Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus im Zwielicht. Realitätsferne und Doppelmoral - von Pfarrer Peter Ruch, Schwerzenbach ZH

Ethik ist der Versuch, das Verhalten des Menschen zu optimieren. Sie geht davon aus, dass das Eigeninteresse und das Interesse der nächsten Umgebung als Verhaltensmassstab ungenügend sind. Ich kann zum Wohle meiner Angehörigen agieren und gerade dadurch anderen Menschen schaden. Beispielsweise mag es richtig sein, möglichst preiswert einzukaufen, um Geld für die Zukunft zu sparen. Dieses Einkaufsverhalten gefährdet jedoch Arbeitsplätze in Europa, deren Unterstützung ebenfalls ein ethisches Ziel sein könnte. Möglicherweise sagt mir meine Ethik, dass ich die Priorität nicht bei jedem Einkauf gleich setzen muss. Abwägungen und Zielkonflikte sind das Markenzeichen einer nachhaltigen Ethik.

Ethik: Kein stures Regelbuch
Es gibt Ethikmodelle, die sich dem Konflikt entziehen, indem sie nur wenige Ziele, oder gar ein einziges, für absolut erklären. Die Engführung der Ethik hat ihren Preis: Andere, womöglich höher zu gewichtende Werte werden hierbei vernachlässigt. Das Matthäus-Evangelium widmet diesem Thema ein ganzes Kapitel (23). Jesus beschimpfte die Schriftgelehrten und Pharisäer als Heuchler, weil sie Minze, Dill und Kümmel verzehnten, jedoch Recht, Erbarmen und Treue ausser acht liessen. "Dies aber sollte man tun und jenes nicht lassen." Die Heuchelei ist der Schatten der Religions- und Kirchengeschichte. Als die UNO Ende 1948 unter dem Eindruck des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erliess, trug sie den Zielkonflikten Rechnung, indem sie die verschiedenen Gründe der Menschenverachtung auf die gleiche Ebene stellte: Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politische oder sonstige Überzeugung, Herkunft, Eigentumsverhältnisse und sonstige Umstände. Die Palettenbreite ist für die Menschenrechte konstitutiv.
 
Ethik und Terror
Diktaturen zeigen gerne vor, wie brav sie ausgewählte Menschenrechte respektieren. Das Wesen des Terrors ist ja keineswegs, dass er keine Ethik hätte. Im Gegenteil: Manche ihrer Bekenntnisschriften - das Kommunistische Manifest, Hitlers Kampfschrift oder die Bekenntnisse gewalttätiger Islamisten - triefen geradezu von Moral. Indessen ist ihre Ethik einseitig, willkürlich und daher untauglich. Einseitige Ethik-Konzepte gibt es auch im freiheitlichen Rechtsstaat, doch sind sie hier weniger verhängnisvoll, weil sie in der offenen Debatte laufend korrigiert werden können. Ethische Prinzipien müssen aktualisiert werden. Finden solche Debatten statt, so kann die Ethik bereits einen Erfolg verbuchen: Es besteht ein Klima des gegenseitigen Respekts.
 
Von der Ethik zur Doppelmoral
Werden einzelne ethische Ziele absolut gesetzt oder privilegiert, so werden andere Ziele vernachlässigt oder missachtet. Eine solche Privilegierung geschah vor zehn Jahren in der Schweiz mit der Schaffung der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR). Der Schritt erfolgte unter dem Eindruck von ein paar Dutzend rassistischer Vorfälle. Die EKR musste sich mit Definitionsfragen beschäftigen und wurde, ob sie das wollte oder nicht, eine Instanz für offizielle eidgenössische Moral. Diese Moral kümmert sich ausschliesslich darum, ob jemand aus Gründen der Rasse, allenfalls noch der Religion, benachteiligt wird. Übergriffe wegen Geschlecht, Herkunft, Eigentum etc. werden ausgeblendet. Dadurch ist in der Ethik der offiziellen Schweiz eine Schieflage entstanden. Für diese Schieflage kennt die Sprache ein präziseres Wort: Doppelmoral. Eine Kostprobe solcher Doppelmoral hat Prof. Georg Kreis, Präsident der EKR, höchstpersönlich gegeben. In einem NZZ-Artikel (11. August 2005) liess er sich über den Armenier-Mord im und nach dem Ersten Weltkrieg durch die Türkei aus. Zwar anerkennt Kreis den Armeniermord als Genozid, hält jedoch dessen Leugnung nicht für einen rassistischen Akt. Diese Beurteilung wird von Rupen Boyadjian, einem armenischen Historiker, bestritten. Boyadjians Argumentation ist insofern überzeugend, als sich die Türkei mit der Bewältigung ihrer Vergangenheit nach wie vor schwer tut. Armenier sind auch in der heutigen Türkei durch Ausschreitungen und staatliche Willkür gefährdet.
 
Gefälligkeits-"Ethik"
Kreis geht es offensichtlich nicht darum, Menschenrechte zu schützen, sondern, wie er selber erklärt, die Beziehungen zur Türkei nicht zu belasten. Um diesem Bedürfnis nachzukommen, schreckt er nicht davor zurück, indirekt mit den rechtsextremen Wölfen der Türkei zu heulen. Diese hatten an einer Konferenz zur Armenierfrage im September, bei der das Armeniertabu endlich angetastet wurde, derbe Sprüche und faule Eier geworfen.
Gefälligkeiten scheint die EKR ebenso zu lieben wie ausgestopfte Feindbilder. Kreis kolportiert gerne den Generalverdacht, das halbe Volk neige zu rassistischer Gesinnung. Als Grundlage für solche Verallgemeinerungen ist ihm jeder psychiatrische Einzelfall (Vorfall im Toggenburg) gut genug. Wahr ist, dass beim Zusammenleben zwischen Einheimischen (zu denen auch Hunderttausende von Ausländern zu zählen sind) und Immigranten Spannungen und Ressentiments entstehen können. Wahr ist auch, dass der Hass, wie André Glucksmann in seinem neuen Buch zeigt, als Kategorie der Sünde auf die Weltbühne zurückgekehrt ist und sich unter anderem als Rassismus manifestiert. Wahr ist aber ebenso, dass die Schweizer Bevölkerung aufs Ganze gesehen konziliant ist und willig, Menschen aus anderen Kulturen zu verstehen und zu unterstützen.
 
Die Schweiz ist konziliant
Beispielsweise werden Budgetpostenvon insgesamt Millionenbeträgen für die schulische Förderung von Ausländerkindern an Gemeindeversammlungen oder von Parlamenten massenweise genehmigt. Der Zürcher Stadtpräsident Ledergerber hat die Lage einmal in folgende Worte gefasst: "Es wird eine riesige Integrationsarbeit in den Schulen, den Quartieren und am Arbeitsplatz geleistet; das kann man nicht genügend verdanken." Diese erfreulichen Ereignisse nimmt Kreis offenbar nicht so gerne zur Kenntnis. Abgehobenheit und Realitätsferne verleiten die EKR dazu, Rassismus und Antisemitismus mit vorgefertigten Täter-Opfer-Schablonen anzugehen. Das ist, wie ein Blick in die EU zeigt, äusserst fahrlässig. In der EU wurde vor zwei Jahren ein Bericht über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit monatelang schubladisiert, weil der Inhalt, wonach beispielsweise in Frankreich 62 % der rassistischen Vorfälle antisemitisch waren und mehrheitlich von Männern aus dem Maghreb verübt wurden, der Political Correctness widersprach.
 
Einäugige "Korrektheit"
Dass das Papier aus dem Schliessfach doch noch befreit wurde, war nur der Hartnäckigkeit des Grünen Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit zu verdanken. Politische Korrektheit, dieses Hofzeremoniell eines selbsternannten Meinungsadels, gibt auch in der EKR den Takt an. Als Rassismus und Fremdenfeindlichkeit anerkennt sie Antisemitismus, die Diskriminierung Fahrender, Schwarzer, Menschen aus Südosteuropa, sowie Islam- und Muslimfeindlichkeit. Die Verachtung des christlichen Glaubens durch Muslime gehört ausdrücklich nicht dazu, obwohl einzelne Muslime ihren Koran auch dort ernst nehmen, wo es heisst: "Und wenn ihr einen Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt; dann schnüret die Bande." (Sure 47,4). Durch die Täter-Opfer-Schablonen macht sich die EKR gleich selber zur menschenverachtenden Subkultur: Machismus bis hin zur Mädchenbeschneidung, die auch in der Schweiz praktiziert wird, gilt ihr nicht als diskriminierender Akt, denn bei fremdländischen Bräuchen ist man von vorneherein sehr nachsichtig und unkritisch. Eine gute Nachricht für manche Frauenschinder und Mädchenschänder.
 
Bornierte Inquisitoren
Menschenverachtung, insbesondere Rassismus und Antisemitismus, ist ohne Vorbehalt zu bekämpfen. Das ist so unstrittig, dass es für die Ethik und die Rechtsordnung geradewegs kontraproduktiv sein könnte, mit dem Gütesiegel des Bundes eine abgehobene EKR zu betreiben. Die Forderungen der EKR nach einem Verbandsbeschwerderecht und "wirksamer Beweislastregel" zeigen in eine ungute Richtung. Die Schweizer Bevölkerung, wie gesagt, zahlreiche Ausländer inbegriffen, möge sich vor solchen Verirrungen hüten. Ihr rassistischer Anteil ist zum Glück ähnlich gering wie etwa der islamistische Anteil unter den Muslimen. Die freie Gesellschaft im Rechtsstaat wird mit diesen (und anderen) Feinden schon fertig. Bornierte Inquisitoren à la EKR bringen den Menschenrechten mehr Schaden als Nachachtung.
 
Quelle: Schweizerzeit Nr. 11 vom 5. 5. 2006  www.schweizerzeit.ch
Hervorhebungen durch die Redaktion