Die Lobby und die "Sonderbeziehung". Diskussionsbedarf: Studie zur pro-israelischen Einflußnahme auf die US-Politik. Von Knut Mellenthin

Das Verhältnis der USA zu Israel ist einzigartig. Die Vereinigten Staaten unterhalten zu keinem anderem Land der Welt auch nur annähernd ähnliche Beziehungen. Offiziell spricht man von einer »Special relationship« (Sonderbeziehung). Im Zentrum steht dabei die unbedingte Privilegierung Israels gegenüber allen anderen Verbündeten der USA.

Warum das so ist und wie es dazu kam, wird in den Vereinigten Staaten kaum hinterfragt. Für den Mainstream besteht anscheinend nicht der geringste Diskussionsbedarf. Allenfalls gibt es ein paar Standards, die in Wirklichkeit nichts erklären. So wird gern darauf hingewiesen, daß USA und Israel »gemeinsame Werte teilen«, als würde das nicht für die meisten Partner der Vereinigten Staaten ebenfalls gelten. Eine andere Standarderklärung lautet, daß Israel für die USA von großer strategischer Bedeutung sei. Aber das sind auch Länder wie etwa die Türkei oder Pakistan.
 
Zwei angesehene US-amerikanische Professoren, John Mearsheimer und Stephen Walt, haben mit einem am 10. März veröffentlichten Arbeitspapier den Versuch unternommen, der »Special relationship« auf den Grund zu gehen. Der Aufsatz mußte in London veröffentlicht werden, weil sich keine US-amerikanische Fachzeitschrift mit dem Tabuthema belasten wollte. Mearsheimer und Walt führen unter anderem an: »Seit 1976 ist Israel der größte Empfänger jährlicher Wirtschafts- und Militärhilfe. Es ist insgesamt der größte Hilfeempfänger seit dem Zweiten Weltkrieg, mit rundgerechnet mehr als 140 Milliarden $ (zum Dollar-Kurs des Jahres 2004) (...) Andere Empfänger erhalten die Hilfe vierteljährlich, aber Israel bekommt die gesamte Summe zu Beginn jedes Steuerjahres und kann somit über die Zinsen verfügen. Die meisten Empfänger von Militärhilfe müssen die gesamte Summe in den USA ausgeben, aber Israel darf ein Viertel zur Subventionierung seiner eigenen Rüstungsindustrie verwenden.«
 
Mearsheimer und Walt behaupten, daß die »Special relationship« sich im wesentlichen nicht aus den außenpolitischen Interessen der USA erklären läßt, sondern aus dem Wirken der starken Pro-Israel-Lobby. Diese sehen die Autoren auch als Hauptdrahtzieher des Krieges im Irak und des Aufbaus einer Kriegskoalition gegen den Iran. Zur Pro-Israel-Lobby gehören nicht nur sämtliche großen jüdischen Organisationen der USA, sondern auch die fundamentalistischen Christen, die sich als Evangelikale bezeichnen. Nach eigenen Angaben haben sie etwa 40 Millionen Mitglieder, und auf jeden Fall sind sie die stärkste Wählergruppe der USA. Die Pro-Israel-Lobby verfälscht jede gegen sie gerichtete Kritik und macht daraus einen Angriff auf »die« Juden der USA. Mearsheimer und Walt verweisen jedoch darauf, daß die aggressiven Positionen der Lobby konträr zur Mehrheitsmeinung der amerikanischen Juden stehen.
 
Linke Kritiker des Aufsatzes von Mearsheimer und Walt, wie Noam Chomsky, wenden ein, daß Washingtons Nahost-Politik in erster Linie den imperialistischen Zielen der USA entspreche. Diese Politik, so meinen sie, würde auch nicht wesentlich anders aussehen, wenn es die Pro-Israel-Lobby nicht gäbe. Diese Argumentation kommt der Selbstrechtfertigung der Lobby sehr nahe, die nämlich behauptet, sie würde ausschließlich die »nationalen Interessen Amerikas« vertreten. Daß diese seltsamerweise stets fast hundertprozentig mit den Absichten der Regierenden Israels übereinstimmen, ergibt sich nach dieser Theorie durch die totale Identität der Interessen beider Länder. Auf eine kurze Formel gebracht: »Alles, was gut für Israel ist, ist auch gut für die USA«. Diese Behauptung ist so offensichtlich absurd, daß eine Grundsatzdiskussion seit langem überfällig ist.
 
Quelle: Junge Welt vom 04. April 2006