Bolivien - Versuchter Staatsstreich

Der Auftritt von Evo Morales vor der UNO am 23. 9. 05 in New York war mit Spannung erwartet worden [1]. Und in der Tat übte Boliviens Präsident vor der 63. Vollversammlung der Vereinten Nationen offene Kritik an Washington. »Die USA hat die terroristischen Handlungen nicht verurteilt«, meinte er, wobei er sich auf den »Versuch eines Staatsstreichs«, der die Tieflandregionen Boliviens Anfang September an den Rand eines Bürgerkrieges getrieben hatte, bezog.

In diesen drei Wochen, in deren Verlauf mindestens 19 Menschen getötet wurden, war es immer wieder zu Übergriffen von bewaffneten Trupps auf Regierungsanhänger gekommen. Mitschuldig, so Morales, sei der Neoliberalismus, nicht nur in Bolivien: »Es wird keinen Frieden im Kapitalismus geben«. Dank der 2008 gegründeten »Union Südamerikanischer Nationen«, UNASUR, und deren Solidarität mit Bolivien war dieser Versuch eines zivilen Staatsstreichs, in den die USA - kaum überraschend - direkt verwickelt war, gescheitert. Dessen Hergang hat Karl Weiss von der Berliner Umschau recht anschaulich geschildert 2: Der einschlägig bekannte US-Botschafter in Bolivien, Philip Goldberg, war schon für die US-Regierung im Kosovo tätig gewesen und hatte dort auf serbischer und albanischer Seite die Gemüter gegen den scheinbaren Gegner zur Wallung gebracht: Die Serben bzw. die Albaner. Goldberg ist ein berufsmässiger Aufwiegler. Er war die Geheimwaffe, die aus der USA nach Bolivien geschickt wurde, um die dortige staatliche Integrität zur Auflösung zu bringen, nachdem der neugewählte Präsident Evo Morales das Wort »Sozialismus« in den Mund genommen hatte. Gezielt hatte Goldberg den Gouverneuren der Tiefland-Staaten im Osten Boliviens, in denen das begehrte Erdgas gefunden wurde, die Unterstützung der USA in ihrem »natürlichen« Bestreben zugesichert, sich von den überwiegend aus Indio-Nachfahren bewohnten Hochland-Staaten Boliviens abzuspalten und die »Tiefland-Union« zu gründen. Wenn ein Staat gespalten werden muß: Goldmann ist Fachmann. Er traf sich im Wochenrhythmus mit den Gouverneuren und auch mit Bürgermeistern aus dem zu bildenden neuen Staat, und ließ eine Menge Geld springen, um sogenannte »Milizen« aufzubauen, die hauptamtlich nichts anderes machen, als die Bevölkerung, soweit sie nicht abspaltungswillig ist, zu tyrannisieren; dafür werden sie gut bezahlt, als eine Art von SA-Truppe. Mit Evo Morales dagegen traf sich Goldberg nur einmal und nur für ein paar Sekunden, als es unumgänglich war. Was im Kosovo so gut funktionierte (der Kosovo ist heute ein anerkannter souveräner Staat, obwohl dies allen Völkerrechtsprinzipien widerspricht), ließ sich allerdings nicht so leicht auf Bolivien übertragen. Zum einen gelang es nicht, die von Indios abstammende Mehrheit zu irgendwelchen Unterdrückungsmaßnahmen gegen die überwiegend von europäischen Einwanderern abstammenden Tieflandbewohner zu bewegen; zweitens zog nur ein Teil der Tieflandbewohner mit. Sehr viele erinnerten sich noch gut daran, dass Bolivien vor den Ergasfunden hauptsächlich von den Einnahmen aus den Minen lebte, die in den Höhenlagen der Anden liegen. Zum dritten gehören die Gouverneure der nach US-Willen abzuspaltenden Staaten alle zur Oligarchie des Landes, die über zwei Jahrhunderte hinweg das Volk bis aufs Hemd ausgezogen und ausgebeutet hat und viele der Ärmeren vergaßen das nicht so schnell. Viertens schließlich: Alle Anliegerstaaten Boliviens, das sind Peru, Brasilien, Paraguay, Argentinien und Chile, traten vom ersten Moment an eindeutig gegen jede Veränderung der Staaten oder Staatsgrenzen in Südamerika an. Brasilien und Argentinien sicherten Morales in den kritischen Tagen des Putschversuchs der Gouverneure sogar Truppen zu, falls er sie anfordern würde. So wurde nichts aus dem Putsch und statt einem nagelneuen Tiefland-Staat hat Bolivien einen gestärkten Präsidenten, der sich durchgesetzt hat. Schade für die US-Regierung! Dazu noch die Blamage mit dem heimgeschickten Botschafter! Da war natürlich eine scharfe Bestrafung fällig. Man setzte Bolivien auf die »schwarze Liste« der Länder, die »ihren Verpflichtungen in der Bekämpfung des Rauschgifthandels« nicht nachkommen. Und nun, schreibt Weiss, kommt die Lachplatte:
Halten Sie sich fest! Die »schwarze Liste« dieser Länder, hier ist sie: Für Südamerika: Brasilien, Kolumbien, Ecuador, Paraguay, Peru und Venezuela - und jetzt natürlich auch Bolivien. Nun, Brasilien, Kolumbien und Peru stehen da völlig zu Recht, denn der Großteil des Kokains, das die CIA aus Kolumbien und Peru auf den Weg in die Vereinigten Staaten und nach Europa bringt, wird über brasilianischen Boden hinausgeschmuggelt*. Venezuela - und seit letztem Wochende auch Ecuador - und jetzt eben auch Bolivien, haben Präsidenten, die das Wort »Sozialismus« in den Mund genommen haben - also? Ist das nicht Begründung genug? Wie das arme Paraguay dahin gekommen ist, bleibt im Dunkeln. Für Nordamerika und die Karibik stehen Mexiko, Guatemala, Panama, Haiti, Jamaika, die Bermudas und die Dominikanische Republik auf der Liste. Die Bermudas und Panama sind zwar rein formal souveräne Staaten, dort herrscht aber faktisch US-Recht. Wieso da die US-Regierung nicht einfach aktiv wird, ist unverständlich (oder vielleicht  verräterisch?) Was Afrika betrifft, so ist Nigeria aufgelistet; in Asien sind es Afghanistan, Burma, Indien, Laos, Pakistan.
 
Anmerkung politonline: Was Afghanistan betrifft, so ist es längst ein »offenes« Geheimnis, dass Karsais jüngerer Bruder, Ahmad Wali Karsai, einer der grössten Drogenbarone des Landes geworden ist und dass die vom Westen gestützte Karsai-Regierung, deren Macht nicht über »Kabulistan« hinausgeht, bis in die oberste Etage hoffnungslos in Korruption und Drogenhandel verstrickt ist. Die NATO-Truppen selbst gehen in keiner Weise gegen den Drogenanbau vor. »Sie müssen verstehen«, heißt es bezüglich letzterer, »daß wir hier sind, um die Taliban zu töten, nicht um ihren Schlafmohn umzupflügen.« Und Andreas von Bülow beispielsweise stellt in seinem Buch »Im Namen des Staates« zum Drogenhandel fest: »Bei 75 % aller großen Fälle stoßen die Drogenfahnder auf die schützende Hand der Geheimdienste.« Die Reingewinne aus dem Drogengeschäft bewegen sich jährlich im Milliarden-$-Bereich, so dass man sich unwillkürlich fragt, wie und wo diese Unsummen, von direkten Investitionen in der Industrie und in Immobilien abgesehen - trotz der angeblich so strengen Gesetze gegen die Geldwäsche untergebracht werden können. Traditionelle Profiteure sind vor allem England und die USA. Mathias Bröckers führt in seinem Buch zum 11. September folgendes aus: »Weil also die CIA - ab 1945 nach den Vorgaben eines eingestellten deutschen Topspezialisten, Hitlers Geheimdienstchef Gehlen konzipiert - in ihrer über 50jährigen Komplizenschaft mit Diktatoren, Drogenhändlern, Waffenschiebern und anderen netten Hurensöhnen so ungemein erfolgreich war, gibt es für sie und die Geheimdienste der verschiedenen Miitärabteilungen absolut keinen Grund, von ihren bewährten Methoden Abstand zu nehmen.« Allein schon auf Grund dieser wenigen Fakten kann man sich ungefähr ein Bild davon machen, wie wir von offizieller Seite ununterbrochen verdummt werden, denn, so Bröckers ferner: »Natürlich nützen die Schlapphüte in der CIA-Zentrale in Langley ihren 30 Milliarden-Etat nicht nur dazu, mißliebige Präsidenten zu stürzen, Putschgeneräle zu schmieren und Waffen- und Drogenhandel zu betreiben; sie heuern auch Journalisten, Autoren und Medienleute dafür an, das Gegenteil zu behaupten.« John Pilger schreibt in »Verdeckte Ziele«:  »Drogen sind bei der CIA ein Zahlungsmittel mit langer Tradition; ferner: Während der Indochinakriege war die CIA tief in Drogengeschäfte verstrickt: Ihre Geheimarmee in Laos wurde von General Vang Pao, dem brühmten Drogenfürsten, befehligt, der seine Mittel ausschließlich aus dem Drogenhandel bezog. In den 80er Jahren finanzierte die CIA ihren  Geheimkrieg gegen die Sandinisten in Mittelamerika im Wesentlichen mit Drogen, nachdem der Kongreß die Mittel dafür verweigert hatte.« Laut einer Erklärung von Pino Arlachi, Generaldirektor des UNO-Drogenkontrollprogramms UNDCP, ist der Drogenkrieg weder verloren, noch hat es ihn je überhaupt je einmal gegeben. Im Gegenteil: Er wurde nie begonnen. Unter diesen Umständen mutet der Kommentar des FDP-Nationalrats Dick Marty, er halte die offenbar geplante Einrichtung einer CIA-Zentrale in Bern für problematisch, als ein restlos inoffensives, also völlig harmloses understatement an.

Inzwischen, berichtet die junge Welt 3haben fünf Präfekte, der Zusammenschluß der lokalen Bezirksregierungen (FAM) sowie die Parlamentsfraktion der Regierungspartei MAS (Bewegung zum Sozialismus) in Anwesenheit von Präsident Evo Morales am 5. 10. 08 in Cochabamba ein Abkommen unterzeichnet, das die umstrittenen Fragen der Autonomien der bolivianischen Regionen und der Steuerverteilung regeln soll. Eine Lösung der Konflikte stellt dieses Dokument aber nicht dar, weil die in Opposition zur Zentralregierung stehenden Präfekten von Santa Cruz, Rubén Costas, von Beni, Ernesto Suárez, von Tarija, Mario Cossío, und von Chuquisaca, Savina Cuellar, ihre Unterschrift verweigerten. Landwirtschaftsminister Carlos Romero bedauerte die Haltung der Opposition und betonte, daß in dem Abkommen große Teile der Forderungen der rechten Präfekten aufgenommen wurden. So seien die Autonomiebestrebungen des sogenannten »Halbmonds« - die von den rechten Präfekten regierten reichen Departamentos - weitgehend in den überarbeiteten Text der neuen Verfassung aufgenommen worden. Im Rahmen ihrer Autonomie verfügten die Departamentos nicht nur über gesetzgeberische Kompetenzen, sondern auch über eigene Ressourcen und ein eigenes Wahlrecht. »Der Großteil dieses neuen Verfassungskapitels über die Autonomien wurde mit den Vertretern aller Präfekturen und Bezirke vereinbart, auch mit denen der Opposition«, betonte Romero. Die Oppositionellen hätten die Verweigerung ihrer Unterschrift mit den begonnenen Verfahren gegen Verantwortliche für die gewaltsamen Ausschreitungen der vergangenen Wochen begründet und außerdem gefordert, die Palette der zu diskutierenden Themen erneut zu erweitern. Tatsächlich - so eine Vermutung - stieß den Präfekten offenbar sauer auf, daß in dem Abkommen nicht nur Autonomien für die Departamentos, sondern auch für die Regierungsbezirke und die indigenen Gemeinschaften vorgesehen sind. Angesichts der starren Haltung der oppositionellen Präfekten verwies die Regierung darauf, daß der Dialogprozeß nun im Parlament des Landes, dem Kongreß, fortgesetzt werde. Dazu gehöre auch die Einberufung eines Referendums über die neue Verfassung. Die Regierungspartei MAS verfügt nur in der Abgeordnetenkammer über eine absolute Mehrheit, während sie im Senat auf die Unterstützung durch Teile der Opposition angewiesen ist.Noch anzufügen wäre, dass laut Schätzungen in Boliviens Böden die zweitgrössten Erdgasvorkommen Lateinamerikas lagern und Brasilien bereits beliefert wird.     
 
1 http://www.jungewelt.de/2008/09-25/030.php 25. 9. 08 Solidarität des Südens
Evo Morales kritisiert vor Vereinten Nationen die USA und deren Einmischungspolitik in Bolivien. Kein Vertrauen mehr in OAS als Vermittlerin Von Ben Beutler
2http://www.berlinerumschau.com/index.php?set_language=de&cccpage=02102008ArtikelPolitikWeiss  2.10.08 Bolivien auf schwarzer Liste - USA beschuldigen Bolivien des Drogenhandels - Von Karl Weiss; siehe hierzu den Artikel über SIVAM auf http://karlweiss.twoday.net/stories/5159665/
3http://www.jungewelt.de/2008/10-07/008.php Krise bleibt ungelöst - Bolivien: Oppositionelle Präfekten verweigern Unterschrift unter Abkommen Von André Scheer
Hervorhebungen durch politonline