»Club Rose« Allein gegen den sächsischen Sumpf - Ein Fahnder packt aus - von Christian Rohde und Ulrich Stoll

15.600 Seiten Akten hat das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz über kriminelle Netzwerke im Freistaat zusammengetragen. Es geht um faule Immobiliengeschäfte, Kinderprostitution, korrupte Politiker, Staatsanwälte und Richter. Und es geht darum, was die sächsische Regierung davon wußte. Viele der Vorwürfe basieren auf Ermittlungsergebnissen des Leipziger Kommissariats 26, das bis 2003 für Ermittlungen gegen die Organisierte Kriminalität zuständig war. Dessen früherer Leiter, Kriminalhauptkommissar Georg Wehling, berichtet exklusiv in Frontal21, dass Staatsanwaltschaft und Sächsisches Landeskriminalamt seine Ermittlungen behindert hätten. Als Wehling und seine Fahnder ein Netzwerk aus Kriminellen und Justizbeamten aufdeckten, leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Fahnder ein. Wehling erhebt einen schweren Vorwurf: »Es ging darum, uns mundtot zu machen«, meint er heute.

»Die Täter seien gewarnt worden«
Kriminalhauptkommissar Georg Wehling ist der Mann, den Drogenhändler und Zuhälter in Leipzig fürchten müssen. Mit einem Netz von Informanten in der kriminellen Szene ermitteln Wehling und sein Team im Leipziger Rotlichtmilieu. Anfang 2002 entdecken die Fahnder ein Kinderbordell. Im »Club Rose« werden Jungen zur Prostitution angeboten. Doch als die Ermittler das Wohnhaus überwachen, verschwinden die Täter plötzlich. »Die Vertrauensperson, die uns den Hinweis gegeben hat, berichtete mit einem Mal, dass die angebliche Täterseite gewarnt worden sei und dass jetzt die Wohnung leer ist«, sagt Wehling Frontal21: »Die Täter haben sich abgeduckt.« Der sächsische Verfassungsschutz hat einen Verdacht, wer die Täter gewarnt haben könnte. In einem Dossier des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) vom 14. Juli 2006, das Frontal21 vorliegt, heißt es: »Dem LfV liegt ein ernstzunehmender Hinweis vor, R. habe aufgrund seiner guten Kontakte zu ..... Personen des Leipziger Rotlichtmilieus ….. Tatverdächtige über geplante bzw. laufende operative Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden informieren lassen.« Nachfragen von Frontal21 bei Staatsanwalt R. zu den Vorwürfen blieben bislang unbeantwortet. Ende der 90er Jahre hatten Wehling und seine Kommissare erstmals dubiose Verbindungen des Rotlichtmilieus zu Justizkreisen entdeckt. Richter N. hatte den Betreiber eines anderen Leipziger Kinderbordells zu einer ungewöhnlich niedrigen Freiheitsstrafe von nur vier Jahren verurteilt. Der sächsische Verfassungsschutz verdächtigt den Richter, dem Bordellbetreiber Andreas W. eine geringere Haftstrafe angeboten zu haben, wenn er Kunden des Kinderbordells - prominente Leipziger - im Prozess nicht nenne.
 
Andreas W., Bordellbetreiber - Milde Strafe für Bordellbetreiber
In einer Vernehmung sagte Andreas W., der Betreiber des Kinderbordells »Jasmin«: »Das Gericht hatte großes Interesse daran, dass in der Verhandlung keine 'dreckige Wäsche' gewaschen wird, ... dass ich keine Angaben zur Kundschaft im Bordell machen durfte.« Ihm seien 12 Jahre Haft angedroht worden, wenn er die Freier nenne. Wenn er schweige, bekäme er nur vier Jahre.
 
Verbindungen zum Rotlichtmilieu
Der Richter erklärt Frontal21 gegenüber zu den Vorwürfen folgendes: »Es ist dabei selbstverständlich zu keiner Auflage an den Beschuldigten gekommen, die Kunden des Bordells nicht zu nennen.« Außerdem läßt der ehemalige Richter wissen: »Ich hatte während meiner richterlichen Tätigkeit keinerlei private Kontakte zum Leipziger Rotlichtmilieu.«
 
Ermittlungen verhindert
Im Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz heißt es hingegen, Richter N. »habe darauf hingewirkt, dass gegen W. ein deutlich geringeres Strafmaß verhängt wurde, als ursprünglich vorgesehen ... Auf diese Weise habe N. den W. 'ruhig'stellen und verhindern wollen, dass W. andere hochrangige Personen und N. selbst im Zusammenhang mit dem ehemaligen Kinderbordell von W. belastet.« Im Dossier des Verfassungsschutzes werden Richter N. und der leitende Staatsanwalt R. verdächtigt, Kunden des Kinderbordells »Jasmin« gewesen zu sein. Jener Staatsanwalt R. leitete 2002 Ermittlungen gegen die Leipziger Kriminalbeamten ein - etwa zu der Zeit, als Wehling und seine Fahnder auf das Kinderbordell »Club Rose« stießen. Wehling wurde vorgeworfen, einen Verdächtigen nicht verhaftet zu haben. Etwa fünfzig (!) Beamte des Landeskriminalamts (LKA) durchsuchten das Kommissariat 26 und Wehlings Wohnung. Die Folge: Wehlings Kontaktpersonen in der kriminellen Szene wurden enttarnt, weitere Ermittlungen unmöglich gemacht. Wehling und zwei seiner Kollegen wurden neun Monate vom Dienst suspendiert. Heute sind sie zwar rehabilitiert, aber ihre damalige Ermittlungsarbeit wurde zerstört.
 
»Den wollten sie abservieren«
Beamte des LKA sollen zudem versucht haben, Zeugen unter Druck zu setzen, um Belastendes gegen Kriminalkommissar Wehling in die Hand zu bekommen. Der Drogenkurier Frank Fritzsche, Informant Wehlings gegen einen holländischen Drogenring, erklärt an Eides Statt, dass LKA-Beamte ihn zu Aussagen gegen Wehling nötigen wollten: »Das Angebot bestand darin, dass ich die Leipziger Beamten belasten sollte«, erklärt Fritzsche im Interview mit Frontal21. »Im Gegenzug wäre es möglich geworden, dass ich ins Zeugenschutzprogramm komme und dass man auch mit der Strafhöhe was tun könnte.« Fritzsche weigert sich, Belastendes gegen Wehling auszusagen. Der Drogenkurier bekommt keinen Zeugenschutz, wird wegen Einfuhr von Drogen zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Fritzsches Fazit: »Für mich steht fest: Den Herrn Wehling von der Kripo Leipzig, den wollten sie abservieren.« Das Landeskriminalamt bestreitet auf Nachfrage von Frontal21, dass seine Ermitttler Fritzsche unter Druck gesetzt hätten. Ein Verfahren gegen die beiden beschuldigten LKA-Beamten sei 2003 eingestellt worden. Fritzsche bleibt bei seiner Darstellung.
 
Bittere Bilanz 
Alle Ermittlungsverfahren gegen Wehling und seine Fahnder wurden eingestellt. Der Kriminalhauptkommissar zieht eine bittere Bilanz: »Es ist im Freistaat Sachsen nicht gewollt, Organisierte Kriminalität in diesen Dimensionen zu bekämpfen ... Man hatte gemerkt, wir sind so nahe dran, hier muß irgendwie was passieren.«
 
Bericht aus Frontal21 vom 18.06.2007