Der Weg in die neue Weltordnung - Schamlose Ausbeutung und schamlose Diktatur von Prof. Dr. Michel Chossudovsky 21.11.2007 16:14
Nur wenige Wochen nach dem blutigen Militärputsch in Chile am 11. September 1973, bei dem die gewählte Regierung von Präsident Salvador Allende gestürzt wurde, ordnete die Militärjunta unter General Augusto Pinochet die Anhebung des Brotpreises von 11 auf 40 Escudos an. Diese enorme Steigerung von 364 % von einem auf den anderen Tag war Teil einer wirtschaftlichen Schocktherapie, das Werk einer Gruppe von Ökonomen, die man die «Chicago Boys» nannte.
Zur Zeit des Militärcoups lehrte ich am
Wirtschaftsinstitut der Katholischen Universität von Chile. Dort wimmelte es
von Ökonomen, die in Chicago ausgebildet worden waren und der neoliberalen
Lehre des Chicagoer Wirtschaftsprofessors Milton Friedman folgten. Am 11.
September, nach der Bombardierung des Präsidentenpalastes La Moneda, verhängten
die neuen Militärherrscher eine 72stündige Ausgangssperre. Als die Universität
nach einigen Tagen wieder öffnete, jubilierten die «Chicago Boys». Nur wenige
Wochen später wurden mehrere meiner Kollegen von der Wirtschaftsfakultät in
Schlüsselpositionen der Militärregierung berufen. Während die
Lebensmittelpreise in den Himmel schossen, wurden die Löhne eingefroren, um
«wirtschaftliche Stabilität» zu sichern und den «Inflationsdruck» abzuwehren. Über
Nacht wurde das gesamte Land in elendige Armut gestürzt. In weniger als
einem Jahr stieg der Brotpreis in Chile um das 36fache. 85 % der chilenischen
Bevölkerung wurden unter die Armutsschwelle getrieben. Diese Ereignisse haben
meine Arbeit als Ökonom tief geprägt. Ich erlebte mit eigenen Augen, wie durch
die Manipulation der Preise, der Löhne und Zinssätze das Leben von Menschen
zerstört wurde. Eine ganze Volkswirtschaft wurde destabilisiert. Ich begann zu
verstehen, dass die makroökonomische Reform weder neutral war - wie dies die
Hauptströmung der Volkswirtschaftslehre behauptet, noch von den breiteren
Prozessen sozialer und politischer Transformation getrennt werden konnte. So
konzentrierte ich mich in meinen frühen Arbeiten auf die Funktion, die der
sogenannte «freie Markt» als gut organisiertes Instrumentarium wirtschaftlicher
Repression in der Wirtschaftspolitik der chilenischen Militärjunta erfüllte.
Zwei Jahre später kehrte ich als
Gastprofessor der Universidad Nacional de Cordoba im industriellen Kernland
Argentiniens nach Lateinamerika zurück. Mein Aufenthalt fiel mit dem
militärischen Staatsstreich von 1976 zusammen. Zehntausende von Menschen wurden
verhaftet, verschleppt und ermordet. Die militärische Machtübernahme in
Argentinien war eine exakte Kopie des von der CIA gelenkten Putsches in Chile.
Auch hier folgten den Massakern und Menschenrechtsverletzungen «marktliberale»
Reformen, diesmal unter Aufsicht der Gläubiger Argentiniens in New York. Die
tödlichen Wirtschaftsrezepte des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Rahmen
der «Strukturanpassungsprogramme» waren damals noch nicht zur offiziellen
Politik geworden. Aber die wirtschaftlichen Massnahmen in Chile und Argentinien
im Stil der «Chicago Boys» waren eine Generalprobe für Dinge, die noch kommen
sollten. Bald trafen die Verdikte des freien Marktsystems ein Land nach dem
anderen. Seit dem Ausbruch der Schuldenkrise in den 80er Jahren wendete der IWF
in mehr als 150 Entwicklungsländern die gleichen wirtschaftlichen Gesundungsrezepte
an. Ausgehend von meinen früheren Arbeiten in Chile, Argentinien und Peru
begann ich, die globalen Auswirkungen dieser Reformen zu untersuchen, und kam
zu der Überzeugung, dass eine neue Weltordnung Gestalt gewann, die sich unerbittlich von
Armut und wirtschaftlichen Verwerfungen nährte. In der Zwischenzeit
wurden die meisten Militärregimes Lateinamerikas durch parlamentarische
«Demokratien» ersetzt, mit der schrecklichen Aufgabe betraut, die
Volkswirtschaften ihrer Länder im Rahmen der von der Weltbank betriebenen Privatisierungsprogramme
unter den Hammer zu bringen. 1990 kehrte ich an die Katholische Universität von
Peru zurück, wo ich nach dem Militärputsch von 1973 in Chile gelehrt hatte. Ich
kam in Lima an, als der Wahlkampf um die Präsidentschaft gerade voll entbrannt
war. Die Wirtschaft des Landes steckte in der Krise. Die scheidende
populistische Regierung von Präsident Alan Garcia war vom IWF auf die schwarze
Liste gesetzt worden, hatte also keine Kredite mehr bekommen.
Neuer Präsident von Peru wurde am 28. Juli 1990 Alberto Fujimori. Und nur
wenige Tage darauf schlug die wirtschaftliche Schocktherapie mit voller Wucht
zu. Peru wurde abgestraft, weil es sich nicht den Diktaten des IWF gebeugt
hatte: Der Preis von Benzin stieg um das 31fache, der Brotpreis um mehr als das
12fache: an einem einzigen Tag. Der IWF - in enger Beratung mit dem
US-Finanzministerium - zog hinter den Kulissen die Fäden. Diese Reformen, im
Namen der Demokratie durchgeführt, waren noch weit vernichtender als jene, die
in Chile und Argentinien unter der Faust der Militärherrschaft zustande
gekommen waren.
In den 80er und 90er Jahren bereiste ich
ausgiebig Afrika. Die Feldforschung für die
erste Ausgabe meines Buches »The Globalization of Poverty and the New World
Order« [Die Globalisierung der Armut und die Neue Weltordnung] begann in
Ruanda, das sich damals trotz des hohen Armutsniveaus noch selbst mit
Nahrungsmitteln versorgen konnte. Aber seit Anfang der 90er Jahre wurde die
funktionierende Volkswirtschaft Ruandas zerstört, seine einst blühende
Landwirtschaft destabilisiert. Der IWF hatte die Öffnung des heimischen
Marktes für billige US-amerikanische und europäische Getreideüberschüsse
verlangt, angeblich mit dem Ziel, die ruandischen Bauern zu grösserer
«Wettbewerbsfähigkeit» zu ermutigen. Von 1992 bis 1995 machte ich weitere
Feldforschungen in Indien, Bangladesch und Vietnam und kehrte nach
Lateinamerika zurück, um meine Untersuchung über Brasilien abzuschliessen. In
allen Ländern, die ich besuchte, einschliesslich Kenias, Nigerias, Ägyptens,
Marokkos und der Philippinen, beobachtete ich das gleiche Muster wirtschaftlicher
Manipulation und politischer Einmischung durch die internationalen Finanzorganisationen
in Washington. In Indien wurden als direkte Folge der IWF-Reformen Millionen
von Menschen in den Hunger getrieben. In Vietnam, einer der prosperierendsten
Reiswirtschaften, brachen lokale Hungersnöte aus, die eine direkte Konsequenz
der Aufhebung der Preiskontrollen und der Deregulierung des Getreidemarktes
waren. Nach dem kalten Krieg, auf der Höhe der Wirtschaftskrise, reiste ich in
mehrere Städte und ländliche Gebiete Russlands. Die vom IWF geförderten
Reformen waren in eine neue Phase getreten und machten nun auch den Ländern des
ehemaligen Ostblocks schwer zu schaffen. Ab dem Jahr 1992 sind weite Teile der
ehemaligen Sowjetunion vom Baltikum bis Ostsibirien in bitterste Armut gestürzt
worden. Die Arbeiten an der ersten Auflage meines Buches waren Anfang 1996
beendet, mit Ausnahme einer detaillierten Studie über den wirtschaftlichen
Zerfall Jugoslawiens. Dort wurde von den Weltbankökonomen ein
«Bankrottprogramm» auf den Weg gebracht, dem 1989/90 etwa 1100
Industrieunternehmen zum Opfer fielen. Über 614 000
Arbeitnehmer verloren ihren Job. Aber das war erst der Anfang einer viel
durchgreifenderen wirtschaftlichen Zerstückelung des jugoslawischen
Bundesstaates.
Seit der Veröffentlichung der ersten
Auflage hat sich die Welt dramatisch verändert. Die Globalisierung der Armut
hat mittlerweile alle grossen Regionen der Erde, einschliesslich Westeuropas
und Nordamerikas, erfasst. Eine neue Weltordnung wurde errichtet, die die
nationale Souveränität und die Rechte der Bürger untergräbt. Die neuen Regeln
der 1994 gegründeten Welthandelsorganisation (WTO) sichern den weltgrössten
Banken und multinationalen Konzernen verbriefte Rechte zu. Die öffentlichen
Schulden sind explodiert und die staatlichen Institutionen zusammengebrochen,
während die Anhäufung privaten Reichtums unerbittlich voranschreitet.
Die US-geführten Kriege gegen Afghanistan
und dem Irak markieren einen wichtigen Wendepunkt in dieser sich entwickelnden
Weltordnung. Als die zweite Ausgabe in den Druck ging, sind amerikanische und
britische Streitkräfte in den Irak eingefallen, haben die Infrastruktur
zerstört und tausende von Zivilisten getötet. Nach 13jährigen wirtschaftlichen
Sanktionen stürzte der Krieg gegen den Irak ein ganzes Volk in die Armut.
Krieg und Globalisierung gehen Hand in Hand
Unterstützt von der amerikanischen
Kriegsmaschinerie ist eine neue tödliche, von Grosskonzernen angeführte Phase
der Globalisierung angebrochen. Mit der Demonstration militärischer Macht seit
dem Zweiten Weltkrieg haben die Vereinigten Staaten ein militärisches Abenteuer
begonnen, das nun die Zukunft der Menschheit bedroht. Die Entscheidung, in den
Irak einzumarschieren, hatte nichts mit «Saddams Massenvernichtungswaffen» oder
mit seinen angeblichen Verbindungen zu al Kaida zu tun. Der Irak besitzt 11 %
der Erdölreserven der Welt, dies ist mehr als fünfmal so viel wie die USA
besitzt. Die Regionen des weiteren Mittleren Ostens und von Zentralasien
(angefangen von der Spitze der Arabischen Halbinsel bis zum Becken des
Kaspischen Meeres) umfassen schätzungsweise 70 % der weltweiten Erdöl- und
Gasreserven. Dieser Krieg, der seit mehreren Jahren in der Planungsphase war,
droht nun eine viel grössere Region in den Abgrund zu stürzen. Ein Dokument des
US-Central Command von 1995 bestätigt, dass «der Zweck des US-Engagements […]
darin besteht, vitale US-Interessen in der Region zu schützen, nämlich den
ungestörten, sicheren Zugang der USA und ihrer Verbündeten zum Golföl.» Die
irakische Wirtschaft wurde unmittelbar nach dem Einmarsch der
Besatzungsregierung der US-Armee unterstellt, die von dem pensionierten General
Jay Gardner, einem ehemaligen CEO einer der grössten Waffenproduzenten
Amerikas, kontrolliert wird. In Zusammenarbeit mit der US-Administration und
dem Pariser Club der bevollmächtigten Gläubiger wurden dem IWF und die Weltbank
vorgeschlagen, eine Schlüsselrolle beim «Wiederaufbau» des Nachkriegsiraks zu
spielen. Der heimliche Plan ist, den US-Dollar durch eine Übereinkunft des
Währungsausschusses als eine Reservewährung des Iraks zu installieren - ähnlich
wie dies das Dayton Abkommen von 1995 in Bosnien-Herzegowina umsetzte. Im Gegenzug
sind die grossen Erdölreserven des Iraks dafür vorgesehen, von
angloamerikanischen Erdölgiganten übernommen zu werden. Die explodierende
Auslandsverschuldung des Iraks wird als ein Instrument zur ökonomischen
Plünderung benutzt. Bedingungen werden gestellt werden. Die ganze nationale
Wirtschaft wird zur Versteigerung freigegeben. Der IWF und die Weltbank werden
herbeigerufen werden, um der Plünderung des irakischen Erdölschatzes
Legitimität zu verleihen. Der Aufmarsch der amerikanischen Kriegsmaschinerie
zielt darauf ab, Amerikas wirtschaftliche Einflusssphäre vom Mittelmeer bis zu
Chinas Westgrenze zu vergrössern. Die USA hat eine permanente militärische
Präsenz nicht nur im Irak und in Afghanistan errichtet, sondern besitzt darüber
hinaus auch Militärbasen in verschiedenen ehemaligen Sowjetrepubliken. Mit
anderen Worten: die Militärmaschinerie unterstützt die Eroberung weiterer
ökonomischer Gebiete sowie die weltweite Durchsetzung des Systems des «freien
Marktes».
http://www.currentconcerns.ch/archive/2006/special01/2006s101.php
13.4.2006 The Way to the New World Order - Shameless exploitation and
shameless dictatorship by Michel Chossudovsky
Der deutsche Text erschien in Zeit-Fragen; www.zeit-fragen.ch
Michel
Chossudovsky. The Globalization of Poverty and the New World Order, 2003, ISBN
0-9737147-0-0
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