Schreiben an das Bundesamt für Justiz - Indirekter Gegenvorschlag bei Volksinitiativen


Schreiben an das
Bundesamt für Justiz
Abteilung Rechtssetzungsprojekte und -methodik
Frau Monique Cossali Sauvain, Abteilungsschefin
3003 Bern
 
Indirekter Gegenvorschlag bei Volksinitiativen
 
Sehr geehrte Frau Cossali Sauvain,        
 
Herr Rudolf Güntert, Zürich, hat mir Ihr an ihn gerichtetes Schreiben vom 2.August a.c. übergeben, welches den sogenannten indirekten Gegenvorschlag bei einer Volksinitiative betrifft. Sie führen darin Folgendes aus:
 
»Wenn beide Räte der Vorlage zustimmen, werden Volk und Stände sowohl über die Volksinitiative ‚Volkssouveränität statt Behördenpropaganda’ als auch über den Gegenentwurf der Bundesversammlung abstimmen können. Das Initiativrecht bleibt folglich gewahrt.«

Das ist leider unrichtig. Der vorliegende indirekte Gegenvorschlag bewegt sich auf Gesetzesstufe. Zu einer Abstimmung darüber kommt es nur, falls das Referendum dagegen ergriffen wird. Es handelt sich dabei - weil nicht die Bundesverfassung betroffen ist - nur um eine Abstimmung des Volkes, nicht auch der Stände.
 
Wir lesen darüber in der (auf Antrag der Herren Yvo Hangartner und Philippe Mastronardi abgenommenen) St. Galler Dissertation von CHRISTOPH ALBRECHT, Gegenvorschläge zu Volksinitiativen. Zulässigkeit, Inhalt, Vergleich, St. Gallen 2003, S. 80 f. das Nachstehende:
 
»Gehört nun der Gegenvorschlag einer Rechtssetzungsstufe an, für die das Gemeinwesen kein Referendum vorsieht, handelt es sich grundsätzlich um einen indirekten Gegenvorschlag.  Dasselbe gilt, wenn die Rechtsordnung zwar das ausserordentliche Behördenreferendum kennt, das Parlament es aber im konkreten Fall nicht beschlossen hat oder gegen ein (recte: einen) nur dem fakultativen Referendum unterstehender (recte: unterstehenden) Gegenvorschlag das Referendum nicht zustandegekommen ist. In all diesen Fällen entscheidet das Parlament abschliessend über den Gegenvorschlag und das Stimmvolk kann sich nur noch zu den zwei Alternativen Status quo und Volksinitiative äussern. In Abhängigkeit vom Inkraftsetzungszeitpunkt des indirekten Gegenvorschlags trifft das Stimmvolk möglicherweise bei der Abstimmung über die Volksinitiative sogar eine durch den indirekten Gegenvorschlag bereits veränderte Rechtsordnung an. Es kann m.a.W. nicht über die Beibehaltung des ursprünglichen Status quo entscheiden.«  
 
Bedauerlicherweise muss angenommen werden, dass diese Rechtsfolge voll in der Absicht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats liegt. Das ist besonders gravierend, wenn - wie im Falle des von der genannten Kommission vorgelegten ‚Gegenvorschlags’ - derselbe dem Anliegen der Initianten nicht entgegen kommt, sondern dessen Gegenteil gesetzlich verankern will.
 
Mit freundlichen Grüssen
Hans Ulrich Walder
 
 
Prof. Dr. iur. Hans Ulrich Walder
Lenzenwiesstrasse 16, 8702 Zollikon
Büro: Felsenegg 12 CH-6204 Sempach-Stadt, den 9. Dezember 2006
Tel. 041 460 10 06 Fax 041 460 10 80
E-Mail: walder.sempach@wwwmail.ch
 
cc:
Herrn Rudolf Güntert
Herrn Dr. Markus Erb, Präsident von Bürger für Bürger
diverse Parlamentsmitglieder und Parteisekretariate