem Wirtschaftsjournalisten und Autor zahlreicher Wirtschaftsbücher
Herr Häring, die Bundesregierung will
eine europaweite Obergrenze für Barzahlungen, die Europäische Zentralbank will den
500-Euro-Schein abschaffen. Als hätten Sie das geahnt, schrieben Sie das Buch
mit dem Titel
›Die
Abschaffung des Bargelds und die Folgen: Der Weg in die totale Kontrolle‹
Wie kam es dazu?
Norbert Häring: Vor 9 Monaten fand in London eine halbgeheime
Konferenz der Schweizerischen Nationalbank zur Abschaffung des Bargelds aus
geldpolitischen Gründen statt. Ich beschäftigte mich als Journalist mit den
Hintergründen. Dabei wurde mir klar, daß es eine abgestimmte,
weltweite Kampagne zur Verdrängung des Bargelds gibt, die mit Sicherheit auch
Deutschland erreichen würde. Davor wollte und will ich warnen. Was war das für eine Konferenz? Und
warum machen die Schweizer eine Konferenz in London?
Norbert Häring: Ich nehme an, damit es nicht so auffällt.
Vielleicht auch, weil der zurückgetretene Zentralbankchef Hildebrand in London
für die Finanzbranche arbeitet. Von ihm vermute ich, daß er
anders als der jetzige Chef zum inneren Kreis des Anti-Bargeld-Netzwerkes
gehört. Auf jeden Fall wurde die Konferenz nicht bekanntgegeben. Als eine
Website darüber schrieb, daß sie stattfinden
wird, wollte sich das Handelsblatt anmelden, was mit?Verweis auf
Platzmangel abgelehnt wurde. Hauptredner waren Ken Rogoff und Willem Buiter,
die beide mit Forderungen nach Bargeldabschaffung an die Öffentlichkeit
getreten waren. Es waren auch Vertreter der EZB unter den Vortragenden und
Teilnehmenden.
Und wovor genau wollen Sie warnen?
Das vorgeschobene Hauptargument ist, daß
Bargeld von Kriminellen, Terroristen und Geldwäschern genutzt würde, weil man
sich durch Bargeld der allumfassenden Überwachung entziehen kann. Aber es haben
eben auch gesetzestreue Bürger ein Interesse daran, nicht völlig gläsern zu
werden, sich der illegalen Massenüberwachung zu entziehen und sich einen Rest
an Privatsphäre zu bewahren. Wenn das Bargeld weg ist, geht das nicht
mehr. Außerdem ist das Argument
offenkundig ein Vorwand. Unser oberster Finanzbeamter
[gemeint ist natürlich Herr Schäuble; Anm. der Redaktion] mußte einmal von seinen
politischen Ämtern zurücktreten, weil er heimlich 100.000 D-Mark in bar von
einem Waffenhändler angenommen hatte. Banken, die sich immer wieder als
Hausbanken der Drogenmafia, Geldwäscher und Steuerhinterzieher im
Milliardenvolumen betätigt haben, wollen ihren Kunden nun plötzlich keine paar
tausend Euro in bar mehr aushändigen, weil die ja in die Schattenwirtschaft
fließen könnten. Da muß man schon ziemlich naiv sein, um zu glauben, daß es
diesen Leuten wirklich um die Durchsetzung des Steuerrechts ginge.
Wolfgang Schäuble hat zwar betont, daß es ihm
nicht um die Abschaffung des Bargelds gehe, und daß die Grenze von 5.000 Euro so hoch sei, daß sie keinen rechtschaffenen Bürger stören müsse. Das ist
aber völlig unglaubwürdig: Eine Grenze bei 5.000 Euro behindert
Terrorfinanzierung nicht im geringsten: Chemikalien im Baumarkt kosten weniger.
Und wer Maschinengewehre im Dutzend kauft oder verkauft, wird sich nicht davon
abhalten lassen, dies in bar abzuwickeln, nur weil es verboten ist. Einen
gewissen Effekt kann die Maßnahme nur haben, wenn sie bald so verschärft wird,
daß man mit Bargeld kaum noch etwas anfangen
kann. Und dann besteht der Verkäufer eben auf Gold, Bitcoin oder anderes……
Handelt es sich dann um ›Behelfsargumente‹, die den Menschen
einen Plan, bei dem es um ganz andere Ziele geht, sozusagen schmackhaft machen
sollen? Die Privatisierung der Bildung im Land wird ja etwa auch unter dem
Deckmantel eines Gewinnes an ›Autonomie‹ geführt, während die Zerschlagung des Sozialstaates unter dem Label der ›Freiheit‹ firmiert.
Genau. Wenn es wirklich um die genannten Motive ginge, gäbe es Bargeldverbote
und ähnlich drastische Maßnahmen schon längst. Schattenwirtschaft,
Steuerhinterziehung und Terror sind ja keine neuen Entwicklungen. Und zu Zeiten
der RAF war der 1000-Mark-Schein noch dreimal soviel wert wie heute der
500-Euro-Schein. Kein Finanzminister hat sich daran gestört. Nein, die Kampagne
zur Abschaffung des Bargelds fällt weitgehend mit der Finanzkrise zusammen. Dort sind die Motive zu suchen.
Worum geht es also eigentlich? Und um
wessen Interessen im Hintergrund?
Es geht darum, den Menschen die Alternative zum Bankengeld zu nehmen,
dafür zu sorgen, daß ihr Geld das Bankensystem nicht mehr
verlassen kann. Dann wird etwa eine Heranziehung der Gläubiger zur
Bankensanierung viel leichter gehen. Statt als Steuerzahler werden die Menschen
dann als Einleger der Banken zur Sanierung herangezogen, so wie die Griechen
seit Mitte 2015 oder die Zyprer im Jahr 2013. Vielen zyprischen Einlegern und
Pensionären wurde damals einfach die Hälfte ihrer Bankguthaben gestrichen. Das
war Geld, für das sie gearbeitet hatten und sie hatten den Fehler gemacht, es
als Bankengeld bei ihren Banken zu halten, sonst hätten sie es heute noch. Die meisten haben irgendwie die Vorstellung, ihr Geld würde auf der Bank
verwahrt und gehöre ihnen. Das ist ein Irrtum. Unsere Guthaben auf dem
Bankkonto sind Kredite an die Bank und gehören der Bank. Sie muß sie nur auf
Wunsch zurückzahlen, in Bargeld dann. Aber wenn zu viele dieses Recht in Anspruch nehmen, können die
Banken das gar nicht. Sie haben nur für einen Bruchteil der Einlagen Bargeld da
oder können es besorgen. Inzwischen haben uns die Banken aber auch so gut wie
abgewöhnt, überhaupt Geld in bar abheben zu wollen. In meinem Buch beschreibe
ich, wie ich versucht habe, 15.000 Euro von meinem Konto abzuheben und dabei sogar
der Verhaftung entging.
Sie sprechen von einer Kampagne gegen das Bargeld.
Wer steuert diese Kampagne? Oder gibt es gar keine Steuerung?
Doch, es gibt ein eng geknüpftes Netzwerk. In seinem Zentrum
stehen Larry Summers, der ehemalige US-Finanzminister und Harvard-Ökonom, Ken
Rogoff, Harvard-Ökonom und ehemaliger Chefvolkswirt des IWF, und Mario Draghi,
der unsere Banknoten unterschreibt; er ist eine Schlüsselfigur beim Versuch der
gesetzeswidrigen Abschaffung desselben. Und fast alle wichtigen Spieler im
Kampf gegen das Bargeld stehen mit diesem Netzwerk in enger Verbindung.
Warum verfolgen sie dieses Ziel? Es gibt
bereits konkrete Enteignungspläne, Enteignungspläne der Mächtigen wider die
Bevölkerung …..
Ja, ein solcher Plan ist seit diesem Jahr Gesetz, die
Gläubigerbeteiligung bei Bankenrettungen. Sie besagt, daß
Einleger mindestens teilweise enteignet werden müssen, bevor Banken mit
Steuergeld gerettet werden dürfen. Denn wenn wir Einlagen bei Banken halten,
sind das rechtlich Kredite an die Bank und wir sind Gläubiger. Damit wir uns
dem beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten nicht frühzeitig entziehen
können, indem wir unser Geld bar abheben,
muß das Bargeld zurückgedrängt oder
abgeschafft werden. Nun steht im EU-Vertrag, ebenso wie im Bundesbankgesetz, daß
Euro-Bargeld ein gesetzliches Zahlungsmittel ist. Trotzdem wurden mit dem
ausdrücklichen Segen von Mario Draghis EZB in vielen Ländern Gesetze erlassen,
die die Bezahlung mit eben diesem gesetzlichen Zahlungsmittel verbieten, was
offenkundig EU-rechtswidrig ist. Eine nationale Regierung hat nicht die
Kompetenz, die Nutzung des gesetzlichen Zahlungsmittels der EU zu verbieten, so
wenig wie ein Bundesland oder eine Rundfunkgesellschaft das Recht hat, die
Nutzung des nationalen gesetzlichen Zahlungsmittels abzulehnen. Deshalb klage
ich vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt auf das Recht, die Rundfunkgebühr in
bar bezahlen zu dürfen. Ich will ein Präzedenzurteil herbeiführen.
Daß Geschäftsbanken kein Bargeld mögen, leuchtet ja noch ein.
Aber warum sollte sich eine Notenbank am Kampf gegen ihre eigenen Banknoten
beteiligen?
Die Notenbanken sind integraler Bestandteil der sogenannten ›Banking-community‹. Man muß
sich nur die Mitgliederliste der sogenannten ›Group of Thirty‹ anschauen.
Dort wurde die Anti-Bargeld-Kampagne wahrscheinlich ausgeheckt. Draghi, Summers
und Rogoff sind dort Mitglieder, ebenso wie viele andere Notenbanker und
Spitzenmanager großer internationaler Geschäftsbanken. Die meisten der
letzteren waren früher Notenbanker, die meisten der Notenbanker werden später ihre
Millionen als Manager oder Berater von Geschäftsbanken verdienen. Viele, wie
etwa EZB-Chef Draghi und der Chef der Bank von England Mark Carney, sowie der
Chef der Federal Reserve von New York, Bill Dudley, waren früher Bankmanager.
Die drei genannten waren jeweils bei Goldman Sachs.
Ohne Bargeld, also … wenn man das einmal zu Ende denkt, wäre es
dann ja möglich, politische Dissidenten sozial ›hinzurichten‹: Man schaltet ihnen einfach den Zugang zu
elektronischem Geld ab: Und den Ausweg, sich mittels Bargeld durchzuschlagen,
gibt es nicht mehr. Das erscheint mir eine Dystopie ganz im Sinne von ›1984‹ und ›Schöne neue Welt‹ ………
In der Tat. Und das passiert heute bereits mit Organisationen, die
Bargeld nicht wirklich nutzen können. Nicht nur im Film, so etwa im
prophetischen ›Staatsfeind Nummer 1‹: Die US-Regierung hat entschieden, daß
sie es nicht mag, wenn um Geld Poker oder Backgammon online gespielt wird. Also
hat sie die Kreditkartenanbieter ›gebeten‹, den
Zahlungsverkehr für entsprechende Webseiten nicht mehr abzuwickeln. Viele mußten
schließen. Das Gleiche wurde mit Wikileaks gemacht, was dessen Organisatoren
riesige Probleme verursachte, weil kaum noch Spenden eingeworben werden
konnten. Und die Daten des gesamten weltweiten elektronischen Zahlungsverkehrs,
den die in Belgien ansässige Organisation SWIFT abwickelt, werden zu
Überwachungs- und Spionagezwecken in den USA gespiegelt. Das geschah lange
heimlich und illegal. Als es aufflog, wurde es einfach legalisiert und die
Amerikaner verpflichteten sich, die Daten nicht für Wirtschaftsspionage
einzusetzen.
In Ihrem Buch bezeichnen Sie Griechenland auch als ›das Versuchskaninchen der Anti-Bargeld-Troika‹. Wie meinen Sie das?
Unter dem Druck der Troika aus EU-Kommission, IWF und EZB, allesamt Teil der
Anti-Bargeld-Koalition, wurden dort die schärfsten Regeln gegen Barzahlungen
eingeführt. Momentan wird sogar an einem Gesetz gearbeitet, das Bestände an
Bargeld, die zu Hause aufbewahrt werden, deklarationspflichtig machen soll. Und
auch in anderen Ländern gilt: Je größer der Einfluß der Troika, desto härter
der Kampf gegen das Bargeld.
Die These lautet also: In der Peripherie werden
Entdemokratisierung und auch Formen quasi-autoritären Herrschens bereits
ausprobiert: Das Ziel ist aber Kerneuropa, wir ……
Genau. Sowohl in den USA als auch in Europa gibt es eine klar
erkennbare Strategie, in der Peripherie anzufangen, Vorhaben auszuprobieren und
für Gewöhnung zu sorgen, um sich dann von dort auf die Zentren hinzuarbeiten.
Das größte Labor ist übrigens Afrika.
Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Manch einer fühlt sich ja mehr
und mehr an Rosa Luxemburg erinnert, die einmal meinte, ab einer gewissen Stufe
der kapitalistischen Entwicklung liefe alles auf das eine hinaus: ›Sozialismus oder Barbarei‹; grundlegender Wandel also – oder Diktatur. Sehen
Sie das ähnlich?
Ich strebe nicht den großen Systemwechsel an. Für mich
funktioniert ein System, in dem der Kunde wegen des Gewinninteresses König ist
und die Arbeitnehmer verbriefte Rechte haben, leidlich gut. Ich sehe aber eine
übergroße Macht des Kapitals, insbesondere des Finanzkapitals, die mehr und
mehr dazu führt, daß die Arbeitnehmer entrechtet werden. Eine
Branche, die sich das Geld, das sie braucht, um Politiker und Regulierer für
sich einzunehmen, einfach selbst drucken kann, ist kaum mehr in ihre Schranken
zu weisen.
In den USA ist das Finanzministerium an Goldman Sachs und ein paar
andere Großbanken übergeben worden. Und auch unsere Bundesregierung tut alles,
was die Deutsche Bank und Allianz von ihr wollen. Deshalb kämpfe ich für einen
begrenzten Systemwechsel: Ich will den Banken die Macht zum Geld-Drucken
wegnehmen, und damit die wichtigste Quelle ihrer Macht. Ich will mit meinen
Aktionen unsere eingedösten Parlamentarier dazu nötigen, sich mit dem Geldsystem
zu beschäftigen, und es grundlegend neu zu regeln.
Die Einschätzung, daß der aktuelle Weg in die
Barbarei führen könnte, teilen Sie aber?
Barbarei klingt so nach rückständig. Dieses System bringt aber
sehr hochstehende Produkte und Arrangements für diejenigen hervor, die es sich
leisten können, diese zu bezahlen. Auch die griechische
Sklavenhaltergesellschaft der Klassik war ja kulturell sehr hochstehend.
Sie sind aber dennoch hoffnungsvoll? Oder ist der Weg in die
bargeldlose ›Finanzdiktatur‹ unaufhaltsam?
Ich bin überzeugt, daß der einzige Grund für dieses
perverse Bereicherungssystem für die Banker darin liegt, daß der Bevölkerung Märchen darüber erzählt werden, wie es
funktioniert, und daß es nie umfassend
gesetzlich geregelt wurde. Die schärfsten Waffen gegen dieses System sind daher
das Gesetz und die Öffentlichkeit. Mit diesen beiden Waffen kämpfe ich, und ich
bin recht zuversichtlich, daß sich so etwas
bewegen läßt.
Aber wie begegnen wir dieser Entwicklung, wie genau leisten wir
Widerstand?
Bargeld nutzen, wo immer es geht, hilft schon sehr viel, wenn
viele es tun. Und auch vor Gericht gehen kann jeder mit ein klein bißchen
Geld. In meinem Buch liste ich viele rechtswidrige Bargeldbeschränkungen auf,
gegen die man sich wehren und gegen die man notfalls auch klagen kann. Wenn es
Schule machen sollte, die Rundfunkgebühr nur noch bar zahlen zu wollen und bei
Vollstreckungsandrohung beim Amtsgericht bar zu hinterlegen, dann bräche der ›Beitragsservice‹ der
Rundfunkanstalten zusammen. Für Widerstand gegen gesetzwidrige Zumutungen der
Obrigkeit gibt es viele Ansatzpunkte.
Eine letzte Frage: Auch Sie werden ja inzwischen als Verschwörungstheoretiker diffamiert. Wie kam
es dazu?
Was Polemik ist und was seriöse Argumentation, was Agitation und
was politisches Engagement, dafür gibt es ja keinen objektiven Maßstab. Es gibt
sicher einige, die mich der Polemik mehr als verdächtigen. Ich teile aus und
ich stecke ein, das ist okay.
Daß ich mich mit dem Vorwurf, ein Verschwörungstheoretiker zu
sein, etwas ausführlicher beschäftigt habe, liegt daran, daß es so viele Menschen gibt, die einfach aus Bequemlichkeit
und Unachtsamkeit diese Keule schwingen und damit das Geschäft von Mächtigen
erledigen, die nicht das gemeine Wohl im Sinn haben. Dafür wollte ich die
Wahrnehmung schärfen. Mein verschwörungstheoretisches Vergehen war, daß
ich per Twitter kommentarlos die Sponsoren eines Londoner Think Tanks
aufgelistet habe, nachdem dessen Chefvolkswirt gegen das Bargeld Stellung
bezogen hatte. Das kam dort nicht gut an.
Norbert Häring schreibt für Deutschlands führende
Wirtschaftstageszeitung, das ›Handelsblatt‹ und betreibt
den Blog ›Geld‹ und mehr. Der Bestseller ›Ökonomie 2.0‹, den er
gemeinsam mit Olaf Storbeck schrieb, gewann den Wirtschaftsbuchpreis 2007. 2014
wurde er mit dem Preis der Keynes-Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik
ausgezeichnet. Die von ihm 2011 mitbegründete internationale
Ökonomenvereinigung ›World Economics
Association‹ hat über 12.000
Mitglieder.
Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/?p=32030 11. 3. 16
Das Gespräch führte Jens Wernicke.
Die
Abschaffung des Bargelds und die Folgen: Der Weg in die totale Kontrolle
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