Kosovo: Ein privilegierter Partner

Neue Dokumente bestätigen die schweren Vorwürfe des Schweizer Europaratsabgeordneten Dick Marty gegen das Sezessionsregime im Kosovo

und seine westlichen Unterstützer. Wie aus Papieren, die kürzlich publiziert worden sind, hervorgeht, war die von Berlin stets maßgeblich mitgetragene UN-Protektoratsverwaltung in Pristina (UNMIK) schon 2003 über den mutmaßlichen Organhandel der kosovarischen UÇK-Miliz informiert, ohne daß es zu entschiedenen Maßnahmen gegen die Verantwortlichen kam. Wie einstige UNMIK-Mitarbeiter bestätigen, gilt das auch für die Amtszeit des deutschen UNMIK-Chefs Michael Steiner, der heute als Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan tätig ist. UÇK-Anführer war zur fraglichen Zeit der heutige kosovarische Ministerpräsident Hashim Thaçi, der schon seit Jahren beschuldigt wird, zur Führungsebene der Organisierten Kriminalität im Kosovo zu gehören. Inzwischen kommen zu den altbekannten, aber bis heute folgenlosen Vorwürfen weitere hinzu, die sich unter anderem gegen den im Februar neu gewählten Staatspräsidenten des Kosovos richten. Berlin zieht keinerlei Konsequenzen. Deutschland, schreibt das Auswärtige Amt vielmehr, »gilt als einer der privilegierten Partner Kosovos«.
 
Organhandel
Die Vorwürfe, die kosovarische UÇK-Miliz habe zumindest zeitweise Organhandel betrieben und dazu vor allem Serben nach Albanien verschleppt und sie dort umgebracht, hat schon im Jahr 2008 die ehemalige Chefanklägerin beim Internationalen Jugoslawien-Tribunal Carla del Ponte erhoben. Del Ponte schildert in ihrem Buch La Caccia, wie sie Anfang 2001 glaubhafte Hinweise erhalten hatte, denen zufolge nach der Besetzung des Kosovos durch die NATO zwischen 100 und 300 Menschen zur Organentnahme außer Landes transportiert worden seien. Danach seien sie ermordet worden. Del Ponte beschreibt, wie sie im Rahmen ihrer Untersuchungen stets auf eine Mauer des Schweigens stieß - nicht nur bei Kosovaren und Albanern, sondern ebenfalls bei den westeuropäischen und US-amerikanischen Besatzern, so daß sie ihre Recherchen letztlich nicht erfolgreich abschließen konnte. 1 Nach Bekanntwerden ihrer Vorwürfe beauftragte der Europarat den Schweizer Abgeordneten Dick Marty, die Angelegenheit zu untersuchen. Ende 2010 hat Marty seinen Abschlussbericht vorgelegt, der Del Pontes Erkenntnisse bestätigt und weiter vertieft. 2
 
Neue Dokumente
Martys Recherchen werden nun wiederum durch Dokumente gestützt, die in den letzten Wochen unterschiedlichen Medien zugespielt wurden. Dabei handelt es sich unter anderem um ein UNMIK-Papier vom Herbst 2003. Es basiert auf Zeugenaussagen von ehemaligen Mitgliedern der UÇK, die beschreiben, wie vom Zeitpunkt des NATO-Einmarsches im Kosovo an bis zu 200 Personen, meist ethnische Serben, nach Albanien verschleppt wurden. Bis zu 100 von ihnen seien in ein Gebäude bei der Kleinstadt Burrel unweit Tirana transportiert worden, wo man sie nach der Organentnahme ermordet habe. Dies sei bis ins Jahr 2000 hinein praktiziert worden. Ausdrücklich heißt es, mittlere und hohe UÇK-Funktionäre seien entweder aktiv beteiligt oder zumindest informiert gewesen. Das UNMIK-Papier, das unter anderem dem französischen Sender France 24 zugespielt wurde und auf dessen Website abrufbar ist 3, beschreibt, wie ein Transport mit gefesselten serbischen Opfern die jugoslawisch-albanische Grenze überquerte, ohne von den dort anwesenden deutschen Soldaten in irgendeiner Form kontrolliert zu werden. Tatsächlich führt die direkte Straßenverbindung aus dem Kosovo nach Burrel durch den deutschen Besatzungssektor und über dessen Grenze.
 
Die Mauer des Schweigens
Die Echtheit der France 24 - Papiere ist jetzt von einem damaligen UNMIK-Mitarbeiter bestätigt worden. Wie José Pablo Baraybar, einst Leiter des UNMIK Forensics and Missing Persons Office, urteilt, handle es sich ohne Zweifel um authentische UNMIK-Dokumente. 4 Baraybar erwähnt darüber hinaus, er könne sich noch heute an einige Namen der Opfer erinnern; er habe die Papiere in den Jahren 2002 und 2003 gesehen. Im fraglichen Zeitraum war der Deutsche Michael Steiner UNMIK-Chef. Es ist schwer vorstellbar, daß er von Berichten über Organhandel nichts erfahren haben könnte. Entscheidende Schritte leitete Steiner nicht ein. Vielmehr beschreibt Carla Del Ponte in ihrem Buch, die UNMIK habe in den Jahren 2002 und 2003 - unter Steiners Leitung - nur äußerst zögerlich gehandelt. Als die Protektoratsverwaltung sehr verspätet gemeinsam mit Del Ponte eine Delegation nach Burrel entsandte, um die Vorwürfe vor Ort zu überprüfen, fand sie nur noch Indizien und erkennbar verwischte Spuren vor. 5 Del Ponte sprach auch in diesem Kontext von einer Mauer des Schweigens um die mutmaßlichen Verbrechen der UÇK.
 
Steiners Schützling
Entschieden gehandelt hat Michael Steiner hingegen zugunsten des Mannes, der im Jahr 1999 UÇK-Führer war - Hashim Thaçi. Thaçi war im Sommer 2003 in Budapest festgenommen, jedoch nach wenigen Stunden wieder freigelassen worden. Steiner hatte dahingehend interveniert. 6 Über seinen Schützling konnte man damals in großen Tageszeitungen lesen, ihm werde zum Beispiel der »Mord an einem politischen Rivalen im Jahr 1998« angelastet; auch seien ausgerechnet im Drenica-Gebirge, der Hochburg seines Clans, Kandidaten rivalisierender Parteien ermordet worden. 7 Über Thaçi informierten sich damals auch die NATO und der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND). Beide verfaßten in den Jahren 2004 und 2005 Berichte, die heute zumindest in Teilen bekannt sind und ein einheitliches Urteil ermöglichen. So hieß es etwa 2004 bei der NATO, Thaçi sei ein großer Fisch in der Organisierten Kriminalität. 8 Der BND schrieb, er sei nicht nur Auftraggeber eines Profikillers, sondern ein key player, über den »engste Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und international operierenden OK-Strukturen im Kosovo bestünden: Die dahinter stehenden kriminellen Netzwerke fördern dort die politische Instabilität.« »Vor diesem Hintergrund dürfte es für die internationale Gemeinschaft schwierig werden, rechtsstaatliche und demokratische Strukturen im Kosovo zu verankern.«
 
Zwielichtig
Thaçi, der all dies selbstverständlich abstreitet, ist heute Ministerpräsident des Kosovos. Im Februar wurde mit Behgjet Pacolli außerdem ein neuer Staatspräsident des Sezessionsgebildes gewählt, dem jetzt ebenfalls Vergehen vorgeworfen werden. Pacolli ist in den 1990er Jahren mit seiner Baufirma Mabetex, die diverse sehr lukrative Prestigeaufträge in Rußland erhielt, reich geworden. Die Korruptionsbeschuldigungen, die damals weithin zu hören waren, sind bis heute nicht verstummt. Gegen Pacolli wurde mehrmals erfolglos ermittelt: In Rußland wurde der zuständige Staatsanwalt seines Amtes enthoben; in der Schweiz mußte das Verfahren eingestellt werden, da Moskau die Schweizer  Untersuchungsbehörden bei deren Suche nach belastendem Material nicht hinlänglich unterstützte. Der Milliardär Pacolli, der als zwielichtig bezeichnet wird, fügt den bemerkenswerten Charakteren der kosovarischen Führung eine weitere Facette hinzu. 9
 
Vielfältig und gut
Über die Beziehungen der Bundesrepublik zum Kosovo und seiner Führung schreibt das Berliner Auswärtige Amt, sie seien vielfältig und gut. Es gebe »regelmäßige Besuche von Mitgliedern der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages« in Priština. Deutschland sei, nach der USA, der zweitgrößte Geber von Entwicklungsgeldern, es habe zuletzt im Juli 2008 Mittel in Höhe von 100 Millionen Euro zugesagt. »Deutschland gilt als einer der privilegierten Partner Kosovos«, faßt es die Berliner Behörde zusammen. 10 Michael Steiners Einsatz für Thaçi sowie andere Gefälligkeiten zahlen sich aus.
 
 
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58025   11. 3. 11 Eigener Bericht
[1] Carla del Ponte: La Caccia. Io e i Criminali di Guerra, Milano 2008
[2] s. dazu Teil des Westens geworden
[3] www.france24.com/static/infographies/documents/kosovo_house_2003.pdf
[4] Documents on organ trade belong to UNMIK; www.b92.net  20. 2. 2011
[5] Carla del Ponte: La Caccia. Io e i Criminali di Guerra, Milano 2008
[6], [7] Ein flexibler Charakter; www.berlinonline.de    2. 7. 2003
[8] Report identifies Hashim Thaci as big fish in organised crime;
      www.guardian.co.uk   24. 1. 2011
[9] Zwielichtiger Präsident in Pristina; www.sueddeutsche.de   24. 2. 2011
[10] Kosovo: Beziehungen zu Deutschland; www.auswaertiges-amt.de
Siehe auch
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1661
Der ehrenwerte Ministerpräsident aus dem Kosovo - Von Jürgen Roth
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1659
Der Kosovo - Ergänzungen - Von Doris Auerbach