Ungebrochene Aggression

Die Ausdehnung der EU und der Nato

in Richtung Russland muss Putin als Bedrohung wahrnehmen. Am 15. September fand nun in Bern im Hotel Kreuz eine Veranstaltung unter dem Aspekt der Auswirkungen der Ukraine-Krise auf Europa und der Beitrag der Schweiz für eine friedliche Lösung statt. Referenten waren James George Jatras, Vorsitzender des American Institute in der Ukraine und ehemaliger politischer   Berater der Republikaner, ferner Ständerat Filippo Lombardi, Präsident des parlamentarischen Freundschaftsverein Schweiz-Ukraine und Oskar Freysinger, Nationalrat und Walliser Staatsrat. 

James Jatras, der der Politik Russlands sehr viel Verständnis entgegenbringt, hob in seinem Vortrag hervor, dass die Krise in der Ukraine von aussen initiiert wurde. Der Einfluss der USA und der EU-Staaten, die Jatras als «Vasallen der Weltmacht» bezeichnete, haben entscheidend zur Eskalation der Lage in der Ukraine beigetragen. Als ein Beispiel nannte er Victoria Nuland, die stellvertretende Aussenministerin, die eine aktive Rolle beim Staatsstreich im Februar gespielt hat. Die Demonstrationen auf dem Maidan hatten eine Eskalationsstufe erreicht, in der die Polizei massiv und am Ende sogar mit Schusswaffen angegriffen wurde. Die US-Aussenpolitik, die gemäss Jatras seit Jahrzehnten von der gleichen kleinen politischen Clique bestimmt wird, verfolgt einen Regime-Change in Damaskus, in Teheran und letztlich in Moskau: die Krise in der Ukraine ist nur unter diesem Gesichtspunkt zu verstehen. Die ständige Ausdehnung der EU und der Nato in Richtung Russland muss Putin als eine Bedrohung wahrnehmen. Die Sanktionen gegen Russland beurteilt Jatras äusserst kritisch. Sie werden nicht zu einer konstruktiven Lösung des Konflikts beitragen. Der USA wird daraus kaum ein Nachteil erwachsen, hingegen wird die europäische Wirtschaft empfindliche Einbussen erleiden. Auch wenn im Moment eine Feuerpause herrscht, wird die USA kaum ihren Plan aufgegeben haben, aus Russland einen Vasallenstaat zu machen, zu dem das Land unter der Regierung Jelzins degradiert wurde. Die Ukraine ist dabei nur Mittel zum Zweck

Unverständnis zeigte er für die Haltung der Schweiz, die als neutraler Staat, der weder Mitglied der NATO noch der EU ist, zwar die Sanktionen nicht mitträgt, gleichzeitig aber Massnahmen ergreift, um Umgehungsgeschäfte über die Schweiz zu verhindern und damit die Sanktionen indirekt unterstützt. Russland hatte seines Wissens die Schweiz bisher noch nie wegen irgendwelcher Finanzfragen unter Druck gesetzt, ganz im Gegensatz zur USA, die der Schweiz selbst mit Sanktionen gedroht haben, wenn sie nicht US-amerikanisches Recht anwende.

Die USA wollen sich als einzige Weltmacht behaupten 
Ständerat Filippo Lombardi zeigte sich betroffen über die Situation in der Ukraine, die er vor etwa einem Jahr das letzte Mal besucht hatte. Zu diesem Zeitpunkt habe man nichts von diesen grossen Spannungen zwischen Volksgruppen gemerkt. Zwar gab es in gewissen Fragen unterschiedliche Auffassungen, wie es zwischen der West- und Deutschschweiz auch vorkommt, vielleicht mit dem «Röschtigraben» vergleichbar, aber es gab keinen Hass, sondern intensive Diskussionen. Für ihn ist ebenfalls klar, dass das ganze Desaster dort auf den Einfluss fremder Mächte zurückgeführt werden muss. Es gibt keine russische oder ukrainische Familie, die nicht einen Verwandten entweder in Russland oder in der Ukraine hat. Das Land wird auf Grund geostrategischer Interessen förmlich auseinandergerissen. Das Ganze erinnerte Lombardi an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Hier glaubte man, mit einer kurzen militärischen Aktion etwas zu gewinnen, was jedoch in der Folge in einem fürchterlichen Krieg endete. Ähnliche Gefahren sieht er auch bei der aktuellen Krise in der Ukraine. Die Chance, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges geboten habe, sei nicht genutzt worden, nämlich eine wirklich friedlichere Welt aufzubauen. Die Folgen sehen wir heute in der Ukraine. Es ist jedoch ein asymmetrischer Kampf, denn während sich die USA als einzige Weltmacht behaupten will, geht es Russland darum, eine regionale Macht zu werden oder zu bleiben. Deshalb ist nicht zu verstehen, dass man gegen Russland eine derartige Stimmung erzeugt. Die Haltung des Bundesrats gegenüber Russland beurteilt er positiv, weil dieser  trotz des Drucks aus der USA und der EU dem neutralen Kurs im grossen und ganzen treu geblieben ist. Gerade jetzt, da die Schweiz den Vorsitz der OSZE hat, ist es wichtig, dass sich die Schweiz völlig neutral verhält und sich auf keine der beiden Seiten stellt, sondern immer eine Plattform für Verhandlungen bietet; in dieser aktuellen Situation kann es für die Schweiz nur darum gehen, eine solche Haltung einzunehmen. Gerade im Konflikt um Georgien hatte die Schweiz sowohl der russischen als auch der georgischen Seite ihre guten Dienste angeboten und jahrelang zwischen den beiden Staaten vermittelt. Ständerat Lombardi plädierte ausdrücklich dafür, dass die Neutralität wieder ein grösseres Gewicht in der Politik der Schweiz spielen muss, denn das hat nicht nur Bedeutung für uns selbst, sondern über unsere Grenzen hinaus auch für alle übrigen Staaten dieser Welt.

Die Sanktionen der EU und der USA haben keine gültige Rechtsgrundlage 
Für Oskar Freysinger sind neben der Neutralität die staatliche Souveränität und damit der Rechtsstaat von grösster Bedeutung. Und hier liege so manches im Argen. Er zeigte auf, dass die Sanktionen der EU und der USA keine gültige Rechtsgrundlage haben und daher illegal sind. Es gibt nicht einmal eine UNO-Resolution, welche die von der EU und der USA verhängten Sanktionen oder die Listen von Personen, die mit Einreisebeschränkungen und dem Einfrieren von Bankkonten bestraft werden, rechtfertigen könnte. Dass die Schweiz sich indirekt an den Sanktionen beteiligt, ist für ihn völlig unhaltbar. Mit deutlichen Worten kritisierte er die Rechtlosigkeit, in die sich die Schweiz freiwillig begeben hat, indem sie Menschen sanktioniert, die in keinem rechtsgültigen Verfahren für ein Verbrechen irgendeiner Art bestraft wurden. Sanktioniert wird lediglich eine Konfliktpartei, deren Beziehungen zu einer dominanten Macht sich verschlechtert haben. Es handelt sich also um rein politische Sanktionen ohne Rechtsgültigkeit. Weiter kritisierte Freysinger das Verhalten der Schweiz als einen Verstoss gegen die Neutralität. Dazu gehören für ihn die Ausladung des Parlamentspräsidenten der russischen Staatsduma, Sergej Naryschkin, und die Absage an die russische Kunstflugstaffel Russian Knights, die kurzfristig von der Militärflugshow Air14 ausgeladen wurde. Er sprach von 3 «Ohrfeigen», die Russland von der Schweiz verpasst wurden. Diese Vorgänge haben ihn unter anderem dazu veranlasst, eine Petition zu lancieren, um der Schweizer Regierung zu zeigen, dass die Bevölkerung mit der eingeschlagenen Politik, die EU-Sanktionen mitzutragen, nicht einverstanden ist. Die Verurteilung der Unabhängigkeitserklärung der Halbinsel Krim steht in völligem Widerspruch zu der im Jahre 2008 sofort vollzogenen Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovos. Es würde mit zwei verschiedenen Ellen gemessen, liess er verlauten, denn wenn die Abtrennung des Kosovos als völkerrechtlich legitim angesehen wurde, dann müsste jene der Krim ebenso als legitim betrachtet werden.  

USA kein Rechtsstaat mehr  
Die Neutralität der Schweiz könnte in solch heiklen Situationen einen wichtigen Beitrag als Mediator leisten; wir müssen daher unserer Souveränität wahren, um glaubwürdig und unabhängig zu bleiben. Auch ist Freysinger der Meinung, dass die Menschen zur Kenntnis nehmen müssen, dass Russland nicht mehr, wie dies im Kalten Krieg der Fall war, unser Feind ist, und dass die Freundschaft der USA fragwürdig geworden ist. Was sich die USA in den letzten 10 Jahren gegenüber der Schweiz geleistet hat, ist alles andere als freundschaftlich. Ihr Ziel ist eindeutig die Schwächung, wenn nicht gar Zerstörung des schweizerischen Finanzplatzes. Von Russland sind, wie dies auch Jatras erklärt, noch nie irgendwelche Druckversuche ausgegangen, und trotzdem verhält sich die Schweiz, als hätte sie es mit einem Feind zu tun. Auch ist die USA für ihn kein Rechtsstaat mehr, sondern ein Weltreich, das aus drei Kreisen besteht. Der erste Zirkel ist das eigene Land, dann kommt der zweite Zirkel mit mehr oder weniger verbündeten Staaten, mit denen man in keinem bewaffneten Konflikt steht, und schliesslich der dritte Zirkel, wo Krieg herrscht. Je nach Zirkel herrschen unterschiedliche Rechtslagen. Dieses Verhalten wirkt sich zum Schluss negativ auf den eigenen Staat aus, weil das Recht auch dort zur Willkür wird, wenn man mit ihm spielt. Aus diesem Grund steht Freysinger mit allen Mitteln für die Erhaltung des Rechtsstaats ein. Es ist unabdingbar, dass das Recht für alle Menschen, die im selben Staat leben, gleiche Gültigkeit haben muss. Bei der Auflösung der diesbezüglich gegebenen Grenzen besteht das Risiko, dass die grösste Weltmacht allen anderen ihr Recht aufdrängt und so eine globale Diktatur entsteht.  

In der nachfolgenden Diskussion wurde deutlich, dass die Mehrheit der Anwesenden erleichtert war, eine so klare und eindeutige Stimme aus der USA zu hören, denn der westliche Medien-Einheitsbrei lässt kaum eine andere Auffassung zu, wodurch wir hier in Europa völlig einseitig und antirussisch informiert werden.

 

Quelle:  http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1908  Zeitfragen Nr. 23/24 vom 23. 9. 14 
«Die Ausdehnung der EU und der Nato in Richtung Russland muss Putin als Bedrohung wahrnehmen»  -  Ein Podiumsgespräch in Bern