Trumps Schatten über der NATO - Von Dan De Luce, Robbie Gramer und Emily Tamkin 18.02.2018 22:23
Ein Jahr nach Trumps Amtsantritt sind die europäischen Verbündeten
erleichtert, daß es
die NATO noch gibt, jedoch steht die bisherige Führungsposition der USA infrage.
Wenn sich im Februar Generäle und Diplomaten
zu der äußerst wichtigen Sicherheitskonferenz in München versammeln, wird Präsident Donald Trump nicht
dabei sein. Aber der US-Präsident wird einen langen Schatten über das
jährliche Ereignis werfen, weil seine abfälligen Bemerkungen über die NATO das
Vertrauen der transatlantischen Partner
in die USA erschüttert haben. Es wird erwartet, daß
Zweifel an der Einstellung Washingtons zur NATO die Münchner Sicherheitskonferenz vom 16. bis 18. Februar
dominieren und europäische Sicherheitsexperten versuchen werden, die
widersprüchlichen Botschaften aus dem Weißen Haus zu deuten.
Gleich nach der Wahl Trumps im November 2016
stellten sich die europäischen Regierungen auf ein Horrorszenario ein; sie befürchteten,
der Präsident, der der USA wieder Platz 1 verschaffen will, würde sich Rußland
annähern und von der Hauptdoktrin der NATO, der kollektiven Verteidigung,
abrücken. Ein Jahr danach sind ihre schlimmen Befürchtungen aber noch nicht
wahr geworden. Trumps Äußerungen haben zwar viel Staub aufgewirbelt, die NATO
existiert aber noch.
Offizielle aus der USA und aus Europa haben
durchblicken lassen, daß sich im Hintergrund US-Militärs und Minister der
Regierung Trump mit ihren europäischen Partnern darauf verständigt haben, bei
der Abschreckung Rußlands auch weiterhin eng zu kooperieren. Trotz
Trumps Gepolter hat seine Regierung konkrete Schritte unternommen, um die
Allianz zu stärken und Moskau entgegenzutreten; Waffenverkäufe an die Ukraine
sollen die Bekämpfung der prorussischen Separatisten erleichtern, und die
Ostflanke der NATO ist mit zusätzlichen US-Panzern verstärkt worden. Die
NATO-Verbündeten konnten mit Geld, militärischer Hardware und gemeinsam
durchgeführten Manövern beruhigt werden. Eine Allianz ist aber nicht nur mit
Waffen und höheren Budgets zusammenzuhalten. Die Äußerungen und der harsche Ton
des US-Präsidenten haben nach Auskunft europäischer Offizieller ernste Zweifel
aufkommen lassen, ob die USA in einer Krise ihre Beistandspflicht erfüllen wird.
Ein höherer europäischer Offizier hat gegenüber ›Foreign Policy‹ geäußert: »Wir versuchen mit unseren
amerikanischen Partnern die Spannungen innerhalb der NATO abzubauen, aber
Trumps Äußerungen haben eine große Unsicherheit hervorgerufen.« »Andere
europäische Verbündete meinen, es sei nicht ganz so schlimm gekommen, wie sie
erwartet haben«, stellte Julianne
Smith fest, die dem früheren Vizepräsidenten Biden als stellvertretende
Sicherheitsberaterin gedient hat. Sie fügte noch hinzu: »Einige Verbündete haben zwar schon Erleichterung
signalisiert, die ungeklärte Zukunft stößt ihnen aber immer noch sauer auf.« Die Europäer setzen ihre Hoffnung auf die schon
länger als sechs Jahrzehnte andauernden engen militärischen Verbindungen. Und
in Trumps Team sehen sie Verteidigungsministers James Mattis und General Joseph
Dunford, den Chef des US-Generalstabes, als Verfechter der Allianz an. Bei
einer Zeremonie, die am 15. Januar in Brüssel stattfand, wurde General Dunford
das deutsche Bundesverdienstkreuz verliehen; das war eine deutliche Botschaft
an Trump, obwohl sein Name überhaupt nicht genannt wurde. Diplomatisch
erinnerte Dunford an die militärischen Beziehungen, die ein Gegengewicht zu den
politischen Problemen zwischen Washington und Europa bilden könnten. Er sagte: »Ich denke, daß uns
die Beziehungen zwischen den Streitkräften zusammenhalten, auch wenn es
gelegentlich Meinungsverschiedenheiten gibt.«
Als Maßnahme zur Beruhigung der europäischen Regierungen hat die
Trump-Regierung beschlossen, mehr US-Soldaten und Panzer nach Osteuropa zu
schicken und mehr Ausbildungs- und Trainingseinsätze mit NATO-Partnern
durchzuführen. Im Jahr 2018 will das US-Verteidigungsministerium für die ›European Deterrence
Initatitive‹ 4,8 Milliarden $ ausgeben; verglichen mit 2017 ist das eine Steigerung
um 1,4 Milliarden $. Trump zögert zwar, den russischen Präsidenten Wladimir
Putin zu kritisieren oder Moskau die Einmischung in die US-Präsidentenwahl 2016
vorzuwerfen, seine Regierung hat aber trotzdem russische Konsulate wegen Spionageverdacht geschlossen,
auf Drängen des Kongresses härtere Sanktionen gegen Rußland verhängt und grünes
Licht für die Lieferung von Panzerabwehrwaffen an die ukrainische Regierung
gegeben, was sein Vorgänger noch abgelehnt hatte. »Es läßt sich wohl nicht
bestreiten, daß der Kandidat Trump Dinge gesagt hat, die Stirnrunzeln
verursacht haben«, meinte ein europäischer Diplomat. »Langsam wird aber klar,
daß das Engagement der USA für die NATO eher größer wurde, seit die
Trump-Regierung komplett ist.«
Mattis und
Dunford werden von ›Atlantikern‹ und ›Russengegnern‹ unterstützt: von Wess Mitchell, dem
Staatssekretär für europäische und eurasische Angelegenheiten, von Kurt Volker,
dem Sonderbotschafter für die Ukraine, von Thomas Goffus, dem Unterstaatssekretär
für europäische und NATO-Politik im Verteidigungsministerium und von führenden Mitgliedern
des ›National Security Council‹ ›NSC‹
wie Richard Hooker und Fiona Hill. »Mitglieder
des ›NSC‹ verbringen viel Zeit damit, den Widerstand der
Ultrarechten gegen Trumps Europapolitik zu brechen«, sagte ein ehemaliger führender Pentagon-Mitarbeiter,
der unter George W. Bush gedient hat. Aber keiner von ihnen kann die NATO gegen Trump unterstützen.
Als Präsidentschaftskandidat hat Trump die NATO
wiederholt als ›obsolet‹ bezeichnet und den Artikel 5
über die gegenseitige Beistandspflicht bis zur seiner zweiten Europareise im
Juli 2017 infrage gestellt. Nach Aussage europäischer Offizieller war sein Besuch
bei der NATO in Brüssel im Mai 2017 der absolute Tiefpunkt; dort hat er
Verbündete öffentlich beschuldigt, Schmarotzer zu sein, und sich bei einem gemeinsamen Essen hinter
verschlossenen Türen ›wie ein
Elefant im Porzellanladen‹
benommen. Trump hat vor allem die NATO-Mitglieder angegriffen, die noch immer
nicht die von der NATO beschlossenen 2 % ihres Bruttoinlandsprodukts für
Verteidigung ausgeben. Nur 5 der 29 NATO-Mitglieder, die USA, Großbritannien,
Estland, Polen und Griechenland, haben diese Vorgabe erreicht, und nach Meinung
einiger Experten wird die Bedeutung dieser Festlegung stark übertrieben. Trumps
rüde Erpressermethoden haben einige NATO-Verbündete so verstört, daß sie sich fragen, ob ihnen der US-Präsident überhaupt beispringen würde,
wenn es notwendig wäre. »In
Gesprächen mit führenden Europäern höre ich immer wieder, daß in jeder
Diskussion in NATO-Gremien sofort über die 2%-Marke geredet wird«, äußerte Ivo Daalder, ein ehemaliger US-Botschafter
bei der NATO, der jetzt Präsident des ›Chicago
Council on Global Affairs‹ ist.
Seit Trump Präsident ist, spielt die USA nach
Meinung von Insidern im NATO-Hauptquartier Brüssel nicht mehr die bisher
unangefochtene Hauptrolle. Trump kann
nicht nur die unter Barack Obama eingeleiteten Initiativen weiterführen, er müßte auch neue, eigene Ideen in das Entscheidungsgremium der NATO, den
Nordatlantikrat, einbringen. »Die
bisher führende Stellung der USA im Nordatlantikrat existiert praktisch nicht
mehr«, stellte Jim Townsend
fest, der früher im US-Verteidigungsministerium für die Europa- und NATO-Politik
zuständig war. »Der Motor der NATO
arbeitet nicht mehr.« Die Allianz hat zwar
beschlossen, ihre Präsenz in Osteuropa zu verstärken und will neue Kommandos
für die Logistik und die Seestreitkräfte einrichten, nach Townsends Meinung vermissen die NATO-Mitglieder aber vor
allem einen für alle verbindlichen Mobilmachungsplan für den Ernstfall. »Was
die Abschreckung angeht, irren wir im Nebel umher«, beklagte Townsend. Trumps
mangelnde Begeisterung für die NATO leitet Wasser auf die Mühlen der
NATO-Skeptiker in Europa, die schon länger fordern, Europa müsse sich selbst um
seine Verteidigung kümmern und sich nicht nur auf die USA verlassen.
Die offenen Fragen zum künftigen US-Engagement haben auch Wünsche nach einer
stärkeren Annäherung an Rußland wiederbelebt. »Wenn Zweifel
an der Sicherheitsgarantie des
wichtigsten Verbündeten aufkommen, wächst das Bedürfnis nach Eigensicherung«,
bemerkte Daalder. Trump hat nicht nur das Vertrauen in die NATO erschüttert, er
hat mit seiner Kritik an der EU und seiner beabsichtigten Rückkehr zu einer
protektionistischen Handelspolitik auch generelle Zweifel an den
transatlantische Beziehungen geweckt. Die EU strebt jetzt eigenständig eine
globale Handelsordnung an und will vor allem ihre Geschäftsbeziehungen mit
Japan ausbauen, während die USA gleichzeitig dabei ist, ihre traditionelle
Rolle als wichtigster Garant offener Märkte aufzugeben.
Mattis und seine Militärkommandeure
bemühen sich zwar sehr, das transatlantische
Bündnis zu erhalten, aber der von Trump angerichtete Schaden könnte nach
Meinung ehemaliger und aktiver europäischer Politiker so groß sein, daß die in
Jahrzehnten aufgebaute Vertrauensbasis nicht wieder herzustellen ist. »Es
könnte sehr lange dauern, bis die tiefen Wunden in den transatlantischen
Beziehungen wieder vernarbt sind«, meinte Alexander Vershbow, ein ehemaliger
US-Diplomat, der auch schon einmal stellvertretender NATO-Generalsekretär war. »Für
Europa wird die USA jetzt immer das Land bleiben, das Donald Trump gewählt hat«,
sagte er abschließend.
Dan De Luce ist
Foreign-Policy-Chefkorrespondent für nationale Sicherheit, Robbie Gramer ist
Foreign-Policy-Korrespondent für nationale Sicherheit und Diplomatie und Emily
Tamkin ist eine bei Foreign Policy angestellte Journalistin, die über Botschaften
und Diplomaten in Washington berichtet.
Quelle: https://foreignpolicy.com/2018/01/29/trumps-shadow-hangs-over-nato-transatlantic-alliance-europe-defense-deterrence-europe-mattis-jens-stoltenberg/ 29. 1. 18 resp. http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP02118_160218.pdf Friedenspolitische
Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein LP 021/18 vom
16. 2. 18
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