Der Pakt mit al-Kaida

Wie in unseren Beiträgen zu Mali bereits aufgezeigt, sind Putschisten und Tuareg-Rebellen, deren Handlungen zur Besetzung

des nördlichen Teils des Landes durch Islamisten geführt haben, von US-Instrukteuren im Kampf gegen den Terrorismus geschult worden. Einem Bericht von RIA Novosti vom 14. Januar zufolge hat die USA »in den zurückliegenden vier Jahren ein umfassendes Anti-Terror-Programm in der Region absolviert sowie bis zu 600 Millionen $ in die Ausbildung von Militärkontingenten in Mali investiert.« Nach dem Eindringen gut bewaffneter Islamisten aus dem benachbarten Libyen im März 2012 in nördliche Gebiete von Mali war es bekanntlich zu einem Militärputsch gekommen, mit dem von den Amerikanern ausgebildeten General Amada Sanogo an der Spitze. Wie weiter dargelegt wird, hätten die Amerikaner nicht nur den heranreifenden Putsch übersehen, sondern auch ausser acht gelassen, dass das Kommando über Elitetruppen an Vertreter der Tuareg, die seit rund 50 Jahren im Konflikt mit der Zentralregierung stehen, übertragen wurde. Nachdem die Tuareg im April den Staat Azawad ausgerufen hatten, gingen die Befehlshaber von drei der vier Armeeeinheiten im Norden des Landes samt Personal und Waffen auf die Seite der Separatisten über, verstärkt durch etwa 1600 Deserteure. »Die Hilfe der Amerikaner erwies sich als nutzlos. Sie hatten die falsche Wahl getroffen«, so ein malischer Offizier. 

»Der Westen«, schreibt Jürgen Todenhöfer in seinem Artikel Die Terror-Zyniker - in Mali gegen, in Syrien mit al-Kaida, »muß diesen zynischen Pakt mit den Terroristen beenden. Als der Westen in Afghanistan einmarschierte, nannte er als Ziel die Überwindung des internationalen Terrorismus. Erreicht hat er das Gegenteil. Die Zahl der Selbstmordanschläge stieg nach 9/11 weltweit um ein Vielfaches. Für jeden getöteten Terroristen standen Dutzende neue auf. Antiterror-Kriege sind Terrorzuchtprogramme. In der muslimischen Welt wimmelt es inzwischen von nationalen Terroristen und ausländischen Wander-Dschihadisten. Finanziert werden sie vor allem durch private Organisationen in Saudi-Arabien: Diese wollen ihren wahabbitisch-salafistischen Radikal-Islam, dem weltweit nur 2 % der Muslime anhängen, verbreiten. Anders als der Alarmismus westlicher Innenpolitiker vermuten läßt, blieb Europa vom Terror al-Kaidas bisher weitgehend verschont. Laut Europol hatten 2010 nur 3 von 249 vollendeten oder versuchten Terroranschlägen islamistische Beweggründe. 2011 war nicht einer der 174 Anschläge in Europa islamistisch motiviert. Die meisten Täter waren Separatisten und Linksextreme. Trotzdem sollten wir die muslimische Welt mit ihrem Terrorproblem nicht alleine lassen. Die seit Jahrhunderten andauernde aggressive Politik des Westens gegenüber der muslimischen Welt ist schließlich Hauptursache dieser Seuche. Palästina, Afghanistan und der Irak sind nur die letzten Beispiele dieser verhängnisvollen Politik. 

Wesentliche Mitverantwortung für die epidemische Ausbreitung des Terrorismus tragen seine Sponsoren am Golf. Ohne saudisches Geld könnte al-Kaida nicht überleben. Doch der Westen wagt sich an dieses zentrale Problem der Terrorbekämpfung nicht heran. Er argumentiert, das saudische Königshaus habe mit den Terrorpaten einen mafiaähnlichen Pakt. Der Westen bleibe nur so lange von Anschlägen verschont, wie er deren Kreise nicht störe. Seine Zurückhaltung gegenüber den Hintermännern des Terrors sei daher nachvollziehbar. Der Westen werde für sein Verständnis reichlich durch Erdöl entschädigt. Doch Öl ist nur einer der Gründe, warum sich der Westen das Hinterland des Terrorismus, Saudi-Arabien, nicht zur Brust nimmt. Der islamistische Terrorismus hat sich auch als nützlicher Vorwand zur Begründung offensiver Militäraktionen erwiesen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde er zum wichtigsten Feindbild der USA, nachdem Colin Powell 1991 noch geklagt hatte, ihm gingen die Schurken aus. Wann immer der Westen Antiterror-Kriege führt oder fordert, geht es um ganz andere Dinge. In Afghanistan um die zentrale geostrategische Position in Asien, im Irak um Öl, im Konflikt mit dem angeblich nuklearsüchtigen Terrorstaat Iran um die Vorherrschaft im Mittleren Osten. In Mali zum Beispiel um Uran in dessen Nachbarland Niger. Wenn es in der Ex-Kolonie Französisch-Westafrika nur Sand gäbe, könnten sich die Tuaregs, Terroristen und Malier die Köpfe einschlagen, solange sie wollten. Paris würde nie intervenieren. Es weiß genau, daß sein Antiterror-Krieg den islamistischen Terror letztlich nicht besiegen, sondern weiter anheizen wird. Doch was heißt das schon gegen eine gesicherte Stromversorgung Frankreichs durch afrikanisches Uran?  

Den Gipfel des Zynismus hat die westliche Antiterrorpolitik in Syrien erklommen. Dort kämpfen über 50 000 bewaffnete Rebellen gegen das Assad-Regime. 40 000 von ihnen sind nach Aussagen demokratischer Oppositioneller islamistische Extremisten. Mindestens 15 000 davon bekennen sich zur al-Nusra-Front, einem al-Kaida-Ableger, unter ihnen Tausende ausländischer Dschihadisten.  Für Demokratie kämpft nur noch eine Minderheit der Rebellen. Bei einem Sieg der extremistischen Rebellen winkt nicht etwa ein demokratischer Musterstaat, sondern ein Emirat  religiöser Fanatiker unter Beteiligung von al-Kaida. Es wäre der größte politische Triumph derselben seit ihrem Bestehen. Die syrischen Rebellen erhalten Geld und Waffen vor allem aus Saudi-Arabien und Katar. Saudi-Arabien beliefert mit Wissen der USA hauptsächlich al-Kaida. Der Westen hält der gesamten Rebellion, einschließlich al-Kaida, politisch den Rücken frei. Er ist de facto Verbündeter al-Kaidas. In Mali gegen, in Syrien mit al-Kaida - zynischer geht es nicht.  Assad ist ein Diktator; der König von Saudi-Arabien und der Emir von Katar ebenfalls. Der USA sowie den Despoten von Saudi-Arabien und Katar geht es in Syrien nicht um Demokratie. Ihr Ziel ist die Ausschaltung eines wichtigen Verbündeten des Irans; daß dabei eines der liebenswertesten multiethnischen Völker Arabiens zerbricht, interessiert unsere Weltstrategen nicht. Auch nicht, daß bei einem Sieg der Extremisten Millionen Christen ihre Heimat verlieren könnten. Es gibt sinnvolle Lösungen für diesen tragischen Bruderkrieg. Den Schlüssel hierzu hat die USA. Sie müßte bereit sein, mit Assad zu verhandeln. Wie einst mit den Führern der Sowjetunion. Ronald Reagan hat von diesen nie verlangt, vor Friedensverhandlungen erst einmal zurückzutreten. Die USA könnte die vom syrischen Volk so heiß ersehnte Waffenruhe durchsetzen, wenn sie die Waffenlieferungen Saudi-Arabiens und Katars für einen bestimmten Zeitraum stoppen würde. Rußland könnte diesem Beispiel folgen. Der Waffenstillstand müßte für Verhandlungen Assads mit allen gesellschaftlichen Gruppen genutzt werden, einschließlich der Exil-Opposition und der syrischen Rebellen, die ihre Waffen niederzulegen hätten. Ziel wäre die Bildung einer Übergangsregierung, die Erarbeitung einer demokratischen Verfassung, die auch die Minderheiten schützt, sowie die Vorbereitung international überwachter freier Wahlen. Assad kann den Krieg noch lange führen. Alle, die seinen Sturz seit fast zwei Jahren für übermorgen verkünden, haben sich geirrt. Sie täuschen sich möglicherweise auch bezüglich seiner Zukunftspläne. Nach meiner Einschätzung ist Assad nicht übermäßig daran interessiert, 2014 erneut zu kandidieren, falls es zu einem fairen Friedensschluß kommt. 

Kluge Verhandlungen haben noch immer eine Chance. Es ist Zeit für eine Kurskorrektur des Westens. Er muß seinen zynischen Pakt mit al-Kaida beenden.«      

 

Quelle: Zeit-Fragen Nr. 7 vom 11. 2. 2013  
Die Terror-Zyniker – in Mali gegen, in Syrien mit al-Kaida
Mit freundlicher Genehmigung durch den Autor