Iran - Nur ein »hauchdünner Schritt« bis zum Krieg 30.01.2012 00:36
Der Publizist und renommierte Islam-Kenner Christoph Hörstel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP)
in einem offenen
Brief zu einer Abkehr von der deutschen Iranpolitik aufgerufen. Die ›Berliner Umschau‹ hat den offenen Brief im Wortlaut dokumentiert:
Sehr
geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter Herr Außenminister,
jetzt ist
die Situation (1) (2) da, in der die Welt nur noch einen hauchdünnen Schritt
von einem großen offenen und symmetrischen Krieg entfernt ist, den die NATO unter Druck durch die USA bereits seit mehr als zehn
Jahren verdeckt oder asymmetrisch führt. Die von Ihnen repräsentierte
Bundesregierung führt unser Land in die jetzige, völlig unnötig aggressive
Position, trotz vieltausendfacher Warnungen aus dem In- und Ausland, nicht
zuletzt von unseren russischen Nachbarn (3), deren berechtigte
Sicherheitsinteressen wir im NATO-Verbund ohnehin permanent verletzen.
Besorgt
blickt die Welt auf zwei hochprovokative Schritte westlicher Führungsmächte,
die den Iran berechtigen - wenn denn das Recht noch Geltung hätte, auf unserem durch
den US-Verbündeten fehlgeleiteten Planeten - sofort auf die US-Flugzeugträger
im Persischen Golf und die französischen und britischen Begleitschiffe zu
schießen. Lassen Sie mich bitte klarstellen, dass ich die hundertfachen
Menschenrechtsverletzungen, Rechtsbeugungen und Korruption im Iran weder
gutheiße noch vergesse. Doch sind es unsere amerikanischen Verbündeten, deren
Justizminister in der Bush-Ära Folter rechtfertigte, die das Folterlager
Guantánamo gründeten und bis heute betreiben und die in den letzten 20 Jahren
zum Tod von rund 3 Millionen Muslimen direkt oder indirekt beigetragen haben (4).
Zum Glück hat jedoch der Iran eine
mehrhundertjährige Friedenstradition, von der Deutschland, die USA und die NATO insgesamt allerdings nur träumen können. Ich werde
dies wie folgt erläutern:
Die
Europäische Union, am Montag früh, 23. 1., klar angekündigt durch Sie, Herr
Minister Westerwelle, beschließt scharfe Sanktionen gegen den Iran, Sanktionen,
die die Menschen in diesem ebenso kultivierten wie ursprünglich
deutsch-freundlichen Land noch härter treffen müssen als unsere unkluge Politik
bis gestern ohnedies. Sanktionen der Art, die ein Land daran hindern sollen,
geordnete internationale Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten, die sein
wirtschaftliches, politisches und soziales Funktionieren fundamental
beeinträchtigen. Diese Sanktionen sind nur noch vergleichbar mit der
aggressiven US-Seeblockade vor dem seinerseits regional hochaggressiven und
unterdrückerischen Japan, die das absolut importabhängige Land zum Gegenangriff
zwang: mit der japanischen Luftwaffe auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941. Der
Krieg endete bekanntlich mit dem schrecklichen amerikanischen Terror-Verbrechen
des Abwurfs zweier Atombomben über den Großstädten Hiroshima und Nagasaki. Jetzt
bringen die USA mit dem Iran erneut ein Land in diese Lage, in der es zuletzt
nur noch zu den Waffen greifen kann, die einzelne NATO-Länder bereits jetzt
schon einsetzen. Die Politik der USA macht einen großen Krieg immer schwerer
vermeidbar. Und Deutschland ist stets dabei, als ob es kein Gestern und kein Morgen
gäbe.
Heute
lagern auf der US-Marinebasis Diego Garcia riesige 15-Tonnen-Uranbomben, eigens
für den Einsatz gegen den Iran (5). Israel erhielt hunderte schwerer
Uranbomben, eigens für den geplanten Angriff gegen den Iran. Diese Waffen
verletzen wegen ihrer unspezifischen Breitenwirkung, die zwangsläufig auch
zivile Bevölkerungsteile verletzen muss, geltendes Recht und hätten längst
verboten werden müssen. Rechtswidrig hat Deutschland nichts unternommen, um ein
solches Verbot bewirken zu helfen. Herr Minister Westerwelle, als die besten
Experten unseres Landes in Ihrem Hause vorstellig wurden, um die verheerende,
völkermordende Wirkung dieser Waffen darzulegen und auf politische Schritte
gegen ihre fortgesetzte Anwendung durch unsere wichtigsten Verbündeten drangen,
haben Ihre Beamten sie kalt abgewiesen. Deutschland, das verdienstvollerweise
selbst keine Uranwaffen einsetzt, macht sich dennoch der entsprechenden
Verbrechen mitschuldig, weil es mit Staaten, die dies tun, verbündet ist und
aktiv kooperiert.
Zurück zu
den Sanktionen gegen den Iran: Diese Sanktionen begründen Europa und die USA
mit angeblichem iranischem Fehlverhalten in der Verfolgung des in Wahrheit
ebenso berechtigten und rechtmäßigen Atomprogramms (6). Ja, es stimmt, in den
ersten Jahren hat der Iran seine Aktivitäten nicht korrekt offengelegt. Doch
waren die USA, Deutschland und andere westliche Länder über Jahrzehnte intensiv
damit beschäftigt, sowohl Irans Hauptlieferanten Pakistan als auch dem Iran
direkt alle benötigten Ausrüstungen und Teile zu verkaufen, Einkäufer beider
Länder vor Verfolgung durch westliche Behörden und Sicherheitskräfte zu
bewahren und die Atomprogramme beider Länder regelrecht zu ›begleiten‹. In den USA
wurde sogar ein aussagewilliger CIA-Zeuge für diese Vorgänge schwerstens
bedrängt und sein berufliches und privates Leben ruiniert. Dass bei der
Lieferpolitik der USA zum Teil auch Sabotage im Spiel war, sei dahingestellt.
Diese belegten und bezeugten Tatsachen werden nur noch durch eine beispiellose
Korruption westlicher, hauptsächlich amerikanischer Politik um die
Internationale Atombehörde in Wien übertroffen. Nicht genug damit, dass der
ehemalige IAEA-Direktor Mohammed El-Baradei persönlich unter schweren Druck
gesetzt wurde, objektive Erkenntnisse seiner Behörde im Sinne einer aggressiven
US-Bedrückungspolitik gegen den Iran zu verfälschen, bis hin zu illegalen
Lauschangriffen auf die Behörde, die im Zusammenhang mit ständigen US-Lauschangriffen
gegen die UNO gesehen werden müssen. Nicht genug damit, dass unser
US-Verbündeter in die Entscheidung für eine zweite Amtsperiode El-Baradeis
unter Verletzung aller Regeln und allen Anstands massiv eingriff. Jetzt ist
auch noch ein willfähriger, geradezu gegenüber den USA diensteifriger
IAEA-Direktor im Amt, der mit dieser Haltung beides, Amt und Behörde, massiv schädigt
(7). Es wäre auch Deutschlands Pflicht gewesen, diesen gefährlichen
Machenschaften zu wehren und damit zu verhindern, dass die westliche Staatengemeinschaft
ihren ohnehin aus zahlreichen aggressiven Rechtsverletzungen heraus
angeschlagenen Ruf in der Welt weiter verliert.
Der
jüngste IAEA-Bericht über den Iran strotzt denn auch von unwahren Behauptungen,
alten, längst vor Ort abgeprüften und widerlegten Geschichten, basiert auf
falschen und gefälschten Geheimdienst-Quellen, zieht falsche Schlüsse, nennt
überdies noch widerrechtlich Namen von angeblichen Atomwissenschaftlern, die
nur zum Teil tatsächlich an Irans Atomprogramm arbeiten - gefährdet jedoch
angesichts des laufenden US-israelischen Mordprogramms alle genannten an Leib
und Leben, ebenso wie ihre nächste Umgebung einschließlich Familienmitgliedern
und anderen unbeteiligten Unschuldigen an Leib und Leben. Dies alles geschieht,
obwohl viele couragierte Kenner des iranischen Atomprogramms, wie El-Baradei,
der Experte der US-Atomenergiebehörde Clinton Bastin und viele andere klar
aussagen, dass der Iran weder an Atomwaffen arbeitet noch auf lange Sicht in
der Lage sein wird, solche Waffen herzustellen.
Diese
Aktivitäten und zahlreiche andere Mordanschläge, Bombenattentate und geheime Operationen
mit Waffengewalt, bis hin zur Aufwiegelung der Bevölkerung - insbesondere unruhige Ethnien - und eine über den selbständigen Zustand hinaus
zusätzlich künstlich hochgepäppelte Opposition gegen die Regierung in Teheran
wären ohne US-Flugzeugträger vor Irans Küsten kaum denkbar. Mithin wäre es das
Recht des Irans, eine Streitmacht, die über Jahre hinweg in aggressive, feindliche Aktivitäten
gegen Territorium und Bevölkerung des Irans zunehmend verwickelt ist, in
Wahrnehmung des Rechts auf Selbstverteidigung anzugreifen.
Die zweite
große Provokation der NATO ist, dass entgegen den berechtigten und offenen
Warnungen des Irans, zwei Flugzeugträger der USA, begleitet von französischen
und britischen und Flotteneinheiten, in den letzten Stunden in den persischen
Golf eingelaufen sind. Ein dritter hält sich in Schlagdistanz zum Iran. Drei
Flugzeugträger-Gruppen reichen aus, um den Iran anzugreifen, wie auch der Irak
mit einer Streitmacht in dieser Größe 2003 zum letzten Mal rechtswidrig
angegriffen wurde.
Wie
tausende Bundesbürger habe ich über die Jahre hin sowohl dem Bundestag als auch
Ihnen direkt Warnungen und Bitten übermittelt, dass im Kriegsfalle Deutschland
durch US-Kriegsnutzung amerikanischer Luftwaffenbasen auf deutschem Boden
automatisch völkerrechtlich Kriegsteilnehmer jeder kommenden US-geführten
Aggression werden muss. Deutschland gerät damit in die Lage einer Geisel.
Ihnen, Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister, werfe ich vor, dass sie
unser Land entgegen ihrem Amtseid vor diesem Schaden und allen möglicherweise
daraus noch folgenden weiteren Schäden unter Verletzung (8) des Grundgesetzes
(Art. 26,1) nicht bewahren wollen. Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie müssen sich
an dieser Stelle fragen lassen, ob Sie aus diesen Gründen und Ursachen heraus
wohlweislich zur Ablegung Ihres letzten Amtseides am 28. Oktober 2009 Ihre Hand
nicht gehoben haben? (9) Sollte dies der Fall sein, stünden alle schädigenden
Rechtsbrüche Ihrer Politik seitdem automatisch unter dem Verdacht vorsätzlicher
Handlung.
Die Welt
steht kurz vor Ausbruch eines Krieges, der sich durchaus noch zum Weltkrieg
ausweiten könnte, wenn sich noch andere Völker auch nur halbwegs so aggressiv
verhalten wie Ihre Politik und die der NATO seit Tagen, Wochen, Monaten, Jahren
und Jahrzehnten gegen das vergleichsweise friedliche iranische Volk.
Was kann
Sie beide noch rühren, die Sie beide in dieser politischen Landschaft Ihre
persönlichen Berufskarrieren absolviert haben? Vielleicht die Aussage des
ehemaligen Verteidigungsstaatssekretärs Willy Wimmer, CDU, eines langjährigen
Mitglieds des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, der ausgerechnet im
iranischen Rundfunk (10) von einer Blutspur sprach, die die westliche
Wertegemeinschaft seit 1998 in der internationalen Politik hinterlassen habe?
Sind es die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs, mit 56 Millionen Toten, die
offenbar so fern scheinen, dass niemand mit einer Wiederholung zu rechnen scheint,
obwohl sie sich in diesen Stunden anbahnt? Ist es nicht geradezu pervers, dass
Deutschland dann im dritten mitverschuldeten Weltkrieg stünde, diesmal mit den
Rechten eines Hilfswilligen und einer Führung, die aus einer Politik der
Feigheit, Schwäche und Korruption hineinschlittert? Ich frage Sie: Helfen Sie
beide soeben mit, dass künftig Adolf Hitlers aggressive Kriege wie Vorläufer
der verbrecherischen NATO-Politik aussehen?
Frau
Bundeskanzlerin Merkel, unter Missachtung unseres Grundgesetzes haben Sie die
Sicherheit des in den letzten Jahren immer aggressiver auftretenden Staates
Israel zur deutschen Staatsräson erklärt. Glauben Sie, der derzeitige
Kriegskurs könne Sie ihrem Ziel näher bringen – oder die Region sicherer
machen?
Glauben
Sie, dass die aktuelle deutsche Komplizenschaft mit den USA gut für die
Freundschaft unserer Völker ist – und dem Verbündeten nicht in Wahrheit
schadet, weil er sich politisch auf rettungslose Abwege begibt? Ganz abgesehen
von den Menschen in beiden Ländern, die ihren politischen Führungskräften immer
kritischer gegenüberstehen und nicht wissen, wie sie mit dieser hässlichen
Mischung aus gebrochenen Wahlversprechen, gebrochenen Gesetzen und korrupter
Politik umgehen, wie sie dieser nunmehr explosiven Mischung etwas entgegensetzen
können?
Haben Sie
sich überlegt, wie künftige Schulkinder in aller Welt über Ihre jetzigen
Entscheidungen urteilen werden?
Können Sie
abstreiten, dass die Welt auch deshalb in diese explosive Lage und einen daraus
sich entwickelnden Krieg hineingerät, weil der NATO-Führungsmacht USA ebenso
wie der Europäischen Union dank gieriger, dummer und nicht zuletzt auch
korrupter Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik ein großer Absturz
bevorsteht? Glauben Sie, das Volk ist so dumm, dass es diesen letzten
schmutzigen Trick Ihrer Politik nicht bemerken würde? Oder meinen Sie, seit es
Strahlenwaffen (11) gibt, mit denen sich Demonstranten vor dem Kanzleramt
spurenfrei auf den Boden werfen lassen, wo sie vor Schmerzen schreien, Sie
könnten sich im Regierungsviertel verschanzen?
Normalerweise
stehen am Ende eines Briefes höfliche Grüße. Meine Probleme beginnen damit,
dass ich nicht weiß, wie ich meinen Respekt vor Ihrem Amt von meinem Entsetzen
über die aktuelle Entwicklung der Lage, meine tief empfundene Ablehnung Ihrer
Politik und meinen großen Sorgen um den Frieden, um unser aller Zukunft,
voneinander trennen soll. Ich bitte um Ihre Nachsicht: Es ist weder
Unhöflichkeit noch Absicht sondern schlicht mein Unvermögen, dass mir hier die
angemessenen Worte fehlen.
Twitter
Adresse @hoerstelc Quelle: http://www.berlinerumschau.com/news.php?id=42325&title=Offener+Brief%3A+Publizist+Christoph+H%F6rstel+sieht+nur+%22hauchd%FCnnen+Schritt%22+bis+zum+Iran-Krieg&storyid=1001327414434 24. 1. 12
1
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,810695,00.html
2
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,810732,00.html
3
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,810770,00.html
4
Christoph R. Hörstel: Sprengsatz Afghanistan, München 2007, S.167f.
5
http://www.heraldscotland.com/news/world-news/final-destination-iran-1.1013151
6
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/john-lanta/iaea-mit-unlauteren-tricks-gegen-den-iran.html
7
http://www.guardian.co.uk/world/julian-borger-global-security-blog/2010/nov/30/iaea-wikileaks
8
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/john-lanta/aussenpolitische-kriminalitaet-friedensaufruf-stoert-die-taeter.html
9
http://www.rp-online.de/politik/deutschland/die-hand-beim-eid-blieb-unten-1.2297636
10
http://german.irib.ir/analysen/interviews/item/200391-interview-mit-willy-wimmer
11
http://en.wikipedia.org/wiki/Active_Denial_System"
1
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,810695,00.html
2 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,810732,00.html
3 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,810770,00.html
4 Christoph R. Hörstel: Sprengsatz Afghanistan, München 2007, S.167f.
5
http://www.heraldscotland.com/news/world-news/final-destination-iran-1.1013151
6
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/john-lanta/iaea-mit-unlauteren-tricks-gegen-den-iran.html
7 http://www.guardian.co.uk/world/julian-borger-global-security-blog/2010/nov/30/iaea-wikileaks
8
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/john-lanta/aussenpolitische-kriminalitaet-friedensaufruf-stoert-die-taeter.html
9 http://www.rp-online.de/politik/deutschland/die-hand-beim-eid-blieb-unten-1.2297636
10
http://german.irib.ir/analysen/interviews/item/200391-interview-mit-willy-wimmer
11 http://en.wikipedia.org/wiki/Active_Denial_System"
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