Aufschlussreiches zur Terrorhysterie: Das Märchen vom "Terror-Fritz" - Die angeblichen Bombenbauer von Oberschledorn taten ihr Möglichstes, um verhaftet zu werden. Von Jürgen Elsässer

Böse, böse, böse Dinge spielen sich in Deutschlan ab. Rechtzeitig zum Jahrestag des 11. Septembers wollten islamische Terroristen ein »entsetzliches Attentat« mit einer »riesigen Zahl von Toten« (Spiegel-Online) verüben, das »eine bisher nicht gekannte Dimension des Schreckens nach Deutschland gebracht« hätte (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und erst »in letzter Minute« (Lausitzer Rundschau) durch den beherzten Zugriff der Sicherheitskräfte verhindert worden sei. Ähnliche Kassandrarufe gab es bereits vor einem Jahr, rund um die sogenannten Kofferbomber vom Kölner Hauptbahnhof. Doch seither habe sich die Lage weiter zugespitzt, wie FAZ-Leitartikler Berthold Kohler zusammenfaßt: »Die Bomben werden größer und ihre Leger offenbar professioneller. Das ist eine Realität, der man sich auch hierzulande stellen muß. Sie ist durch die jüngste Polizeiaktion so augenfällig geworden, daß Schäuble darauf verzichten konnte, sein Ceterum censeo zur Online-Durchsuchung anzufügen. «

Doch zum Pech des Bundesinnenministers und seiner Frankfurter Bauchredner hat der Anschlag das Gegenteil gezeigt: Die vermeintlichen Bombenleger werden immer unprofessioneller und stellen sich immer doofer an. Fritz G., der angebliche Rädelsführer des am vergangenen Dienstag im sauerländischen Oberschledorn gefaßten Trios, erinnert unfreiwillig an Virgil Starkwell, die Hauptfigur in Woody Allens Komödie ‚Woodie, der Unglücksrabe’. Im Internet-Lexikon Wikipedia heißt es über den Pechvogel: In ein Umfeld der Armut hineingeboren, mußte er sich schon früh mit den Schwierigkeiten des Unterschichtmilieus auseinandersetzen. Ein ums andere Mal wird seine Brille zertreten, später auch das geliebte Cello zerstört. Deshalb beschließt er, sich einfach zu nehmen, was er will. Es wird freilich rasch klar, daß Virgil zwar voll krimineller Energie steckt, die Umsetzung seiner dreisten Pläne aber stets an seiner tollpatschigen Art scheitert. Nach mehreren Gefängnisausbrüchen und Versuchen der Besserung wird Virgil letztlich zu achthundert Jahren Haft verurteilt, wobei er sich erhofft, bei guter Führung davon nur die Hälfte absitzen zu müssen.

(Null komma) Sieben Tonnen auf einen Streich 

»Terror-Fritz und seine gefährlichen Freunde«, so die Schlagzeile in der Welt vom 8. 9. 07,  stellten sich jedenfalls ähnlich tollpatschig an. Obwohl angeblich in einem  Ausbildungslager in Nordpakistan im Terrormachen geschult, wollten sie ihre Bomben ausgerechnet aus einer Chemikalie mixen, die dafür höchst ungeeignet ist: Wasserstoffperoxid, ein bis dato eher als Ausgangsstoff für die Herstellung der berüchtigten Wasserstoffblondinen bekanntes Haarbleichmittel. Die FAZ prägte bereits den Ausdruck ‚Wasserstoffperoxidbomben’, was zwar Nonsens ist, aber durch den Anklang an Wasserstoffbomben höchst gefährlich klingt. »Die zwanzigfache Menge des Madrider Sprengstoffes« habe das Trio bereits vorbereitet, heißt es in Anspielung auf die Anschläge in der spanischen Hauptstadt am 11. März 2004 mit knapp 200 Toten. 

Erwiesen ist lediglich, daß die Gruppe 12 Fässer mit insgesamt 730 kg Wasserstoffperoxid gekauft und in einem Haus bei Freudenstadt im Schwarzwald zwischengelagert hat. Dieser Stoff an sich ist jedoch ungefährlich. Das ändert sich erst, wenn die Chemikalie mit Aceton und weiteren Säuren reagiert; dann entsteht Triaceton-Triperoxid (TATP) oder Apex. Die Mischung ist jedoch zum Bombenbauen höchst unpraktikabel, da sie zu leicht und zu unkontrolliert explodiert. »Insbesondere gegen Schlag, Reibung und Wärme ist Apex besonders empfindlich. Wird der Sprengstoff in einem Gefäß aufbewahrt, das einen Schraubverschluß hat, kann schon die Reibung beim Öffnen zur Explosion führen. Wichtig ist, daß das Gemisch schon bei der Produktion ausreichend gekühlt wird, weil es sonst explodiert«, muß selbst die FAZ einräumen. Wie hätten die Täter die Apex-Bomben aus  ihrer Ferienhaus-Garage herausbringen, geschweige denn zu ihrem angeblichen Bestimmungsort in irgendeiner US-Einrichtung transportieren wollen, ohne daß sie ihnen um die Ohren fliegt? Mit dem Bombenanschlag in Madrid hat Apex übrigens nichts zu tun; dort wurde bekanntlich Dynamit aus asturischen Bergwerken verwendet. Auch für die Attacken auf das Londoner Nahverkehrsnetz am 7. Juli 2005 wird TATP immer wieder als Sprengstoff in den Medien genannt, aber die offiziellen Untersuchungsberichte des britischen Unterhauses bzw. der britischen Geheimdienste schweigen sich dazu aus. Obwohl bis dato keiner der Anschläge in den westlichen Metroplen mit Wasserstoffperoxid-Bomben begangen wurde, taucht der Bölkstoff immer wieder in den Geschichten der Terrorjäger auf: Weil er zu den handelsüblichen Chemikalien gehört, läßt sich damit leicht die Furcht vor dem »Terroristen von nebenan«  schüren, der sich alles zum Massenmord Notwendige im Drogeriemarkt  besorgen kann. Trotz der bestenfalls harmlosen, bei Vermischung sogar kontraproduktiven Wirkung  von Wasserstoffperoxid besorgten sich »Terror-Fritz« und seine Kumpane sukzessive mehr als 0,7  Tonnen der Chemikalie bei einem Hannoveraner Großhändler und karrten sie in mehreren Transporten quer durch die Republik  zu ihrem Unterschlupf im Schwarzwald. Als wollten sie den Ermittlern eine Fährte legen ... 

Fritz macht, was er will

Auch ansonsten unterließ insbesondere Fritz G., der mutmaßliche Anführer des Trios, nichts, um die Aufmerksamkeit auf sich und sein Vorhaben zu lenken. Obwohl gegen ihn bereits im Jahre 2005 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung ermittelt und er kurzfristig festgenommen worden war, tauchte er nicht in den Untergrund ab, änderte auch sein Erscheinungsbild nicht und besorgte sich keine neue Identität. Spätestens im Frühjahr

2007 hätte er merken müssen, daß der Staatsschutz es wieder auf ihn abgesehen hat: Seine Ulmer Wohnung wurde durchsucht. »Daß Fritz G. und seine mutmaßlichen Komplizen sich von der Hausdurchsuchung nicht abschrecken ließen, daß sie im Gegenteil erst danach begannen, kanisterweise Explosivstoffe zu beschaffen, Häuser und Garagen zu mieten, militärische Zünder zu besorgen und in ihren (abgefangenen) e-Mails angeblich sogar die Fahnder verhöhnten, wirft ernste Fragen auf «, wundert sich die FAZ. Anfang Mai erschien ein alarmierender Bericht in der Zeitschrift Focus. »Darin wurde die Gruppe ziemlich detailliert beschrieben, von den Beziehungen nach Pakistan und Usbekistan berichtet und davon, daß die Männer schon Abschiedsvideos nach Art der Selbstmordattentäter gedreht hätten. Für die Sicherheitsbehörden war dieser Focus-Bericht eine kleine Katastrophe.

Sie erwarteten das unmittelbare Abtauchen der Gruppe ....«   Doch wieder geschah das Gegenteil: Fritz  und Co. machten seelenruhig weiter. Schließlich wählte das Trio zum Bombenbauen ausgerechnet das idyllische Sauerland-Dörfchen Oberschledorn aus. »Man kennt sich und die Feriengäste in dem Dorf, in dem rund 900 Menschen leben«, schreibt die FAZ über das Kaff. In dieser Umgebung, inmitten der Sommerfrischler und Wanderfreunde, mußten die langhaarigen, bärtigen bzw. glatzköpfigen Finsterlinge wie die Panzerknacker bei einem Donald Duck-Kindergeburtstag auffallen. Warum mieteten sie sich nicht, wie weiland die RAF-Leute, in einem anonymen Hochhaus mit Tiefgarage und Autobahnanschluß ein? 

Aufschlußreich ist auch die unmittelbare Vorgeschichte des polizeilichen Zugriffs am 4. 9.: Am 3. September fuhren die drei tagsüber mit aufgeblendetem Licht und wurden deshalb von einer Verkehrskontrolle angehalten. Obwohl einer der Streifenpolizisten bei der Kontrolle unvorsichtig laut zu einem Kollegen sagte, daß die PKW-Insassen »auf einer BKA-Liste«

stünden, konnten sie weiterfahren. Das deutlichste Beispiel für das Verhältnis von vermeintlichen Jägern und vermeintlichen Gejagten gab schließlich Spiegel-Online zum besten, leider ohne Hinweis auf den genauen Zeitpunkt des Geschehens. Eines Tages jedenfalls hätten sich die drei über ihre Observanten geärgert. Daraufhin »stieg einer der Islamisten ... an einer roten Ampel aus und schlitzte die Reifen eines Verfolgerwagens des Verfassungsschutzes auf.« Vieles ist an der Geschichte vom  » Terror-Fritz« und seinen zwei Komplizen noch aufzuklären. Aber eines ist klar: So, wie sie vorgegangen sind, hätten sie niemals einen Mega-Anschlag durchführen können. 

Zur Auflösung des Rätsels gibt es drei Theorien. Entweder die Truppe war zu blöd, ihre kriminelle Energie zielführend einzusetzen, so wie im Film von Woody Allen gezeigt. Oder, das vermutet FAZ-Autor Peter Carstens, sie wollte durch ihr auffälliges Agieren die Sicherheitsbehörden von anderen Terrorzellen ablenken, die in der Zwischenzeit unbehelligt ihre eigenen Planungen weitertreiben konnten. Oder die drei fühlten sich vor einer Verhaftung geschützt, weil sie einen Inside-Job ausführten und glaubten, Protektion von höchster Stelle zu genießen. Beim gegenwärtigen Erkenntnisstand sollte man keine dieser Möglichkeiten ausschließen. Vielleicht sind auch alle drei wahr: Drei besonders irre Typen wurden von einer Geheimdiensttruppe angefixt, um den Rest des Sicherheitsapparats auf Trab zu halten und von den wirklich gefährlichen Terroristen abzuziehen. Schäubles Aussage, von Entwarnung könne keine Rede sein, wäre dann auf perverse Weise richtig. 

Quelle: www.hintergrund.de