Wann kommt die neue Schengen-Datenbank? - Die Schengen-Sicherheitslücke

Als die Schweiz am 5. Juni 2005 mit knappem Ja dem Schengen-Vertrag zustimmte, war eines der Hauptargumente die Übernahme der polizeilichen Fahndungs-Datenbank SIS II als Ausgleichsmassnahme zum Abbau der Personenkontrollen an den Binnengrenzen zwischen den Schengen-Staaten. Die Umsetzung dieses Datenbank-Vorhabens ist allerdings in weite Ferne gerückt. Der Abbau der Grenzkontrollen aber schreitet weiter voran. Die neue Schengen-Datenbank (SIS II) war offensichtlich ein Hauptmotiv für den Schengenbeitritt der Schweiz. So wird SIS II auch als «Herzstück» des Schengener Vertrages bezeichnet. Das Schengener Abkommen regelt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Justiz und Polizei. Kontrollen finden dabei nur noch an den Aussengrenzen des Schengenraumes, also auch an den EU-Aussengrenzen statt, jedoch nicht mehr an den Binnengrenzen zwischen den EU-Staaten. Eigentlich war versprochen, dass die Schweiz direkt an die komplett neue Version von SIS II andocken könne, zusammen mit den zehn neuen EU-Staaten. Im Abstimmungsbüchlein war dazu zu lesen: «Die Kosten im Polizeibereich dagegen, zum Beispiel für das Schengen Informationssystem (SIS), sind verhältnismässig gering.» Die Schengen-Gegner warnten im Abstimmungskampf jedoch immer wieder: «Heute weiss niemand, ob und wie genau das für 2007 in Aussicht gestellte, komplizierte SIS II funktionieren wird. Die Schweiz kann sich, sollte der Schengen-Vertrag angenommen werden, erst diesem SIS II anschliessen.» (Grenzwacht-Offizier Oskar Gächter in der «Schweizerzeit» vom 18. Februar 2005)

Technische und juristische Probleme
Der Ausbau von SIS II harzt. Die technischen Probleme sind grösser als erwartet. Die EU-Kommission hat das Projektmanagement schlecht im Griff. Als Gründe für die Verzögerungen werden in Brüssel technische und juristische Probleme genannt. Zu den technischen Problemen gehört offenbar, dass der Aufbau des SIS-II-Datenbanksystems in Strassburg noch nicht abgeschlossen ist. Dieses Datenbanksystem sollte sämtliche Einreisedaten aller EU-Staaten speichern. Die juristischen Probleme haben ihren Ursprung im Widerstand verschiedener europäischer Datenschützer, die SIS II abnehmen müssen. Sie bemängeln, dass sie keine ausreichenden Informationen bekommen haben, wie der SIS-Datenbestand zu Fahndungszwecken genutzt wird. Ungeklärt sei beispielsweise, wie Fahnder Zugriff auf biometrische Daten bekommen, die mit den neuen elektronischen Reisepässen anfallen. Angesichts all dieser Probleme dürfte SIS II vor 2009 kaum betriebsbereit sein. Die EU sendet dazu sehr widersprüchliche Signale aus. Von EU-Offiziellen wurde auch schon gesagt, die Einführung von SIS II könnte sich allenfalls gar auf einen Zeitpunkt nach 2010 verzögern. Die Verzögerung beim Aufbau von SIS II wirkt sich zunächst nur an den Grenzen zu den neuen EU-Ländern aus, wo auch im Jahr 2007 nach wie vor der Pass vorgezeigt werden muss. Auswirkungen haben die SIS-Verzögerungen auf die Planung der Fussball-Europameisterschaft 2008, weil die Schweiz zu den Ländern gehört, die sich gemäss EU-Zusagen eigentlich bereits 2007 an SIS II hätten anschliessen können. Ähnlich wie das Deutschland während der Fußballweltmeisterschaft 2006 anordnete, wollen auch Österreich und die Schweiz während der Euro 08 das Schengen-Abkommen vorübergehend ausser Kraft setzen, also erneut Grenzkontrollen einführen.
 
Unsichere Aussengrenzen
Die neuen - an der Aussengrenze der EU und des Schengen-Raumes liegenden EU-Staaten werden nicht bereit sein, etwas für die Sicherung der Aussengrenzen zu tun, solange das Ihnen versprochene SIS II nicht eingeführt ist. Gleichzeitig wollen sie aber von der ihnen versprochenen Personenfreizügigkeit an allen EU-Binnengrenzen profitieren. Im Klartext: Es entsteht eine gravierende Sicherheitslücke. Die EU-Grenzen werden sehr unsicher. «Freie Fahrt für Kriminelle» könnte - zumindest vorübergehend - in Europa Wirklichkeit werden.
Reinhard Wegelin
 
Quelle: Schweizerzeit» vom 23. Februar 2007