Syrien - Fakten versus Meldungen 22.01.2012 22:34
d.a. Mitte Dezember letzten Jahres hatte bereits der Publizist Jürgen Todenhöfer erklärt, dass »mindestens die Hälfte der Meldungen
über Syrien« »schlichtweg falsch seien, fast wie vor dem Irak-Krieg.« »Wenn ich abends die internationalen Online-Medien überflog, war es so, als läse ich Erzählungen von einem fernen Stern.« [1] Wie Revolutionen gezielt von aussen entfacht und gesteuert werden, ist im Falle Ägyptens und Libyens inzwischen zur Genüge aufgezeigt worden. Der bekannte französische Autor und Journalist Thierry Meyssan deckt nun in einem mit der algerischen Zeitung »La Nouvelle République« bezüglich Syriens geführten Interview [2] die strategischen Pläne der USA und Europas auf, was ein gänzlich anderes Bild als das in der Tagespresse gezeichnete erkennen lässt. Während
des Kampfgeschehens in Libyen hatte Meyssan u.a. berichtet, dass sich unter
seinen Journalistenkollegen auch CIA-Mitarbeiter befanden und dass Journalisten
zudem in die Auswahl von militärischen Zielen involviert waren. Nach der
Lektüre der Darlegungen von Meyssan lassen sich die uns von der Presse gebotenen
täglichen Meldungen in ihrer Mehrheit getrost als Makulatur betrachten.
Die Syrienkrise -
seit 2001 beschlossene Sache - Von Thierry Meyssan
La Nouvelle
République: Sie waren in Syrien. Entspricht die Realität am Ort den von den westlichen
Medien verbreiteten Äußerungen: Massive Demonstrationen, Schüsse mit scharfer
Munition, die mindestens 5000 Tote verursacht haben, die Errichtung einer schon
1500 Mann starken ›Freien Syrischen
Armee‹, und dieser Anfang eines
„Bürgerkrieges“ mit 1,5 Millionen Syriern, die in dieser Falle Hunger leiden?
Thierry Meyssan: Eine französische Redewendung
besagt: »Wenn
man seinen Hund ertränken will, klagt man ihn der Tollwut an.« Im
vorliegenden Fall sagen die westlichen Medien, daß,
wenn ihre Mächte in einen Staat einmarschieren wollen, es sich um eine barbarische
Diktatur handelt, daß ihre Armee die
Zivilbevölkerung beschützen kann und daß sie
das Regime stürzen und Demokratie bringen müssen. Die Wahrheit haben wir im
Irak und in Libyen gesehen: die Kolonialmächte kümmern sich nicht im Geringsten
um das Schicksal der Bevölkerung, sondern verheeren das Land und plündern es
aus. Es gab niemals Massendemonstrationen gegen das syrische Regime, und
deshalb war es auch nicht möglich, sie mit scharfen Schüssen aufzureiben. Es
kam in den letzten Monaten zu ungefähr 1500 Toten, aber absolut nicht so wie es
geschildert wurde. Es gibt wohl eine ›Freie
syrische Armee‹, aber sie ist in der
Türkei und im Libanon zu Hause, und hat höchstens einige hundert Soldaten, die
man den TV-Kameras vorstellt. Syrien ist, was Nahrungsmittel betrifft, autark
und trotz Lieferschwierigkeiten gibt es keine Knappheit. Die westliche Medienversion
ist eine reine Fiktion. Die Wahrheit vor Ort ist, daß
der Westen einen nichtkonventionellen Krieg gegen Syrien führt. Er hat
arabische und Paschtunenkämpfer geschickt, die von Prinz Bandar Bin Sultan
angeheuert und von den französischen und deutschen Spezialtruppen ausgebildet
worden sind. Diese Kämpfer haben zuerst versucht, ein islamisches Emirat
auszurufen, und danach breit angelegte Fallen gegen syrische Militärkonvois
eingeleitet. Heute werden sie von einem Al-Qaida Emir, dem libyschen Abdelhakim
Belhaj, kommandiert. Sie haben auf große Operationen verzichtet und führen
Kommandoaktionen im Zentrum von Städten, um dort Terror auszulösen, in der
Hoffnung, einen religiösen Bürgerkrieg anzustacheln. Ihre letzte Heldentat ist
dieses doppelte Attentat in Damaskus.
LNR: In einem Ihrer Artikel stellen
Sie sich hinsichtlich der von dem in London ansässigen syrischen ›Observatorium der Menschenrechte‹ gelieferten Informationen die Frage:
Wie kommt es, daß Institutionen wie das Hohe
Kommissariat der Menschenrechte der UNO diese einfach übernehmen, ohne sie zu
prüfen. Welchem Spiel widmen sich die UNO Institutionen Ihrer Meinung nach?
TM: Das syrische ›Observatorium der Menschenrechte‹ [SOMR] ist plötzlich auf der Medienebene aufgetaucht. Dieser
Verein hat keine Vergangenheit, auf die er sich berufen könnte, und nur eines
seiner Mitglieder ist bekannt. Es ist ein Kader der syrischen
Muslimbrüderschaft, der drei Pässe besitzt, einen syrischen, einen britischen
und einen schwedischen. Dieser Herr verkündet jeden Tag die Anzahl der ›Opfer der Unterdrückung‹, ohne seine Aussagen zu begründen.
Seine Behauptungen sind unüberprüfbar und daher ohne Wert. Sie werden trotzdem
von allen jenen übernommen, denen sie nützlich sind. Das Hohe Kommissariat der
Menschenrechte hat drei Kommissare mit der Erforschung der Syrienereignisse
beauftragt. Ihre Mission überschreitet die Kompetenzen der UNO, welche
regelmäßige Inspektionen vorsieht, die Syrien, den Abkommen entsprechend,
erlaubt. Wie im Fall Hariri (Libanon) gehen die Vereinten Nationen von dem
Prinzip aus, daß die örtlichen Obrigkeiten
(libanesische oder syrische) unfähig oder unehrlich sind, so daß man sie durch ausländische Fahnder ersetzen muß. Daher können diese nicht einfach die Kooperation
der lokalen Macht erwarten. So haben sie einfach von der Schweiz und der Türkei
aus gearbeitet. Die Entsendung der drei Kommissare liefert keine Garantie für
Unabhängigkeit. Sie kommen alle drei aus Ländern, die sich für die militärische
Intervention in Syrien erklärt haben. Ihre Methode ist auch nicht akzeptierbar:
unter dem Druck der türkischen Kommissarin, die eine engagierte Aktivistin im
Kampf gegen Gewalttaten an Frauen ist, hat die Kommission es für überflüssig
gehalten, die Zeugenaussagen zu prüfen: es wäre die Sache der Angeklagten, ihre
Unschuld zu beweisen, wenn man sie vor Gericht stellte. Diese Art von
Inquisition macht es möglich, jedermann irgendeiner Schuld anzuklagen, beweist jedoch
überhaupt nichts. Die Fahnder haben mehr als 200 Leute angehört, die vorgeben, über
Informationen zu verfügen und die behaupten, manchmal Zeuge oder selbst Opfer
von Ausschreitungen gewesen zu sein. Gemäß der Prozedur bleibt der Name der
Zeugen auf diesem Stand der Fahndung geheim. Aber der Prozedur nicht
entsprechend bleiben auch die Namen der Opfer geheim. Die Hohe Kommissarin
versichert in lehrerhaftem Ton, daß die Unterdrückung mehr als 5000 Opfer gefordert
hat, aber sie zitiert nur zwei Namen. Dies ohne Glück, da die beiden Fälle von
Al-Dschasira sehr ausführlich erörtert wurden und Objekt zahlreicher Studien waren.
Der erste Fall betrifft ein Kind, das auf der Straße
von unbekannten Schützen aus einem Wagen heraus getötet wurde; der zweite
betrifft einen jungen Mann, der von einer bewaffneten Bande angeheuert wurde,
um an einem Angriff gegen eine Militärresidenz teilzunehmen und der mit einer
Kalaschnikow in der Hand gefallen ist. Das hat also nichts mit Repression einer
pazifistischen Demonstration zu tun. Wir erwarten daher von der Hohen
Kommissarin, daß sie die Namen der Opfer freigibt,
damit wir die Richtigkeit der Anschuldigungen überprüfen können. Zahlreiche
Instanzen der UNO haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Zum ersten sollte man
nicht erlauben, die Verantwortung Experten anzuvertrauen, die nicht den Status
von internationalen Beamten haben und nur nationale, von ihrem Land beauftragte
Beamte sind. Man sollte nicht im Namen der UNO handeln können, wenn man
gezwungen ist, seiner nationalen Hierarchie zu gehorchen.
LNR: In Syrien sowie in Libyen
behaupten gewisse Beobachter, daß die Rebellen
in Wirklichkeit Mordgeschwader, ausländische Söldner sind. Was können Sie dazu
sagen?
TM: In beiden Fällen nehmen
inländische Leute am Kampf teil, aber sie sind im Vergleich zu den
ausländischen Kämpfern in der Minderheit. In Libyen haben sich Gruppen aus
gewissen Stämmen den fremdländischen Söldnern für die Sezession der Cyrenaika
angeschlossen. Aber sie haben sich geweigert, in Tripolitanien zu kämpfen, um Gaddafi
zu stürzen. Es war somit erforderlich, Al-Qaida- Truppen zu entfalten und 5000 der
regulären Armee Katars eingegliederte Kommandos an den Strand zu bringen, um
die Schlacht auf dem Festland zu liefern. In den letzten Tagen der Jamahiriya
ist der Stamm von Misrata den NATO-Kräften gefolgt und in Tripolis
eingedrungen, als die Bombardierungen und die Schlacht zu Ende war. Die
einzigen Libyer, die vom Anfang bis zum Ende gegen das Regime gekämpft haben,
sind jene von Al-Qaida sowie eine Soldatengruppe, die zusammen mit General
Abdel Fatah Younes abtrünnig geworden waren. Nun war Younes in der
Vergangenheit von Oberst Gaddafi beauftragt worden, die Al-Qaida Rebellen zu
bekämpfen. Das ist der Grund, warum ihn seine Al-Qaida-Alliierten ermordet
haben, sich also sofort rächten, als sie ihn nicht mehr brauchten. Die Aufständischen,
die es in Syrien gibt, sind die Muslimbrüderschaften und die Takfiristen. Es
gibt hauptsächlich ausländische Kräfte, die Gauner engagieren und sie reichlich
für Zivilistenmorde bezahlen. Das Problem der NATO ist, daß Syrien im Unterschied zu Libyen eine historische
Nation ist. Es gibt keine regionale Spaltung wie zwischen der Cyrenaika und Tripolitanien.
Die einzige mögliche Spaltung existiert auf religiösem Gebiet, aber sie
funktioniert derzeit nicht, obwohl man einige solcher Konfrontationen - wie in
Banyias und Homs - erlebt hat. Die
offizielle Ankunft der Libyer, um in der Türkei ein Hauptquartier aufzubauen
und syrische Deserteure in diese Struktur einzugliedern, vervollständigt das
ganze Unternehmen.
LNR: Der nationale syrische Rat hat
sich unter Frankreichs Obhut in Paris gebildet. Was kann man dazu sagen? Wird
Frankreich wie in Libyen mit seinem ›Gesandten‹ Bernard Henry Lévy die erste Geige
spielen, oder mit einer anderen Strategie kommen?
TM: Zunächst ist es leicht zu sehen,
daß die französischen Institutionen zum Teil
von illegitimen Leuten wie Bernard Henry Lévy geführt werden, welche ohne Recht
und ohne Titel Verantwortung übernehmen. Dann dienen gewisse gewählte Personen,
wie Präsident Sarkozy, nicht nationalen Interessen, sondern jenen des imperialen
US-Systems. Unter deren Obrigkeit hat sich Frankreich schon in einem Konflikt in
der Elfenbeinküste engagiert, um das neo-konservative Projekt einer Neuformung
des ›Erweiterten Mittleren Orients‹ auf Nordafrika auszudehnen. Frankreich
hat mit Syrien keine Streitigkeiten mehr, wie es der Besuch Präsident el-Assads
aus Anlaß des Mittelmeergipfels in Paris gezeigt
hat. Man könnte höchstens meinen, daß der alte
Konflikt der 80er Jahre (speziell die Ermordung des französischen Botschafters
in Beirut) zwar beigelegt ist, jedoch ohne Entschädigung, so daß man ihn eventuell reaktivieren könnte. Aber ich
bin nicht sicher, ob das französische Verschulden in dieser Angelegenheit nicht
größer war als das der Syrier.
Kurzum,
Paris hat keinen Grund, Damaskus anzugreifen. Wir wissen alle genau, daß die wahre Geschichte woanders liegt: die Dominanz
und die Ausbeutung dieser Gegend hängen von dem Bündnis der USA mit Israel
einerseits, mit der Türkei und den Ölmonarchien andererseits ab. Dieses Bündnis
stößt auf eine Widerstands-Achse, welche aus Hamas, dem Libanon, Syrien, dem Irak
und dem Iran gebildet und von Rußland und
China unterstützt wird. Auf regionaler Ebene haben sich zwei Pole gebildet: der eine ist ausschließlich
sunnitisch, der andere multikonfessionell - und nicht schiitisch, wie es die Neo-Konservativen behaupten um die
Fitna aufzudrängen. Frankreich ist der Handlanger der USA geworden. Es kann
Syrien zu jeder Zeit den Krieg erklären, hat jedoch dafür allein nicht das
Vermögen, selbst nicht mit Hilfe Großbritanniens. Und der Gipfel vom 2.
Dezember 2011, der ein Dreierbündnis mit Deutschland schaffen sollte, wurde
wegen Finanzschwierigkeiten abgeblasen. Inmitten der Euro-Krise haben die
Europäer keine Mittel für ihren Imperialismus.
LNR: Die arabische Liga hat in einer
unerwarteten Art beschlossen, Syrien aus allen Institutionen auszuschließen,
noch bevor die von der syrischen Führung anerkannte Frist von 15 Tagen für die
Ausarbeitung des arabischen Schlichtungsplan zur Krise abgelaufen war. Wie ist
dieser Beschluß, der den Regeln der Liga
widerspricht, da in solchen Angelegenheiten Einstimmigkeit mit höchstens einer
Gegenstimme verlangt wird, zu betrachten?
TM: Die internationalen
Organisationen, ob es sich um die arabische Liga oder um die UNO handelt,
gehören nicht den Mitgliedstaaten, sondern jenen, die sie finanzieren. Die Liga
ist ein Spielzeug in den Händen der Ölmonarchien geworden. Leute die nicht
einmal eine Verfassung besitzen, denken nicht daran, die Statuten der
Organisationen, die sie gekauft haben, zu beachten. Über diese Feststellung
hinaus ist die Beschlußfassung durch die Liga,
Syrien wirtschaftlich zu belagern, nicht eine Sanktion für einen begangenen
Fehler, sondern der Anfang eines konventionellen Krieges.
LNR: Es bildet sich das gleiche
Szenario wie in Libyen. Werden wir die gleichen Zwischenfälle in Syrien
erleben, oder sind die Umstände anders, oder werden wir es mit einer anderen
Lage zu tun haben?
TM: Die Umstände und die Akteure sind
anders. Libyen ist ein isolierter Staat. Oberst Gaddafi hat viel Hoffnung
erregt und viel enttäuscht. Er war Anti-Imperialist, hatte aber viele geheime Abkommen mit der USA und Israel. Er war der
Alliierte von allen und hat jeden vernachlässigt oder gar verraten. Sein Land
kannte keine Diplomatie, keine Allianzpolitik, abgesehen von der
Investitionspolitik für die Entwicklung von Afrika. Libyen stand deshalb
isoliert gegenüber der NATO. Im Gegenteil dazu ist Syrien eine alte Nation, die
immer Bündnisse geschmiedet hat, selbst in ihrer Wahl des Widerstands an der Seite
der Palästinenser, der Libanesen, Iraker und Iraner. Syriens Diplomatie ist so
stark, daß sie in wenigen Tagen das doppelte
russische und chinesische Veto im Sicherheitsrat bekommen konnte. Jeglicher
Krieg gegen Syrien wird sich auf die ganze Region ausbreiten, oder sogar in einen
Weltkrieg ausarten, falls der Iran und Russland direkt eingreifen. Die Libyer
sind noch dazu nur 5 Millionen, während Syrien 23 Millionen Einwohner hat.
Libyen hatte außer dem Tschadkrieg keine militärische Erfahrung, während es Syrien
seit 60 Jahren gewohnt ist, in einer kriegsträchtigen Region zu leben. Die
Experten der kriegerischen Lobby aus Washington behaupten, daß die syrische Armee schlecht ausgerüstet und
schlecht trainiert sei. Sie versprechen, daß
eine internationale Intervention eine Gesundheitspromenade sein wird. Das ist lustig,
da dieselben Experten 2006 behaupteten, daß
Israel einen neuen Krieg gegen Syrien vermeiden sollte, weil Syrien zu
gefährlich wäre.
LNR: Manche Leute meinen, daß das, was in Syrien passiert, nur eine Verlängerung
der ›arabischen Frühlinge‹ sei, während Syrien laut Erklärungen
von General Wesley Clark seit der Bush-Ära auf der amerikanischen Agenda steht;
was glauben Sie: welcher Ausweg existiert für Bachar Al-Assad, um die Konspiration
zu umgehen?
TM: Wie man sich erinnert, wurde der
Beschluß, Syrien anzugreifen, in einer
Versammlung in Camp David am 15. September 2001 getroffen, gerade nach den
Attentaten in New York und Washington. Die Bush-Regierung hatte eine Reihe von
Kriegen geplant: Afghanistan und Irak, Libyen und Syrien, Sudan und Somalia, um
mit dem Iran zu schließen. Im Jahr 2003, kurz nach dem Fall von Bagdad, hat der
Kongreß den ›Syrian Acountability Act‹
verabschiedet, der den US- Präsidenten beauftragt, Syrien so schnell wie
möglich den Krieg zu erklären. Was Präsident Bush aus Zeitmangel nicht machen
konnte, soll sein Nachfolger Barack Obama nun ausführen. General Wesley Clark
hat diese Strategie schon vor vielen Jahren freigegeben, um sich besser gegen
sie zu wehren. Er hat eine sehr wichtige Rolle im Libyenkrieg gespielt, den er
verzweifelt versucht hat, mit Hilfe
zahlreicher aktiver Generäle zu stoppen. All diese Leute verkörpern eine
Strömung höherer Offiziere, die sich weigern, ihre Soldaten in Auslandsabenteuern,
die nicht den Interessen der USA dienen, sondern nur einigen Israel
nahestehenden Ideologen, sterben zu lassen. Sie werden alles in Gang setzen, um den Krieg in
Syrien zu verhindern und besitzen mehr Hebel als man glaubt, um die Weltpolitik
zu beeinflussen. Präsident Bachar Al-Assad ist nicht wie sein Vater. Er ist
kein Autokrat. Er regiert mit einer Mannschaft. Die Strategie seiner Regierung
besteht einerseits darin, den zivilen Frieden entgegen Destabilisierungsversuchen
und konfessionellen Spaltungen zu schützen, andererseits die Bündnisse zu
stärken, speziell die mit dem Iran, Rußland
und China.
LNR: Eine Erkenntnis, die sich uns in
den Wirren der arabischen Welt aufdrängt, sei es in Tunesien, Ägypten, Libyen und
jetzt in Syrien, ist diese ›Versöhnung‹ des Westens mit den islamistischen
Strömungen, die dieser doch bekämpft hatte. Was sind Ihrer Meinung nach die
Gründe und Ziele dieses neuen Spiels des Westens?
TM: Ich glaube nicht, daß die Islamisten jemals als Feinde des Westens
betrachtet wurden. Wenn man die Geschichte studiert, sieht man, daß sie von allen Imperien dazu benutzt wurden, den nationalen
Widerstand zu zügeln. Dies war der Fall bei den Ottomanen, den Franzosen und Engländern.
Erinnern Sie sich daran, wie Frankreich das Gesetz der Trennung zwischen Kirche
und Staat (1905) in Algerien niemals angewendet hat. Es hat im Gegenteil die
Moscheen gefördert, um seine Autorität durchzusetzen. Die Angelsachsen haben es
ebenfalls so gemacht. Noch mehr hat die USA in den 80er Jahren islamistische
Bewegungen mit der Hoffnung kreiert, einen Zivilisationskonflikt zwischen der
muslimischen Welt und der Sowjetunion zu provozieren. Es war die Strategie von
Bernard Lewis, die von Zbigniew Brzezinski angewendet und von Samuel Huntington
für das allgemeine Publikum zur Theorie gemacht wurde. Das ergab dann die
Al-Qaida. Diese Leute haben die Interessen des US-Imperiums in Afghanistan,
Jugoslawien, in Tschetschenien und in neuerer Zeit im Irak, in Libyen und jetzt
in Syrien verteidigt. Abdelhakim Belhaj, den Ayman Al-Zawahiri zur Nummer 3 von
Al-Qaida ernannte, als die islamische Gruppe der Kämpfer in Libyen von Al-Qaida
absorbiert wurde, ist heute Militärgouverneur von Tripolis und Kommandant der ›Freien syrischen
Armee‹. Er gibt sich ohne Komplex
als Mann der NATO aus und verlangt vom MI6, der ihn gefoltert hatte, daß er ihm Rechenschaft ablege. Was die Muslimbrüder
betrifft, welche Washington heute in Tunis, in Libyen und in Ägypten an die
Macht bringt und die er in Syrien installieren will, so sind sie geschichtlich
mit dem MI6 verbunden. Sie waren von Hassan Al-Banna konzipiert worden, um die
Engländer zu bekämpfen, aber sie wurden von den Engländern benützt, um Nasser
zu bekämpfen. Heute sind sie mit Geldsubventionen vom Golf Cooperation Council
GCC] überhäuft, was kein Zeichen von Unabhängigkeit ist.
LNR: Wenn morgen das Bachar Al-Assad
Regime fallen sollte, was wären die Folgen für die Widerstands-Achse
Teheran-Hezbollah-Hamas?
TM: Die USA macht aus folgendem kein
Geheimnis: Falls es ihnen gelingen sollte, Syrien zu zerstören - ich sage ›Syrien zu zerstören‹,
weil die Frage des Widerstands weit über die Person von Präsident el-Assad
hinweggeht - würden sie den Krieg
fortsetzen und sofort den Iran angreifen. Daher würde der Fall Syriens eine Periode
mit großer Instabilität einleiten, die in einen Weltkonflikt ausarten könnte.
LNR: In dem syrischen Konflikt hat die
Türkei Partei ergriffen und die Thesen der syrischen pro-westlichen Opposition
vollkommen übernommen. Da die Türkei bereit ist, das syrische Regime zu
verbannen und Syrien so darzustellen, als würde es sein eigenes Volk töten, und
auch bereit ist, die Demonstrationen zur Unterstützung des syrischen
Präsidenten nicht zuzugeben, die Dimension der bewaffneten Protestbewegung zu
bestreiten und Syrien bis zur Negierung der Bürgerwahlrechte der inneren
Opposition und ihrer parlamentarischen Repräsentanzmöglichkeit zu treiben, um
sie nur dem syrischen Nationalrat zuzuerkennen, ergibt sich die Frage, wie Sie
diesen Umschwung der Türkei erklären können?
Thierry
Meyssan: Wir hatten alle vergessen, daß die
Türkei NATO-Mitglied ist. Das türkische Heer ist eine amerikanische
Hilfstruppe. In der Vergangenheit war es dies, was die USA in Korea gerettet
hat. Die Türkei beherbergt US-Basen und hat gerade zugestimmt, daß das Pentagon seine derzeit in Spanien liegenden
NATO-Stützpunkte in die Türkei übersiedelt und neue Radarstationen, die den
Iran überwachen sollen, dort aufbaut. Seit einem Jahrhundert begehen die
türkischen Leader laufend politische Fehler. Erdogan hofft der Gendarm der
Region zu werden, wie es vor ihm der Schah Reza Pahlavi und Saddam Hussein
gemacht haben. Die Geschichte hat jedoch gezeigt, wie die USA jene behandelt
die ihnen dienen: sie benützen sie und eliminieren sie später.
Chérif
Abdedaïm und Thierry Meyssan
Sanktionen und
Zerstörung - ein Merkmal auch der EU
Anmerkung politonline d.a.: Wie Karin Leukefeld
von der jungen Welt [3] aus Damaskus
berichtet, hat der öffentliche Versorgungssektor in Syrien derzeit durch
gezielte Angriffe von bewaffneten Aufständischen hohe Verluste zu verzeichnen.
Mitarbeiter im Gesundheitswesen, im Strom- und Ölsektor werden bedroht,
entführt und getötet. Der syrische Gesundheitsminister Wael Al-Halaqi legte am
19. 1. bei der WHO in Genf einen Bericht vor: In den vergangenen Monaten wurden
12 Klinikmitarbeiter getötet und 25 verletzt; 12 Krankenhäuser, 43
Gesundheitszentren und 76 Krankenwagen wurden teilweise zerstört. Laut einer
Erklärung des Ministers für Elektrizität, Imad Khamis, vom 18. 1. kappten
bewaffnete Gruppen gezielt Stromleitungen und sprengten Strommasten. Der
syrische Ölsektor sei von den »ungerechtfertigten und illegalen« Sanktionen
betroffen, so Ölminister Sufian Allaw. Durch das Ölembargo seitens der USA und
der EU seien dem Land seit September 2011 Verluste in Höhe von rund 1,55
Milliarden € entstanden. Firmen, mit denen Syrien Verträge über die Förderung
und Entwicklung im Öl- und Gassektor abgeschlossen habe, würden durch die
Sanktionen gezwungen, diese Verträge zu brechen. Lokale Mitarbeiter in den
Projekten hätten ihre Arbeit verloren. Auch der Versuch, die täglich
geförderten 140’000 Barrel Öl anderweitig zu verkaufen, werde durch die
Sanktionen behindert, so Allaw. Transportfirmen seien zumeist in der USA und in
den europäischen Staaten registriert und müßten sich den Strafmaßnahmen beugen.
Ebenso verhalte es sich mit der Versicherung und Rückversicherung für die
Ladung. Der Leiter der katholischen Kirche in Syrien, Patriarch Ignatius Joseph
III [4], beschuldigt die westlichen Regierungen, die Rechte der Minderheiten in
Syrien für wirtschaftliche und geopolitische Interessen zu opfern. Er
erklärte, dass sich die Christen von der EU und der USA betrogen fühlten, weil
sie beobachteten, dass die Europäer und die Amerikaner Fragen zum Mittleren
Osten nur aus dem (eigenen) politischen und wirtschaftlichen Blickwinkel sehen.
Wie dem
Blog von Joachim Guilliard [5] zu entnehmen ist, berichtete das syrische
Nachrichtenportal ›ChamPress‹ bereits im Mai letzten Jahres über
einen im Jahr 2008 vom saudischen nationalen Sicherheitsberater, Bandar Bin Sultan,
und dem damaligen US-Botschafter im Libanon, Jeffrey Feltman, ausgearbeiteten,
recht detaillierten Plan, regierungsfeindliche Aktivitäten in Syrien
zu organisieren, mit dem Ziel, Präsident Baschar Al Assads zu stürzen. Bandar
bin Sultan war früher saudischer Botschafter in Washington und dort der
einzige, der permanente Bewachung durch die US-Präsidentengarde genoss. Bandar
ist für seine Verbindungen in Angelegenheiten, die in Beziehung zur Unterstützung
widerstandsfeindlicher und pro-israelischer Kräfte stehen, bekannt. Die
Diskussion solcher Pläne, schreibt Guilliard, ist für sich genommen noch kein
Beweis dafür, dass sie tatsächlich umgesetzt wurden. Vor dem Hintergrund der
langen Geschichte verdeckter US-Interventionen sind sie jedoch keineswegs unplausibel
und vieles vom aktuellen Geschehen passt so gut, dass man eine Umsetzung
einzelner Aspekte ernsthaft in Betracht ziehen muss. Der Verdacht wird noch
dadurch stark erhärtet, dass Bandar offenbar bereits im Oktober 2010 in einer
entsprechenden Mission persönlich unterwegs war. Er wurde dabei geschnappt, als
er zusammen mit einigen Mitstreitern unter falschem Namen, mit gefälschtem Pass
und Millionen Dollar an Bargeld in Syrien einreisen wollte. Das aktuelle
Szenario passt auch sehr gut in die von Seymour Hersh im März 2007 enthüllten
Pläne, den Einfluss Irans, Syriens und der Hisbollah im Nahen Osten ›zurückzudrängen‹, indem man Sunniten und Schiiten in der Region gegeneinander
aufhetzt. In Geheimabsprachen waren Bandar und der damalige US-Vizepräsident,
Dick Cheney, übereingekommen, zu diesem Zweck sunnitische und dschihadistische
Gruppen über die Saudis verdeckt zu unterstützen. Konkret umgesetzt wurde dies
im Libanon, wo Bandar die radikal-sunnitische Fatah al-Islam als Gegengewicht
gegen die Hisbollah finanzierte. In der Folge kam es im Mai 2007 zu heftigen
Gefechten zwischen der libanesischen Armee und dieser Untergrundorganisation.
An Geld für solche Aktionen fehlt es dem illustren Prinzen sicherlich nicht.
Wie der Guardian 2007 enthüllte, hat ihm allein der britische Rüstungskonzern
BAE (vormals Britisch Aerospace) über 10 Jahre hinweg heimlich über eine
Milliarde britischer Pfund zugesteckt, als Schmiergeld für die Hilfe bei den
Al-Yamamah Deals, den größten Waffendeals in der britischen Geschichte. [6] Einem größeren Publikum wurde Bandar durch
Michael Moores Film ›Fahrenheit 9/11‹ bekannt, der ihn als engsten Freund
von George W. Bush ›würdigt‹. Auch sein Kumpan Jeffrey Feltman ist
ein erfahrener Strippenzieher. Der antisyrische Frontmann der
Bush-Administration spielte eine wesentliche Rolle dabei, Syrien den Mord am
libanesischen Premier Rafiq al-Hariri anzuhängen und Fuad Siniora als dessen
Nachfolger einzusetzen. Dessen Regierung wurde im Libanon von vielen schlicht
als ›Feltman-Regierung‹ bezeichnet. Nach Angaben des
ehemaligen libanesischen Parlamentariers Nasser Qandil traf Feltman sich im
Januar 2011 mit syrischen Oppositionellen in Paris. Mit dabei sollen der
US-Botschafter in Israel, Dan Shapiro, und Vertreter der libanesischen, von Saad
al-Hariri geführten anti-syrischen ›Zukunftsbewegung‹ gewesen sein. [7]
Das Widerwärtigste
an dieser Sachlage ist wohl der Fakt, dass sich unter denjenigen, die sich auch
in diesem Jahr in Davos zu profilieren gedenken, mit Sicherheit auch solche befinden,
die bei der Einkreisung Syriens ihre Hand mit im Spiel haben.
[1] http://www.jungewelt.de/2011/12-17/009.php 17.12.2011 / Kultur & Medien / Seite 14
Nachschlag: Aufstandsmeldungen
[2] Quelle: http://denkbonus.wordpress.com/2012/01/15/syrienkrise-seit-2001-beschlossene-sache/#more-4351 15. 1. 12
Mit
freundichem Dank an Voltairenet.org - http://www.voltairenet.org/Der-Beschluss-Syrien-anzugreifen 13. 1. 2012
[3] http://www.jungewelt.de/2012/01-21/035.php Karin Leukefeld: Sabotage gegen Infrastruktur
Syrien: Energie- und Gesundheitsversorgung durch Angriffe und Sanktionen
beeinträchtigt
[4] http://www.doriangrey.net/index.php?page=politik 17. 1. 12
[5] Nachgetragen - Blog von Joachim Guilliard
http://jghd.twoday.net/stories/syrien-details-einer-verschwoerung/ 11. 5. 11
[6] http://www.guardian.co.uk/world/2007/jun/07/bae1 7. 6. 2007
David Leigh and Rob Evans - BAE accused of secretly paying £1bn to Saudi
prince
[7] http://www.crescenticit.com/special-reports/1953-may2011/3092-us-israeli-saudi-involvement-in-syrian-uprising.html May 2011 - US, Israeli, Saudi involvement in
Syrian uprising By Tahir Mustafa
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