Aufschlussreiches zur Terrorhysterie: Das Märchen vom "Terror-Fritz" - Die angeblichen Bombenbauer von Oberschledorn taten ihr Möglichstes, um verhaftet zu werden. Von Jürgen Elsässer 16.09.2007 11:45
Böse, böse, böse Dinge spielen sich in Deutschlan ab. Rechtzeitig zum Jahrestag des 11. Septembers wollten islamische Terroristen ein »entsetzliches Attentat« mit einer »riesigen Zahl von Toten« (Spiegel-Online) verüben, das »eine bisher nicht gekannte Dimension des Schreckens nach Deutschland gebracht« hätte (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und erst »in letzter Minute« (Lausitzer Rundschau) durch den beherzten Zugriff der Sicherheitskräfte verhindert worden sei. Ähnliche Kassandrarufe gab es bereits vor einem Jahr, rund um die sogenannten Kofferbomber vom Kölner Hauptbahnhof. Doch seither habe sich die Lage weiter zugespitzt, wie FAZ-Leitartikler Berthold Kohler zusammenfaßt: »Die Bomben werden größer und ihre Leger offenbar professioneller. Das ist eine Realität, der man sich auch hierzulande stellen muß. Sie ist durch die jüngste Polizeiaktion so augenfällig geworden, daß Schäuble darauf verzichten konnte, sein Ceterum censeo zur Online-Durchsuchung anzufügen. «
Doch zum Pech des Bundesinnenministers und
seiner Frankfurter Bauchredner hat der Anschlag das Gegenteil gezeigt: Die
vermeintlichen Bombenleger werden immer unprofessioneller und stellen sich
immer doofer an. Fritz G., der angebliche Rädelsführer des am vergangenen
Dienstag im sauerländischen Oberschledorn gefaßten Trios, erinnert unfreiwillig
an Virgil Starkwell, die Hauptfigur in Woody Allens Komödie ‚Woodie, der
Unglücksrabe’. Im Internet-Lexikon Wikipedia heißt es über den Pechvogel: In
ein Umfeld der Armut hineingeboren, mußte er sich schon früh mit den
Schwierigkeiten des Unterschichtmilieus auseinandersetzen. Ein ums andere Mal
wird seine Brille zertreten, später auch das geliebte Cello zerstört. Deshalb
beschließt er, sich einfach zu nehmen, was er will. Es wird freilich rasch
klar, daß Virgil zwar voll krimineller Energie steckt, die Umsetzung seiner
dreisten Pläne aber stets an seiner tollpatschigen Art scheitert. Nach mehreren
Gefängnisausbrüchen und Versuchen der Besserung wird Virgil letztlich zu
achthundert Jahren Haft verurteilt, wobei er sich erhofft, bei guter Führung
davon nur die Hälfte absitzen zu müssen.
(Null komma) Sieben Tonnen auf einen
Streich
»Terror-Fritz und seine gefährlichen
Freunde«, so die Schlagzeile in der Welt vom 8. 9. 07, stellten sich jedenfalls ähnlich tollpatschig
an. Obwohl angeblich in einem
Ausbildungslager in Nordpakistan im Terrormachen geschult, wollten sie
ihre Bomben ausgerechnet aus einer Chemikalie mixen, die dafür höchst
ungeeignet ist: Wasserstoffperoxid, ein bis dato eher als Ausgangsstoff für die
Herstellung der berüchtigten Wasserstoffblondinen bekanntes Haarbleichmittel.
Die FAZ prägte bereits den Ausdruck ‚Wasserstoffperoxidbomben’, was zwar
Nonsens ist, aber durch den Anklang an Wasserstoffbomben höchst gefährlich
klingt. »Die zwanzigfache Menge des Madrider Sprengstoffes« habe das Trio
bereits vorbereitet, heißt es in Anspielung auf die Anschläge in der spanischen
Hauptstadt am 11. März 2004 mit knapp 200 Toten.
Erwiesen ist lediglich, daß die Gruppe 12
Fässer mit insgesamt 730 kg Wasserstoffperoxid gekauft und in einem Haus bei
Freudenstadt im Schwarzwald zwischengelagert hat. Dieser Stoff an sich ist
jedoch ungefährlich. Das ändert sich erst, wenn die Chemikalie mit Aceton und
weiteren Säuren reagiert; dann entsteht Triaceton-Triperoxid (TATP) oder Apex.
Die Mischung ist jedoch zum Bombenbauen höchst unpraktikabel, da sie zu leicht
und zu unkontrolliert explodiert. »Insbesondere gegen Schlag, Reibung und Wärme
ist Apex besonders empfindlich. Wird der Sprengstoff in einem Gefäß aufbewahrt,
das einen Schraubverschluß hat, kann schon die Reibung beim Öffnen zur Explosion
führen. Wichtig ist, daß das Gemisch schon bei der Produktion ausreichend
gekühlt wird, weil es sonst explodiert«, muß selbst die FAZ einräumen. Wie
hätten die Täter die Apex-Bomben aus
ihrer Ferienhaus-Garage herausbringen, geschweige denn zu ihrem
angeblichen Bestimmungsort in irgendeiner US-Einrichtung transportieren wollen,
ohne daß sie ihnen um die Ohren fliegt? Mit dem Bombenanschlag in Madrid hat
Apex übrigens nichts zu tun; dort wurde bekanntlich Dynamit aus asturischen
Bergwerken verwendet. Auch für die Attacken auf das Londoner Nahverkehrsnetz am
7. Juli 2005 wird TATP immer wieder als Sprengstoff in den Medien genannt, aber
die offiziellen Untersuchungsberichte des britischen Unterhauses bzw. der
britischen Geheimdienste schweigen sich dazu aus. Obwohl bis dato keiner der
Anschläge in den westlichen Metroplen mit Wasserstoffperoxid-Bomben begangen
wurde, taucht der Bölkstoff immer wieder in den Geschichten der Terrorjäger
auf: Weil er zu den handelsüblichen Chemikalien gehört, läßt sich damit leicht
die Furcht vor dem »Terroristen von nebenan« schüren, der sich alles zum Massenmord
Notwendige im Drogeriemarkt besorgen
kann. Trotz der bestenfalls harmlosen, bei Vermischung sogar kontraproduktiven
Wirkung von Wasserstoffperoxid besorgten
sich »Terror-Fritz« und seine Kumpane sukzessive mehr als 0,7 Tonnen der Chemikalie bei einem Hannoveraner
Großhändler und karrten sie in mehreren Transporten quer durch die
Republik zu ihrem Unterschlupf im
Schwarzwald. Als wollten sie den Ermittlern eine Fährte legen ...
Fritz macht, was er will
Auch ansonsten unterließ insbesondere Fritz
G., der mutmaßliche Anführer des Trios, nichts, um die Aufmerksamkeit auf sich
und sein Vorhaben zu lenken. Obwohl gegen ihn bereits im Jahre 2005 wegen
Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung ermittelt und er
kurzfristig festgenommen worden war, tauchte er nicht in den Untergrund ab,
änderte auch sein Erscheinungsbild nicht und besorgte sich keine neue
Identität. Spätestens im Frühjahr
2007 hätte er merken müssen, daß der
Staatsschutz es wieder auf ihn abgesehen hat: Seine Ulmer Wohnung wurde
durchsucht. »Daß Fritz G. und seine mutmaßlichen Komplizen sich von der
Hausdurchsuchung nicht abschrecken ließen, daß sie im Gegenteil erst danach
begannen, kanisterweise Explosivstoffe zu beschaffen, Häuser und Garagen zu
mieten, militärische Zünder zu besorgen und in ihren (abgefangenen) e-Mails
angeblich sogar die Fahnder verhöhnten, wirft ernste Fragen auf «, wundert sich
die FAZ. Anfang Mai erschien ein alarmierender Bericht in der Zeitschrift Focus. »Darin wurde die Gruppe ziemlich
detailliert beschrieben, von den Beziehungen nach Pakistan und Usbekistan
berichtet und davon, daß die Männer schon Abschiedsvideos nach Art der
Selbstmordattentäter gedreht hätten. Für die Sicherheitsbehörden war dieser Focus-Bericht eine kleine Katastrophe.
Sie erwarteten das unmittelbare Abtauchen
der Gruppe ....« Doch wieder geschah
das Gegenteil: Fritz und Co. machten
seelenruhig weiter. Schließlich wählte das Trio zum Bombenbauen ausgerechnet
das idyllische Sauerland-Dörfchen Oberschledorn aus. »Man kennt sich und die
Feriengäste in dem Dorf, in dem rund 900 Menschen leben«, schreibt die FAZ über
das Kaff. In dieser Umgebung, inmitten der Sommerfrischler und Wanderfreunde,
mußten die langhaarigen, bärtigen bzw. glatzköpfigen Finsterlinge wie die
Panzerknacker bei einem Donald Duck-Kindergeburtstag auffallen. Warum mieteten
sie sich nicht, wie weiland die RAF-Leute, in einem anonymen Hochhaus mit
Tiefgarage und Autobahnanschluß ein?
Aufschlußreich ist auch die unmittelbare
Vorgeschichte des polizeilichen Zugriffs am 4. 9.: Am 3. September fuhren die
drei tagsüber mit aufgeblendetem Licht und wurden deshalb von einer
Verkehrskontrolle angehalten. Obwohl einer der Streifenpolizisten bei der
Kontrolle unvorsichtig laut zu einem Kollegen sagte, daß die PKW-Insassen »auf
einer BKA-Liste«
stünden, konnten sie weiterfahren. Das
deutlichste Beispiel für das Verhältnis von vermeintlichen Jägern und
vermeintlichen Gejagten gab schließlich Spiegel-Online
zum besten, leider ohne Hinweis auf den genauen Zeitpunkt des Geschehens. Eines
Tages jedenfalls hätten sich die drei über ihre Observanten geärgert. Daraufhin
»stieg einer der Islamisten ... an einer roten Ampel aus und schlitzte die Reifen
eines Verfolgerwagens des Verfassungsschutzes auf.« Vieles ist an der
Geschichte vom » Terror-Fritz« und
seinen zwei Komplizen noch aufzuklären. Aber eines ist klar: So, wie sie
vorgegangen sind, hätten sie niemals einen Mega-Anschlag durchführen können.
Zur Auflösung des Rätsels gibt es drei
Theorien. Entweder die Truppe war zu blöd, ihre kriminelle Energie zielführend
einzusetzen, so wie im Film von Woody Allen gezeigt. Oder, das vermutet
FAZ-Autor Peter Carstens, sie wollte durch ihr auffälliges Agieren die
Sicherheitsbehörden von anderen Terrorzellen ablenken, die in der Zwischenzeit
unbehelligt ihre eigenen Planungen weitertreiben konnten. Oder die drei fühlten
sich vor einer Verhaftung geschützt, weil sie einen Inside-Job ausführten und
glaubten, Protektion von höchster Stelle zu genießen. Beim gegenwärtigen
Erkenntnisstand sollte man keine dieser Möglichkeiten ausschließen. Vielleicht
sind auch alle drei wahr: Drei besonders irre Typen wurden von einer
Geheimdiensttruppe angefixt, um den Rest des Sicherheitsapparats auf Trab zu
halten und von den wirklich gefährlichen Terroristen abzuziehen. Schäubles
Aussage, von Entwarnung könne keine Rede sein, wäre dann auf perverse Weise
richtig.
Quelle: www.hintergrund.de
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