«
[1] In
diesem Zusammenhang ist es durchaus angebracht, dem Kommentar des Historikers
und Journalisten Paulwitz die folgende Beurteilung voranzustellen: ›Das Gefährliche hierbei ist, daß Deutschlands
Systempolitiker, die fast ausnahmslos eine Außenstelle der US-Politik
darstellen, sich vor den Karren spannen lassen - mit unabsehbaren Folgen für
die Bürger.‹ [2]
Was für ein
absurdes Theater! - Von
Michael Paulwitz
Nächster
Akt in der Griechenland-Groteske: Die europäischen Staats- und Regierungschefs
haben wieder mal ein ›Rettungspaket‹ für den Pleitestaat an der Ägäis
ausgehandelt, von dem alle wissen, daß es genausowenig funktionieren wird wie
alle vorangegangenen in den vergangenen fünf Jahren. Das griechische Parlament
hat unter massivem Druck Reformauflagen beschlossen, an die Regierungschef
Tsipras selbst nicht glaubt, weil er vor zwei Wochen noch das Gegenteil
vertreten hat, und die daher ebensowenig umgesetzt werden wie die bisher
versprochenen, weil sie ohne Euro-Ausstieg, Schuldenschnitt und neue Währung
ohnedies sinnlos sind.
Angela
Alternativlos und die traurigen Figuren
Und
trotzdem gibt der Bundestag nun grünes Licht für Verhandlungen über weitere
Milliardenzahlungen an Athen, die genauso verloren sein werden wie die bisher
geleisteten; auch mäßig begabten Abgeordneten müßte das klar sein, und trotzdem
halten fast alle brav den Mund. Das
Ergebnis der Sondersitzung des Bundestags ist der Einstieg in die Transferunion,
in die dauerhafte Alimentierung Griechenlands durch die deutschen und
europäischen Steuerzahler. Die geplanten Finanzhilfen sind rechtswidrig,
ökonomisch sinnlos und Untreue am deutschen Bürger. Jedem der 439 Abgeordneten,
der dafür die Hand gehoben hat, müßte diese verdorren. Trotzdem gab es an der deutlichen
Mehrheit für weitere ›Rettungspakete‹ von Anfang an keinen Zweifel.
Traurige
Figuren: Aus Partei-, Fraktions-, Koalitionsraison, um ihr Pöstchen zu behalten
und die Aussicht auf Wiederaufstellung in ihrem Wahlkreis oder einen guten
Listenplatz nicht zu gefährden, stimmen sie
- von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen - folgsam ab, was Angela Alternativlos ihnen
vorsetzt. Eine Demokratie-Farce, bei dem der Ausgang von vornherein
feststeht und bei dem jeder Mitspieler weiß, daß er sich selbst und das
Publikum belügt. Nur daß dieses um viel mehr betrogen wird als nur um den Preis
einer Eintrittskarte.
Schäuble gibt
den Harlekin
Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble (CDU) gibt in diesem Schmierenstück die Rolle des Harlekins.
Der deutsche Tsipras mimt den harten Verhandler, der am Ende doch wieder einknickt
und alles unterschreibt. Um die unzufriedene Parteibasis ruhigzustellen und den
eigenen Abgeordneten etwas mitzugeben, um im Wahlkreis aufgebrachte Bürger bei
der Stange zu halten, tut er auch danach weiter so, als
würde er sich für einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro einsetzen, hat aber
weder den Mut, mit Nein zu stimmen, noch aus Protest zurückzutreten. Fragt sich
nur, was auf diese Weise schneller und gründlicher zerstört wird: Die
Restglaubwürdigkeit einer politischen Klasse, die sich die Wirklichkeit
schönlügt und diese zurechtlegt, wie es ihr gefällt – oder die Idee einer Europäischen
Union, die auf Recht und Verträge gegründet sein sollte, die nach Laune und
Belieben im fröhlichen Einvernehmen aber verbogen und gebrochen werden. [3]
»Was
wir in der Eurozone heute sehen«,
vermerkt Joseph Stiglitz zu den Vorgängen in Griechenland, »ist die
Antithese zur Demokratie. Das Crescendo des Gezänks und der Schärfe innerhalb
Europas mag Aussenstehenden als unausweichliches Resultat des bitteren
Endspiels erscheinen, das sich zwischen Griechenland und seinen Geldgebern
abspielt. In Wirklichkeit beginnen die europäischen Führer endlich die wahre
Natur des anhaltenden Schuldendisputs offenzulegen, und die Antwort ist keine
erfreuliche: Es geht um Macht und Demokratie, weit mehr als um Geld und
Wirtschaft. Natürlich war die Wirtschaftslehre hinter dem Programm, das die Troika - die EU-Kommission, die Europäische
Zentralbank und der IWF - Griechenland
vor 5 Jahren aufdrängte, miserabel: Sie führte zu einem Rückgang des
Bruttoinlandprodukts um 25 %. Ich kenne keine Depression, die je stattfand, die
so absichtlich war und solch katastrophale Konsequenzen hatte: Die
Jugendarbeitslosigkeitsrate Griechenlands zum Beispiel ist heute grösser als 60 %. Es ist alarmierend, dass sich
die Troika weigert, für irgendetwas hiervon die Verantwortung zu übernehmen
oder zuzugeben, wie schlecht ihre Vorhersagen und Modelle gewesen sind. Noch
überraschender aber ist, dass Europas Führer diesbezüglich nicht einmal etwas
gelernt haben. Die Troika verlangt noch immer, dass Griechenland bis 2018 einen
primären Budgetüberschuss [exklusive Zinszahlungen] von 3,5 % des Bruttoinlandprodukts erreichen soll. Ökonomen
in aller Welt haben dieses Ziel als Strafe verurteilt, da es, wenn man es
anstrebt, unausweichlich einen stärkeren Abschwung zur Folge haben wird.« [4]
Es
ist anzunehmen, dass Schäuble selbst nach
wie vor davon überzeugt ist, dass der ›Grexit‹
die beste Variante für Griechenland wäre, da er schon vor 20 Jahren der Auffassung
war, dass nur eine kleine Euro-Zone mit einer vollen politischen und
wirtschaftlichen Integration in der Lage wäre, Amerikanern und Russen Paroli zu
bieten. Er wollte die Position der EU in der NATO stärken und die Partnerschaft
mit Russland im Interesse Osteuropas vertiefen. Der Journalist und Buchautor
Bruno Bandulet hatte im Februar 2014 geäussert: »Wenn die Bundesregierung europäische
Verantwortung übernehmen wollte, könnte sie Südeuropa aus dem Würgegriff von
Euro und Depression befreien, die Einführung von nationalen Parallelwährungen
ermöglichen, gleichzeitig den Euro als übernationale Recheneinheit beibehalten
und damit zu dem von Helmut Schmidt erwähnten Währungssystem zurückkehren.« »Die
Logik hinter der amerikanischen Europapolitik und eben auch hinter dem
Bedürfnis, besonders Deutschland unter Kontrolle zu halten, hat nichts mit
obskuren Verschwörungstheorien zu tun«, so Bandulet. »Anders als in Deutschland
wird in der USA über Geostrategie und nationale Interessen mit großer Offenheit
debattiert und geschrieben. So in dem 1999 auch in deutscher Übersetzung
erschienenen Klassiker des früheren US-Sicherheitsberaters Zbigniev Brzezinski
mit dem Titel ›Die einzige Weltmacht
- Amerikas Strategie der Vorherrschaft‹.
Die EU stuft Brzezinski darin folgendermaßen ein: ›Tatsache ist schlicht und einfach, daß Westeuropa und zunehmend
auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen
alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern‹.«
[5]
Für
Wolfgang Ischinger, den Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, der Südosteuropa
bis heute als Unsicherheitsfaktor betrachtet, ist ein Verbleib Griechenlands in
der EU die Voraussetzung dafür, »den Einflußkampf gegen Rußland in Südosteuropa
gewinnen zu können. Der Wegfall Griechenlands aus
dem EU-Verbund wäre eine Tragödie für unsere Bestrebungen, den Südosten Europas
endgültig zu stabilisieren. Die größte Befürchtung sei dabei, daß im Falle einer Entfremdung zwischen Griechenland und der EU die
russische Politik in diese Lücke hineinstoßen würde.« Hier unterschlägt Ischinger, dass die Aggression nicht
etwa von Russland, sondern von der USA im Verbund mit dem Westen ausgeht, und
dass angesichts des Vorrückens der NATO an die russischen Grenzen von einer
Stabiliserung nicht die Rede sein kann. Jedenfalls hat EU-Kommissionspräsident Juncker
diesen April einen Austritt Griechenlands ›zu
100 %‹ ausgeschlossen. Zwar sei die
EU ›auf alle Arten von Ereignissen
vorbereitet‹, ein ›Grexit‹ allerdings komme nicht in Frage, betonte er.
»Während mit einer Konsequenz von seltener
Stupidität gutes Geld schlechtem hinterhergeworfen wurde«, schreibt Bandulet in
seinem Artikel ›An der Realität vorbei‹, »wuchs der griechische Schuldenberg
unkontrolliert weiter. Zuletzt auf gut 320 Milliarden €, dies bei einer
jährlichen Wirtschaftsleistung von lediglich 182 Milliarden und einer
Einwohnerzahl von knapp 11 Millionen. Hinzu kommen die ›normalen‹ Subventionen,
die Athen seit Eintritt in die EU auch noch kassiert hat und weiterhin
kassiert; diese summieren sich inzwischen auf 180 Milliarden €. Auch davon
spendierte der deutsche Steuerzahler den größten Anteil. Schwachsinn ist, immer
wieder dasselbe zu tun und jedesmal ein anderes Ergebnis zu erwarten. Trotz
allem besteht immer noch eine Chance, daß die zur Schmierenkomödie verkommene
griechische Tragödie 2015 in einem letzten hochspannenden Akt endet. Nicht etwa
in Paris und Brüssel, aber in den nord- und südeuropäischen Regierungszentralen;
dort ist die Bereitschaft, weiterhin das Faß ohne Boden zu bedienen, deutlich
begrenzt. In Berlin fürchtet das Parteienkartell den Vormarsch der AfD. Und in
Griechenland selbst haben sich Banken und Unternehmen bereits auf
Kapitalverkehrskontrollen und auf die Einführung einer ›Neuen Drachme‹ als
Parallelwährung vorbereitet. In Athen war seit den Wahlen vom 25. Januar viel
von der Würde des griechischen Volkes die Rede gewesen. Wenn das ernst gemeint
ist, sollten die Griechen das Währungsgefängnis verlassen und den unrühmlichen
Status eines Euro-Protektorats aus eigenem Entschluß beenden. Dann könnten sie
ihr Geld selbst drucken und ihre Volkswirtschaft sowie ihre Gesellschaft so
organisieren, wie sie es für richtig halten. Ob die Drachme dann nach der
anfänglichen Abwertung mehr oder weniger schwach bliebe, hätten sie selbst in
der Hand. Modernisiert werden kann das Land nur von den Griechen selbst,
vorhersehbar jedoch nicht von einer Regierung, in der Linksextremisten,
Kommunisten und wirre Nationalisten sitzen - mit einem talentierten Demagogen
an der Spitze. Die Vorstellung, daß die Tsipras-Regierung ihre Reformzusagen an
die Geldgeber nicht unterläuft und daß sie die Voraussetzungen mitbringt, das
Land zu sanieren, ist äußerst naiv. Für den Euro selbst wäre der Bruch eine
gute Nachricht. Mit dem ›Grexit‹ würde er an den Devisenmärkten
steigen; auf ein Ende mit Schrecken haben sich die Finanzmärkte längst
eingestellt.
Griechenland ist so pleite, daß es niemals mehr ohne
einen weiteren Schuldenschnitt auf die Beine kommt. Die Staatsverschuldung ist
heute höher wie vor dem letzten Schuldenschnitt. Sollten wir weitere Gelder ›genehmigen‹, werfen wir gutes Geld schlechtem hinterher; wir werden das Geld zweifellos
nie wieder sehen. Uns allen sollte klar sein, daß Griechenland seine Schulden niemals
bezahlen wird, wenn selbst Deutschland als Exportweltmeister in Jahren mit Rekordsteuereinnahmen
keinen Cent seiner Schulden zurückbezahlt.
[6]
Der
Stifter des ›Alternativen
Nobelpreises‹, Jakob von Uexküll,
hatte im Mai 2010 in einem Interview die Frage, ob er Griechenland bankrott
gehen lassen hätte, mit ›Ja‹ beantwortet: »Das
hätte die Weltwirtschaft nicht kollabieren lassen. Ein Staatsbankrott ist ja
keine Katastrophe, es gab in der Weltgeschichte schon viele.«
Seit 1980 stiftet der in Uppsala geborene und in Hamburg aufgewachsene von
Uexküll den auch als ›Alternativer
Nobelpreis‹ bekannte ›Right Livelihood Award‹. Mit ihm werden in jedem Jahr vier
Personen oder Organisationen ausgezeichnet, die sich mit praktischen Ideen für
ein nachhaltiges und menschenwürdiges Dasein einsetzen. Für das Preisgeld von
200 000 Euro verkaufte von Uexküll einst seine Briefmarkensammlung.
Inzwischen haben die Griechen am 16. Juli von Draghi eine weitere
Finanzhilfe in Höhe von 900 Millionen € erhalten, die sie mit hoher
Wahrscheinlichkeit erneut restlos abheben werden, während die EU-Häupter eine Brückenfinanzierung
in Höhe von 7 Milliarden € zusagten. Über das eigentliche Endszenarium dieser
Kette an Ausschüttungen macht sich offensichtlich keiner wirkliche Gedanken.
Abschliessend ein Leserbrief von Ronny Gert
Bürckholdt, der in der Ausgabe der ›Badischen
Zeitung‹ vom 17.
7. 2015 in der Rubrik ›Tagesspiegel‹ erschien:
Die Zentralbank als
Euroretter - Mario macht's schon
Mario Draghi hat einmal gesagt, er werde tun, was
nötig ist, um den Euro zu retten. Jetzt tut er, was er sagt. Mit Draghi an der
Spitze überschreitet die Europäische Zentralbank eine rote Linie, um die Banken
in Griechenland weiter künstlich zu beatmen. Sie liegen im Koma, werden nur von
Notkrediten der EZB am Leben gehalten. Seit das zweite Hilfspaket der Geldgeber
für Athen am 30. Juni ausgelaufen ist, gibt es für die Hilfe der EZB keine
Grundlage mehr. Die vage Aussicht auf Verhandlungen über ein drittes Paket ist
zu wenig. Die EZB müßte den Stecker ziehen, die Kredite zurückfordern, auch
wenn das die Pleite der griechischen Banken und des Staates auslösen würde.
Aber Draghi intensiviert die lebensverlängernden Maßnahmen noch, indem er die
Notkredite für die Zombiebanken ausweitet. Nicht nur steigt dadurch das Risiko
für die Steuerzahler in den Eurostaaten außerhalb Griechenlands, falls Athen am
Ende doch pleitegeht, sondern Draghi beschädigt auch das Fundament, auf dem die EZB
steht: Die Glaubwürdigkeit. Die Frage ist nicht mehr, ob Regeln gebrochen
werden, sondern: welche? Wie soll der Ausstieg aus der Notstandspolitik
gelingen, wenn eine Notverordnung die nächste jagt? Draghi betonte stets mit
Recht, er könne die Krise nicht beenden, nur die Politik könne das. Doch nun
ist er selbst politischer Akteur. Er hat sich die Option vergeben, glaubwürdig
eine politische Lösung zu fordern. Die Politik darf jetzt annehmen: Supermario
wird’s schon richten.
[1] http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59161 16. 7. 15
[2] http://www.mmnews.de/index.php/politik/19125-10000-auf-mahnwache-berlin- 17. 7. 14
[3] https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2015/was-fuer-ein-absurdes-theater/
17.
7. 15 Was für ein absurdes Theater! - Von
Michael Paulwitz
[4] http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2185 Zeit-Fragen Nr. 18 vom 7. 7. 15
«Was wir in der Eurozone heute sehen, ist die
Antithese zur Demokratie» - von Joseph Stiglitz
[5] ›DeutschlandBrief‹
Nr. 140 vom Februar 2014
[6] http://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2015/an-der-realitaet-vorbei/ 28. 2. 15
An der Realität vorbei - von
Bruno Bandulet