Konrad Ege - Wenn das Imperium foltert

USA - Von Lyndon B. Johnson bis zu George Bush - sie alle haben »harte Verhöre« von politischen Gefangenen nicht nur gebilligt, sondern angeordnet. Als 2004 die Fotos über Folterungen im Abu-Ghraib-Gefängnis bei Bagdad in die Medien gerieten, wollten das naive, gutmeinende Gemüter noch als Folge des abnormen Verhaltens einzelner US-Militärs deuten. Spätestens seit Guantánamo weiss man, dass die Peinigung von Gefangenen zu den normalen Umgangsformen der westlichen Führungsmacht gehört. Versuche, dem Einhalt zu gebieten, scheitern - wie gerade geschehen - am Veto der Administration.

Bequem wäre es, wenn nur ein paar sadistische CIA-Gestalten für das Foltern von verdächtigten Terroristen verantwortlich wären. Oder - aus der Sicht von Bush-Kritikern - es wären nur George Bush und Richard Cheney schuld. In den vergangenen Wochen bekannt Gewordenes bestätigt anderes: Folter und »harte Verhöre« wurden von ganz oben angeordnet, und selbst führende demokratische Politiker wussten davon. In ehemals geheimen Dokumenten kann man nachlesen, dass US-Bedienstete manchmal schon lange vor dem »Krieg gegen den Terrorismus« gefoltert haben. Die Verwalter von Imperien - auch Frankreich in Algerien oder Grossbritannien in Nordirland - glaubten sich berechtigt, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu opfern, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Selbst ein Hilfssheriff in der amerikanischen Pampa würde sofort hellhörig, wenn eine Verdachtsperson Beweismittel vernichtet. Jetzt ist der Chef des US-Geheimdienstes CIA in der unangenehmen Situation, zugeben zu müssen, dass seine Behörde »Beweismittel« vernichtet hat: Nämlich Videos von CIA-Verhören des mutmasslichen al-Qaida Top-Mitgliedes Hussein Abu Subeida im Jahr 2002. Dabei sei Abu Subeida auch dem Waterboarding, dem Simulieren des Ertränkens, ausgesetzt worden, sagte der ehemalige CIA-Beamte John Kiriakou, der nach eigenen Angaben selber an den Verhören - nicht aber am Waterboarding - teilgenommen hat, vor wenigen Tagen im Fernsehsender ABC.

 

Waterboarding ist eine auf die Inquisition zurückgehende Methode, bei der Peiniger dem auf dem Rücken liegenden gefesselten Verhörten ein Tuch (modern: Zellophan) über das Gesicht binden und in den Mund stopfen und Wasser in den Mund pressen. Waterboarding kommt einer »langdauernden Scheinhinrichtung« gleich, erklärte die Torture Abolition and Survivors Support Coalition, ein Verband von Folter-Überlebenden in Washington. Abu Subeida habe die Tortur nur eine halbe Minute ausgehalten, sagte Kiriakou. Originalton George Bush im September 2002: Abu Subeida sei »ein führender Terrorist«, die CIA habe »alternative« Methoden eingesetzt, um ihn zum Reden zu bringen. - Waterboarding werde nicht »einfach mir nichts, dir nichts eingesetzt«, erläuterte Kiriakou. Ein CIA-Mann »wacht nicht plötzlich auf am Morgen und denkt sich, heute machen wir verschärfte Verhöre«. Diese Entscheidungen würden »im Weissen Haus mit Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates und des Justizministeriums getroffen«.

 

Dass US-Sicherheitskräfte im Irak foltern, weiss man spätestens seit April 2004, als die aufsehenerregenden Fotos aus dem Gefängnis Abu Ghraib an die Öffentlichkeit gelangten. Freigelassene Häftlinge berichten auch von Misshandlungen im Lager Guantánamo, und Journalisten haben aufgedeckt, dass die CIA verdächtigte Terroristen häufig an Folter-Länder »überstellt«. Folternlassen ist keine Eigenheit republikanischer Politiker. Man erinnere sich an den ersten Versuch von Extremisten im Februar 1993, das New Yorker World Trade Center in die Luft zu jagen. Kurz nach dem Anschlag wurde der verdächtigte Abdul Hakim Murad auf den Philippinen festgenommen und dort zwei Monate lang verhört und gefoltert. Danach liess Bill Clintons FBI die Verhörprotokolle kommen und verwendete sie beim Prozess gegen den schuldig gesprochenen »Drahtzieher« Ramzi Yousef. Nach einem Bericht von Human Rights Watch hat Clintons CIA 1998 auch fünf mutmassliche Angehörige einer »Terrorzelle« in Albanien entführen helfen und nach Ägypten geschafft, wo sie gefoltert und zwei hingerichtet wurden. Am schlimmsten folterten die CIA und ihre Verbündeten wohl unter dem demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson und dem Republikaner Richard Nixon innerhalb des Programms Phönix während der späten sechziger Jahre in Südvietnam. Nach Angaben des 1996 verstorbenen CIA-Direktors William Colby kamen dabei 20.587 Vietnamesen ums Leben. Mutmassliche Kommunisten (Vietcong) wurden routinemässig gefoltert und lebend aus fliegenden Hubschraubern geworfen. Die liberale Ikone John F. Kennedy hat mit Hilfe der von ihm gegründeten Eliteeinheit Green Berets Militärs und Geheimdienstagenten in Lateinamerika Foltermethoden gelehrt. Im Online-Archiv des Geschichtsforschungsinstituts National Security Archive * befinden sich richtige Lehrbücher, mit denen US-Offiziere in den sechziger Jahren Offizieren aus Südamerika Verhör- und Folterpraktiken beibrachten.

 

Effektives Foltern, stellte die CIA in den fünfziger und sechziger Jahren bei einem massiven Forschungsprogramm fest - unter anderem mit Drogen, LSD und Elektroschock - sei gar nicht so leicht, wenn es darum gehe, dass der Gefolterte brauchbare Informationen liefert. Wie der Historiker Alfred McCoy in seinem Buch ‹A Question of Torture› schrieb, sprechen die CIA-Experimente gegen Elektroschocks (auch gegen Waterboarding) und brutale körperliche Methoden: Der Verhörte werde vielmehr durch totale Isolierung und den Entzug aller Sinneswahrnehmung (sensory deprivation) oder Überwältigung mit Sinnesreizen (Hitze, Kälte, Lärm) und Schlafentzug desorientiert und gefügig gemacht. Kombiniert werde das mit »selbst zugefügten Schmerzen«, bei denen der Häftling in Stresspositionen gezwungen wird: Das haben inzwischen Tausende in Afghanistan, im Irak und in Guantánamo erleiden müssen. Als Präsident Clinton 1994 dem Senat die UN-Konvention gegen Folter zum Ratifizieren schickte, tat er das mit einem schriftlichen Vorbehalt: Das Abkommen gelte nicht für psychische Verhörmethoden.

 

In wohl noch keiner US-Regierung haben sich hochrangige Vertreter so viele Gedanken über Folter gemacht wie die Regierung Bush. Fachberater des im Herbst zurückgetretenen Justizministers Alberto Gonzales schrieben Memos, dass die Genfer Konvention im neuartigen Krieg gegen den Terror »obsolet« sei. Ex-Verteidigungsminister Rumsfeld und mehrere Generäle, darunter Ricardo Sanchez, oberster Militär im Irak von Juni 2003 bis 2004, diskutierten, was alles »erlaubt« sein müsse. Sanchez befahl den Einsatz von Hunden, um »die Angst des Arabers vor dem Hund« zu nutzen. Rumsfeld beschwichtigte, langes Stehen könne doch keine Folter sein. Er stehe oft fast den ganzen Tag. Ein kleines Kind schliesst die Augen und glaubt verzweifelt, dass der böse Wolf verschwindet, wenn er nicht mehr zu sehen ist. Viele US-Amerikaner verschliessen oft ihre Augen vor der Realität, dass ihre Regierung foltert. Politiker sind »realistisch« und wissen, dass man eben manchmal foltern »muss«. Nach einem Bericht der Washington Post wurde Nancy Pelosi - demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses und engagierte Verfechterin der Rechte unterdrückter Menschen in China - schon 2002 über das Waterboarding informiert. Sie habe keine Einwände vorgebracht.

 

Quelle: http://www.freitag.de/2007/51/07510901.php

* www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB122/index.htm