Ägypten - Das Regime und seine Gehilfen

d.a. Noch am 4. 2. hatten sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel bei ihrem Treffen nicht dazu überwinden können, den Rücktritt von Mubarak, der inzwischen erfolgt ist, zu fordern.

Der niederländische Regierungschef Mark Rutte meinte gar, es wäre »überflüssig und arrogant«, einen Rücktritt Mubaraks zu verlangen. Stattdessen ergingen die sattsam bekannten Forderungen nach Respektierung des Demokratiestrebens der Bevölkerung. Catherine Ashton, die EU-Aussenpolitikchefin erklärte, es sei entscheidend, dass die Regierung und die Bevölkerung in Ägypten »gemeinsam vorangehen«. Wie diese Gemeinsamkeit aussieht, hat der in Ottawa lehrende Prof. Michel Chossudovsky detailliert aufgezeigt 1. Heute ist das ägyptische Volk mit einem Ist-Zustand konfrontiert, der durch eine teils kapitalistische, teils kleptokratische Elite charakterisiert ist, die sich im Zuge einer Politik der ökonomischen Liberalisierung herausgebildet hat. Selbst das Militär hat sich einen eigenständigen privilegierten ökonomischen Sektor zugelegt, der zahlreiche Möglichkeiten zur Bereicherung bietet. 75 % der Bevölkerung von 80 Millionen Menschen sind unter 35 Jahre alt und die Jugend hat kaum Aussichten auf einen Arbeitsplatz. Lediglich der britische Premierminister David Cameron drückte sich realitätskonform aus: Das Regime verliere durch die Gewalt gegen die Demonstranten »die letzte Glaubwürdigkeit und die letzte Unterstützung.« Berlusconi hingegen sah das gänzlich anders und verlangte gar ausdrücklich einen Verbleib des ägyptischen Staatschefs im Amt: »Wir hoffen auf einen Übergang in Ägypten, der mehr Demokratie bringt, mit einem Präsidenten wie Mubarak, den der Westen - und allen voran die USA  - als weise ansehen.« Es war nicht zu erfahren, wie die Runde diese Feststellung aufnahm……
 
Omar Suleiman
Zur Person des zwischenzeitlich mit der Funktion des Vizepräsidenten betrauten bisherigen Geheimdienstchefs Suleiman ist folgendes festzuhalten: Dieser ist, wie Mubarak auch, im ägyptischen Militär zu Rang und Bedeutung aufgestiegen. In den 1960er Jahren hatte er die berühmte Frunse-Militärakademie in der Sowjetunion besucht und danach als Stabsoffizier an den arabisch-israelischen Kriegen von 1967 und 1973 teilgenommen. Auch Mubarak war Mitte der 60er Jahre von Nasser zur militärischen Weiterbildung in die Sowjetunion geschickt worden, allerdings mit der Auflage, nicht als Kommunist zurückzukommen 2. Nachdem Anwar Al-Sadat 1973 die Seiten gewechselt, d.h. sich von der Sowjetunion ab- und der USA zugewandt hatte, »begann«, wie die Junge Welt vermerkt, »die Ausbildung Suleimans an der Kennedy Special Warfare School in Fort Bragg. Dort wurde er in der Kunst der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung, in Verhör- und Foltermethoden ausgebildet. Seither geniesst Suleiman privilegierten Kontakt zu US-Geheimdiensten und Militär. So schaffte er es bis an die Spitze des allmächtigen Mukhabarat, Kairos Auslandsaufklärung, die interne Repression und die Terrorismus-Bekämpfung in einem Apparat vereint. Eine Erklärung des ehemaligen CIA-Agenten und Experten für den Mittleren Osten, Robert Baer, macht deutlich, warum die USA derzeit in Suleiman die einzig brauchbare Alternative zu Mubarak sieht. Über die US-Behandlung von gefangenen Terrorverdächtigen hatte Baer gesagt: Wenn man will, dass einer verschwindet, und niemals wieder auftaucht, dann schickt man ihn nach Ägypten
 
Die amerikanische Journalistin Jane Mayer, die für den New Yorker schreibt, weist in ihrem Buch The Dark Side darauf hin, dass Suleiman den gefürchteten ägyptischen allgemeinen Nachrichtendienst leitete, ein Amt, das er 1993 angetreten hatte. In dieser Funktion war er für die CIA der Ansprechpartner für »Überstellungen« - jenes geheime Programm, in dessen Rahmen die CIA überall auf der Welt Terrorverdächtige jagte und sie dann zu oft brutalen Befragungen nach Ägypten und anderswohin brachte. In einem ihrer Artikel schreibt sie: »Stephen Grey schildert in seinem Buch Ghost Plane detailliert, wie Suleiman seit Beginn der 90er Jahre direkt mit führenden Vertretern der CIA verhandelte. Für jede Überstellung wurde von den höchsten Ebenen der amerikanischen und ägyptischen Dienste grünes Licht gegeben. Der frühere amerikanische Botschafter in Ägypten, Edward S. Walker, beschrieb Suleiman als sehr intelligent, sehr realistisch und fügte dann hinzu, er sei sich der Kehrseite einiger der negativen Dinge, an denen die Ägypter beteiligt waren, wie Folter usw., bewusst gewesen. Aber er war, nebenbei bemerkt, nicht zimperlich.In formaler Hinsicht muss die CIA nach amerikanischem Recht von Ägypten die ›Zusicherung‹ verlangen, dass überstellte Verdächtige nicht gefoltert würden. Aber solange Suleiman Chef des Geheimdienstes war, wurden solche Zusicherungen als praktisch nichtig angesehen. Der frühere CIA-Offizier Michael Scheuer, der am Aufbau des Überstellungsprogramms mitbeteiligt war, erklärte später vor dem Kongress, selbst wenn solche ›Zusicherungen‹ mit unauslöschlicher Tinte geschrieben worden wären, ›waren sie nicht mehr wert als ein Haufen Dreck‹.« 3  Schon 2004 hielten Human Rights Watch und ägyptische Menschenrechtsgruppen fest, dass in den Gefängnissen, auf den Polizeiposten und beim Staatssicherheitdienst systematisch gefoltert wird. Sie warfen den Behörden u.a. unmenschliche Methoden bei der Verfolgung von Homosexuellen sowie Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen den Irakkrieg vor 4.
 
»Ginge es nach dem Willen Washingtons«, meinte die Junge Welt, dann »würde Suleiman fortan die Geschicke des Landes lenken.« 3
 
Militärhilfe
Wie hinlänglich bekannt, hat die USA Ägypten - seit langem ihr drittgrösster Militärhilfeempfänger - jährlich 1,5 Milliarden $ an Militärhilfe gewährt, um die Generäle bei der Stange zu halten; niemand erhielt von Amerika bislang mehr Auslandshilfe als Ägypten und Israel, wobei das meiste Geld dem Militär zugute kommt - und damit der amerikanischen Rüstungsindustrie. Im Falle Ägyptens kamen rund 700 Millionen $ Wirtschaftshilfe hinzu -  geheime Zahlungen der CIA, immerhin war Sadat von 1952 an ein Aktivposten der CIA, sowie riesige Mengen an billigem Weizen nicht eingerechnet. Die Militärhilfe will Obama jetzt endlich einstellen, bezeichnete das Land jedoch noch immer als einen wichtigen Verbündeten. »Die ägyptische Aussenpolitik hat sich in den letzten 30 Jahren darauf beschränkt, eine der tragenden Säulen der Pax americana im Nahen Osten zu sein«, schreibt Maurus Reinkowski, Prof. für Islamwissenschaft an der Universität Basel 5, eine Bezeichnung, die für meine Begriffe mitnichten ausdrückt, was dies beinhaltet. Denn für die Aufrechterhaltung dieser speziellen Art von amerikanischem Frieden besitzt Mubaraks Ägypten, der Eckstein des nahöstlichen Reichs der Vereinigten Staaten von Amerika, 469.000 Mann starke bewaffnete Streitkräfte, 397.000 Mann einer paramilitärischen Polizei und eine brutale Geheimpolizei, die das Regime an der Macht halten und bislang jeden Widerstand erstickt haben. Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken, warf der Bundesregierung vor, die Regimes in Ägypten, Tunesien und anderen Ländern jahrzehntelang »gehegt und gepflegt« zu haben, womit die Bundesrepublik selbstredend nicht alleine steht. So habe Deutschland seit dem Jahr 2000 Rüstungsexporte nach Ägypten im Wert von über 270 Millionen € genehmigt. »Wer Waffen an Diktatoren liefert, macht sich an Unterdrückung, Zensur und Menschenrechtsverletzungen mitschuldig«, erklärte van Aken, was allerdings schon unzählige Male ohne irgendeine Wirkung, schon gar nicht bei der UNO, ausgesprochen wurde. Von daher gesehen ist es nicht einmal sicher, ob der Forderung,  Rüstungsexporte nach Ägypten zu stoppen, Rechnung getragen wird. Im übrigen erfreut sich der ägyptische Geheimdienst, dessen zügellose Brutalität berüchtigt ist, einer engen Zusammenarbeit mit deutschen Partnerdiensten. Zahlreiche der technischen Repressionsmittel, wie sie in Tunesien eingesetzt wurden, stammen aus der Bundesrepublik. Die Bundeswehr unterhält ausserdem ein Kooperationsprogramm mit dem ägyptischen Militär; zuletzt besuchte eine Delegation ägyptischer Soldaten im Herbst 2010 die Schule für Feldjäger und Stabsdienst der deutschen Armee. Die deutsche Kooperation mit den Repressionsapparaten Ägyptens ist erprobt; sie galt stets als verlässliches Mittel, um an der Seite der USA die westliche Hegemonie über die nah- und mittelöstlichen Ressourcengebiete zu bewahren. Allein in den Jahren 1985 bis 1995 gewährte Bonn der Polizei Ägyptens Unterstützung mit Material und Training im Wert von mehr als 1 Million €, obwohl die ägyptische Polizei bereits damals für ihre Folterpraktiken bekannt war 6. Es ist ausgeschlossen, dass diese Fakten der Mehrheit der Abgeordneten nicht bekannt waren resp. sind. Auch Ruprecht Polenz, führender Vertreter der CDU, erklärte, dass die Europäer »im Nahen Osten viel zu lang auf Despoten gesetzt hätten« und die Linkspartei-Vorsitzende Gesine Lötzsch machte den Westen für dessen Regime mitverantwortlich. Das Wohlwollen  Mubaraks sei von den Industrieländern mit finanziellen Mitteln erkauft worden, um den Zugang zu den Ölvorkommen in der Region nicht zu gefährden. Sie forderte die EU und insbesondere Deutschland auf, »ihre Doppelmoral gegenüber arabischen Staaten aufzugeben.« 7. Auch das sind Fakten, die den Regierenden seit Jahren bekannt sein müssen und die meilenweit von den eifrig propagierten Werten der EU entfernt sind. »Der Preis für die Stützung korrupter Folterregimes von Marokko bis Saudi-Arabien«, führt Arnold Schölzel aus, »war das ökonomische Zurückbleiben der Bevölkerungsmehrheit, war vor allem die Perspektivenlosigkeit für die Jüngeren in diesen Ländern, die jetzt die Vorhut des Protestes stellen.« 8   
 
Der Plan zur Abwehr des Aufstands                                                    
Wie der ägyptische Schriftsteller Alaa al-Aswani in einem mit der Weltwoche 9 geführten Interview darlegt, geht aus einem kurz nach Ausbruch der Revolution verfassten und das Siegel des Innenministers tragenden Dokument, das die ägyptische Presse veröffentlichte, hervor, dass detailliert festgelegt wurde, wie sich die Polizei während der Demonstrationen zu verhalten habe. Dieser Schlachtplan, für den der zweifellos auf Befehl Mubaraks handelnde Innenminister verantwortlich zeichnet, wurde auch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 10 aufgedeckt. Zwar erging zunächst die Anweisung, nicht gegen die  Demonstranten vorzugehen und das Feuer gegen sie nicht zu eröffnen, doch sollte die Polizei die Manifestation dann mit allen Mitteln zurückschlagen: Durch »Niederknüppeln, Verhaftung, Folter, bis hin zum Mord an Demonstranten«. Danach sollten Polizei und Staatssicherheit von der Bildfläche verschwinden und sich von allen staatlichen Gebäuden, Unternehmen und Organisationen zurückzuziehen, was am Abend des Tags des Zorns, der ersten Grosskundgebung am 28. 1., auch eintrat. Danach war Ägypten fast drei Tage lang ohne Gesetzeshüter. Vorgesehen war darüber hinaus, dass die Polizei und alle Offiziere ihre Uniformen auszuziehen und sich unter die Demonstranten zu mischen hätten, wo sie ihre Identität verborgen halten und auf weitere Instruktionen warten sollten. Der dritte Schritt plante die Entlassung von Häftlingen aus den Gefängnissen durch die Geheimpolizei. Diesen sollten dann Waffen und Geld überlassen werden, damit sie Bürger in ihren Häusern bedrohen und ausrauben würden, was wiederum dazu führen sollte, dass die Demonstranten nach Hause zurückkehren, um ihre Familien zu beschützen. Schliesslich sollten in den Medien Gerüchte gestreut werden, dass Gruppen von Demonstranten Einbrüche begingen und zu plündern begonnen hätten. »So sollte das Nationalfernsehen Frauen zeigen, die vor der Kamera weinend von Angriffen auf sie und ihre Kinder berichteten, um Angst und Panik im Volk zu verbreiten. Ziel der Strategie war zweifellos, dass sich das Volk nach Mubaraks harter Hand zurücksehnen sollte.« So bestand auch die Anweisung, »herumlungernde Gangster« anzuheuern, sie ordentlich zu entlohnen und sie zu instruieren, dass sie von nun an Befehle erhielten, was sie wann zu tun hätten. Ein Zeitplan sei ihnen vorzugeben, wie sie Schritt für Schritt Chaos erzeugen sollten. Wie die FAZ ausführt, enthält der Plan auch die Mitteilung über die Abschaltung des Internets am 28. Januar ab 6 Uhr morgens, so dass jeder Offizier dafür zu sorgen hatte, dass sein Satellitentelefon funktionierte [die ägyptische Regierung liess in der Nacht zum 28. 1. 11 praktisch alle Verbindungen ins Ausland kappen]. Von 16 Uhr an sollte der Anschein erweckt werden, dass die Polizei die Kontrolle über die Demonstrationen verliere.  
 
Was die Pro-Mubarak Demonstranten betrifft, die den Tahir-Platz gestürmt hatten, so bezeichneten sich diese als Speerspitze der schweigenden Mehrheit. Sie waren jedoch, wie al-Aswani erklärt, Günstlinge des Regimes, die um ihre Zukunft fürchten. »Es handelte sich dabei um eine Konterrevolution: Teile des Sicherheitsapparats organisierten die Angriffe, korrupte Geschäftsleute finanzierten sie. In den Taschen mehrerer Angreifer hat man Polizeiausweise gefunden. Sie wurden als Mitglieder der Geheimpolizei identifiziert: regierungstreue Schläger, die die Revolution ersticken sollten. So hatten Augenzeugen berichtet, dass Männer der Central Security Forces (Riot Police) an verschiedenen Orten in Kairo Benzin über Autos schütteten und sie dann anzündeten. Auch Geschäfte wurden anzuzünden versucht. In der Champollion Strasse (Downtown-Cairo) wurden Polizisten beobachtet, wie sie Holzknüppel, Nägel und Metallstangen in Kleinbusse luden, als Waffen für die Baltaguiya, kriminelle Banden, die von der Polizei benutzt werden, um gegen Demonstranten vorzugehen 11. Die Demonstranten verhielten sich durchwegs friedlich, sie wurden vom Mubarak-Mob zu Hunderten verletzt, einige sogar getötet. Soldaten auf dem Tahir-Platz liessen die Pro-Mubarak-Aggressoren passieren und liessen sie sogar Molotowcocktails und Steine auf den Platz tragen. Statt Tausende von friedlichen Demonstranten zu beschützen, begünstigten sie mit ihrer passiven Haltung blutige Ausschreitungen, was, wie al-Aswani erklärt, ihrem bisherigen Verhalten, sich als Garant für Stabilität und Sicherheit nicht gegen das Volk zu wenden, widerspricht; denn 1977 und 1985 kämpfte die Armee auf der Strasse, um Aufstände zu beruhigen: beide Male jedoch schoss sie nicht auf Menschen. Hinsichtlich der immer wieder als Gefahr bezeichneten Muslimbrüder erklärt al-Aswani, »dass deren Bedeutung im Ausland überschätzt wird. Das Schreckgespenst wurde von der Diktatur gezielt kultiviert. So reduzierten Mubarak und seine Kamarilla die Zukunft Ägyptens auf die Wahl: entweder die straff und repressiv agierende Diktatur oder ein islamischer Gottesstaat. Die Muslimbrüder existieren seit 1928; sie sind weder bereit, noch imstande, das Land zu regieren. Sie zählen maximal 400 000 Anhänger von total 83 Millionen Ägyptern. Bei offenen Wahlen werden sie im Maximum 15 bis 20 % der Stimmen erhalten.«
 
Stellungnahmen
Diverse Stellungnahmen wären besser unterblieben, da man ihnen schwerlich eine  Glaubwürdigkeit zubilligen kann. So appellierte US-Aussenministerin Hillary Clinton an die ägyptischen Behörden, die Rechte der ägyptischen Bürger zu respektieren, wohl wissend, dass die US-Militär- und Wirtschaftshilfe bislang eine geradezu unerlässliche Stütze dieses repressiven Regimes bildete. Präsident Obama liess sich tatsächlich wie folgt vernehmen: »Es ist ausgesprochen wichtig, dass die Menschen über die Möglichkeit verfügen, berechtigte Beschwerden zu äussern.« Beschwerden? Seit wann handelt es sich bei miserablen Lebenskonditionen mit explodierenden Lebensmittelpreisen und einer nicht zu übersehenden wirtschaftlichen Misere um Beschwerden? Wer wollte eine Wortwahl dieser Art nicht in die Gefilde der Heuchelei verweisen. Der Arab Human Development Report von 2005, der die Zeitspanne 2002/2005 umfasst, stellte bereits damals fest, dass Ägypten auf den Zustand vor 1952, dem Jahr der antimonarchistischen Revolution der Freien Offiziere, zurückgefallen ist.  1 % der Familien kontrolliert praktisch das ganze Land, was zunehmende soziale Unruhen auslöst. Seit langem leiden die Ägypter unter einer kafkaesken Bürokratie und einer Alltagskorruption, die einen Grossteil ihrer Löhne verschlingt, desgleichen unter Schikanen des Regimes, die das Leben unerträglich machen. Hierzu al-Aswani : »Es gibt keinen grundlegenden Unterschied in der Ägyptenpolitik von Bush und Obama. Obama spricht wunderschöne Worte über Freiheit und Demokratie. Geht es jedoch, darum diesen Worten Taten folgen zu lassen, versagt er.«
 
Ungeachtet der Aufstände in Tunesien und in Ägypten sowie der Anzeichen, dass sich daraus ein revolutionärer Flächenbrand entwickeln könnte, schien es der deutschen Bundeskanzlerin ein Anliegen zu sein, den Iran ins Spiel zu bringen. Merkel schloss angesichts der Bedrohung Israels durch den Iran weitere Sanktionen gegen das Regime in Teheran nicht aus. »Die Bedrohung durch den Iran ist vorhanden«, sagte sie am 1. 2. 11 vor einem Treffen mit dem israelischen Präsidenten Shimon Peres in Jerusalem und erklärte, »dass der Iran durch seine aggressive Politik Frieden und Sicherheit in Israel und im gesamten Nahen Osten gefährde.« Wenn sich der Iran Verhandlungen über sein Nuklearprogramm weiterhin verschliesse, seien schärfere Sanktionen unumgänglich, ergänzte sie in einer Rede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Tel Aviv. »Diese seien aber nur unter Einbeziehung von Russland und China sinnvoll.« 12   Das lässt sich leider nicht so einfach herbeiwünschen, Frau Merkel, und das ist gut so, denn die Sanktionen treffen nicht nur das iranische Volk, sondern seit langem auch die eigenen Unternehmen und Banken. Nun ist die Bundeskanzlerin von Obama soeben mit der höchsten zivilen Auszeichnung der Vereinigten Staaten, der Medal of Freedom, geehrt worden. Diese wird, wie es heisst, »Menschen verliehen, die einen besonderen Beitrag im nationalen Interesse der USA oder für den Weltfrieden geleistet haben.« 13 Wie sich eine solche Auszeichnung mit der Forderung nach Verhängung noch schärferer Sanktionen gegen ein Land verträgt, das nachweislich ständigen Angriffen unterliegt, jedoch bislang selbst keiner offenen Aggression gegen die umliegenden Länder beschuldigt werden kann, bleibt für jeden in  normalen Bahnen Denkenden ein Rätsel, es sei denn, man betrachte die Sanktionsforderung als im Interesse der USA ausgesprochen. Bereits Ende Januar 2010 hatte Merkel angekündigt, dass der Iran sehr bald mit verschärften Sanktionen der Weltgemeinschaft zu rechnen habe. »….. auch ohne UNO-Mandat sei Deutschland bereit, zusammen mit einer Gruppe williger Länder den Handel mit dem Iran strenger zu verbieten«, sagte sie und forderte den Iran auf, sein Atomprogramm vollständig offenzulegen . ……. Zehn Tage zuvor hatte sich die Bundeskanzlerin im Beisein des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Berlin fest entschlossen gezeigt, auch ohne Einigkeit im Weltsicherheitsrat gegen den Iran den Weg der Sanktionen zu gehen14 Auch weitere Aussagen Merkels lassen sich kaum als den Weltfrieden fördernd betrachten: So erklärte sie Anfang Juli 2009 bei der Verleihung der ersten Ehrenkreuze der Bundeswehr, Auslandsinterventionen Berlins stünden »noch viele Jahre durch das 21. Jahrhundert« auf der Tagesordnung. »Den nationalen Sicherheitsinteressen weit entfernt von der Heimat zu dienen, ist eine Aufgabe (...), die uns noch viele Jahre durch das 21. Jahrhundert begleiten wird.«  15 Sie begrüsste Anfang Dezember 2009 ferner die Ankündigung des US-Präsidenten, den Krieg in Afghanistan mit einer massiven Militäroffensive und der Entsendung von 30.000 zusätzlichen Soldaten zu verschärfen 16. Ob Friedensnobelpreis oder Medal of Freedom, es bleibt die Frage, ob sie ihrer ursprünglichen Funktion noch gerecht werden.
 
Fluchtgelder
Während mehr als 30 Millionen Ägypter mit weniger als dem Existenzminimum auskommen müssen, allein die Schweiz in den letzten 30 Jahren 330 Millionen $ für ägyptische Entwicklungsprojekte aufgewendet hat, der Schuldenberg Ägyptens auf 139 Milliarden $ angewachsen ist, was 73,8 % des BIP entspricht [Stand März 2010], und die Inflation von 13,2 % zu einer kontinuierlichen Entwertung der Löhne führt, erweisen sich die ausgewanderten Gelder des Mubarak-Clans als Milliardenvermögen. Die Summen variieren, jedoch dürften 40 Milliarden nicht zu hoch gegriffen sein. Die Mubaraks besitzen Bankkonten und Immobilien in der halben Welt, so zum Beispiel in London, Frankfurt, Paris, Madrid und Dubai. Das Geld dürfte aus Kommissionen von Waffengeschäften, aus fragwürdigen Immobiliendeals in Kairo sowie aus dem Tourismus in den Topdestinationen Hurghada und Sharm el-Sheik stammen, wie das Nachrichtenportal JP News berichtet. So habe der Mubarak-Clan auch ein Geschäftsmodell installiert, bei dem Grossunternehmen jedes Jahr die Hälfte ihres Gewinns abliefern müssen. Betroffen sind auch internationale Firmen wie Marlboro, McDonalds, Vodafone, Skoda und Mövenpick, die Niederlassungen in Ägypten haben 17. Dennoch ist kaum zu erwarten, dass bei der sogenannten Finanzhilfe, wie sie von Seiten der EU erfolgt oder von der Internationalen Gemeinschaft eingefordert wird, zunächst auf die Bankkonten Mubaraks zurückgegriffen wird; wie seit langem üblich werden auch hier zuerst die Steuergelder der ihrerseits hoch verschuldeten EU-Bürger zum Einsatz kommen.
 
»Die Unterstützung eines Regimes«, führt J. Augstein im Spiegel aus 18, »das seit bald 30 Jahren mit Notstandsgesetzen regiert, das ungerührt eine Wahl nach der anderen fälschen lässt und dessen für Folter und Verfolgung berüchtigte Polizei für die schmutzigste Unterdrückungsarbeit auf organisierte Kriminelle zurückgreift, war illegitim. Die Sicherheit Israels, die freie Passage durch den Suez-Kanal und die Eindämmung des Islamismus - das Mubarak-Regime leistete dem Westen wertvolle Dienste. Es ist kein Jahr her, dass der deutsche Aussenminister das verbrecherische Mubarak-Regime für seine »langjährige politische Kontinuität« lobte und Ägypten einen »Stabilitätsanker in der Region« nannte. Der stärkste Verbündete des militanten Islamismus war immer die Verlogenheit des Westens.« 
 
»Ägypten«, schreibt Eric Margolis 19, »war einst Herz und Seele der arabischen und muslimischen Welt. Unter Sadats Vorgänger, dem weithin verehrten Nationalisten Gamal Abdel Nasser, führte Ägypten die arabische Welt an. Die Ägypter verachteten Sadat als korrupten Speichellecker des Westens und akzeptierten Mubarak mürrisch. Kairo ist auch ein überfülltes Irrenhaus mit 8 Millionen Menschen, deren Zahl sich verdreifacht hat, seit ich als Bub dort gelebt habe. Wenn man Nordafrika nicht einrechnet, ist einer von drei Arabern ein Ägypter. Während Washington wegen der Menschrechte gegen den Iran und China wettert, sagt es gar nichts über seinen Klienten Ägypten, wo alle Wahlen gefälscht sind, Gegner des Regimes brutal gefoltert werden und die politische Opposition liquidiert wird.«
  
 
 
1 http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1683
Wie man Diktator und Opposition gleichzeitig unterstützt
2 Basler Zeitung Nr. 233  6. 10. 01  20 Jahre Mubarak - 20 Jahre Doppelspiel mit den Islamisten
3 http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/redaktion/die-rolle-der-cia-in-aegypten-wer-ist-omar-suleiman-.html   31. 1. 11  Die Rolle der CIA in Ägypten:  Wer ist Omar Suleiman?
4 Neue Zürcher Zeitung Nr. 52 vom 3. 3. 04
5  Basler Zeitung Nr. 37 vom 14. 2. 11 Mubarak und das Tal der Pharaonen
6 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57999   3. 2. 11  
Einflusskampf am Nil
7 http://www.jungewelt.de/2011/02-04/064.php  EU hätschelt Diktatoren
8 http://www.jungewelt.de/2011/01-31/048.php  Waffenbrüder - Berlin und EU zu Ägypten - Von Arnold Schölzel
9 Weltwoche Nr. 6 vom 10.2. 11 Interview Urs Gehriger mit Dr. Alaa al-Aswani Schriftsteller und Zahnarzt
10 F.A.Z. Nr. 30 vom 5.02.2011 / Seite 5 - Der Schlachtplan des Innenministers gegen die Demonstranten
11 http://www.inamo.de/index.php/aegypten-beitrag-lesen/items/kairo-provokateure-am-werk.html   29. 1. 11 Kairo: Provokateure am Werk
12  Badische Zeitung vom 1. 2. 2011
13 Basler Zeitung Nr. 39 vom 17. 2. 11
14 FAZ Nr. 22 vom 27. 1. 2010 / Seite 4
15  http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57622   vom 22. 9. 09
16http://www.hintergrund.de/20080209173/kurzmeldungen/kurzmeldungen/kurzmeldungen.html#555  2. 12. 09 
17 http://bazonline.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/MubarakClan-ist-mehr-als-40-Milliarden-Dollar-schwer/story/11721193   1. 2. 11
18 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,743164,00.html   3. 2. 11  S.P.O.N. - Im Zweifel links - Das Ende der westlichen Glaubwürdigkeit - Von Jakob Augstein
19http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=26042010ArtikelPolitikAK1   26. 4. 10 Die Zeitbombe Ägypten tickt - Von Eric Margolis
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von www.antikrieg.com
Siehe auch
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=1464   20. 3. 10
Ägypten vor riesigen wirtschaftlichen Problemen