Zur Volksabstimmung im Sudan

Erste Ergebnisse des Referendums deuten auf eine überwältigende Mehrheit für die Loslösung des Südens hin. Den von den Wahlbehörden

veröffentlichten Auszählungen in zehn Wahllokalen der Stadt Juba zufolge lag die Beteiligung dort bei 95 %. Von den 30'000 ausgezählten Stimmen wurden fast 96 % für die Teilung des Sudans abgegeben. Die Anzahl der Wähler, die für die Einheit des Landes aussprachen, lag bei 3 %. Insgesamt wurden 3.2 Millionen Stimmen abgegeben, so daß mit einer klaren Mehrheit für die Unabhängigkeit des Südsudans gerechnet werden kann. Der Sudan ist das größte Land Afrikas mit rund 40 Millionen Einwohnern, wovon die Hälfte jünger als 18 Jahre ist. 8 Millionen leben in der Hauptstadt Khartum. Etwa 70 % der Sudanesen sprechen Arabisch; im Südsudan ist Englisch die Hauptsprache, dazu kommen afrikanische Sprachen. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung sind Muslime, 20 - 25% Angehörige indigener Religionen und etwa 10 - 15% Christen, vornehmlich im Süden. Hierzu ein Bericht von German Foreign Policy:
 
Vom Nutzen der Sezession
Dank langjähriger Unterstützung auch aus Berlin steht der Südsudan nach dem gestarteten Abspaltungsreferendum vor der Sezession. Daran, daß eine klare Mehrheit für die Trennung von Khartum stimmen wird, besteht kein Zweifel. Damit nähert sich eine geostrategische Operation des Westens ihrem Höhepunkt, die es zum Ziel hat, die reichen Ressourcengebiete des Sudans arabischer Kontrolle zu entziehen und sie stattdessen an die westlich orientierten Staaten Ostafrikas anzubinden. Berlin hat sich mit Millionensummen aus der sogenannten Entwicklungshilfe, mit systematischer Unterstützung für den Staatsaufbau sowie mit Infrastrukturprojekten an dem Vorhaben beteiligt. Die Operation wird publikumswirksam mit der Behauptung begründet, man müsse den Bürgerkrieg im Sudan beenden. Tatsächlich droht gerade wegen der Sezession neuer Krieg. Angesichts der desolaten Versorgungslage und des repressiven Charakters des südsudanesischen Regimes warnen seriöse Beobachter nicht nur vor schweren Enttäuschungen für die Bevölkerung des Sezessionsgebiets, die sich von der Abspaltung eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse verspricht. Es drohten, heißt es, auch neue Machtkämpfe zwischen rivalisierenden Sprachgruppen im Südsudan, die weitaus mehr Todesopfer forderten als etwa der Bürgerkrieg in Darfur.
 
Krieg droht
Nach der als sicher geltenden Zustimmung der südsudanesischen Bevölkerung zur Sezession ihrer Wohngebiete vom Norden des Landes steht die Ausrufung eines neuen Staates im Südsudan bevor. Das Referendum war im Friedensabkommen zwischen der Zentralregierung und der SPLM (Sudan Peoples' Liberation Movement) beschlossen worden, das maßgeblich auf Druck der Vereinigten Staaten, Großbritanniens sowie Deutschlands Anfang 2005 unterzeichnet worden war. Es galt stets als unbezweifelbar, daß eine Mehrheit die Sezession - ein geostrategisches Ziel Washingtons und Berlin - befürworten würde. Mit massivem Druck auf Khartum will der Westen nun verhindern, daß das sudanesische Regime die Einheit des Landes militärisch zu erzwingen sucht. Dennoch droht Krieg; es gilt nicht nur als unklar, ob Khartum klein beigibt, es wird zudem mit schweren Auseinandersetzungen in der Region Abyei gerechnet, deren Bevölkerung zwischen Anhängern des Nordens und des Südens gespalten ist. Dort liegen umfangreiche Erdölvorräte, die sowohl von Khartum als auch von Juba beansprucht werden. Insgesamt wird Juba nach erfolgter Sezession bis zu 80 % der gesamten sudanesischen Erdölvorkommen kontrollieren. Es sei in der Geschichte bereits aus geringerem Anlaß Krieg geführt worden, urteilen Kommentatoren.
 
Staatsaufbau
Deutschland unterstützt die Sezession des Südsudan erkennbar seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Seit 1998 ist das Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Sachen Südsudan tätig. Seine Arbeiten umfassen nicht nur Fortbildungsprogramme für Richter und Justizangestellte, sondern auch  Gesetzgebungsberatung; sie werden, um zumindest den Schein der Neutralität nicht gänzlich fallenzulassen, nicht nur im Südsudan, sondern teilweise auch in Khartum durchgeführt. Der Entwurf für die südsudanesische Verfassung ist ebenfalls unter Anleitung aus Heidelberg erstellt worden. Für den Aufbau der Polizei im Sezessionsgebiet hat das Auswärtige Amt 2,8 Millionen € bereitgestellt; die Joint Integrated Police Unit in Abyei wurde mit zusätzlichen 550.000 € finanziert. Beide Projekte werden von der Entwicklungsagentur giz (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) realisiert, die außerdem seit 2007 ein 10jähriges Programm zur Unterstützung des Staatsaufbaus in Juba umsetzt. Die giz ist darüber hinaus mit der Arbeit an einem Konzept zur Gründung eines Nachrichtenmagazins für den Südsudan befaßt und hat die Fortbildung südsudanesischer Radiojournalisten organisiert - in Kooperation mit der regierungsfinanzierten Deutschen Welle. Laut Auskunft des Auswärtigen Amts hat Juba seit 2005 mehr als 50 Millionen Euro an sogenannter Entwicklungshilfe erhalten.
 
Entmachtung der Araber
Deutsche Aktivitäten zielen auch auf die Lösung eines der schwierigsten Probleme des Südsudans: auf die Schaffung von Infrastruktur, die die Trennung vom Norden erst ermöglicht. Bisher war die Infrastruktur des Südsudans vor allem auf die nördliche Landeshälfte orientiert; die Pipelines etwa, die das Erdöl abtransportieren, verlaufen bis heute durch von Khartum kontrolliertes Gebiet. Dies erschwert es dem Süden, sich vom Norden zu trennen. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit hatte bereits vor Jahren damit begonnen, zunächst einmal Straßen aus dem Südsudan in das südlich angrenzende Uganda zu bauen; damit wird eine neue Ausrichtung des Sezessionsgebietes gefördert. Deutsche Unternehmer sind schon seit 2003 mit Plänen befaßt, eine Eisenbahnverbindung an die kenianische Küste zu errichten, um eine Alternative zum Erdöltransport via Nordsudan zu schaffen. Nach dem Scheitern eines kleinen deutschen Unternehmens (Thormählen Schweißtechnik) hat sich mittlerweile ThyssenKrupp GfT Gleistechnik des Vorhabens angenommen. Die Infrastrukturprojekte verdeutlichen plastisch, daß der Südsudan mit seinen Erdölressourcen der Kontrolle des arabischen Nordens entzogen und stattdessen an die prowestlich orientierten englischsprachigen Staaten Ostafrikas angeschlossen werden soll. Diese geostrategische Operation ist das eigentliche Ziel der westlichen Sezessionsunterstützung.
 
Kampfpanzer übersehen
Die Kooperation mit den Staaten Ostafrikas verläuft dabei zwar keineswegs problemfrei, aber in den zentralen Bereichen zufriedenstellend. Dies bestätigen einige von WikiLeaks veröffentlichte Dokumente. Schon lange ist bekannt, daß 32 Panzer, die somalische Piraten auf einem 2008 von ihnen gekaperten Frachtschiff vorfanden, via Mombasa in den Südsudan geliefert werden sollten. Sie waren in der Ukraine eingeschifft worden; den Kaufvertrag hatte die vom Westen unterstützte Regierung Juschtschenko kurz nach ihrem Amtsantritt geschlossen. Neue WikiLeaks-Dokumente bestätigen jetzt, was Experten bereits zuvor berichtet hatten: Daß der Südsudan systematisch und mit Unterstützung des Westens gegen Khartum aufgerüstet wird - Kampfpanzer inklusive. Logistische Hilfe leistet Kenia, über dessen Territorium die Transporte abgewickelt werden. Hilfe leistet auch die Bundeswehr, die im Rahmen der United Nations Mission in Sudan, UNMIS, zwar die Einhaltung des Waffenstillstands im Südsudan überwachen soll, dabei jedoch die Aufrüstung des Sezessionsregimes mit einer dreistelligen Zahl an Kampfpanzern und weiterem ähnlich unauffälligen Kriegsgerät seit Jahren erfolgreich übersieht.
 
Menschenrechte
Während Berlin die geostrategisch motivierte Sezessionsunterstützung publikumswirksam mit der Behauptung begründet, man wolle die Menschenrechte schützen, berichten Beobachter schon jetzt von schweren Menschenrechtsverletzungen im Südsudan ganz ohne Zutun Khartums. Schon 2009 hieß es in einem Bericht von Human Rights Watch, die Regierung in Juba schreite nicht ernsthaft gegen Verbrechen ihrer Repressionskräfte ein; diese würden etwa für Einschüchterung, Raub und Vergewaltigungen oft nicht bestraft. Amnesty International berichtete unlängst von staatlichen Willkürmaßnahmen gegen kritische Journalisten, die das südsudanesische Regime nach Berichten über Oppositionelle ohne jegliche Rechtsgrundlage inhaftierte. Auch häufen sich Beschwerden, das SPLM-Regime in Juba bevorzuge die Bevölkerungsgruppe der Dinka und schüre damit neuen Ethno-Streit. Dieser wird im Südsudan bis heute auf blutigste Weise ausgetragen. Allein im ersten Halbjahr 2010 zählten die Vereinten Nationen mindestens 700 Tote und 150.000 Flüchtlinge nach Kämpfen, die zwischen unterschiedlichen Sprachgruppen im Südsudan ausgetragen wurden. Seriöse Beobachter weisen immer wieder darauf hin, daß in inner-südsudanesischen Kämpfen weitaus mehr Menschen massakriert werden als etwa in Darfur. Zusätzlich nimmt der Westen mit seiner Sezessionsbeihilfe ein mögliches neues Aufflammen des Nord-Süd-Krieges etwa in Abyei bewußt in Kauf: Die Debatte, ob eine EU Battle Group gegebenenfalls in das umstrittene Gebiet entsandt werden soll, hat längst begonnen und belegt, daß in Brüssel über die eventuellen Folgen der Sezession keinerlei Zweifel herrscht. Frieden und Menschenrechte werden auch im Sudan vom Westen zwar propagandistisch bemüht, real jedoch der Durchsetzung eigener Interessen - in diesem Falle einer geostrategischen Operation - bedenkenlos untergeordnet
 
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57979   Eigener Bericht vom 10. 1. 2011