Kriegsgegner in Den Haag - Das Jugoslawien-Tribunal hat nichts mit Verbrechensaufarbeitung und Gerechtigkeit zu tun. Die NATO läßt dort ihren eigenen Krieg als »gerecht« absegnen - Von Klaus Hartmann

Mit der Überstellung von Radovan Karadzic an das Den Haager Sondertribunal hat die neue serbische Regierung einen Beweis ihrer Unterwürfigkeit gegenüber der USA, der EU und der NATO geliefert. Deren permanente Auslieferungsforderungen an Belgrad haben nichts mit dem heuchlerisch zur Schau gestellten Wunsch nach Verbrechensaufarbeitung und Gerechtigkeit zu tun. Sie sollen die Propaganda von der »serbischen Hauptschuld« im jugoslawischen Bürgerkrieg untermauern, mit der die westlichen Mächte ihren Zerstörungskrieg gegen Jugoslawien getarnt und gerechtfertigt haben [1].

Der westlichen Bevölkerung soll erneut eingetrichtert werden, diesen Krieg als einen Kampf von Gut gegen Böse aufzufassen. Wobei die Serben das Böse verkörpern, deren Ziel »Großserbien« gewesen sei, und deren Weg dorthin über »ethnische Säuberungen«, Massenvergewaltigungen, Folter, Konzentrationslager, Massaker und Völkermord führte. Dieses angebliche »Großserbien« ist bereits eine irreführende Propagandaformel, da es den Serben immer um die Erhaltung eines multinationalen und multikulturellen Jugoslawiens gegangen ist, in dem auch die Serben verschiedener Republiken in einem Staat zusammenleben können. Genau die Zerstörung dieses gemeinsamen Staates war das Kriegsziel der Westmächte, und daher waren die Serben als ihre entschiedenen Gegner »schuldig«. Die Einrichtung des Den Haager Sondertribunals für Jugoslawien diente und dient genau diesem Propagandazweck der NATO, ihre Kriegsgegner zu kriminalisieren, und den eigenen Krieg als »gerecht« heiligsprechen zu lassen. Dabei soll vergessen gemacht werden, daß das Sondertribunal kein UNO-Gericht, sondern illegal ist, da es unter Bruch der UNO-Charta vom hierfür nicht zuständigen Sicherheitsrat ins Leben gerufen wurde, und weil sein Budget nicht ausschließlich aus UNO-Mitteln, sondern überwiegend von westlichen Medienkonzernen finanziert wird.
 
Der seit dem Bosnien-Krieg hierzulande nur als »Serbenführer« apostrophierte Radovan Karadzic ist das Opfer der Dämonisierung der serbischen Rolle im gewaltsamen Auseinanderbrechen Jugoslawiens. In dieser Propaganda kommen serbische Opfer ebenso wenig vor wie jene Zehntausende bosnische Muslime, die während des Bürgerkrieges »ausgerechnet« in der Republik Serbien Zuflucht suchten und fanden. Deshalb werden auch die Opfer von Srebrenica, »bis zu 8000«, ausschließlich als wehrlose bosnisch-muslimische Männer und Jungen bezeichnet, aber die darunter befindlichen über 1000 serbischen Opfer nicht wahrgenommen. Ignoriert wird ebenso, daß von den »bis zu 8000« Toten einige Tausend später an anderen Orten wieder ihr Wahlrecht ausübten, was Ende 1995 zu einer Wahlbeteiligung von sage und schreibe 103 % der bosnischen Muslime führte.
 
Die »Unvoreingenommenheit« des Haager Sondertribunals wurde mit der Weigerung deutlich, Ermittlungen gegen die NATO wegen ihres völkerrechtswidrigen Überfalls auf Jugoslawien 1999 einzuleiten, geschweige denn Anklage zu erheben. Was niemand verwundert, der aus dem Munde des damaligen NATO-Sprechers Jamie Shea hörte, daß die NATO »die Freundin des Gerichts« sei. Auch aus seiner Feindbildfixiertheit auf die Serben machte dieses saubere Gericht nie einen Hehl. Nachdem es Anklagen gegen die Separatisten-Chefs Alija Izetbegovic und Hashim Thaci nie in Erwägung zog, wurden nach Jahren zumindest Kriminelle aus der zweiten Reihe angeklagt: Naser Oric, Kommandant und Schlächter von Srebrenica, hat nachgewiesenerweise 1300 getötete Serben und 192 niedergebrannte Dörfer auf seinem Schuldkonto. Obwohl er ausländischen Reportern stolz seine »Kriegstrophäen« zeigte, Videos mit abgeschnittenen Köpfen, verbrannte und erschossene Serben, abgebrannte Häuser und Leichenberge, sprach ihn das Haager »Gericht« vor vier Wochen frei. Die Haager Anklagebehörde versuchte, den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic mangels anderer substantieller Vorwürfe für Verbrechen in Bosnien verantwortlich zu machen: Die Führung der bosnischen Serben hätte unter seiner Kontrolle gestanden. Milosevic, dessen Anliegen nicht seine persönliche Verteidigung war, sondern die Verteidigung des serbischen Volkes gegen die NATO-Lügen, verwendete nicht viel Zeit auf die leichte Widerlegung dieser These, der sogar Zeugen der »Anklage« widersprachen. Er trat der Dämonisierung der bosnischen Serben und Karadzics entgegen, ungeachtet der erheblichen politischen Differenzen, die er bekanntlich mit diesem erklärten Antikommunisten gehabt hatte.
 
Mit der Auslieferung Karadzics an die NATO-gesteuerte Haager Kolonialbehörde hat die Belgrader Regierung ihre Bereitschaft erklärt, unter Preisgabe der nationalen Würde und Souveränität den NATO-Feinden Gehorsam zu leisten. Die Zustimmung des neuen serbischen Innenministers Ivica Dacic, Vorsitzender der Sozialistischen Partei Serbiens, zum Auslieferungsbeschluß besiegelt den Verrat am Völkerrecht, den Interessen der jugoslawischen Völker und am Vermächtnis von Slobodan Milosevic.
 
Anmerkung politonline d.a. Inzwischen wächst offenbar der Druck auf die Serben, auch Karadzics damaligen Militärchef Ratko Mladic zu verhaften, was Condoleezza Rice dazu veranlasste, uns folgende Sicht der Dinge zu präsentieren: »Die Serben unternehmen gerade einen Schritt, eines der schwärzesten Kapitel ihrer Geschichte zu schliessen.« Die Verhaftung Karadzics zeige seitens der neuen serbischen Regierung einen »ungeheuren Willen«, die Integration des Landes in die EU voranzutreiben. Während die anderen Teile Europas nach dem Ende des Kalten Krieges »Fortschritte gemacht« hätten, sei der Balkan zunächst in eine »tiefe Finsternis« verfallen, meinte Rice 2. Auch wenn die meisten von uns auf Grund der im Zusammenhang mit dem Irak- und dem Afghanistankrieg insbesondere von der USA vorgebrachten Lügen längst dazu übergegangen sein dürften, die uns von Washington hinsichtlich geschichtlicher Vorgänge zugedachten Erläuterungen unmittelbar auf die Waagschale zu legen, ist man dennoch jedes Mal fassungslos, mit welcher an Dreistigkeit gemahnenden Einseitigkeit wir auch in diesem Fall belehrt werden. Schliesslich liegt es auf der Hand, dass die Serben dieses schwarze Kapitel keineswegs zu erleiden gehabt hätten, hätte die NATO im Verbund mit der USA nicht dafür gesorgt, dass es über sie hereingebrochen ist. Erschütternd ist ferner, dass, wie Rüdiger Göbel vermerkt, die Verhaftung von Karadzic Spitzenpolitiker in den NATO-Mitgliedsländern wahre Jubelgesänge anstimmen lässt 3. Es lässt sich vermuten, dass sich auch Joschka Fischer in diesem Kreis befindet, zu dessen ersten Amtshandlungen es gehört hatte, den Angriffskrieg gegen Serbien im Jahr 1999 politisch durchzusetzen, ebenso Ex-NATO-Generalsekretär Javier Solana, der für den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien mit verantwortlich ist. Der Angriff auf Jugoslawien war von Solana unter Ausschluss des UN-Sicherheitsrates beschlossen worden, nachdem es Slobodan Milosevic bei den Verhandlungen in Paris und Rambouillet abgelehnt hatte, militärische Zusatzvereinbarungen zum Vertrag über die Regelung der Kosovo-Krise zu unterzeichnen. Jaap de Hoop Scheffer, Generalsekretär der westlichen Militärallianz, würdigte das »bedeutende Zusammenwirken« der serbischen Behörden mit dem Haager Tribunal. Notwendig sei jetzt noch die Festnahme von Ratko Mladic. Geradezu einmalig ist auch die Reaktion von Bundeskanzlerin Merkel, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass Deutschland Anfang der 90er Jahre mit der Anerkennung von Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina die blutigen Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien mit ausgelöst hatte: Sie zeigte sich über die Erfolgsmeldung aus Belgrad zufrieden. Die Festnahme von Karadzic sei ein »historischer Augenblick« und eine »gute Nachricht für den gesamten Balkan«. Die Opfer dürften wissen, so Merkel, dass »massive Menschenrechtsverletzungen nicht ungestraft bleiben«. Selbstredend ist nicht damit zu rechnen, dass die Opfer der zahllosen US-Aggressionen je auf eine Bestrafung der Urheber hoffen können. Der Aussenminister der BRD, Frank-Walter Steinmeier, wertete die lang eingeforderte Verhaftung als »Meilenstein« in den Beziehungen zwischen Serbien und der EU. Die Begründung, mit der der Krieg gegen Jugoslawien, in dem unzählige unschuldige Menschen starben, in Gang gesetzt wurde, ist hinlänglich bekannt und braucht nicht mehr dargelegt zu werden. Jedoch ergibt sich aus dem Ganzen erneut die Frage, ob die uns Regierenden überhaupt über einen Gerechtigkeitssinn verfügen oder ein Gewissen besitzen, das ihnen verbietet, wahre Ursachen zu verdrängen.
 
 
1 http://www.jungewelt.de/2008/07-31/058.php; der Autor ist Vorsitzender des Internationalen Komitees für die Verteidigung von Slobodan Milosevic und Sprecher der deutschen Sektion; Hervorhebungen durch politonline
Siehe auch http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=982 Schluß mit Den Haag! Freispruch für einen Massakerhelden - Von Werner Pirker, sowie
http://www.politonline.ch/index.cfm?content=news&newsid=920 Was Zeugen zustossen kann
2 http://www.jungewelt.de/2008/07-25/034.php Rice: »Finsternis« auf dem Balkan
3 http://www.jungewelt.de/2008/07-23/033.php Der Westen triumphiert - Von Rüdiger Göbel