Gush Shalom,

Gush Shalom, der israelische Friedensblock, gab am 26. 7.. 2006 das folgende grosse Inserat in der in Jerusalem erscheinenden Zeitung Ha'aretz auf:

Rückfall ins Jahr 1982
 
Damals:            Der Krieg war lange vorbereitet.
Heute:              Dasselbe.
 
Damals:            Wir eröffneten den Krieg, nur um "den Frieden in Galilaa" zu
                        gewährleisten.
Heute:              Wir eröffnen den Krieg, um Haifa und Afula zu beschützen, also                                
                        sehr ähnlich.
 
Damals:            Wir warteten auf eine Provokation (der Anschlag auf das Leben von
                        Botschafter Argov).
Heute:              Wir warteten auf eine Provokation (die Gefangennahme von zwei
                        Soldaten )
 
Damals:            "Wir werden 40 km weit vordringen, um die Katyushas zu eliminieren."
Heute:              "Wir werden nur einige Kilometer vordringen, um die Raketen zu
                         eliminieren"
 
Damals:            Sharon agierte hinter dem Rücken des Kabinetts.
Heute:              Olmert-Peretz-Halutz agieren hinter dem Rücken der Minister.
 
Damals:            Wir zerstörten den Libanon
Heute:              Wir zerstören den Libanon
 
Damals:            Nur die PLO profitierte vom Krieg. Wenige Jahre später kehrte sie
                        nach Palästina zurück.
Heute:              Einzig die Hezbollah wird vom Krieg profitieren. Ihr Ansehen in
                        der arabischen Welt wächst von Tag zu Tag.
 
Damals:            blieben wir während 18 Jahren im Morast stecken
Heute:              Für wie lange werden  wir jetzt im Morast stecken bleiben?
 
 
Wie der Tageszeitung Junge Welt 1 vom 3.8. 06 zu entnehmen ist, haben Deutschland und Grossbritannien eine klare Libanon-Entschliessung in Brüssel abgewendet. Die EU erweist sich in der Libanon-Frage somit als genauso zerstritten und politisch unwirksam wie in 2003, als es darum ging, den Irak-Krieg zu verhindern. Bei ihrer Dringlichkeitssitzung am Abend des 3.8. brachten es die 25 EU-Aussenminister nicht einmal fertig, die Vorlage der finnischen EU-Präsidentschaft mit der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand zu unterstützen. Die auf der politischen Linie der Bush-Administration liegenden Briten verweigerten sich und wurden in ihrer Haltung von Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik unterstützt. So kam nur die verwässerte Erklärung zustande, wonach der Europäische Rat fordert, dass »auf das sofortige Ende der Feindseligkeiten ein dauerhafter Waffenstillstand folgt«. Zugleich zeigte sich die EU bereit, europäische Soldaten für die internationale Truppe im Libanon zu stellen.
 
Worüber man sich vermutlich kaum Rechenschaft ablegt, ist der Fakt, dass es im Südlibanon seit fast 60 Jahren keine Woche ohne israelische Angriffe gibt. So schreibt auch Rania Masri 2, dass die Eskalation im Nahen Osten kein Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel ist, sondern ein Krieg der israelischen Regierung gegen das libanesische Volk. Das Kriegsziel ist eindeutig: jeden Widerstand gegen die Besatzungspolitik im Ansatz zu zerschlagen. Israel will, dass seine Nachbarn und die palästinensische Bevölkerung, deren Land es seit 1948 besetzt hält, so geschwächt werden, dass sie sich nicht mehr gegen die israelischen Angriffe verteidigen können. Die nationale Widerstandsbewegung hat es unter massgeblicher Führung der Hisbollah geschafft, die israelische Armee nach einer illegalen und brutalen 22jährigen militärischen Okkupation zum Rückzug aus dem Südlibanon zu zwingen - bis auf das Shabaa-Farmland im Süden Libanons, das Israel bis heute besetzt hält. Eine völlige Zerschlagung der Widerstandsbewegung würde nicht nur den Libanon ausserordentlich schwächen und Israel freie Hand geben, seine Aggressionen in der Region auszuweiten, sondern wäre auch ein harter Schlag für die palästinensische Bewegung in Bezug auf Freiheit und Menschenrechte.

Israels Politik ist die des alten Kolonialismus und die Hisbollah-Milizen reagieren bislang noch zurückhaltend. Israels Angriffe auf libanesische Zivilisten und die Infrastruktur des Landes wurden bereits begonnen, bevor die Hisbollah mit Gegenschlägen reagierte. Wenn Israel wirklich will, dass die Hisbollah verschwindet, dann müssen die Gründe für die Entstehung der Widerstandsbewegung beseitigt werden: Die Kriegsgefangenen müssen freigelassen werden, die permanenten Angriffe auf Zivilisten müssen eingestellt, das militärisch besetzte Shabaa-Farmland freigegeben und die militärischen Übergriffe auf libanesische Gebiete, die Küsten und den Luftraum müssen sofort eingestellt werden. Die Hisbollah besteht aus Menschen, die gemeinsam fest an die Befreiung ihres Landes glauben und ihr Recht in Anspruch nehmen, ihre Heimat zu verteidigen. Wer die Frage nach der Entwaffnung der Hisbollah-Milizen aufwirft, muss deshalb auch fragen, wie die grösste und schlagkräftigste Armee des Nahen Ostens entwaffnet werden kann.

Glaubt jemand wirklich, so Rania Masri weiter, dass die israelische Armee wegen zweier gefangengenommener israelischer Soldaten einen derart brutalen Krieg führt? Dass sie Libanons Infrastruktur deshalb systematisch zerstört, Städte, Dörfer, Krankenhäuser und Schulen in Schutt und Asche legt, Hunderte Libanesen massakriert und Hunderttausende zur Flucht zwingt? Die Hisbollah und andere libanesische Widerstandsbewegungen sind 1982 als unmittelbare Reaktion auf die zweite Invasion der israelischen Armee im Libanon entstanden, nachdem während der ersten im Jahr 1978 bereits 40 % des Territoriums besetzt worden waren. Die israelische Armee hat im Lauf der Jahre viele Gefangene gemacht, die im Verdacht stehen, den Widerstandsorganisationen anzugehören. Sie werden als Kriegsgefangene behandelt, und manche sind bereits seit zwanzig Jahren in Haft. Die libanesische Regierung hat unzählige Male ihre Freilassung gefordert, aber Israel hat darauf nicht reagiert. Die israelische Aussenministerin hat erst kürzlich erklärt, es habe nie Verhandlungen mit Hisbollah gegeben. Das ist eine Lüge, weil Israel im Tausch für die sterblichen Überreste dreier israelischer Soldaten Hunderte von Kriegsgefangenen freigelassen hat. Diesen Erfolg kann die Hisbollah für sich verbuchen und auch, dass für die Freilassung dieser Gefangenen kein Krieg geführt wurde.

US-Präsident George W. Bush hat gesagt, dass jedes Land ein Recht auf Selbstverteidigung hat. Aber Israel verteidigt sich nicht, es hat den Krieg mit Angriffen auf die Zivilbevölkerung begonnen. Das ist die konsequente Fortsetzung früherer Aggressionen: 1993 hat der damalige israelische Premierminister Ehud Barak einen Kriegs­einsatz gegen den Libanon befohlen, der nach Aussagen des ehemaligen Chefs des israelischen militärischen Geheimdienstes, Uri Sagi, gezielt gegen die Zivilbevölkerung geführt wurde. Das gleiche Vorgehen legte Israel 1996 an den Tag, wie bereits zuvor 1982 und 1978 und viele weitere Male seit 1948. Die Einwohner der südlibanesischen Stadt Nabatiyeh haben in diesen fast 60 Jahren nicht eine Woche erlebt, in denen sie vor Angriffen der israelischen Armee verschont blieben.
 
1 http://www.jungewelt.de/2006/08-03/028.php 
http://www.jungewelt.de/2006/08-03/001.php

Rania Masri ist Direktorin des Southern Peace Research Institute, einer Friedensforschungseinrichtung mit Sitz im US-Bundesstaat North Carolina. Sie lehrt ausserdem an der Balamand-Universität in Beirut