Bestimmt unbestimmt - Anti-Rassismus-Beschluß der EU: Dehnbare Begriffe machen ihn gefährlich - von Karl Albrecht Schachtschneider

»Handlungen haben ihren Grund in Meinungen; folglich müssen diese unter Aufsicht genommen werden, wenn man Frieden und Einigkeit in einem Staat erhalten will«: Die Europäische Union folgt diesem Rat, den Thomas Hobbes dem Leviathan gegeben hat, indem sie in einem »Rahmenbeschluß des Rates zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit« vorschreibt, die freie Meinungsäußerung weiter einzuschränken. Wer dagegen Freiheit wagt, für den gilt der Satz des großen Aufklärers Voltaire: »Ich verabscheue, was Sie sagen, aber ich werde Ihr Recht, es zu sagen, bis zum Tod verteidigen.«

Um der Wahrheit und der Richtigkeit willen ist die Meinungsfreiheit als Grundrecht geschützt. Die Meinungsfreiheit schließt das Recht auf Information ein, verbietet aber nicht den Irrtum. Der Mensch muß anderen »seine Gedanken mitteilen« dürfen, »ihnen etwas erzählen oder versprechen« dürfen, »es sei wahr und aufrichtig, oder unwahr und unaufrichtig, weil es bloß auf ihnen beruht, ob sie ihm glauben wollen oder nicht«, schließt Kant aus dem »Prinzip der angeborenen Freiheit«. Das zeigt großes Vertrauen in das Vernunftprinzip. Die Bevormundung dagegen spricht den Bürgern die Einsichtsfähigkeit ab. Selbstverständlich muß sich das Recht der freien Rede Einschränkungen gefallen lassen. Der Schutz der Persönlichkeit etwa hat den gleichen Rang wie die Meinungsfreiheit. Daher ist es richtig, daß Verleumdung, üble Nachrede und auch Beleidigung strafbar sind. Diese Straftaten haben jedoch wenig klar definierte Tatbestände und können zudem durch die »Wahrnehmung berechtigter Interessen« gerechtfertigt sein. Der Beleidigungstatbestand etwa hat überhaupt keine nähere Definition und ist dadurch derart unbestimmt, daß er trotz jahrhundertealter Praxis rechtsstaatlich bedenklich ist. Über diese Tatbestände sollte das Strafrecht nicht hinausgehen. Insbesondere ist ein eigenständiger Gruppenschutz - wie durch die Strafbarkeit der Volksverhetzung nach Paragraph 130 Strafgesetzbuch - nicht erforderlich, weil die inkriminierten Taten bereits nach Paragraph 185ff. Strafgesetzbuch (Beleidigung usw.) strafbar sein können.
 
Der Mensch muß wissen können, was er sagen darf und was nicht. Sonst ist mit der Redefreiheit die politische Freiheit verloren. Man schweigt aus Angst vor dem Staatsanwalt und dem Strafrichter, aber auch aus Angst vor den Medien und vor Denunziationen. Aus Unsicherheit entsteht ein Klima der Einschüchterung und der Beklemmung, das Gegenteil einer lebendigen Demokratie und eines offenen Diskurses. Die politische Willensbildung des Volkes erlahmt. Die Schweigespirale erleichtert freilich das Regieren. Diesen Zustand also hat Deutschland erreicht: die Despotie der Political Correctness. Der schärfste Knüppel ist dabei das Strafrecht. So wird Widerspruch unterbunden, denn die meisten Menschen sind nicht sehr mutig. Wenn sie die Grenzen ihrer Äußerungen zur Straftat nicht kennen, schweigen sie vorsichtshalber. Die Erziehung zum Opportunismus ist erfolgreich.
 
Daran will sich die Europäische Union erneut durch einen »Rahmenbeschluß« beteiligen. Die Befugnis der Union, im Rahmen der »polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen« den Mitgliedstaaten Strafbestimmungen vorzuschreiben, ist mehr als zweifelhaft. Das überschreitet das Prinzip der begrenzten Ermächtigung und mißachtet die existentielle Staatlichkeit der Völker, abgesehen davon, daß strafrechtliche Vorgaben der gemeinschaftlichen Exekutive ohne demokratische Legitimation unerträglich sind. Wie kein anderes bedarf das Strafgesetz der Legitimation des Volkes durch parlamentarische Beschlüsse. Nicht hinnehmbar ist auch die geringe Bestimmtheit der Tatbestandsmerkmale der im »Rahmenbeschluß« inkriminierten Straftaten. »Aufstachelung zu Gewalt oder Haß« ist ganz unklar, wenn auch die Begriffe nicht neu im Strafrecht sind. Welcher Gewaltbegriff ist gemeint, der weite des Nötigungs- oder der enge des Raubtatbestandes oder der militärische des völkerrechtlichen Gewaltverbots? Was ist Haß? Unter den Gruppenkennzeichen ist die Religion besonders heikel. Reicht Religionskritik durch Karikaturen, die durchaus zu Haß führen kann und schon geführt hat? Was heißt »öffentliches Billigen«? Genügt dafür das Schweigen zu einer Rede in einer Versammlung? Ist wissenschaftlicher Zweifel an der Darstellung von Ereignissen »Leugnen« oder gar »gröbliche Verharmlosung«? Wird solches tatbestandwidriges Handeln erst durch die Grundrechte der Freiheit von Kunst und Wissenschaft gerechtfertigt, also gegenüber der bloßen Meinungsäußerung privilegiert? Die Begriffe ermöglichen den Gerichten eine Dehnung der Straftatbestände, die jede kritische Meinungsäußerung zu Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und bestimmten Kriegsverbrechen, aber auch zu den Gruppen, die durch die Diskriminierungsverbote geschützt sind, strafbar macht, wenn die Richter, die sich dem Zeitgeist anzupassen pflegen, das für geboten halten. So ruiniert man den Rechtsstaat. Auf den Weg von dem vormundschaftlichen Staat in den Unterdrückungsstaat macht der »Rahmenbeschluß« einen weiteren Schritt.
 
Quelle: http://www.juracafe.de/cgi-bin/forum5/main_config.pl?read=41957 3. 5. 2007
Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider lehrt Öffentliches Recht an der Universität Erlangen-Nürnberg.