Das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts 18.09.2011 23:36
vom 7. 9. 11 ist ein Schlag gegen nationale Souveränität und Rechtsstaat. Es zeigt erneut, daß die vorhandenen nationalen Institutionen
Europa
nicht vor der Gefahr einer EU-Diktatur bewahren werden. Das
Bundesverfassungsgericht entschied zwar, daß der Haushaltausschuß des
Bundestages zukünftigen finanziellen ›Rettungsaktionen‹ ausdrücklich zustimmen muß, billigte aber alle bisherigen
Rettungsaktionen. Und es verwarf die beiden Klagen der ›fünf Anti-Euro Professoren‹ [Hankel, Nölling,
Starbatty, Schachtschneider, Spethmann] und des CSU-MdB Peter Gauweiler mit der
Begründung, die Kläger seien überzeugende Beweise für ihre Behauptung schuldig
geblieben, die Politik der finanziellen Rettungspakete verletze durch das
Grundgesetz garantierte Rechte, wie Wahlrecht, das Recht auf demokratische
Repräsentation und das Recht auf Eigentum. Schlimmer noch war die Feststellung
des Gerichts, daß alle bisher unternommenen Rettungsmaßnahmen in
Übereinstimmung mit Grundgesetz und EU-Recht (Lissabon Vertrag) stünden, die
Rechte und Vorrechte des Bundestages nicht unterhöhlt worden seien und daß,
selbst wenn alle deutschen Garantien fällig würden, laut ›Einschätzung der Legislative‹ die Verluste über ›Einnahmesteigerungen, Ausgabenkürzungen und über längerfristige
Staatsanleihen noch refinanzierbar‹ seien. Das ›Risiko“, worauf das
Gericht sich hier bezieht, beläuft sich auf 170 Mrd. Euro, die Deutschland
mit den griechischen und anderen Rettungsaktionen bereits garantiert hat
- diese
Summe macht die Hälfte des Bundeshaushalts aus.
Damit
aber nicht genug: Die Erhöhung des ›Gewährleistungsrisikos‹ auf 253 Mrd.€ ist bereits absehbar. Das Gericht übernahm die
Argumente der Regierung gegen die Kläger, als es feststellte: ›Derzeit besteht auch keine Veranlassung, einen unumkehrbaren
Prozeß mit Konsequenzen für die Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages
anzunehmen.‹ Das Gericht teilte auch die Sichtweise
der Bundesregierung, daß es für alle zukünftigen parlamentarischen Verfahren
bezüglich der Europäischen Finanz-Stabilitäts-Fazilität (EFSF) ausreicht,
den 41 Mitglieder umfassenden Haushaltausschuß des Bundestages zu befragen,
womit Plenarsitzungen des Bundestages vermieden werden.
Was
die meisten Berichterstatter als Entscheidung ›gegen Eurobonds‹ charakterisierten, ist in Wirklichkeit eine Grauzone, die nur
besagt, daß eine supranationale ›Vergemeinschaftung‹ von Schulden nicht akzeptabel sei. Genauer heißt es: ›Im übrigen bestimmt der Senat [d.h. das Gericht] die verfassungsrechtlichen
Grenzen für Gewährleistungsermächtigungen zugunsten anderer Staaten im
Europäischen Währungsverbund.‹ Diese Grenzen sind allerdings keineswegs
festgelegt, das Gericht überläßt dies den Politikern und sonstigen
Experten. Wäre das Gericht wirklich besorgt über die Vergemeinschaftung von
Schulden auf Kosten des deutschen Staates und Steuerzahlers, dann hätte es
gegen den EFSF urteilen müssen, wo diese praktisch bereits geschieht, weil
Deutschland und andere solventere Staaten einspringen müssen, wenn andere
Euroländer nicht mehr als Bürgen dienen können. Schon jetzt ist deshalb der
deutsche EFSF-Anteil von 123 Mrd. Euro vor 15 Monaten auf heute 211 Mrd. Euro
gestiegen. Mit den vom Finanzministerium geforderten erweiterten Befugnissen
stiege die Zahl auf 253 Mrd. €, also mehr als eine Verdoppelung innerhalb von
15 Monaten. Trotzdem gab das Gericht der Institution seinen Segen. Noch
alarmierender (offenbar aber nicht für die Richter) ist der Plan des Ministeriums,
die Summe der vom EFSF aufgekauften notleidenden Staatsanleihen geheimzuhalten
und nur einen geheimen Sonderausschuß des Bundestages über künftige Käufe zu
informieren. Die Sitzungen sollen geheim sein und die Mitglieder nicht einmal
ihre Bundestagskollegen über deren Inhalt informieren dürfen. Die Richter haben
sich also ihrer Verantwortung entzogen, um das Abrutschen der Eurozone in eine
Finanzdiktatur zu verhindern. Die einzige Chance dafür böte jetzt eine
Volksabstimmung, um das ruinöse Euro-Experiment und die endlos teuren
Bankenrettungsaktionen und Aushebelungen der Souveränität zu beenden. Artikel
20, Absatz 4 des Grundgesetzes besagt: ›Gegen jeden, der es
unternimmt, diese (Verfassungs-)Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das
Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.‹ [1]
Nachdem
die Richter sich ihrer Verantwortung entzogen haben, liegt es in der Hand des
eigentlichen Souveräns, und das ist das Volk, weiteren Schaden vom Staat
abzuwenden und, wie es die ›Bürgerrechtsbewegung
Solidarität‹ bereits Ende 2007 gegen
den Lissabon-Vertrag forderte, das ruinöse Euro-Experiment und die endlos
teuren Rettungsaktionen für die Banken sowie die Aushebelung der
Souveränität per Volksabstimmung zu beenden. Die akute Bedrohung der
Souveränität und des Rechtsstaats durch die Bailout-Politik ist leider durch
das Gerichtsurteil vom 7. September 2011 größer geworden. Auch der in Karlsruhe
abgewiesene Kläger Schachtschneider sieht das Urteil als ›schwarzen Tag‹ für
Deutschland und Europa. Noch mehr solch schwarzer Tage darf es künftig nicht
mehr geben, wenn uns unsere Demokratie und unsere Verfassung etwas wert sind.
Georg Paul
Hefty führt in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung vom 8. September folgendes aus: »Der Haushaltsausschuss des Bundestags wird künftig
milliardenschweren Euro-Hilfen zustimmen müssen. Doch seine Mitglieder stehen
in der innerparteilichen Hierarchie weit unten. Sie werden sich kaum dafür
entscheiden, die Regierung zu lähmen. Es gibt zwei Arten, Gesetze und Urteile,
besonders solche des Bundesverfassungsgerichtes, zu lesen. Die eine ist das
Erkennen dessen, was darin steht, die andere das Erkennen dessen, was nicht darin
steht. Die zweite Art ist ebenso berechtigt wie die erste. Beim Urteil des
Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu den Euro-Rettungsmechanismen
sticht ins Auge, daß das ringsum so sehr begrüßte Mitwirkungsrecht des
Bundestages, bei anderen schwerwiegenden Entscheidungsfällen wird von Parlamentsvorbehalt
gesprochen, nur in bemessener Form eingefordert wird. Die beiden infrage stehenden
Gesetze, das Euro-Finanzstabilitätsgesetz und das Gesetz zur Übernahme von
Gewährleistungen im europäischen Stabilisierungsmechanismus, mit denen
insgesamt 170 Milliarden Euro, also etwa die Hälfte eines Bundeshaushalts
gewährleistet werden, sind verfassungskonform – falls sie im Sinne des
Grundgesetzes ausgelegt werden, was eine Selbstverständlichkeit ist. [2]«
Prof. Max Otte ruft
die Bevölkerung zum Widerstand auf
»Lassen Sie nicht zu, daß man uns zu
verwirrten, resignierten Subjekten macht und wir ein ums andere Mal für
Krisen geradestehen, die wir nicht verursacht haben. Es
reicht – wehren Sie sich!« Aus dem Mund eines
Wirtschaftsprofessors klingen diese Worte ungewöhnlich. Aber Max Otte hat
bewiesen, daß er weiß, wovon er spricht. Er sah die Finanzkrise voraus und
schrieb mehrere Bücher darüber. Und nun hat er einen flammenden, an die
Bevölkerung gerichteten Appell in Form eines Büchleins mit dem Titel ›Stoppt das Euro Desaster!‹ veröffentlicht. Seine Absicht: ›Ich will, daß Sie mitreden können; daß
Sie erkennen, wie schlimm es wirklich um unser Wirtschaftssystem und letztlich
auch um unsere Demokratie steht.‹ In
unzähligen Vorträgen habe er festgestellt: ›Die
Menschen merken, daß sie an der Nase herumgeführt werden. Sie wissen, daß sie
am Ende die Dummen sind, daß sie für dieses Desaster mit ihren Steuergeldern
bezahlen müssen.‹
Widerstand,
so der Wormser Professor, beginne mit Wissen. Und so erklärt er zunächst einmal
einige sehr grundlegende Begriffe, etwa Investmentbanken und
Investmentgesellschaften. Die Leser erfahren, daß gerade ›zum Zocken einladende Finanzprodukte‹, die die neue Finanzkrise auslösten, als Lehre aus der Weltwirtschaftskrise 1929
verboten worden waren und daß ein renommierter amerikanischer
Verfassungsrichter bereits 1913 den Begriff ›Finanzoligarchie‹
prägte. Otte führt aus: ›Diese
Finanzoligarchie, bestehend aus Investmentbanken, Hedgefonds, Schattenbanken,
Ratingagenturen und weiteren Akteuren, ist die derzeit dominierende zivile
Weltmacht. Das ist keine irgendwie geartete Verschwörungstheorie,
sondern die nüchterne
Erkenntnis
mit Blick auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse.‹ Und die seien eindeutig: ›Heute stehen die großen und mächtigen
Investmentbanken – in der USA an erster Stelle Goldman Sachs, in Deutschland
die Deutsche Bank – an der Spitze der Nahrungskette. Sie agieren am
schnellsten, haben die begabtesten Finanzingenieure und außerdem beste
Verbindungen in Regierungskreise.‹
Diesen mächtigen Akteuren würden Regierungen und Regulierungsbehörden als
Erfüllungsgehilfen zuarbeiten. Er könne, so Otte, ›unzählige Belege dafür liefern, wie die Finanzoligarchie
[Herrschaft einer kleinen Gruppe] unser Gemeinwesen schädigt; wie sie unsere
Leistungsgesellschaft und unsere Demokratie untergräbt und gesetzliche Regeln
zu ihren Gunsten verändert.‹ Eine
Wirtschaftsordnung, ›die Banken
weitgehend vom Risiko der Spekulation freistellt und leistungsfreie Einkommen
für Banken, Finanzdienstleister und Superreiche‹ schaffe, bezeichnet er als ›Sozialismus
für Banken und Finanzdienstleister‹.
Die Euro-Krise sei in Wirklichkeit eine Banken-Krise, und diese Krise soll
jetzt so bewältigt werden, daß die Finanzoligarchie weiterhin ›auf
Kosten des Staates leben‹ könne. Neben der Rettung der Banken gehe es
auch darum, ›welches Wirtschaftsmodell
sich in Europa durchsetzt: das der eher sparsamen und produktionsorientierten
Nordländer oder das der eher konsumorientierten Südländer, Engländer und
Amerikaner‹. Der sogenannte
Rettungsschirm und der Kauf von Staatsanleihen, schreibt Otte, verstießen
gleich gegen mehrere Artikel des EU-Vertrags. Im Falle Griechenlands
seien ein Schuldenschnitt und eine geordnete Staatsinsolvenz viel besser: für
Griechenland, ›für Europa und den
Euro, für Deutschland und die Gläubigerländer ..… Nur nicht für die Finanzoligarchie. Denn ein
solcher ›Haircut‹ [eine drastische Herabsetzung von Finanzwerten] erzwingt
die Beteiligung privater Gläubiger.‹
Nur wenige Bundestagsabgeordnete leisten Otte zufolge in diesem üblen Spiel
Widerstand, und die Bundesregierung
scheine ›sogar auf allen Fronten
eingeknickt zu sein.‹
Legt Goldman Sachs
still, nicht die Regierungen
Die unter der
Führung des EZB-Vorsitzenden Jean-Claude Trichet vom 3. bis 5. September in Cernobbio/Italien
versammelten Bankiers, Ökonomen und Eurokraten zogen es vor, den Bankrott des
globalen Finanzsystems zu ignorieren und sich stattdessen mit Lobpreisungen der
Gesundheit des Euros gegenseitig zu überbieten, die lediglich durch die
leichtfertige Budgetpolitik einiger Mitgliedstaaten gefährdet sei.
Da die
italienische Regierung den Charakter ihrer Haushaltskürzungen innerhalb von
drei Wochen dreimal verändert hatte, kursierten in Cernobbio Gerüchte, daß die
EZB möglicherweise keine weiteren italienischen Anleihen aufkaufen werde, wenn
die Italiener nicht endlich ›zur
Sache kämen‹. Tatsache ist, daß
diese EZB-Käufe sowieso nicht funktionieren. Am 1.9. schlossen die italienischen Zehn-Jahres-Anleihen trotz
dieser Käufe bei 5,29 %, ein Aufschlag von 331 Basispunkten gegenüber deutschen
Regierungsanleihen. Die EZB macht hierfür die ›unklaren Signale‹ der
Regierung Berlusconi verantwortlich. In Cernobbio hieß es, die italienische
Zusage, eine Kürzung von 131 Mrd. € durchzuführen, sei unzureichend. Der
frühere Vorstandschef der Unicredito, Alessandro Profumo, der davon träumt,
Nachfolger Berlusconis zu werden, forderte eine Kürzung der Ausgaben um 300 bis
400 Mrd. $., während der Ökonom Robert Mundell, der als einer der ›Väter des Euro‹ gilt, eine Kürzung der Renten auf nur noch 40 % des letzten
Gehalts forderte, um die ›Märkte zu
beruhigen‹. Tatsächlich jedoch ist
der Versuch, EZB-Interventionen mit Haushaltskürzungen zu verbinden,
gescheitert, denn dies hat weder in Griechenland, noch in Irland und oder in
Portugal funktioniert. Als die EZB am 10. 5. 2010 begann, griechische Bonds vom
Markt zu kaufen, sanken die dafür zu zahlenden Zinsen kurzfristig auf 7,7 %,
aber schon 10 Wochen später waren sie wieder auf 10,43 % angestiegen. Das
gleiche Muster zeigte sich in Irland und Portugal, und als Portugal am 6. April
um ein Stützungspaket bat, lag die Verzinsung bei 8 %, obwohl die EZB rund 77
Mrd. Euro an portugiesischen Anleihen gekauft hatte.
Anstatt
die Menschen und die Nationen zu opfern, sollten die Regierungen und
Finanzinstitutionen das globale Finanzkasino schließen, das mit den Geldern der
Zentralbanken den Kredit der Regierungen angreift, wie aus einem jetzt bekannt
gewordenen Strategiepapier von Goldman Sachs vom 16. 8. hervorgeht, das an
Hunderte seiner Investmentkunden verschickt worden war. Darin rät Goldman Sachs
seinen Kunden, mit Derivatpapieren gegen den Euro zu wetten und auf
den Schweizer Franken zu setzen, und publiziert Daten über 77 europäische
Banken unter Hervorhebung der besonders ›wackligen‹ Banken. Gleichzeitig hilft die
Investmentbank der spanischen Regierung, ihre Bonds zu plazieren, was bedeutet,
daß Goldman Sachs den Zugriff auf Gelder der Federal Reserve hat, seinen Kunden
Produkte verkauft und gleichzeitig dagegen wettet. Aber diese Flitterwochen
könnten schon bald vorbei sein, denn nun strengt die FHFA, die US-Wohnungsfinanzierungsbehörde
auf der Grundlage einer Buchprüfung bei den staatlichen Hypothekenbanken Fannie
Mae und Freddie Mac eine Klage gegen 17 der größten Finanzinstitute der Welt
an. Die FHFA, die 2008 gegründet wurde, um die Umstrukturierung der Schulden
der staatlichen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac zu überwachen,
stellte im Verlauf ihrer Ermittlungen fest, daß ein Teil der riesigen Verluste
dieser beiden Institute aus › Hypotheken-besicherten
Wertpapieren‹ (MBS), die von den
verklagten Banken gebündelt und verkauft worden waren, durch› ‹Falschdarstellungen und anderes
unangemessenes Verhalten der in dieser Klage genannten Firmen und Individuen verursacht
wurden..... Die FHFA behauptet, daß diese Kredite einen anderen und riskanteren
Charakter hatten als in den Beschreibungen der Vermarktungs- und
Werbematerialien, die Fannie Mae und Freddie Mac für diese Wertpapiere
erhielten, angegeben war.‹ Diese
Klage der FHFA könnte für einige Banken, die kurz vor dem Kollaps stehen, wie
etwa die Bank of America, das Aus bedeuten und dadurch eine Kettenreaktion
auslösen. Das ganze System ist jetzt in einem Zustand, wo es reicht, irgendwo
einen Stein herauszunehmen, um alles einstürzen zu lassen. Eine Reparatur des
Systems ist unmöglich, es muß durch ein neues System auf der Grundlage des
Glass-Steagall-Standards ersetzt werden.
1
Strategic Alert, Jahrgang 24, Nr. 37 vom 14. September 2011
2
http://www.faz.net/artikel/C30089/kommentar-im-parteienstaat-ist-das-keine-huerde-30682436.html
8. 9. 11 Im Parteienstaat ist das keine Hürde - Von Georg Paul Hefty
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Quelle: TOPIC Nr. 9 vom September 2011 resp.
Max Otte:
Stoppt das Euro Desaster, ISBN 978-3-550-08896-4, 48 S., 3,99 EUR resp.
4 Strategic Alert, Jahrgang 25, Nr.
36 vom 7. September 2011
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