Alle Macht an Brüssel - Von Russland keine Rede

d.a. Die in dem nachfolgenden Abriss dargelegte Strategie erinnert nicht nur auffallend an

das von Zbigniew Brzezinski erstellte Konzept der amerikanischen Vorherrschaft, sondern steht auch in direktem Einklang mit der Einstellung von Mario Monti, wie sie Sara Wagenknecht so treffend analysiert hat: »Was bei Angela Merkel marktkonforme Demokratie heißt, entspricht Mario Montis Appell, sich bei Entscheidungen zur Eurokrise von den Parlamenten zu emanzipieren. Was dahinter steht, ist letztendlich das Gleiche: Um auf Dauer Politik gegen die Interessen der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit betreiben zu können, muß man demokratische Entscheidungsprozesse abschaffen - egal ob man Monti oder Merkel heißt«. Wolfgang Schäuble seinerseits hat dass seit langem verfolgte Ziel der Entmachtung der Nationalstaaten am 8. Oktober letzten Jahres glasklar in Worte gefasst: »Wir sind dabei, das Monopol des alten Nationalstaates aufzulösen….. Der Weg ist mühsam, aber es lohnt sich, ihn zu gehen.« Nicht, dass daraufhin je eine Rücktrittsforderung an den Minister gerichtet oder auch nur im entferntesten einmal bedacht worden wäre, wieso es die Vertreter der Entsouveränisierung so eilig haben, ihre Nachkommen der Knechtschaft zu übereignen, denn nichts anders bedeutet die mit der Aufgabe nationaler Befugnisse einhergehende Unterjochung. Was nun die Vorstellungen der Raumplaner von morgen, die ebenfalls für das Aufheben jeglicher nationalen Kontrolle eintreten, angeht, so sind diese in dem nachfolgenden Bericht von GFP niedergelegt:

Im Großraumder EU 
Ein europäischer Think Tank mit Verbindung nach Deutschland plädiert für den Aufbau eines EU-kontrollierten Großraums vom Polarmeer über Zentralasien und Nahost bis Nordafrika. Die Group on Grand Strategy, die GoGS, will mit der Grand Area dem ihrer Auffassung nach zu errichtenden europäischen Föderationsstaat eine Machtbasis schaffen, die den europäischen Rohstoffinteressen dient und die weitestgehend gegen die Einflußnahme außereuropäischer Mächte abgeschirmt sein soll. Die Konzeption, die in vielerlei Hinsicht mit deutschen Interessen konform geht, sieht unter anderem vor, den Großraum mit einem Netz von Militärbasen zu überziehen, die europäisch und damit jeder nationalen Kontrolle enthoben sein sollen. Dem Beirat der Vereinigung gehört eine Vertreterin der Bertelsmann-Stiftung an, eines der einflußreichsten deutschen Think Tanks; die Politikwissenschaftlerin bearbeitet für die Stiftung den Themenbereich Europas Zukunft. 

Liberale Ordnung
Den Großraum-Plan hat James Rogers, ein Mitbegründer der GoGS, verfaßt. In seinem umfassenden Paper A new Geography of European Power? plädiert er dafür, eine solche Grand Area unter EU-Kontrolle zu bringen. In diesem Gebiet müßten zivile und militärische Kräfte aus Europa regelmäßig intervenieren, um Unordnung zu beseitigen und eine liberale Ordnung zu gewährleisten. Der Großraum soll Rogers zufolge die geringste Wahrscheinlichkeit einer Intervention außereuropäischer Mächte aufweisen und möglichst kosteneffektiv mit einer angepaßten gemeinsamen EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu verteidigen sein. [1]  Er umfaßt ganz Europa inklusive Island und Grönland, greift dann weiter bis nach Zentralasien und auf Teile Südostasiens aus und erstreckt sich schließlich bis nach Nahost und Nordafrika. Orientiert sich die Karte größtenteils an den derzeitigen international anerkannten Grenzen, so verläuft sie im Falle Rußlands quer durch dessen Staatsgebiet.

70° Ost
Als Ostgrenze der Grand Area zeichnet James Rogers eine Linie von der pakistanisch-indischen Grenze über die chinesisch-kasachische Grenze und das westsibirische Ischim bis nach Norden ins Polarmeer. Die nordsibirischen Jamal-Gasfelder, die zu den größten der Welt gehören, sind eigens eingezeichnet und werden dem europäisch kontrollierten Großraum zugeschlagen. Die russische Kleinstadt Ischim liegt am 69. östlichen Längengrad. Nur wenig davon entfernt, entlang des 70. östlichen Längengrades, hatte das faschistische Deutschland im Verlauf des Zweiten Weltkrieges seine Interessensphäre von derjenigen des verbündeten japanischen Kaiserreiches abgegrenzt.

Group on Grand Strategy
Die GoGS, die die Großraum-Planungen veröffentlicht, hat sich im Sommer 2011 gegründet - laut ihrem Manifest, um den europäischen Abstieg im Zuge der weltweiten Kräfteverlagerung vom Atlantik zum Pazifik  [2]  zu verhindern. Sie will eine Plattform für europäische strategische Denker sein und ein selbstdefiniertes europäisches Interesse in der öffentlichen Debatte stark machen. Insbesondere will sie die Diskussion über eine europäische Großstrategie fördern. Ihre Vorhaben stuft die GoGS laut ihrer eigenen Zielbeschreibung als abenteuerlich ein. [3]  Im Beirat der Vereinigung ist mit der Politikwissenschaftlerin Stefani Weiss eine Mitarbeiterin der Bertelsmann-Stiftung vertreten, die dort für den Themenbereich Europas Zukunft zuständig ist und zugleich als Assistentin der Geschäftsführung der deutschen Atlantik-Brücke fungiert. Mit Walter Posch hat im April 2012 erstmals ein Mitarbeiter der vom deutschen Bundeskanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) einen Beitrag für die GoGS publiziert.

Deutschland: Terrestrische Macht
Deutschland wird in den Veröffentlichungen der GoGS ausdrücklich als terrestrische Macht eingestuft, die bis heute beharrlich an der Bismarck'schen Landstrategie festhalte. [4]  Diese auf kontinentalen Einflußgewinn abzielende Strategie berge jedoch auch für die Seemächte Großbritannien und Frankreich Gefahren, heißt es: Es könne in Zukunft zur Bildung einer deutsch-russischen Achse kommen, warnt der GoGS-Stratege Luis Simón, ein einstiger Fellow der Volkswagen-Stiftung. »Für den Moment« jedoch halte Deutschland an der EU fest. Simón ergänzt aber, dass die britisch-amerikanische Macht in der Ostsee  - gemeint ist die teilweise enge Kooperation der baltischen Staaten und Polens mit der USA und Großbritannien -  eine weitere deutsch-russische Annäherung verhindere. Ihm zufolge wird Großbritannien in den nächsten Jahren seinen Einfluß in Osteuropa noch weiter ausbauen, um eine Annäherung zwischen Berlin und Moskau zu erschweren. [5]  Tatsächlich etwa sind seit dem Jahr 2000 britische Soldaten dauerhaft in der Tschechischen Republik stationiert und haben dort im Jahr 2010 das größte Land-Luft-Manöver des Vereinigten Königreichs durchgeführt. James Rogers ergänzt, eine Abkehr Deutschlands von der atlantischen Allianz werde die Rivalität zwischen Berlin und London wiederbeleben; die Geschichte zeigt, dass dann wenig Gutes folgt.  [6]  

Georgien
Rogers, publizistischer Protagonist der GoGS, identifiziert zwei Länder als Standorte künftiger EU-Militärstützpunkte, in denen sich Deutschland bereits jetzt um intensiven Einfluß bemüht. Bei einem davon handelt es sich um Georgien, ein Land, das wegen seiner Lage im Transportkorridor zwischen Zentralasien und Europa sowie wegen seiner Grenze zum instabilen Süden Rußlands geostrategisch von erheblicher Bedeutung ist. In Georgien ist die EU mit der European Union Monitoring Mission (EUMM) präsent, die die ersten drei Jahre (2008 bis 2011) von dem deutschen Diplomaten Hansjörg Haber geleitet wurde. An dem Einsatz sind 20 deutsche Bundespolizisten sowie eine ungefähr gleich große Anzahl Zivilisten beteiligt, darunter Offiziere der Bundeswehr außer Dienst. Der EU-Truppe ist wiederholt vorgeworfen worden, in den kaukasischen Konflikten nicht neutral zu sein. Die Bundeswehr arbeitet darüber hinaus auch unmittelbar mit Georgien zusammen und bildet regelmäßig georgische Offiziere aus. Im Land selbst haben Großbritannien und die USA Militärberater stationiert. 

Kaspisches Meer
Als Standort für eine weitere EU-Militärbasis ist laut den Großraum-Strategen Turkmenistan vorgesehen. Das Land, das über immense Erdgasvorräte verfügt, kooperiert auf dem Energiesektor recht eng mit China, hat in letzter Zeit aber immer wieder auch Annäherungen an die EU und die NATO vollzogen. So nahm Staatspräsident Gurbanguly Berdimuhamedov 2008 an einem NATO-Gipfel teil. Letztes Jahr besuchten NATO-Vertreter die turkmenische Hauptstadt Aschgabad. Der dortige Flughafen wird seit Jahren als Transport-Hub für Treibstofflieferungen an die westlichen Besatzungstruppen in Afghanistan genutzt. Dieses Jahr wurde bekannt, daß Turkmenistan von der Türkei Patrouillenboote erwerben wird und beabsichtigt, eine neue Marinebasis am Kaspischen Meer zu bauen. Die US-Marine hat im Jahr 2007 eine geheime Kooperation mit ihrem turkmenischen Pendant aufgenommen. Auch Deutschland bemüht sich um stärkeren Einfluß, wenngleich vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Im Jahr 2011 haben Siemens und Mercedes-Benz größere Aufträge in Turkmenistan erhalten. Die Bundesrepublik gehört zu den wichtigsten Entwicklungshilfegebern des Landes. Bei einem Besuch des deutschen Außenministers Westerwelle im November 2011 einigten sich dieser und der turkmenische Diktator Berdimuhamedov auf den Ausbau der bilateralen Beziehungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

Carl Schmitt
Den Begriff des Großraums, den die GoGS benutzt, hatte einst der Kronjurist des Dritten Reiches, Carl Schmitt, in seinem 1939 veröffentlichten Buch Völkerrechtliche Großraumordnung und Interventionsverbot für raumfremde Mächte - Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht stark gemacht. [7]  Schmitt postulierte darin den Grundsatz der Nichteinmischung raumfremder Mächte als geltendes Prinzip des heutigen Völkerrechts"; dies sollte Deutschland den alleinigen Zugriff auf sämtliche Länder Europas sichern. Als Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung seiner Großraumtheorie führte Schmitt Rumänien an, das - wie Kritiker anführen - unter Preisgabe seiner Naturreichtümer und volkswirtschaftlichen Substanz  [8]  in die deutsche Großraum-Ordnung eingegliedert wurde. Eine solche Preisgabe ihrer Reichtümer an die EU und an Deutschland wird von der GoGS offenkundig auch von den Staaten innerhalb des GroßraumsEU verlangt.

Anmerkung politonline: Die Dreistigkeit, mit der hier über die involvierten Staaten hinweggeschritten wird, ist gewaltig. Wie soll im übrigen ein solcher Grossraum unter EU-Kontrolle funktionieren, wenn das Konzept hierzu bereits den Keim möglicher Rivalitäten in Betracht zieht, die sich zwischen Deutschland und Grossbritannien, Frankreich eingeschlossen, ergeben könnten. Nun ist das, was Brüssel heute vorzuweisen hat, ohne Scheuklappen betrachtet nicht viel mehr als ein Stand der Dinge, der, dies insbesondere hinsichtlich des Euros, lediglich mit äusserst mangelhaft zu benoten ist, zumal gerade die unter der Regie der EU heraufbeschworene Euro-Krise genau den Abstieg hervorrufen kann, den das Konzept zu verhindern trachtet. Welcher Staat sollte also daran interessiert sein, einer Equippe, die mit Dauerpannen zu kämpfen hat, die totale Kontrolle eines riesigen Gebiets zu überantworten, das letztlich allein durch die zu errichtenden Militärbasen zu beherrschen wäre. Und letztere müssen eindeutig als Indikator blanker Gewalt gesehen werden, was allein schon der erwähnten liberalen Ordnung entgegensteht.

Was die Vereinnahmung der nordsibirischen Jamal-Gasfelder betrifft, so wird diese Vorstellung sozusagen problemlos an Russland zerschellen. Insofern dürften die Autoren schon jetzt ihr Urteil gesprochen haben: Eine derartige Strategie ist  - ihren eigenen Worten zufolge –  rein abenteuerlich.

 

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58384  26. 7. 12 Im Großraum der EU

[1]  James Rogers: A New Geography of European Power?, Brüssel 2011
[2]  s. dazu Europas Abstieg (II), Europas Abstieg (III) und Das pazifische Jahrhundert
[3]  Group on Grand Strategy: Manifesto, grandstrategy.eu.
[4]  James Rogers; Luis Simón: Three geographies - and societies: The European Union's enduring problem, Group on Grand Strategy - Strategic Snapshot No. 2,  1.
12. 2011
[5] Luis Simón: Britain-France: A New Agency for the Neo-West?  
20. 2. 2012 europeangeostrategy.ideasoneurope.eu
[6]  Britain will never accept German leadership; 19. 1. 2012  europeangeostrategy.ideasoneurope.eu
[7] Carl Schmitt: Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte - Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, Berlin 1991
[8]  Dietrich Eichholtz: Brüchiges Bündnis; junge Welt 22. 4. 2010