Der Blick der NATO nach Ostasien 12.07.2020 22:47
Die Forderung eines Experten des Washingtoner Think Tanks Atlantic Council,
der
zufolge die NATO ihre Militärübungen und Operationen systematisch in die
Asien-Pazifik-Region ausweiten soll, fügt sich in die von Washington geplante neue
Strategie gegen die Seidenstrasse nahtlos ein. Den Hintergrund hierzu bildet
die Debatte darüber, wie sich das westliche Kriegsbündnis gegen China in
Position bringen soll. So verlangt der Atlantic Council auch den Aufbau eines
militärischen NATO-Hauptquartiers in der Asien-Pazifik-Region.
Die
globale Machtbalance
In
jüngster Zeit ist die Fokussierung der NATO auf die Rivalität mit China immer öfters
gefordert worden. Wie der sich über China besorgt zeigende NATO-Generalsekretär
Jens Stoltenberg erläutert, »verändert der Aufstieg
Chinas die globale Machtbalance auf fundamentale Weise«. Die Volksrepublik China,
urteilt er, sei »in der Arktis, in
Afrika und im Mittelmeer präsent«, darauf müsse man
reagieren.
Die
in die kritische Infrastruktur Europas massiv investierende Volksrepublik sei ›eine feste Grösse im
Cyberraum‹.
Zudem stecke Beijing viel Geld und Energie in Nuklearwaffen und
Langstreckenraketen, die Europa erreichen können. »Dieser
Herausforderung«,
so Stoltenberg, »müssen
sich die NATO-Verbündeten gemeinsam stellen«.
Überlegungen,
wie sich die NATO konkret gegen China in Stellung bringen könne, werden in ausenpolitischen
Think Tanks seit geraumer Zeit angestellt. Generell heisst es dort, man solle
chinesische Investitionen in die europäische Infrastruktur schärfer
kontrollieren; zivile Strassen, Häfen und Bahnstrecken, an deren Ausbau sich
China beteilige, seien schliesslich ein wesentlicher Teil der NATO-Pläne für
die militärische Mobilisierung. Auch ein aktuelles, vom ›German Marshall Fund‹
in Umlauf gebrachtes Papier befasst sich unter anderem mit den chinesischen
Investitionen in die europäische Infrastruktur, wobei es u.a. um Investitionen in
Häfen wie im griechischen Piräus und in Eisenbahnlinien wie die Zugstrecke von
Belgrad nach Budapest geht; deren ungarisches Teilstück betrifft ein
NATO-Mitglied direkt. Ferner heisst es in dem Papier, chinesische Investitionen
in die genannten Infrastrukturanteile zeitigten unmittelbare Folgen für die
Sicherheit der Allianz. Chinesische Unternehmen hätten etwa in 12 Häfen sowie
in 7 NATO-Ländern, die eine Schlüsselbedeutung für die militärische
Mobilisierungsplanung im Osten, Süden und Südosten der NATO besitzen, Investitionen
getätigt.
Die
NATO müsse daher dazu beitragen, für auswärtige Direktinvestitionen in Bereiche
mit ziviler wie auch militärischer Anwendung Schlüsselkriterien festzulegen. Konkret
sei auch der Schutz und die Unversehrtheit digitaler Informationen für die NATO
von Bedeutung. Letztere Aussage zielt erkennbar auf die Debatte um die Nutzung
von Huawei-Technologie beim aktuellen Aufbau der 5G-Netze in Europa ab.
Ein
NATO-China
Rat
Weiterreichende
Überlegungen hat kürzlich die ›Transatlantic
Security Initiative‹ des Atlantic
Councils angestellt. Wie Ian Brzezinski, der Sohn von Zbigniew Brzezinski, darlegt,
sei die NATO längst über ihr eigentliches transatlantisches Bündnisgebiet
hinausgewachsen. So habe sie Einsätze etwa in Afghanistan, am Horn von Afrika
und im Mittleren Osten absolviert; sie habe ausserdem ›Globale Partnerschaften‹
mit Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland und der Mongolei geschlossen. Sie
habe daher allen Anlass, sich auch mit China zu befassen. Ein erster Schritt
könne die Gründung eines NATO-China-Rats nach dem Vorbild des
NATO-Russland-Rats sein. Folgt man Brzezinski, dann zielt das Vorhaben insbesondere
darauf ab, die europäischen NATO-Mitglieder fest an die Chinapolitik der USA zu binden: In einem NATO-China-Rat, schreibt Brzezinski,
seien die Bündnismitglieder gezwungen, sich gegenüber Beijing ›auf koordinierte Weise‹ zu positionieren; eine derartige
Institution könne deshalb unterstreichen, dass sich im derzeitigen globalen
Machtkampf nicht nur China und die USA gegenüberständen, ›sondern China und die transatlantische Gemeinschaft‹.
NATO-Operationen
im Pazifik
Vor
allem aber schlägt Brzezinski, wie eingangs erwähnt, vor, dass die NATO ihre
militärischen Aktivitäten in die Asien-Pazifik-Region ausweiten soll. Zunächst
gelte es, die gemeinsamen Beratungen mit den dortigen ›Globalen Partnern‹ durch
regelmässigere und robustere Militärübungen zu ergänzen. Dadurch könne man US-Kriegsübungen
im Pazifik, die bereits in den vergangenen Jahren mit Beteiligung europäischer
Streitkräfte stattgefunden hätten, um eine NATO-Komponente erweitern.
Brzezinski schlägt zudem vor, das Kriegsbündnis solle im Indo-Pazifik ein ›Center of Excellence‹ etablieren, in dem Offiziere aus den
Streitkräften der ›Globalen Partner‹ in die NATO-Kommandostruktur
eingebunden würden und sich mit NATO-Praktiken und -Einsätzen vertraut machen
könnten. Schliesslich solle das Bündnis ein kleines Hauptquartier im Indo-Pazifik
installieren, das NATO-Manöver und -Operationen koordinieren könne.
Freilich
dürfe die NATO ihre Aktivitäten nicht allein auf militärische Maßnahmen
reduzieren: Sie müsse die gesamte Bandbreite diplomatischer, ökonomischer,
technologischer, gesellschaftlicher sowie militärischer Fähigkeiten und
Dynamiken, ›die die geopolitische
Macht definieren‹, mobilisieren.
Stoltenberg
hat schon 2019 damit begonnen, die Beziehungen der NATO insbesondere zu
Australien zu intensivieren. Das Land profiliert sich seit geraumer Zeit als
schärfster Parteigänger Washingtons im Machtkampf gegen Beijing. So hat an dem
Mitte Juni zu Ende gegangenen Treffen der NATO-Verteidigungsminister erstmals
deren Amtskollege aus Australien vollumfänglich teilgenommen. Stoltenberg bekräftigte
erneut, dass das Bündnis künftig noch enger mit gleichgesinnten Ländern wie Australien,
Japan, Neuseeland und Südkorea zusammenarbeiten müsse. Indessen spricht er sich
mit Rücksicht auf Mitgliedstaaten, die bislang zögern, noch nicht
für NATO-Manöver und -Operationen in der Asien-Pazifik-Region aus: »Das
Südchinesische Meer ist kein Einsatzort für die NATO. Es gibt keinen Grund,
Truppen der Allianz dort hinzuschicken«. Allerdings dauert die
Debatte an.
Dass
China laut dem Forschungsinstitut SIPRI in Stockholm mit 320 Stück lediglich
einen Bruchteil der Atomwaffen der Vereinigten Staaten (5.800) und Russlands
(6.375) besitzt und weniger als die beiden NATO-Atommächte in Europa zusammen
(Frankreich: 290; Grossbritannien: 215), wurde von Stoltenberg unerwähnt
gelassen. Wenigstens räumte er ein, dass kein Land von Beijing unmittelbar
bedroht wird.
Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8310/ 18.
6.20 Der Blick der NATO nach Ostasien
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