Der Nationalrat und die Bundesfinanzen

Die Dezember-Session des Nationalrats hat sowohl vor als auch hinter den Kulissen des Ratsbetriebs bemerkenswerte Ergebnisse geliefert. Die meisten lösten zusätzliche Ausgaben aus.

Mit vollen Händen ausgegeben - Persönlicher Rückblick auf die Dezember-Session - Von Ulrich Schlüer
 
Lustlose Budget-Debatte
Während der vollen ersten Sessionswoche schleppte sich die Debatte über den Voranschlag der Eidgenossenschaft dahin. Dieser schliesst zwar mit schwarzen Zahlen - mit rund neunhundert Millionen Überschuss. Aber nur, weil einige «gähnende Löcher» im Bundeshaushalt - vor allem die Neat-Kostenlawine und das kaum minder gewichtige Defizit der Invalidenversicherung - in Sonderrechnungen «versorgt» worden sind. Damit wird vertuscht, dass das Hauptproblem des Bundeshaushalts weiterhin einer Lösung harrt. Denn noch immer wachsen die Ausgaben der öffentlichen Hand, sofern man wirklich alle in Rechnung stellt, deutlich stärker als die Einnahmen und auch das Bruttoinlandprodukt. Mit andern Worten: Die Umverteilung weg von der privaten hin zur öffentlichen Hand geht unvermindert weiter. Allein das erklärt schon den im Parlament wenigstens bei den bürgerlichen Parlamentariern spürbaren Verdruss ob des angeblich positiven Budget-Abschlusses.
 
Das Neat-Desaster
Regelmässig und massiv steigen sie an, die budgetierten Neat-Gesamtkosten. Im Halbjahres-Abstand erfolgt Korrektur um Korrektur. Immer nach oben. Demnächst dürfte die Neat-Budgetierung (Teuerung und Steuern miteingerechnet) 25 Milliarden überschreiten. Dabei zeichnet sich eine verbindliche Kosten-Obergrenze noch längst nicht ab. Bundesrat Leuenberger wurstelt ungerührt weiter? Die SVP bemüht sich, wenigstens die Aufsicht über das aller Kontrolle entgleitende Geschehen zu verstärken. Denn die heutige Aufsichts-Delegation - ein aus National- und Ständeräten zusammengesetztes Gremium - ist schlicht zahnlos. Dieses kann zwar untersuchen, beurteilen, empfehlen, Auskunftspersonen herbeizitieren. Das tut diese Delegation auch kompetent und mit grosser Sorgfalt. Nur: Die Berichte dieser Delegation binden niemanden. Wirklich spürbare Beschlüsse resp. durchsetzbare Aufsicht kann diese Delegation gar nicht ausüben. Leuenberger kann die Empfehlungen dieses Aufsichtsgremiums - so gut sie auch sein mögen - von Anfang an als Makulatur behandeln - also unbeachtet lassen. Und ungehindert kann er weitere Milliarden ausgeben - ohne Ende.
 
Dem Steuerzahler dürfte dereinst eine Rechnung präsentiert werden, deren grauenerregende Höhe heute niemand auch nur annähernd kennt. Doch dann, wenn diese präsentiert wird, ist keiner mehr im Amt, der sie auch zu verantworten hätte. Die Verantwortlichen, dannzumal im Greisenalter, können nicht mehr belangt werden. Das ist möglich, weil die gesamte Finanzierung aus einem Milliardenfonds erfolgt, dem sog. FinöV-Fonds. Das ist nichts anderes als eine die wirklichen Verantwortlichkeiten vertuschende Konstruktion - ganz nach Gusto Leuenberger, von der Links-Grün-Mitte-Parlamentsmehrheit stur verteidigt. Ob wenigstens die Halbzeit dieses Trauerspiels schon erreicht ist?
 
Energie: Geldverschwendung für Spielereien
Beiträge an Alternativenergieprojekte sind in Mode. Hunderte von Millionen werden insgesamt dafür aufgewendet. Statt dass man dem Markt überliesse, auszuscheiden, was für Technologien das Potential zum wirtschaftlichen Durchbruch in sich tragen, fördert Bern dank «konstruktiver Koalition» von Roten, Grünen, EVP, Teilen der FDP und etwa der Hälfte der Landwirtschaftsvertreter mit Staatsgeldern unzählige, politisch systematisch hochgejubelte Alternativen, selbst Spielereien - bis hin zu veritable Erdbeben auslösenden Bohrungen. Vieles ist wirtschaftlich chancenlos, bloss Heerscharen von Funktionären weiden sich daran ausgiebigst. Unser Standpunkt: Die Schweiz, Land ohne Rohstoffe, muss für alles, was sie (besonders auch für den Export) im freien Wettbewerb absetzen will, Rohstoffe ins Land schaffen, auf dass aus diesen Rohstoffen unter Einsatz von Energie Spitzenprodukte entstehen. Sowohl jede Verteuerung der Energie als auch jede Transport-Verteuerung schadet damit der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz. Wer, wie es in der Dezember-Session geschehen ist, die Energie künstlich verteuert, um Mittel für Alternativ-Spielereien verteilen zu können, untergräbt den Wirtschaftsstandort Schweiz und seine Wettbewerbsfähigkeit, also das Fundament des schweizerischen Wohlstands.
 
IV: Mühsam auf richtigem Weg
Die Invalidenversicherung (IV) weist derzeit eine Unterbilanz von rund 9 Milliarden Franken aus. Handlungsbedarf ist also angezeigt. Aber bloss neue Geldquellen für die schwer defizitäre IV freizulegen, würde das Problem keineswegs lösen. Die Wurzeln des Problems sind zu fassen: Dass zu viele Scheininvalide - und mit ihnen viel zu viele allzu grosszügige Sozialfunktionäre - die IV überfordern, ja ausbeuten. Dieses und andere Probleme bezüglich Leistungen der IV müssen dringendst gelöst werden. Erst wenn die Rentenberechtigung restriktiver als heute festgelegt wird, darf die Finanzierung angegangen werden: Dem «Fass ohne Boden» ist endlich ein solider Boden einzusetzen. Erst dann dürfen neue Gelder der IV zugeführt werden. Entzieht sich die Politik dieser Forderung, dann wird nur der Gelddurchlauf - und wohl auch das Defizit - grösser.
 
Armee: Verwirrung
In der September-Session zu Flims hat der Nationalrat den «Entwicklungsschritt 08/11» der Schweizer Armee gestoppt. Der Ständerat hat die Weiterberatung vorerst ausgesetzt. Er will sich zuerst einen umfassenden Lageüberblick verschaffen. Um ein Haar (genauer: nur mit Stichentscheid der Ratspräsidentin) wären in der Dezember-Session auch jene Teile des Rüstungsprogramms 2006 aufs Eis gelegt worden, die in Verbindung zum Reformschritt 08/11 stehen. Die Lage scheint blockiert, die Verwirrung im VBS (und bei dessen kritiklosen Gefolgsleuten im Parlament) ist gross. Die Blockierung könnte, würde der dafür erforderliche politische Wille endlich aufgebracht, indessen rasch behoben werden. Folgendes müsste die Armee-Spitze endlich festlegen:
 
1. Verzicht auf weitere Auslandeinsätze, Auslaufenlassen der gegenwärtigen Auslandengagements
2. Verzicht auf die unwirklichen, teilweise bloss in Computerprogrammen festgehaltenen «Aufwuchsmodelle» für verfassungsmässige Armeeaufträge
3. Die nach wie vor gravierenden Lücken im Instruktionskorps müssen endlich gefüllt werden. Der Miliz muss Verantwortung im Ausbildungsbereich zurückgegeben werden.
 
Würden wenigstens diese drei Bedingungen erfüllt, bekäme die Schweizer Armee sehr rasch ein solides Fundament. Am Zug ist das VBS.
 
Trauerspiel um die Verwahrungs-Initiative
Die sog. Verwahrungs-Initiative - sie verlangt die lebenslange Verwahrung nicht therapierbarer, schwerer Gewalt- und Sexualstraftäter - war zwar noch nicht Gegenstand einer Ratsdebatte. Hinter den Kulissen löst sie gegenwärtig indessen leidenschaftliche Diskussionen aus. Man erinnert sich: Die Eidgenössischen Räte haben diese Initiative mit sehr deutlicher Mehrheit zur Ablehnung empfohlen - indessen auch klar festgehalten, dass sie sog. «zwingendem Völkerrecht» nicht widerspreche. Das Volk hiess die Volksinitiative in der Volksabstimmung vom Februar 2004 indessen klar gut. Damit erhielt das Parlament den Auftrag, die Gesetzgebung für diese Initiative auszuarbeiten. Und jetzt kommt die zuständige Rechtskommission des Nationalrats und will diese vom Volk angenommene Initiative nachträglich als völkerrechtswidrig erklären, weshalb keine Ausführungsgesetzgebung dafür geschaffen werden könne. Schlimmer als durch diesen Kommissionsentscheid ist dem Souverän zumindest in den letzten Jahren nie ins Gesicht geschlagen worden. Nicht bloss eine Initiative steht zur Diskussion. Die Demokratie selbst wird von dieser nationalrätlichen Rechtskommission in Frage gestellt. Ob das Parlament die Kraft aufbringt, die Sache doch noch so zu wenden, dass unsere Demokratie intakt und glaubwürdig bleibt?
 
Linke fordert freien Rauschgiftkonsum
Sie sind, wo immer sie können, für Umweltschutz. Aber Rauschgiftkonsum, der schon unzählige Leben zerstört, unzählige Familien zerrüttet hat, soll freigegeben werden. Das ist heute links-grüne Logik, angeblich im Dienst der «Menschenwürde». Die Debatte über das Betäubungsmittelgesetz stand unter dem schiefen Stern dieser SP-Ideologie, von der Bundesverwaltung, aber auch von grossen Mehrheiten der CVP und der FDP mitgetragen.
Gegen die Raucher führen sie einen Feldzug. Drogenkonsum aber soll frei möglich werden. Handel mit Drogen, deren Konsum als legal erklärt wird, soll indessen unerlaubt bleiben. Wie nur können «erlaubte Konsumprodukte» in den Besitz von Individuen kommen, wenn gleichzeitig der Handel mit diesen erlaubten Gütern verboten wird?  Eine Politik, deren «Logik» der Beweis dafür ist, dass sie nur im Drogennebel «gedeihen» kann.
 
politonline: Da u.a. auch die Demokratie Thema des obigen Artikels ist, veröffentlichen wir hier einen weiteren Beitrag von Ulrich Schlüer, der diese direkt zum Gegenstand hat.
 
Einbürgerungs-Entscheid - DieDemokratie wird in Ketten gelegt
In Bern fand am 30. November/1. Dezember eine Völkerrechtstagung statt. Auch die Frage, wem die Zuständigkeit zum Einbürgerungs-Entscheid zusteht, wurde diskutiert. Da auch der noch bis Ende 2006 amtierende Präsident des Bundesgerichts, der Bündner CVP-Richter Giusep Nay anwesend war, ergab sich die Gelegenheit, ihn zur Frage der Zuständigkeit für den Einbürgerungs-Entscheid herauszufordern.
 
Rekursfähigkeit oktroyiert
Unter persönlicher Mitwirkung Nays hat das Bundesgericht in einem die gesamte Öffentlichkeit überraschenden Entscheid im Jahr 2003 die Demokratie bezüglich des Einbürgerungs-Entscheids bekanntlich markanten Beschränkungen unterworfen: Die Urnen-Abstimmung wurde generell verboten. Gleichzeitig wurde der Einbürgerungs-Entscheid zu einem Verwaltungsakt (der Erteilung einer Baubewilligung vergleichbar) herabgestuft. Das hatte zur Folge, dass jeder negative Einbürgerungsentscheid seither gerichtlich angefochten werden konnte. Zahlreiche Entscheide wurden tatsächlich angefochten - mit dem Ziel der Annullierung einer ganzen Reihe in demokratischem Verfahren herbeigeführter Ablehnungsentscheide.
 
Sozusagen seit Menschengedenken war der Einbürgerungs-Entscheid ein dem Souverän vorbehaltener Entscheid. Die Kompetenz zur Einbürgerung gehörte als politisches Recht den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern. Auf der Grundlage der alten Bundesverfassung von 1874 wurde dieses politische Recht zementiert. Es galt während über hundert Jahren in der Form unangefochtener Kompetenz des Stimmbürgers. Politische Entscheidungen, vom Souverän getroffen, können in der Schweiz grundsätzlich nicht angefochten werden. Der Souverän entscheidet endgültig, der Entscheid seiner Mehrheit gilt. Kein Gericht kann dagegen angerufen werden. So galt es bis 2003.
 
Die «Nachführung» der Bundesverfassung
1999 wurde die Bundesverfassung erneuert. Die Erneuerung wurde der Bevölkerung ausdrücklich als «Nachführung» präsentiert. Nicht als Totalrevision. An der alten Verfassung wurde bezüglich geltendem Recht an sich nichts geändert. Das geltende Recht wurde lediglich in modernerer Sprache in die neue Verfassung übertragen. Bezüglich des Einbürgerungsverfahren und der Einbürgerungskompetenz änderte sich mit der neuen Verfassung nichts. Man kann sämtliche Protokolle der Verhandlungen beider Räte, der Kommissionen und Subkommissionen sowohl des Stände- als auch des Nationalrats überprüfen: Nirgends und nie war erwogen worden, das Einbürgerungsrecht substantiell zu ändern, den politischen Entscheid zu einem «Verwaltungsakt» abzustufen. Von einer Beschwerdemöglichkeit gegen negativ beantwortete Gesuche wurde im Rahmen der Nachführung der Bundesverfassung nie auch bloss diskutiert. Das dem Souverän vorbehaltene politische Recht der Einbürgerung wurde vollumfänglich bestätigt und als solches in der neuen Verfassung verankert. Der Bürger stimmte 1999 in der Gewissheit über die erneuerte Verfassung ab, dass nichts an der Einbürgerungs-Kompetenz geändert werde. Bundesrat und Parlament versicherten dem Bürger im Abstimmungskampf unermüdlich, in Sachen Einbürgerung werde sich mit der neuen, nachgeführten Bundesverfassung von 1999 nichts ändern.
 
Willkür
Es kann kein Zweifel bestehen: Diese ausdrückliche Zusicherung, zu welcher übrigens der für die Nachführung der Bundesverfassung damals zuständige alt Bundesrat Arnold Koller bis heute steht, war zweifellos ganz wesentlich mitentscheidend für die schliesslich sehr knappe Annahme der nachgeführten Verfassung durch Volk und Stände. Wäre dem Volk damals mitgeteilt worden, dass ihm das letzte Wort zu Einbürgerungen entzogen werde, dann hätte diese Verfassung nicht den Hauch einer Chance in der Volksabstimmung gehabt.  Trotz dieser klaren Ausgangslage masste sich das Bundesgericht 2003 an, dem Souverän die Kompetenz, Einbürgerungsgesuche abschliessend zu entscheiden, wegzunehmen. An der Berner Völkerrechtstagung zeigte der zur Stellungnahme herausgeforderte Bundesgerichtspräsident Giusep Nay erstmals, auf welche angebliche Rechtsgrundlage sich das Bundesgericht abstützte, als es dem Souverän die Zuständigkeit zu Einbürgerungen entzog. Zwar stimme durchaus, dass die Bürgerrechtserteilung in der nachgeführten Bundesverfassung im Kapitel über die «Politischen Rechte» aufgeführt sei. Weil für die Bürgerrechtserteilung aber ein gesonderter Artikel formuliert worden sei und das Bürgerrecht im Zwischentitel neben den politischen Rechten ausdrücklich genannt werde, sei jedem Gesetzeskundigen klar, dass das Bürgerrecht nicht zu den politischen Rechten gehöre, vielmehr etwas völlig Eigenständiges darstelle. Mit Hinweis auf geltendes Völkerrecht habe das Bundesgericht dann entschieden, dass die Bürgerrechtserteilung eben kein politisches Recht, sondern bloss eine Verwaltungsverfügung sei, gegen welche Betroffene generell Rekurs einlegen könnten. Dass dem Souverän vor der Volksabstimmung über die nachgeführte Bundesverfassung grundlegend anderes verbindlich versprochen worden ist, kümmert zumindest den Bundesgerichtspräsidenten offensichtlich nicht. Er orientiert sich an internationalem Recht, das allerdings gerade im Bereich Einbürgerungzuständigkeit alles andere als klare Vorgaben liefert.
 
Keine eindeutige Völkerrechts-Vorgabe
Dass zahlreiche Juristen auf internationaler Ebene heute versuchen, die Staatsbürgerschaft zu einem Grundrecht zu erklären, auf das jeder Mensch Anspruch erheben kann, wobei der Anspruch des Einzelnen dem Interesse einer Gemeinschaft, also auch eines Landes automatisch vorzuziehen ist, trifft zwar zu. Noch aber gilt international, dass die Erteilung der Staatsbürgerschaft generell der nationalen Gesetzgebung unterstellt ist. Im Rahmen der EU-Verfassung hätte das Bürgerrecht offenbar zu einem - allerdings allein auf EU-Bürger beschränkten - Grundrecht erhoben werden sollen. Dieser EU-Verfassung haftet allerdings der «kleine Makel» an, dass sie in Volksabstimmungen gescheitert ist, also gewiss nicht als gültiges Völkerrecht bewertet werden kann. Dass ausgerechnet das EU-Nichtmitglied Schweiz auf Bestimmungen in einer von der EU verworfenen Verfassung verpflichtet werden soll, ist mehr als bloss merkwürdig. Auf solch wackliger Grundlage dem Schweizer Souverän demokratische Rechte zu entziehen, ist unhaltbar, ja skandalös. Noch verwegener ist es, jene Parlamentarier, die solches Vorgehen des Bundesgerichts scharf kritisieren, der «Verletzung der Gewaltentrennung» zu bezichtigen, wie das der Bundesgerichtspräsident immer wieder tut. Wenn in Sachen Gewaltentrennung im Bereich Bürgerrechtserteilung Grenzüberschreitungen vorgekommen sind, dann zweifellos von Seiten des Bundesgerichts, das auf klarer Grundlage getroffene Volksentscheide ohne Verfassungsänderung, einfach mittels Spruch aus Lausanne und Hinweis auf nicht wirklich existierendes Völkerrecht, auszuhebeln versucht.
 
Quelle: Schweizerzeit vom 20. 12. resp. 6. 12. 2006