Afghanistan: »Opium geht immer«

Nachfolgend Ausschnitte aus einem von Julia Schön von der »jungen Welt« mit dem Autor Michael Baumann geführten Interview: Sie waren in den siebziger Jahren in Afghanistan. War das damals ein friedliches Land? In den siebziger Jahren war es durchaus ruhig. Auf dem Land gab es große Armut, ethnische Konflikte und auch Hungersnöte, die man in den Städten kaum mitbekam.

Es existierten keine Medien und eigentlich auch kein Staat. 1973 stürzte Mohammed Daoud Khan den König Zahir Shah und steigerte anschließend konstant die Repression gegen Linke und Religiöse, seine Hauptwidersacher. Je größer die sozialen Gegensätze wurden, desto stärker setzten sich die Islamisten in Szene. 1978 kamen dann die Kommunisten an die Macht. Sie förderten die Volksbildung und die Befreiung der Frauen. Sie machten sie zu Ärztinnen und Ingenieurinnen. Doch die Kommunisten waren intern heillos zerstritten und zudem mit den ersten muslimischen Aufständen konfrontiert. Also riefen sie 1979 die Sowjetunion zur Hilfe. Seitdem herrscht in dem Land ununterbrochen Krieg.
 
Opium, sagt Baumann, geht immer. Die Mudschaheddin, die muslimische Guerilla gegen die Sowjetunion, steigerten die Opiumproduktion, um sich zu finanzieren; zusätzlich zu den Geldern, die sie aus Pakistan und von der CIA erhielten. Bis dato war Opium nur in einigen Landstrichen im Norden angebaut worden, die Volksdroge war Haschisch. Seither wird der Anbau von Schlafmohn von Jahr zu Jahr gesteigert. Durch den Krieg kam Heroin, das die Rotarmisten mitbrachten, erstmals in die Sowjetunion. Ähnliches hatten schon die USA in Vietnam erlebt, als jeder Dritte GI an der Front Junkie wurde und es auch blieb, wenn er als Überlebender nach Hause zurückkehrte.
 
In seinem Buch »Rausch und Terror« konstatiert Baumann, daß in Afghanistan eine »Heroinkultur« entstanden ist. Die Ökonomie ist am Boden, total zerstört. Die Hilfskonvois der UNO werden von den Taliban angegriffen, die Warlords erheben Wegzoll. Eine staatliche Ordnung gibt es weniger denn je. Das einzige, was den Leuten überhaupt hilft, nicht zu verhungern, ist, Schlafmohn anzubauen. Die haben keine andere Chance. Wo früher normale Landwirtschaft war, wird auf Opium umgestellt. Das wird nicht geschmuggelt, sondern in Labors vor Ort zu Heroin verarbeitet. Wie längst bekannt ist, kommen heute mehr als 90 % des weltweit produzierten Heroins aus Afghanistan. Von den Opiumbauern erheben die Taliban eine Steuer. Die Einnahmen daraus werden pro Jahr auf 100 Millionen $ geschätzt. Je mehr Heroin produziert wird, desto effektiver führen die Taliban ihren Krieg. Für ihre Gegner, die aus Warlords gebildete Regierung unter Hamid Karsai, gilt dasselbe. Es wird geschätzt, dass mindestens ein Drittel des afghanischen Bruttosozialprodukts auf Heroinhandel basiert. Das Heroin ist nicht nur für den Export da, sondern wird auch im Land konsumiert. Früher rauchten nur die Alten Haschisch und Opium, jetzt auch die Jugend. Afghanistan hat mittlerweile eine Million Junkies bei 30 Millionen Einwohnern, das ist Weltrekord.
 
Eine der von der jungen Welt an den Autor gestellten Fragen, ist die, ob die NATO-Truppen die Opiumplantagen bewachen. Indirekt schon, erklärt Baumann, indem sie die Karsai-Regierung unterstützen. Der Bruder des Präsidenten gilt als größter Dealer des Landes. Die NATO-Truppen sind nicht vor Ort, um den Afghanen Demokratie zu bringen oder die afghanischen Frauen zu befreien. Man muss daran erinnern, daß es die Kommunisten waren, die die Burka abgeschafft hatten. Dafür wurden sie von den Mudschaheddin gehaßt.
 
Seit der Herrschaft des englischen Imperialismus ist Afghanistan immer ein Spielball der Mächte gewesen. Rudyard Kipling nannte es 1901 das »Great Game«. Das Land hat nie jemanden bedroht. Dazu war es auch nie in der Lage, es gibt fast keine Bodenschätze, geschweige denn Industrie. Die Afghanen können noch nicht mal ein Teeglas herstellen - ernsthaft: Die kommen alle aus Frankreich. Ist doch Unsinn zu sagen, es würde eine Gefahr von diesem Land ausgehen. Aber es liegt zentral für Asien. Gleichermaßen Drehscheibe und Nadelöhr: strategisch für die kommenden Konflikte mit China und Rußland extrem wichtig. Einen ähnlichen Blödsinn wie den, Deutschland würde am Hindukusch verteidigt, haben wir in den 60ern schon mal gehört. Damals hieß es, die Freiheit Westberlins würde in Vietnam verteidigt. Anders als vor 40 Jahren profitieren davon aber keine emanzipatorischen Kräfte wie die FNL, sondern die wahnhaften Taliban. Diese werden immer mächtiger und produzieren stetig mehr Heroin, weil die ausländischen Mächte da sind. Also müssen die ausländischen Truppen abgezogen werden.
 
Statt dessen, so die junge Welt, gibt es Bestrebungen, den Krieg nach Pakistan auszuweiten. Baumann: Das ist auch so eine Pointe. Die Taliban wurden ja von den Saudis und vom pakistanischen Geheimdienst aufgebaut. Ihr Nachschub kam schon immer aus dem Nachbarland, hauptsächlich aus den Stammesgebieten an der Landesgrenze. Wenn die USA Pakistan angreifen, gefährden sie eher ihren eigenen Nachschub aus Pakistan als den der Taliban. Denn ein US-Angriff einigt die dortigen Interessengruppen, die bisher gespalten sind: die Führer in den Stammesgebieten, die Islamisten und vor allem das Militär, das es nicht zulassen kann, daß eine fremde Macht militärisch in ihrem Land schalten und walten kann, wie sie möchte, denn Pakistan definiert sich als Atommacht. Sie werden sagen: Ihr könnt unsere Bombe nicht schützen! - sie denken, daß dies das Wichtigste ist, was sie im Dauerkonflikt mit Indien haben. Diese Konflikte wird die neue Regierung Pakistans unter Asif Ali Zardari nicht regeln, das ist einfach korruptes Pack. 70 % der deutschen Bevölkerung sind dafür, daß die Bundeswehr aus Afghanistan abzieht. Aber für den Verteidigungsminister Franz Josef Jung findet dort gar kein Krieg statt! In diesem Jahr sind 1500 Zivilisten gestorben. Davon nachweislich 600 durch NATO-Truppen. Die Zahl der toten NATO-Soldaten ist die höchste seit Kriegsanfang: 230 waren es 2007, 230 sind es schon jetzt im September. Man kann es, so Baumann, nicht oft genug betonen: Deutschland führt Krieg. Am Hindukusch. Und zu Hause gegen die eigene Bevölkerung mit »Hartz IV« und Überwachungsgesetzen. Man merkt deutlich: Hier ist ein System in die Krise geraten. Es reagiert mit den üblichen repressiven und kriegerischen Massnahmen.
 
http://www.jungewelt.de/2008/09-20/028.php »Opium geht immer« Über den Krieg in Afghanistan und das Buch »Rausch und Terror«. Ein Gespräch mit Michael »Bommi« Baumann
Bommi Baumann - Christof Meueler »Rausch und Terror - Ein politischer Erlebnisbericht« Rotbuch Verlag, Berlin 2008; ISBN-10:3-86789-036-6