Lobbyismus - allgegenwärtig

d.a. Der mit dem sogenannten Lobbyismus verbundene Einfluss der Konzerne auf die Entscheidungsträger in Brüssel

ist schon früh Gegenstand zahlreicher Berichte gewesen und ist vor allem in dem umfassenden Werk Konzern Europa detailliert dargelegt.  [1]  Ganz selbstverständlich ohne jegliche Wirkung auf unsere Volksvertreter.

Wer steht wohl im einzelnen hinter der Absenkung der für Spielzeuge geltenden Standards? 
Einem neuerlichen EU-Diktat zufolge muss die BRD ihre bislang hohen Standards für chemische Zusätze in Spielzeugen aufgeben, womit die Lobbyarbeit der Spielwarenhersteller in Brüssel einen grossen Erfolg erzielt hat. Es gibt keine Wahl: es bleibt bei dem muss, da die EU-Kommission die Grenzwerte für Schadstoffe in Spielwaren wieder lockern wird. »So dürfen beispielsweise ab dem 20. Juli 2013 statt bisher nur 90 Milligramm bis zu 160 Milligramm Blei freigesetzt werden. Für den krebserregenden Stoff Benzoapyren wird der Grenzwert auf 100 Milligramm pro Kilogramm angehoben. Das entspricht in etwa dem hundertfachen Wert, der im Weichmacher-Öl zur Herstellung von Autoreifen eingesetzt werden darf. Durch die Lockerung der Grenzwerte bei Spielzeugen sind in Zukunft bis zu 22fach höhere Schadstoffbelastungen möglich.« Der Versuch der Bundesregierung, diese Lockerung nicht übernehmen zu müssen, ist fürs erste gescheitert, da der in Brüssel eingereichte Antrag, an den eigenen Werten festhalten zu können,  grösstenteils abgelehnt wurde. »So wurden beispielsweise die deutschen Grenzwerte für Antimon, Quecksilber und Arsen nicht gebilligt, die für Grenzwerte für Blei und Barium beispielsweise sind ab dem 20. Juli ebenfalls nicht mehr gültig. Lediglich die eigenen nationalen Grenzwerte in Bezug auf Nitrosamine und nitrosierbare Stoffe wurden zugelassen.« Als Begründung hierfür beliebt die Kommission darzulegen, »dass die von Deutschland mitgeteilten einzelstaatlichen Massnahmen« nicht durch »wichtige Erfordernisse in Bezug auf den Schutz der menschlichen Gesundheit gerechtfertigt sind.« Dies der Beschluss der Kommission. Wie es heisst, war z.B. die tschechische Regierung der Auffassung, dass die deutschen Standards ein Handelshemmnis darstellten.  »Die deutsche Regierung würde damit die Wirtschaftsakteure, die die Bestimmungen der Richtlinie einhalten, daran hindern, Spielzeug in Deutschland in den Verkehr zu bringen«, während Polen einwarf, die deutschen Massnahmen würden »den freien Verkehr von Spielzeug innerhalb der EU behindern und seien daher unannehmbar.« Unterstützung erhielten die Deutschen indessen von Schweden. Gegen den negativen Entscheid läuft beim Gericht der Europäischen Union bereits eine Klage der Bundesregierung gegen die EU-Kommission. Mit einem Urteil wird jedoch frühestens im Frühjahr 2014 gerechnet, womit die gelockerten Grenzwerte in Kraft treten.  [2]  

Eine weitere Absenkung von Standards erstreckt sich laut einer Mitteilung von Ria Novosti auf die Einfuhr von Fleisch: »Mit Wirkung vom 25. Februar 2013 hebt die EU die Importsperre für lebende Schweine sowie für Rindfleisch aus der USA, das mit Milchsäure behandelt wurde, auf. Somit gibt die EU ihre bisherigen harten Sicherheitsanforderungen an Lebensmittel sowie an die Einhaltung von Hygienevorschriften bei der Fleischproduktion auf, da letztere in der USA alsunwissenschaftlich bezeichnet worden waren. Die EU hatte die Einfuhr von genverändertem Mais und Soja, mit Chlordioxid behandeltem Geflügelfleisch und mit Milchsäure gereinigtem Rindfleisch sowie von Schweinen, die von mit dem Wachstumsförderer Ractopamin gefütterten Zuchtsäuen zur Welt gebracht worden waren, verboten. Beobachter erachten die EU-Entscheidung als einen Schritt zum Abschluss eines bilateralen Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und der USA.  [3]  

Wie einem Bericht von Benjamin Beutler  [4]  zur Tätigkeit des deutschen Entwicklungsministers zu entnehmen ist, macht der »gelernte Arbeitsvermittler Dirk Niebel seinem Beruf alle Ehre. Mit Vollgas baut er die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in einen Auftragsbeschaffer für die Agrar- und Lebensmittelindustrie um.« Es geht um seinen Kreuzzug für die Hungernden dieser Welt, wofür er auf potente Partner setzt, in diesem Fall auf Bill Gates. Es geht aber auch um neue Absatzmärkte. Bei einem Round Table für CEOs war Niebel in seiner Funktion als Leiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung [BMZ] Ende Januar mit Gates sowie Wirtschaftsvertretern deutscher und internationaler Konzerne des Agrobusiness und der Ernährungsindustrie [ABEI], zusammengetroffen. Wohin unsere Steuern fliessen  - während die Krisen und Kriege in Afrika, von den Landkäufen ganz abgesehen, voraussehen lassen, dass sie kaum mehr Wirkung als bisher erzeugen werden, ergibt folgende Aufstellung: »In vertrauter Runde gibt man sich spendabel. Über 80 Millionen Euro sollen für die Stärkung der Ernährungssicherheit lockergemacht werden. Rund 20 Millionen € steuert das Bundesministerium bei, 20 Millionen € kommen von der Bill&Melinda Gates Stiftung und 40 Millionen will die ABEI zahlen.« Während die Armut in Deutschland in erschreckendem Ausmass wächst, »begrüsste Gates die Führungsrolle, die Deutschland für die globale Entwicklung einnimmt.« Mit 66 Milliarden US-$ ist Gates der reichste Mann seines Landes, das nicht nur auf einem Schuldenberg von 16,4 Billionen $ sitzt, sondern in dem 23 Millionen Haushalte auf Essensmarken angewiesen sind; wobei die Dunkelziffer der in Armut lebenden US-Bürger deutlich höher ist, als es die aktuellen Daten zu den Lebensmittelmarken vermuten lassen. Essenskarten erhalten nur diejenigen Amerikaner, die als arbeitsfähige Bürger zwischen 16 und 60 Jahren nachweisen können, dass sie Arbeit suchen und auch bereits sind, unangenehme oder kaum helfende Arbeiten anzunehmen. Diejenigen, die es schon aufgegeben haben, sich immer wieder vergebens nach einer Arbeit umzusehen, sind gar nicht erfasst. »Bereits im April 2011«, legt Beutler ferner dar, »hatte das BMZ mit der Bill&Melinda Gates Stiftung in einem Memorandum of Understanding die Zusammenarbeit bei ländlicher Entwicklung, Gesundheit, Trink- und Abwasser, Stadtentwicklung sowie Mikrofinanzen unter Dach und Fach gebracht. Seitdem lassen Berlin und die Gates-Stiftung bei den Verlierern von Globalisierung und Freihandel Hand in Hand Brunnen bohren, Aids-Kranke behandeln und für die »grüne Revolution in der Landwirtschaft forschen.« Und damit nähern wir uns einem das übliche Lobbytum begünstigenden Aspekt des ganzen Unternehmens: »Die jüngst beschlossenen Millionen fließen in die Initiative German Food Partnership [GFP]. Damit haben die Konzerne ihren Fuß in Ministerien, Parlament und Kanzleramt gesetzt. Die 2009 gegründete GFP ist eine öffentlich-private Partnerschaft [PPP], wobei deutsche und internationale Unternehmen der Agrar- und Ernährungsindustrie, Verbände und Stiftungen, der öffentliche Sektor sowie Unternehmen aus Schwellen- und Entwicklungsländern gemeinsam daran arbeiten, die Rohstoff- und Nahrungsmittelsicherung zu verbessern. Bayer, Syngenta und Metro machen sich den Kampf gegen Hunger zunutze. Deren Lobby-Arbeit zahlt sich aus.« Hierzu hält Beutler das Ergebnis einer Studie des Agrarexperten des katholischen Hilfswerks Misereor, Benjamin Luig, fest: »Die strukturellen Ursachen des Hungerproblems werden ebenso ausgeblendet wie der Zusammenhang zwischen den proklamierten guten Taten von Konzernen und deren eigentlichem  Geschäftsmodell. Statt Kleinbauern Vorteile zu verschaffen, sitzen die Gewinner im Norden. Gemüsebauern in Simbabwe und Kenia, die für Supermärkte in Europa produzieren, erhalten 14 % vom Ladenpreis, die Supermärkte kassieren 45 %. Durch die GFPs erhalten Bayer und andere Marktzugang und Durchsetzung von industriefreundlichen Regelungen auf Länderebene. Einfluß rechnet sich. 2006 wurden aus Deutschland Pestizide im Wert von 4,7 Milliarden $ verschifft. Jährlich sterben, vor allem im globalen Süden, rund 355.000 Menschen an Agrogiften, rechnet die Weltgesundheitsorganisation vor.« Es ist immer wieder aufschlussreich, wie UNO-Ressorts, die uns Milliarden kosten, ausser Erfassungsarbeiten und deren Publikation nichts leisten, was eine nachweisbare Besserung erbrächte. Wäre das Gegenteil der Fall, müssten hier längst durchgreifende UNO-Direktiven, die auch das Verbot der Rohstoffspekulation beinhalten, zu Gunsten der Schwellenländer ergangen sein. Was den Schacher mit Agrarland angeht, so wurden laut Oxfam im letzten Jahrzehnt eine Fläche verkauft oder verpachtet, die fast sechsmal so gross ist wie die Bundesrepublik, dies überwiegend an internationale Investoren. Durch solche Geschäfte, die mittlerweile unter dem Begriff »Landgrabbing« bekannt sind, würden laut Oxfam immer mehr Menschen vertrieben, oft mit Gewalt, ohne vorherige Konsultation oder Entschädigung.

So nach und nach erfährt denn die Öffentlichkeit auch, wem wir den einen oder anderen, unsere Lebensgewohnheiten einschneidend verändernde Auflagen zu verdanken haben, so das Verbot, die althergebrachte Glühbirne weiter benutzen zu dürfen, was immerhin eine rechte Erbitterung erzeugt hat. Das Glühbirnen-Verbot, das gerne als Beweis für die Auswüchse einer sinnlosen EU-Bürokratie herangezogen wird, war eine Erfindung des damaligen Umweltministers Sigmar Gabriel, heute  Vorsitzender der deutschen SPD. Nicht genug der Abschaffung: EU-Kommissar Öttinger setzte sogar durch, dass das Verbot überwacht werden würde. Das superintelligente Ersatzangebot, die teurere Sparlampe mit ihrem eine erhebliche Umweltbelastung darstellenden Quecksilbergehalt, zwingt die Bürger bei der Entsorgung zur Einhaltung geradezu absurder Vorsichtsmassnahmen, wie sie z.B. der deutsche Naturschutzbund empfiehlt:  »Sollte die Lampe platzen, während sie angeschaltet ist – was nur sehr selten passiert – hilft die Bindung durch Amalgan nicht weiter. Dann gilt die Zusatzregel: Alle Türen zum Zimmer schließen, Fenster öffnen und den Raum für mindestens 15 Minuten verlassen! Und immer gilt: Die Lampenreste sorgfältig mit einer steifen Pappe auf einem Stück Papier zusammenkehren oder mit Klebeband aufnehmen, dann die Stelle, an der die Lampe zerbrach, mit einem kleinen nassen Lappen reinigen. Die Lampenreste, Pappe, Klebeband und Lappen in ein Schraubglas  stecken, dieses verschließen und mit einem Zettel Achtung, kann Quecksilberreste von Energiesparlampen enthalten, bei den kommunalen Entsorgungsstellen abliefern.« Einfach unschlagbar …. Details dieser Art tauchen selten in den üblichen Tagesblättern auf; hingegen ist hier stets Verlass auf die Deutschen MittelstandsNachrichten [5],  denen wir auch in diesem Fall ausführlichere Angaben verdanken. Das Ganze war ursprünglich eine nationale Initiative, die Gabriel dem seinerzeitigen EU-Umweltkommissar Stavros Dimas vorschlug und die in der Folge europäisiert wurde. Gabriel wollte zur Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft dafür sorgen, dass Europa einen besonders progressiven Kurs im Klimawandel fährt. Wie die DMN festhielten, beschrieb Die Zeit, wie die Maschine in Brüssel in der Folge anlief: Ohne weitere parlamentarische Diskussionen wurde der Eingriff ins Privatleben der Europäer umgesetzt. Angela Merkel hatte dafür gesorgt, dass die umstrittene Verordnung als Glanzstück der deutschen Ratspräsidentschaft quasi im Kleingedruckten beschlossen wurde. Der bereits erwähnte, mit dem Posten eines Kommissars versorgte ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg Öttinger brachte es laut der Berliner taz

Nicht unbekannt ist letzlich, dass Österreich seit Jahren von Korruptionsskandalen erschüttert wird. Zuletzt ist nun der ehemalige Innenminister Ernst Strasser verurteilt worden. Er war ganz seriös – und hatte als EU-Abgeordneter britischen Undercover-Journalisten zugesagt, für Geld die Gesetzgebung in Brüssel zu manipulieren[6]

Ein Blick nach Frankreich 
Wie Mathilde Goanec schreibt [7], »lassen Regierung und Parlament Gesetze durch private Unternehmen machen. Die Evaluation der Staatsverwaltung, dieRévision générale de la politique publique[RGPP] unter Präsident Nikolas Sarkozy ist den Franzosen vor allem wegen einer Maßnahme noch gut im Gedächtnis: Ab 2009 wurde jeder zweite ausscheidende Beamte nicht mehr ersetzt. Doch kaum einer weiß, in welchem Ausmaß diese Evaluation den Einfluß von privaten Beratern auf die Politik in Frankreich gestärkt hat. Worum ging es dabei eigentlich? Das Prinzip, erklärt der Verwaltungs- und Politikwissenschaftler Philippe Bezes, bestand darin, die Ziele, Finanzierung, Durchführung sowie die Ergebnisse der einzelnen Ministerien von privaten Wirtschaftsprüfern untersuchen zu lassen. Wie aus dem Bericht einer parlamentarischen Untersuchungskommission von 2011 hervorgeht, wurden rund 102 Millionen € für externe Wirtschaftsprüfer ausgegeben, davon allein 20 Millionen nur in der Vorbereitungsphase. Von da an waren die großen internationalen Beratungsfirmen wie McKinsey, die Boston Consulting Group [BCG], Cap Gemini, Ernst & Young oder Mazars an den wesentlichen politischen Entscheidungsprozessen beteiligt. Diese vom französischen Wirtschafts- und Finanzministerium in Gang gesetzte Entwicklung setzte sich in dem Maß immer stärker durch, in dem sich die Politik auf Ausgabenkürzungen konzentrierte. Parallel hierzu sind in den vergangenen beiden Jahrzehnten multinationale Beratungskonzerne entstanden, die nach und nach eigene Abteilungen für öffentliche Aufträge aufgebaut haben, wie Bezes in seiner Untersuchung über die RGPP festgestellt hat. Seitdem ist der Einfluß der privaten Berater stetig gewachsen, wobei zwei weitere Faktoren eine wichtige Rolle spielten: einerseits der Vormarsch neoliberaler Think tanks und andererseits die immer mehr Raum in Anspruch nehmende Frage der Staatsverschuldung. Überdies hätten die Wahl Nikolas Sarkozys zum französischen Präsidenten sowie die Berufung von Personen  - die nicht aus dem staatlichen Verwaltungsapparat, sondern aus der Wirtschaft kamen -  auf Schlüsselpositionen in der Regierung die Entwicklung systematisiert und radikalisiert, schreiben die Soziologen Odile Henry und Frédéric Pierru. So haben der ehemalige Minister für Umwelt, Jean-Luis Borloo, sowie der Arbeitsminister, Eric Woerth, die Manageruniversität École des Hautes Études Commerciales durchlaufen und sich danach ihre Sporen als Wirtschaftsanwälte und Unternehmensberater verdient. Die ehemalige Finanzministerin und jetzige Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, hat vor ihrer politischen Laufbahn eine Karriere als Wirtschaftsanwältin in der US-Filiale der Kanzlei Baker & McKenzie gemacht. Und Jean-François Copé, der Nachfolger Sarkozys als Parteivorsitzender der UMP, arbeitete in Teilzeit für die große Pariser Anwaltskanzlei Gide Loyrette Nouel. Die Politologin Julie Gervais nennt diese Politiker Überläufer, die die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Sphäre aufweichen und die Logik, Interessen, Deutungsmuster und Instrumente des Marktes in die öffentliche Verwaltung tragen. Während die Beraterfirmen immer stärker in den öffentlichen Sektor vordrangen, ist der Sachverstand der öffentlichen Hand geschrumpft. Früher besaß jedes Ministerium seine eigene Abteilung für Forschung und Analyse. Durch die Restrukturierung sind davon heute nur einige wenige große Institutionen übriggeblieben, wie das dem Premierminister unterstellte Zentrum für strategische Analysen, oder der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat [CESE], der Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgebern und anderen Organisationen versammelt und die Regierung und das Parlament bei der Ausarbeitung von Gesetzen beraten soll. In einem von Präsident Sarkozy 2009 in Auftrag gegebenen Bericht hieß es allerdings: Die öffentlichen Meinung beachtet den CESE so gut wie nicht. Doch was viel beunruhigender ist: Das gilt auch für die Regierung. Der Einfluß der Beraterfirmen beschränkt sich aber nicht nur auf die Effizienz der Verwaltung. Laut Bezes hatte deren Beteiligung an den Reformen des Staats natürlich starke Auswirkungen auf die Inhalte und Ausgestaltung der Politik. Ein Beispiel ist die Übernahme der ursprünglich privatwirtschaftlichen Praxis des Lean Managements in die öffentliche Verwaltung. »Die privaten Beraterfirmen wurden dafür bezahlt zu untersuchen, wie sich die Prinzipien des Lean Managements auf den französischen Justizapparat anwenden lassen«, erzählt der Untersuchungsrichter Jean de Maillard. »Diese Managementlogik basiert auf einem ultraliberalen Ansatz, bei dem minutiös alle Entscheidungen bewertet werden. Dieser Ansatz funktioniert nicht, jeder weiß das. Aber kein hoher Beamter würde das zugeben.«   

Wie ihre Kollegen in Deutschland nehmen die französischen Minister bei der Erarbeitung von Gesetzesentwürfen üblicherweise die Hilfe von Anwälten in Anspruch. Das frappierendste Beispiel ist die aktive Teilnahme großer Wirtschaftskanzleien bei der Privatisierung von Staatsunternehmen. Dabei handelt es sich keineswegs um eine neue Praxis, wie Michel Guenaire, Partner in der Anwaltskanzlei Gide Loyrette Nouel, bestätigt: »Meine Kanzlei ist während der ersten Amtszeit von François Mitterand groß geworden. Jean Loyrette, einer der drei Gründer, bereitete damals eine Reihe von Gesetzesänderungsanträgen für Abgeordnete der Rechten vor, die die Verstaatlichungsprojekte einschränken sollten. 1986 wurde Jacques Chirac Premierminister und legte ein Privatisierungsprogramm auf. Als Berater für den Staat waren wir damals die treibende Kraft hinter diesen Privatisierungen und haben auch die entsprechenden Verträge mit den Banken aufgesetzt.« In Frankreich sei die Gesetzgebung weitgehend Sache der Regierung, erklärt Jean de Maillard. »Aber weil die Regierung kein Vertrauen zur Verwaltung hat, die im Ruf steht, von Verteidigern des Wohlfahrtsstaats infiltriert zu sein, wendet sie sich an den Privatsektor«, lautet seine Erklärung. »Das hat positive und negative Seiten. Auf der höchsten Verwaltungsebene hat es den positiven Effekt, daß man sich dort nicht mehr für allwissend hält. Doch das Problem besteht darin, daß man nicht weiß, welche Ideologie sich hinter der eingekauften Expertise verbirgt.« Genau damit argumentiert auch die Organisation Anticor, die gegen Korruption und für politische Ethik kämpft. Die Anticor-Aktivisten kritisieren den Rückzug des öffentlichen Sektors zugunsten privater Dienstleister. »Es scheint sich hierbei geradezu um eine Strategie zu handeln: Die Erarbeitung von Gesetzestexten wird privaten Dienstleistern überlassen, während die entsprechenden Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut werden«, mutmaßt die Anticor-Sprecherin Séverine Tessier. Selbst Renaud Denoix de Saint-Marc, der seit 2007 Mitglied im Verfassungsrat ist, fand während seiner langen Laufbahn im öffentlichen Dienst keinen Zugang zu den Gesetzgebungsverfahren: »Die Frage ist, wie die von den Verwaltungsreformen direkt betroffenen Bürger und Unternehmen in der Politik Gehör finden können. Es gibt das offizielle Prozedere, das über die verschiedenen Beratungsgremien läuft, die die Interessen der Wirtschaft und anderer gesellschaftlicher Gruppen repräsentieren. Und dann gibt es die halboffiziellen Kanäle, die abendlichen Besucher, Leute, die mehr oder weniger direkte Verbindungen zu den Mächtigen pflegen.« Da sind zum Beispiel die Anrufe einiger Mitglieder der erst kurz zuvor ernannten sozialistischen Regierung bei großen Pariser Anwaltskanzleien, zu deren Kunden die großen französischen Industriellen zählen. Einer Quelle zufolge, die anonym bleiben will, ging es dabei um Fragen wie die Wiedereinführung der Steuerbefreiung von Überstunden oder die Deckelung von Managerbezügen. »Natürlich ist der politische Initiator einer Gesetzesinitiative nicht verpflichtet, die Meinungen seiner Berater umzusetzen«, sagt Denoix de Saint-Marc. »Aber die gleichen Interessengruppen bearbeiten hinterher ja auch die Abgeordneten. Und im Parlament ist das Phänomen des Lobbyismus besonders ausgeprägt.«  

Wie viele Anwälte gibt Michel Guénaire unumwunden zu, daß er regelmäßig im Auftrag privater Unternehmen die Anträge für die Abgeordneten verfaßt. »Die Firmen kontaktieren uns und sagen: Es gibt eine Parlamentsdebatte. Könnten Sie uns einen Änderungsantrag für dieses oder jenes Gesetz schreiben, das wir dann an einen Abgeordneten weitergeben?«, erzählt Guénaire. »Ich habe kein Problem damit. Die Gesetze werden für einen ganz bestimmten Wirtschaftsbereich erlassen. Da ist es ganz natürlich, daß die betroffenen Akteure wünschen, daß das Gesetz ihren Interessen entspricht.« In der französischen Nationalversammlung sind von der Privatwirtschaft vorgefertigte Änderungsanträge gang und gäbe. Auch bei der Rechten zeigen sich einige Abgeordnete schockiert über solche Praktiken. »Von den Lobbyisten der großen Konzerne wird oft schweres Geschütz aufgefahren«, berichtet der UMP-Abgeordnete Lionel Tardy. »Wenn man einen Änderungsantrag vorliegen hat, der von 70 Abgeordneten auf einmal unterschrieben wurde, weiß man, woher das kommt.« Tardy nimmt seine Parlamentskollegen aber zumindest teilweise in Schutz und erklärt die Ausbreitung der privaten Expertise durch die Komplexität der Gesetzesinitiativen: »Wir haben es mit sehr speziellen Themen zu tun, und unter den Abgeordneten gibt es nur sehr wenige Spezialisten. Das ist das Einfallstor für die Lobbyisten.« Dies habe sich beispielsweise beim Urheberrechtsschutzgesetz gezeigt, durch das alle Verletzungen des Urheberrechts im Internet streng verfolgt werden. Für viele Beobachter ist die größere Durchlässigkeit zwischen privater und öffentlicher Sphäre auf einen generellen Wandel zurückzuführen. »Das Gesetzgebungsverfahren hat sich weitgehend anglo-amerikanisiert«, bestätigt der Untersuchungsrichter Maillard. »Die Vorstellung, daß nach einer demokratischen Debatte abgestimmt wird, in der sämtliche Standpunkte im Interesse des Gemeinwohls zur Sprache kommen, ist überholt.« Vor diesem Hintergrund halten auch die Anwälte ihre Teilnahme an der Debatte für vollkommen legitim. Schließlich seien doch auch sie und ihre Klienten wichtige Akteure in der Gesellschaft. Doch dieses System hat einen Makel: Es bevorzugt diejenigen, die die wirtschaftliche und finanzielle Macht ausüben, die Meinungsbildung kontrollieren und diejenigen, die sich sowieso schon auf ein offenes Ohr in der Politik verlassen können. Viele Beobachter sprechen sich daher nicht etwa für ein Verbot des Lobbyismus aus, sondern für mehr Transparenz und eine Wiederherstellung des Gleichgewichts der Interessen. Deshalb wurde 2009 auch ein freiwilliges Lobbyregister in der Nationalversammlung eingerichtet. Die Aktivisten von Anticor überzeugt diese Lösung nicht. Sie sehen in der Entwicklung hin zum angloamerikanischen Modell nichts anderes als die Privatisierung des Gesetzgebungsverfahrens. »Wir akzeptieren, daß die öffentliche Entscheidung letztendlich das Ergebnis eines Tauziehens unterschiedlicher Interessen ist«, sagt Séverine Tessier. »Wir wehren uns aber dagegen, daß man diese Praxis durch mehr Transparenz ethisch verklärt. Was vorher im Verborgenen geschah, wird zur offiziellen Spielregel. Aber in Wahrheit geht es dabei nur um das Gesetz des Stärkeren und eine ausgeklügelte Form der Korruption.«

Frankreich vollzieht damit eine Entwicklung, die auf EU-Ebene längst abgeschlossen ist. In Brüssel haben die Lobbyorganisationen ihre Büros direkt im Europaviertel. Sie sind integraler Bestandteil der legislativen Debatte. Mittlerweile kann kein größeres Unternehmen und kein Verband mehr Einfluß ausüben, ohne eigene Lobbyisten in Brüssel zu beschäftigen. Ein freiwilliges Lobbyregister gibt es in der EU-Hauptstadt seit 2008 - anders als etwa in Deutschland. Aber Transparenz allein reicht nicht. So kam zum Beispiel 2011 heraus, daß einige Europaparlamentarier hoch dotierte Beraterfunktionen übernehmen wollten: Zusätzlich zu ihrem Mandat als Parlamentarier. Viele Lobbyorganisationen arbeiten außerdem über informelle Kanäle, ohne in irgendeinem offiziellen Register aufzutauchen. Diese Praktiken beeinflussen die Gesetzgebung in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten direkt, weil dort ein beträchtlicher Teil der parlamentarischen Arbeit aus der Umsetzung der Brüsseler Vorgaben besteht.«

Man könnte direkt in Versuchung geraten, den Vorschlag zu unterbreiten, die Gesetzgebung unmittelbar in dir Hände der Konzerne zu legen, um uns von der Milliarden verschlingenden EU-Bürokratie zu entlasten …… 

 

[1]  Belén Balanyá, Ann Doherty, Olivier Hoedeman, Adam Ma’anit und Erik Wesselius: Konzern Europa - Die unkontrollierte Macht der Unternehmen, Rotpunktverlag 2001, ISBN3-85869-216-6 [2]  http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/02/01/eu-diktat-deutschland-muss-gift-werte-bei-spielzeug-lockern/   1. 2. 13   EU-Diktat: Deutschland muss Gift-Werte bei Spielzeug lockern 
[3] 
http://de.rian.ru/business/20130205/265461845.html   RIA NOVOSTI  6. 2. 13  [4]  http://www.jungewelt.de/2013/01-31/026.php   Benjamin Beutler  Geldsäcke und Not Warum der Schulterschluß der Bundesregierung mit der Bill-Gates-Stiftung und großen Agrar- und Lebensmittelkonzernen den Kampf gegen Hunger nicht fördern kann. 
[5]  http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2013/01/49792/   28. 1. 13  Glühbirnen-Verbot war eine Erfindung von Sigmar Gabriel  
[6]
 http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/01/25/cameron-rede-die-eu-fuehrer-in-bruessel-sind-sprachlos/  25. 1. 13 
[7]  Quelle auszugsweise:
»Die Abdankung der Politik« - Von Mathilde Goanec
Le Monde diplomatique Nr. 10003 vom 11.
1. 13, Seite 22-23; aus dem Französischen von Jakob Horst