Skandalöse Mehlzoll-Senkung durch das EVD unmittelbar vor der Getreideernte -Bundespräsidentin Leuthard und das BLW wollen keine einheimische Landwirtschaft mehr -Von Ernst Schibli

Die Beteuerungen des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes und des BLW, wie bedeutungsvoll eine qualitativ hochwertige einheimische Nahrungsmittelproduktion

und -versorgung seien, sind nach der unverständlichen und völlig deplazierten Mehlzoll-Senkung auf den 1. Juli 2010 endgültig Geschichte. Die Bauernfamilien müssen zur Kenntnis nehmen, dass schönen Worten und Versprechungen aus dem EVD völlig widersprüchliche und skandalöse Taten folgen. Mit allen Mitteln wird daran gearbeitet, die Strukturen der schweizerischen Nahrungsmittelproduktion und der Verarbeitungsbranche zu schwächen und damit ihre Existenzberechtigung in Frage zu stellen. Dabei zeigen die schnell wachsende Weltbevölkerung, der Hunger vieler Menschen, die steigende Verknappung der Lebensmittel, oder die Umweltanliegen, dass die Sicherung der Eigenständigkeit und der Selbstbestimmung, d.h. die Ernährungssicherheit vor Ort einen zentraler Eckpfeiler darstellt. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel hat die unangekündigte und völlig unbegründete Mehlzoll-Senkung des Eidg. Volkswirtschaftsdepartementes bei den Getreideproduzenten und der Getreideverarbeitungsbranche eingeschlagen. Mit dieser Massnahme haben die Volkswirtschaftsministerin und die Verwaltung die Richtpreisverhandlungen jäh gestoppt und die Verhandlungen zum Abbruch und Scheitern gebracht. Die Getreidepreise werden deshalb unnötig stark unter Druck geraten und damit sind die Getreideproduzenten einmal mehr die Leidtragenden einer unverständlichen Massnahme. Damit ein solch diktatorisches Vorgehen überhaupt möglich wurde, musste das EVD die Bestimmungen über die Getreide- und Mehlpolitik, die früher immer dem Gesamtbundesrat unterstanden, auf Verordnungsstufe herabsetzen. Gegen diesen Schildbürgerstreich und die damit verbundene Kompetenzverschiebung scheint niemand interveniert zu haben. Darum konnte jetzt im EVD eigenmächtig entschieden werden.
 
Die Ernährungssicherheit ist ein zentraler Eckpfeiler für ein eigenständiges Land; sie ist nicht nur in Zeiten von geschlossenen Grenzen und gestörten Zufuhren von Bedeutung, sondern muss in Friedenszeiten ihre Aufgabe vorbereiten und die Bereitschaft beweisen können. Die Globalisierung, der internationale Handel und Bündnisse jeglicher Art gewährleisten keine sichere und ausreichende Nahrungsmittelversorgung. Exportrestriktionen sind jederzeit möglich und können auch die Schweiz bei unausreichenden eigenen Ressourcen massiv treffen. Die Weltwirtschafts- und Finanzkrise haben uns ohne Wenn und Aber vor Augen geführt, dass die globalisierte Abhängigkeit mehr Schaden als Nutzen mit sich bringt. Auf Grund der Tatsache, dass die Schweiz einen Selbstversorgungsgrad von nur rund 50 Prozent hat und die weltweit grösste Nahrungsmittelimporteurin pro Einwohner/Jahr (Fr. 600.–) ist, sind bei uns spezielle Vorkehrungen für die Versorgung der Bevölkerung zu treffen. Die einheimische Landwirtschaft und die Verarbeitungsbetriebe bilden mit ihren soliden Infrastrukturen sicher eine ausgezeichnete Grundlage, um die Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln zu versorgen. Zudem hält auch Artikel 104 der Bundesverfassung die nötigen Pflichten und Leistungen der Landwirtschaft zu Gunsten unseres Landes und der Bevölkerung fest. Die Bauernfamilien und die Verarbeiter sind wichtige Bestandteile der Versorgungskette im einheimischen Markt. Im Interesse der Zukunft unserer Schweiz, der Eigenständigkeit unseres Landes, der Vorbildfunktion eines kleinen Landes mit direktdemokratischen Strukturen und der weltweit geschätzten guten Dienste und humanitärer Hilfe sind zentrale Eckpfeiler unseres Staatssystems zu erhalten und zu fördern.
 
Das EVD ist im Agrarbereich völlig von der Rolle
Weil Nahrungsmittel in genügender Menge bei uns eine Selbstverständlichkeit sind und der Wohlstand eine weit überdurchschnittliche Lebensqualität ermöglicht, entfernt sich die Agrarpolitik unserer Volkswirtschaftsministerin immer mehr von der Realität und der Vernunft. Die aus motivierten Bauernfamilien und Verarbeitern, qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln und strengen Produktions- und Tierschutzvorschriften bestehende Qualitätsstrategie, soll Zug um Zug nach unten, dem unrühmlichen internationalen Standard angepasst werden. Leider dienen heute neue Vorschriften in den meisten Fällen dazu, die inländische Produktion zu drosseln, die Produzentenpreise zu senken und den Naturschutz zu forcieren. Daraus resultiert ein noch grösserer Import von Nahrungsmitteln, von denen wir nicht wissen, wie sie produziert worden sind.
 
Auf Grund unseres tiefen Selbstversorgungsgrades leistet die Landwirtschaft seit Jahrzehnten einen massgeblichen Beitrag für gute Exportbedingungen unserer Wirtschaft. Es ist deshalb völlig falsch, die Ernährungssicherheit, die Eigenständigkeit und den volkswirtschaftlichen Frieden mit einer verfehlten und verfassungswidrigen Agrarpolitik aufs Spiel zu setzen. Das EVD wäre gut beraten, seinen Weg in der Agrarpolitik grundsätzlich zu überdenken, die nötigen Konsequenzen zu ziehen und die Bedürfnisse unseres Landes wieder in den Mittelpunkt der Aktivitäten zu stellen. Politischer Druck und Vorstösse sind unumgänglich. Vorkommnisse wie die Mehlzoll-Senkung müssen bekämpft und auch wieder rückgängig gemacht werden. Die Politiker aller Parteien sind dabei gefordert und haben dazu die Verantwortung zu übernehmen. Das »politische Sommerloch« und die Herbstsession im September bieten sich dafür geradezu an. Es ist zu hoffen, dass solche Fehltritte seitens des EVD in Zukunft unterbleiben.

Eine sichere, qualitativ hochwertige inländische Nahrungsmittelversorgung ist eine Grundvoraussetzung für eine eigenständige und souveräne Zukunft unseres Landes.
 
Anmerkung d.a. Die Folgen der Aufgabe einer eigenständigen Landwirtschaft treten erst dann grell zutage, wenn die Lieferländer von Krieg überzogen werden, dort eine das Land lahmlegende Revolution ausbricht und Energiekrisen oder Streiks, wie jetzt in Griechenland, die Transporte zu Luft und zu Lande zum Erliegen bringen…… Was empfehlen uns die obengenannten Verantwortlichen dann?
 
 
Quelle: Der Zürcher Bote Nr. 29/30 vom 23. Juli 2010
Ernst Schibli ist Nationalrat der SVP in Otelfingen