Teure Scheinlösung - Von Alex Kuprecht

Ausgerechnet mit teuren Überbrückungsleistungen steigt der Bundesrat in den Kampf gegen die Begrenzungsinitiative ein.

Der Plan ist für den Schweizer Steuerzahler das reinste Horrorszenario: Mit gegen 240 Millionen Franken  jährlich würden die Kosten bis 2030 förmlich explodieren. Und sollte das Zugangskriterium  »20 Jahre AHV-versichert« europarechtlich nicht mehr gelten, droht gar ein unkontrollierbarer Zustrom ausländischer Arbeiter. Der Bundesrat präsentiert so im Kampf gegen die Begrenzungsinitiative eine teure Scheinlösung. 

In Windeseile wurde die bisher durch die Gemeinden ausgerichtete Sozialhilfe für ausgesteuerte Arbeitslose ab dem 60. Lebensjahr auf Stufe Bund angehoben. Überbrückungsleistung heisst diese neue Bundesfürsorgeunterstützung und soll jenen Sicherheit gewährleisten, die ab dem 58. Lebensjahr nach erfolgter Aussteuerung Mühe bekunden, eine neue Stelle zu finden. Im Jahr 2030 werden dafür Ausgaben von gegen 240 Millionen Franken prognostiziert. Die durch den Bund geplanten Leistungen wären dabei wesentlich höher als die Sozialhilfe, welche die Gemeinden entrichten. So wird eine neue gebundene Ausgabe ohne Kürzungsmöglichkeit bei einer schlechter verlaufenden Bundesrechnung geschaffen!

Beiträge höher als mancher Monatslohn!

Im Zentrum der vom Bundesrat geplanten Überbrückungsleistungen stehen pro Jahr rund 24'300 Franken für Alleinstehende oder 36'500 Franken für Ehepaare als Grundleistung. Dazu kommen regional unterschiedlich hohe Mietzinszuschüsse von 15'900 bis 16'400 Franken, Zusatzbeiträge für Mehrpersonenhaushalte, Krankenkassenbeiträge je nach Region, Gebäudeunterhaltskosten und Hypothekarzinsen bis zur Höhe des Bruttoertrages der Liegenschaft sowie Beiträge an die Sozialversicherungen des Bundes, einschliesslich Beiträge an die berufliche Vorsorge. Dazu gehören auch Sparbeiträge, wenn sie während der Arbeitslosigkeit freiwillig aus dem vorhandenen Vermögen bezahlt wurden. Insgesamt können die Beiträge für Alleinstehende bis zu 58'350 respektive für Ehepaare bis zu 87'525 Franken betragen, wenn alle vorgesehenen Beiträge zur Auszahlung gelangten.  Umgerechnet wären dies bis zu 4'862 beziehungsweise 7'293 Franken pro Monat. Vorgesehen war sogar die Steuerbefreiung dieser neuen Staatseinkommen, die oft sogar höher ausfallen, als gestandene Berufsleute durch ihre tägliche Arbeit verdienen.

Der Bundesrat schlägt den Sack und meint den Esel

Die vorberatende Kommission des Ständerats korrigierte diese Steuerbefreiung mindestens teilweise und verlangte zusätzlich den jährlichen Nachweis der Bemühungen um die Stellensuche. Im Rahmen der Beratung im Parlament wurden dann die Beiträge massiv gekürzt und an die Ergänzungsleistungen angepasst. Im Grundsatz ändert dies jedoch nichts an der Tatsache, dass diese geplante Bundesfürsorgeleistung eine neue, teure und nicht notwendige Sozialleistung darstellt. In Wahrheit dient sie als Zugpferd, um die Begrenzungsinitiative zu bekämpfen und so den Boden für das institutionelle Rahmenabkommen vorzubereiten. Man schlägt den Sack und meint den Esel. Beim Jassen würde man dieses Vorgehen einen Unterzug nennen.

Ausgaben drohen zur Makulatur zu werden

Es ist zu hoffen, dass der Nationalrat zumindest dies erkennen und nicht vom Entscheid des Ständerates abweichen wird. Zudem gilt es zu klären, ob bei dieser Fürsorgeleistung für ausgesteuerte Arbeitslose das zentrale Zugangskriterium (mindestens 20 Jahre AHV-versichert) europarechtlich aufrechterhalten werden kann. Wenn nicht, dann wird der Zustrom ausländischer Arbeitskräfte mit geringer Arbeitsdauer in der Schweiz unkontrollierbar gross und die prognostizierten Ausgaben zur reinen Makulatur – wie wir das bei den damaligen Aussagen bezüglich der Heiratsstrafe gesehen haben.

Zuwanderung: Diesmal keine Ausreden   

Die Stimmung, so Pascal Hollenstein, in seinem Kommentar  zum Start des Abstimmungskampfs über die Begrenzungsinitiative, war aufgeräumt, das Publikum wohlwollend, der Apéro très riche: Diesen Montag hat Aussenminister Ignazio Cassis in St. Gallen seine aussenpolitische Vision präsentiert. »Die Schweiz hat den bilateralen Weg konsolidiert und gestaltet Europa auch als EU-Nichtmitglied partnerschaftlich mit«, heisst es in dem Papier. Das ist der Plan A. Auf die Frage, ob er denn für den Fall, dass das Volk die »Begrenzunginitiative« der SVP am 17. Mai annimmt, auch einen Plan B habe, sagte Cassis: Nein.

Nun heisst es zwar: »Gouverner, c’est prévoir – Regieren bedeutet vorherzusehen«. Indessen zeigt die Reaktion des FDP-Magistraten im St. Galler Pfalzkeller, dass es offenbar Momente gibt, in denen sich eine Regierung den Eintritt eines unerwünschten Ereignisses lieber erst gar nicht vorstellt.  

In der Tat hätte ein Ja von Volk und Ständen zur »Begrenzungsinitiative« einschneidende Konsequenzen. Das Volksbegehren verlangt, dass die Schweiz das Freizügigkeitsabkommen mit der EU in Verhandlungen ausser Kraft setzt. Gelingt dies nicht – und damit ist zu rechnen –  so sei das Abkommen mit der EU zu kündigen. Nach der Mechanik der bilateralen Verträge würde dies wiederum die Guillotine-Klausel aktivieren. Die Bilateralen Verträge I würden automatisch fallen, die Bilateralen II wären zumindest gefährdet. In Summe: Das nach dem EWR-Nein des Volkes 1992 sorgsam aufgebaute Vertragskonstrukt, mit dem die Schweiz das Verhältnis zur EU geregelt hat, wäre Geschichte. Nähmen die Dinge ihren normalen Lauf, so müsste man davon ausgehen, dass die Initiative keine Chance hat. Im Gegensatz zur »Masseneinwanderungsinitiative«, die im Februar 2014 hauchdünn angenommen wurde, gibt es bei dieser Vorlage keinen Interpretationsspielraum, ob die Personenfreizügigkeit nun ganz, nur ein bisschen oder gar nicht verschwinden würde.

Zudem ist die Stimmung eine andere: Die Zuwanderung aus der EU ist stark zurückgegangen, die Arbeitslosigkeit niedrig, unselige Debatten über angeblichen Dichtestress und deutsche Chefs sind weder in den Medien noch an den   Stammtischen ein Massenphänomen. Es gibt, gewiss, nicht wenige, die mit der Umsetzung des Volksbeschlusses von 2014 unzufrieden sind. Aber werden deshalb die meisten davon - gewissermassen aus Revanche - wieder ein Ja einlegen? Man darf es bezweifeln.

Kein Grund zur Beunruhigung also?

Die Lage ist trügerisch. Denn klar ist auch, dass nach dem 17. Mai die Verhandlungen über ein Institutionelles Rahmenabkommen mit der EU in die heisse Phase gehen werden; besonders das Thema Lohnschutz hat hier das Potential zum innenpolitischen Spaltpilz. Das politische Bern hat sich darauf geeinigt, die diesbezüglichen Differenzen vor der Abstimmung totzuschweigen. Man will der SVP nicht die Gelegenheit geben, die Personenfreizügigkeit mit dem Rahmenabkommen zu vermischen und damit am 17. Mai eine Stellvertreterabstimmung zu inszenieren, in der ein Ja auch zur Linken salonfähig würde. Taktisch ist das im Prinzip klug gedacht. Doch dass das Kartell des Schweigens halten wird, darf bezweifelt werden. So hat FDP-Chefin Petra Gössi erst unlängst die Unruhestifterin gegeben, indem sie den Gewerkschaften via Blick ein Ultimatum androhte. Abstimmungstaktik geht anders.

Justizministerin Karin Keller-Sutter hat diese Woche den Abstimmungskampf formell eröffnet. Angetreten vor den Medien ist sie mit dem St. Galler Ständerat und Noch-Kantonsregierungskonferenz-Präsidenten Benedikt Würth. Männiglich fragte sich, ob diese Ostschweizer Paarung das kraftvolle Signal sei, das man sich in einer derart wichtigen Frage erwartet. Wo etwa blieb Wirtschaftsminister Parmelin, wo Innenminister Berset?

Bundesrat, Verbände und Parteien werden sich noch etwas einfallen lassen müssen, wenn sie bei diesem Urnengang auf Nummer sicher gehen wollen. Es sei denn, man wolle Cassis schon einmal die Gelegenheit geben, doch über einen Plan B nachzudenken. Ausreden jedenfalls, wird es diesmal keine geben.

Klasse statt Masse

Die Begrenzungsinitiative ist  - wie dies Anian Liebrand in der Schweizerzeit darlegt -  die bis auf Weiteres letzte demokratische Chance, die unkontrollierte Zuwanderung in die Schweiz zu stoppen und als mündiges Staatsvolk das Heft in die eigenen Hände zu nehmen. Gelingt es aller Propaganda-Berieselung und zeitgeistverseuchter Trägheit zum Trotz das Schweizervolk noch einmal von mutiger Selbstbejahung zu überzeugen, stünden interessante, vielversprechende Einwanderungsmodelle bereit, welche die Personenfreizügigkeit rasch vergessen machen liessen. Die Fakten sind längst auf dem Tisch: Die Folgen der seit dreizehn Jahren geltenden vollen Personenfreizügigkeit sind bestens dokumentiert, wenngleich jegliche gegenwärtig getroffene Bilanzziehung nur provisorischen Charakter hat.    

Ziehen wir am 17. Mai mit einem Ja zur Volksinitiative »Für eine massvolle Zuwanderung« nicht die Notbremse, wird die Zehn-Millionen-Schweiz nicht mehr abzuwenden und wohl schon in zwei Jahrzehnten erreicht worden sein. In den letzten 13 Jahren sind netto eine Million Ausländer in die Schweiz eingewandert. Allein, um diese mit Wohnraum zu versorgen, musste die ohnehin knapp bemessene Landfläche in einer Höhe von 57‘000 Fussballfeldern überbaut werden. Diese masslose Exzesspolitik hält den seit Jahren anhaltenden Bauboom aufrecht und zieht laufend weitere Migranten an, zu deren Bedürfnisbefriedigung immer weitere Einwanderer benötigt werden – zur Pflege, für den öffentlichen Verkehr, für Spitäler, und, und, und......

Die Lebensqualität der Einheimischen und seit Jahrzehnten hier lebenden gut integrierten Ausländer interessiert die Classe politique keinen Deut, der Realität gewordene Teufelskreis immer neue Migranten zur Bewältigung der Migrationsfolgen hat längst bleibende Abhängigkeiten geschaffen: In der Sozialindustrie, in den Grosskonzernen, welche den unbegrenzten Zuzug billigen Humankapitals als willkommenes Instrument benutzen, um die höheren Löhne älterer Arbeitnehmer zwecks eigener Profitmaximierung unter Druck zu setzen und diese in die Sozialhilfe abzudrängen.

Obwohl sich die eigentlich masslos überdotierten Statistik-Abteilungen des Bundes  – sonst um keine noch so nichtige Aufgabenbeschaffung verlegen, um die eigene fürstliche Entlöhnung zu rechtfertigen –  nie bemüssigt fühlten, eine transparente Vollkostenrechnung über die finanziellen Auswirkungen der Personenfreizügigkeit anzustrengen, ist offensichtlich, dass die Masseneinwanderung für die Schweiz nicht zuletzt auch ein finanzielles Verlustgeschäft ist. Konkrete wissenschaftliche Untersuchungen am Beispiel Deutschlands hat der renommierte Ökonom Prof. Hans-Werner Sinn angestellt: Er kommt zu dem Schluss, dass Einwanderer mehr kosten als dass sie dem Staat finanziellen Nutzen bringen. Weil die Schweiz ein im Vergleich zur EU deutlich grosszügigeres Sozialsystem unterhält, ist ihre Sogwirkung für wirtschaftlich nicht brauchbare Einwanderung nochmals höher. So befindet sich der Prozess, dass die masslose Einwanderung das schweizerische Sozialwesen aushöhlt, in fortgeschrittenem Stadium. SVP-Nationalrätin Martina Bircher hat die negativen Auswirkungen der Personenfreizügigkeit für die öffentliche Hand im neuesten SVP-Klartext ausführlich beschrieben. Entgegen dem Mantra, das uns sowohl die Linksallianz als auch die Economiesuisse in den nächsten Monaten mit Millionen-Kampagnen «einprügeln» wollen, ist die Personenfreizügigkeit keineswegs alternativlos. Das 1970 eingeführte Kontingentsystem, mit dem der Bundesrat bis 2002 festlegte, wie viele erwerbstätige Ausländer pro Jahr in die Schweiz kommen dürfen, hat sich doch bewährt. Da die Frage des Masshaltens in diesem Regime allerdings von der verantwortungsbewussten Beurteilung eines Gremiums abhängt, dessen Rückgrat gelinde gesagt nicht über jeden Zweifel erhaben ist, wäre wohl ein klug ausgetüftelter Mechanismus, der eine wertschöpfungsferne Migration automatisch verhindern oder zumindest massiv erschweren würde, sinnvoller.  

Die Mehrheit der Staaten weltweit, erst recht, wenn sie überdurchschnittlich wohlhabend sind, knüpft das Recht auf Einwanderung an Bedingungen, die wesentlich höher sind als die blosse Vorweisung eines kurzfristigen Arbeitsvertrags wie bei der Personenfreizügigkeit. Wieso orientieren wir uns nicht an ihnen? Ob Japan, Grossbritannien, Australien, Kanada oder Israel – ein Mix aus all diesen Einwanderungskonzepten dürfte dazu beitragen, dass sich die Schweiz in kurzer Zeit vom Ende der Personenfreizügigkeit, das mit einem Ja zur Begrenzungsinitiative resultiert, erholen dürfte.

Tabu Remigration

Ein Tabu in dieser Diskussion, über das derzeit niemand spricht, ist die Frage, wie wir mit all den Zuwanderern umgehen, die sich heute in der Schweiz breit gemacht haben und in Berufsfeldern, in denen kein Fachkräftemangel besteht, hiesige Arbeitskräfte verdrängt haben, oder die Sozialhilfe kassieren, ohne mehrere Jahre hier gearbeitet zu haben. Zur Wahrung des öffentlichen Friedens und der wirtschaftlichen und finanziellen Ordnung wird es so unabdingbar sein, über wirksame Remigrations-Strategien zu diskutieren. Wenn die Schweiz ihren Status als wettbewerbsfähiges und stabiles Land zurückerlangen will, führt sie diese Diskussion besser früher als später.   [1]

 

[1] Quelle:  https://schweizerzeit.ch/klasse-statt-masse/  21. 2. 20