Müssen wir um unseren Boden bangen? - von Werner Müller

Am Projekt der US-Firma Amgen, eine Pharmafabrik im Grossen Moos von Galmiz/FR zu bauen, zeigte sich, wie unsere Landesväter und Politiker in Zukunft mit dem Raumplanungsgesetz umgehen werden. Die einen ärgern sich, dass 1100 Arbeitsplätze in Irland anstatt in der Schweiz geschaffen wurden, die anderen, Bauern, Umwelt- und Landschaftsschützer, freuen sich, dass der vom Kanton Fribourg 55 Hektaren umfassende, voreilig umgezonte beste Landwirtschaftsboden nicht zur Industrieerde mutieren musste. Angeblich sollen sich die Bauern in diesem Disput ziemlich bedeckt gehalten haben. Mir scheint, der Fall "Galmiz" sei ein Paradebeispiel dafür gewesen, wie in Zukunft in der Schweiz mit der restlichen Ressource Boden umgegangen wird. Diesmal sei das Projekt an hauchdünnen Vorteilen für Irland gescheitert. Bundesrat Deiss verlangt aber für die Zukunft, dass von Bundesbern aus fünf Standorte in der ganzen Schweiz aus der Zonenordnung auszuscheiden seien, welche künftigen Interessenten ohne Wenn und Aber angeboten werden können, um bei künftigen Bewerbern konkurrenzfähiger zu sein. Dagegen kommentieren die Landschaftsschützer, dass die Raumplanung kaum mit der Wirtschaftsförderung koordiniert werden dürfe.

Im Hinblick darauf, was in Zukunft für die Schweiz sinnvoll sein wird:  

  • ob neue Technologien mit hoher Wertschöpfung anzusiedeln sind,
  • ob gutbezahlte Jobs, sprich verlockende Steuereinnahmen für die Standortgemeinde und den Kanton locken,
  • oder ob die Erhaltung von ausgewiesenen Ackerflächen für die Landwirtschaft gesetzlich zu verankern ist, mit dem Ziel, die Grundversorgung  des Landes zu erfüllen,

müsste eine Grundsatzdebatte geführt werden, bevor man Tatsachen schafft. Wenn es um Arbeitsplätze geht, zudem um gutbezahlte, scheinen unsere Magistraten im Interesse des momentanen Vorteils bereit zu sein, Opfer bzw. Vorleistungen zu erbringen. Dass als Folge der Globalisierung und der daraus resultierenden Umstrukturierung leere Industrieanlagen zu Hauf im ganzen Land feil sind, hindert die Verantwortlichen nicht, die schönsten Ackerböden zu opfern. Ausserdem, ob in Galmiz tatsächlich 1100 Arbeitsplätze aus dem Pharmabereich geschaffen worden wären, oder ob man diese zum grössten Teil erst ‚eingeflogen’ hätte, sind Fragen, die im Vorfeld nicht diskutiert wurden. Amerikanische Firmen sind dafür bekannt, dass sie ihre Entscheidungen je nach Markt- bzw. Finanzlage innert kürzester Zeit umstossen. Dafür gibt es genügend Beispiele. Der Fall Galmiz und anstehende Fälle, auf die wir nicht lange zu warten brauchen, geben dazu Anlass, sich grundsätzlich mit folgenden Fragen zu befassen:

  • Dürfen wir diese Fragen allein den Wirtschaftslobbyisten überlassen?
  • Wie gehen wir in der Schweiz mit der begrenzten Ressource Boden um?
  • Handelt es sich bei diesen Entscheidungen nicht um Fragen, die von der gesamten Bevölkerung zu beantworten wären?

Wer sich über wirtschaftliche Fragen der Zukunft Gedanken macht und nach dem Sinn des ständigen Wachstumszwangs fragt, wird die Übergewichtung der Interessen von Investoren nicht allein auf Resultate ökonomischer Weisheiten abstützen, die morgen bereits in Frage gestellt werden könnten, zum Beispiel anlässlich eines weltweiten Börsenkollapses. Die Unabhängigkeit unseres Landes würde sich bei einer anhaltenden Börsenkrise, z.B. bei dem zu erwartenden Einbruch des Dollars, an der Fähigkeit entscheiden, wenigstens die Grundnahrungsmittel selber erzeugen zu können. Es kann doch nicht im Sinne der gesamten Bevölkerung sein, wenn wir unsere besten landwirtschaftlichen Böden einer sehr fragwürdigen industriellen Ansiedlungspolitik opfern.
 
Die Geschichte, die ausgerechnet von jenen als beendigt hingestellt wird, die sich der Welt bemächtigen wollen und tatkräftig an einer neuen Weltordnung bauen, könnte meines Erachtens bei der Lösung künftiger Probleme sehr aufschlussreich sein, da sich das, was uns bald widerfahren könnte, seit grauer Vorzeit immer wieder zugetragen hat, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Die Geschichte, sowohl die geschriebene als auch die erinnerte, erteilt zu Fragen der Gegenwart Auskunft. Sie liefert aber auch Erkenntnisse, wie die Probleme der Zukunft zu lösen sind.
 
Es ist nicht die Absicht, mit dieser Betrachtung fertige Lösungen zu präsentieren. Es sei darauf hingewiesen, dass diese Fragen, die uns hier beschäftigen, ein uraltes Problem darstellen, das sich der Menschheit immer wieder in variierter Form präsentierte. Es geht den Opportunisten um die Macht. Der Pessimist wird sagen: man kann nichts dagegen tun, lasst uns das Beste daraus machen. Schauen wir auf den eigenen Vorteil. Der Optimist dagegen erkennt in der Wiederholung eines Problems vielleicht eine Lösung. Sein Wissensvorsprung wird ihm helfen, das Problem transparent zu machen. Nichts fürchten die Weltenherrscher so sehr, als wenn man ihre Machenschaften aufdeckt und zeigt, wie sie sich von Kulturepoche zu Kulturepoche bereichert haben. Wir wollen anhand von Beobachtungen konkretisieren, was uns hier beschäftigt. 

Die Nutzung des Bodens
 
Nutzbarer Boden ist in einem Kleinstaat wie der Schweiz, wo die Hälfte des Staatsgebietes aus Eis- und Steinwüsten besteht, aus Seen und Weiden im Gebirge und aus Schutzwäldern, ein rares Gut. Kommt hinzu, dass die Schweiz mitten in Europa heute der am dichtesten besiedelte Raum darstellt, wo auf einem Drittel der Nutzungsfläche auch noch 7,5 Millionen Einwohner wohnen, wovon seit dem zweiten Weltkrieg 1,5 Millionen zugezogen sind, in der Hoffnung, hier Arbeit zu finden, vielleicht sogar eine neue Heimat. Der Boden ist notgedrungen auch durch die Produktionsstätten und den Wohnungsbau umkämpft. Es zeigt sich, dass in neuer Zeit trotz Höchstpreisen für Böden und Bauten viele Anlagen leer stehen und auf rentablere Nutzung spekuliert wird. Ausserdem verfügt die Schweiz über das dichteste Verkehrsnetz, das in den vergangen Jahrzehnten viele Opfer verlangt hat und das Europa als Drehscheibe dient. Für all diese Nutzungsformen braucht es Böden, die immer rarer werden. Dementsprechend sind die Preise in astronomische Höhen gestiegen. Man spricht von den teuersten Bodenpreisen der Welt und von der höchsten Prokopfverschuldung.
 
Dieser Sachverhalt wird selten berücksichtigt, wenn es darum geht, die Kosten in diesem Land zu erfassen. Im internationalen Vergleich sind die hohen Löhne in der Regel der Stein des Anstosses, woraus resultiert, dass die Schweiz statistisch gesehen eines der reichsten Länder sei. Wird dagegen untersucht, was wir für die angeblich hohen Löhnen kaufen können und bezahlen müssen - d.h. wenn die Kaufkraft des Durchschnittschweizers mit der der Europäer verglichen wird - dann zeigt sich, dass die hohen Löhne wegen überdurchschnittlich hoher Lebenshaltungskosten erforderlich sind. Es kommt nicht von ungefähr, dass in der Schweiz eine Million Menschen in Armut leben.
 
Vergleicht man die nutzbare Fläche der Schweiz mit derjenigen der Toscana, die mit 20'000 Quadratkilometern etwa gleich gross ist, mit dem Unterschied, dass in der Toscana drei Millionen Menschen weniger in weitaus verdichteten Gebieten und Städten wohnen, dann wird uns bewusst, in welcher Enge wir leben und arbeiten müssen. Die touristischen Anreize der Schweiz verlieren zusehends an Attraktivität, wogegen die Kulturstadt Florenz sich kaum des Ansturms von jährlich 6 Millionen Touristen erwehren kann, ganz zu schweigen von den Touristen, die sich über die ganze Toscana ergiessen. Die Produktion von Nahrungsmitteln und deren Nachfrage im In- und Ausland (Spezialitäten von Wein, Fleisch und Käse) ist für die städtische wie für die ländliche Bevölkerung der Toscana von großer Bedeutung. Demgegenüber stagniert in der Schweiz der Tourismus wie auch die Produktion von Lebensmitteln, die zunehmend von ausländischen, preisgünstigeren Produkten konkurrenziert werden. Im Vergleich der beiden Kultur- und Wirtschaftsgebiete ist unübersehbar, dass sich die Industrie der Toscana mässig entwickelt hat. Man ist landestypischen Möglichkeiten treu geblieben und hat zusammen mit der Kultur und dem Tourismus eine ausgewogene Wertschöpfung erzielt. Stellt man dieser kurzen Analyse auch noch die Lebensqualität beider Länder gegenüber, dann wundert es nicht, dass immer mehr Schweizerinnen und Schweizer, die es sich leisten können, sich einen zweiten Wohnsitz in der Toscana zulegen. 

Der Gegensatz zwischen Stadt und Land
 
Im Einzugsbereich der Grossstädte ist die beste Kulturerde, die noch vor kurzem die Menschen ernährte, durch die krebsartige Ausdehnung urbanen Lebens verschlungen worden, als ob der Boden ein Stoff wäre, der sich so ohne weiteres reproduzieren liesse. Diese Einschätzung unterscheidet sich weder durch Staatsformen, noch durch ein spezielles Wirtschaftssystem. Man kann sagen, je totalitärer ein Staat oder ein Wirtschaftssystem ist, desto unbedenklicher wird mit dem Boden umgegangen. Es scheint, als verlöre der Mensch in der Nähe einer Stadt den Bezug zur Mutter Erde und erkenne nur noch den Vorteil im steigenden Bodenpreis, der möglichst rasch zu realisieren ist. Dies entspricht nicht nur dem Denken des 20. Jahrhunderts. Man kannte das Phänomen bereits im alten Rom.
 
Es besteht ein Gegensatz zwischen Stadt und Land, der von Aristoteles, Schüler Platons, erkannt und als Chrematismus bezeichnet wurde. Er sagte: „Alle, die auf Erwerb bedacht sind, versuchen, ihr Geld ins Grenzenlose zu vermehren“. Es kann doch nicht das Ziel eines Staatswesens sein, bewusst eine Verstädterung des überwiegenden Teils eines Landes zu betreiben, wie es zum Beispiel nach dem Motto „Metropole Schweiz“ vorangetrieben wird. Nach welchem ökonomischen Prinzip sollten denn nur noch Dienstleistungen erbracht werden? Wohin dieser Grössenwahn führt, haben Banker und Dienstleister vorgeführt, als sich herausstellte, wie wenig solide die Pläne für den „Hub Zürich“ waren, an dessen versuchter Umsetzung die Swissair zu Grunde ging. [[i]] Dieses Beispiel einer nationalen Fehlleistung zeigt, wie wichtig es wäre, dass eine Aufsichtsbehörde die Kontrolle über den Boden behielte und nicht alle Trümpfe vertrauensselig der Privatwirtschaft zuführen würde. Wir werden einige grundsätzliche Fragen in diesem Zusammenhang zu beantworten haben.
 
Vordergründig ist keine Antwort darauf zu finden, warum diejenigen Bodenbesitzer, die sich in einer Stadt oder an der Peripherie befinden, im Vorteil sein sollten. Zwar leitet der Eigentümer sein „Glück“ aus dem Recht auf Privateigentum ab, das auf römisches Recht zurückgeht, bzw. auf den Begriff „privare“. Der Linguist stellt fest, dass das lateinische „privare“ ursprünglich „rauben“ hiess. Aus dieser sprachlichen Wurzel lässt sich jedoch kein Unrecht konstruieren, ganz abgesehen davon, dass das Privatrecht verfassungsmässig garantiert ist. Dieses verfassungsmässige Recht wurde aber seit 200 Jahren in dem Sinne pervertiert, als eine relativ kleine Schicht von Spekulanten sich der Ware „städtischen Bodens“ bedienen konnte, um sich zu bereichern. Man muss diese Entwicklung zusammen mit der überhandnehmenden Geldwirtschaft betrachten. Auch im Geldwesen wurde das Zahlungsmittel fälschlicherweise als Ware definiert, wogegen ethisches und am sozialen Körper der Gesellschaft orientiertes Gedankengut vergeblich ankämpfte. Wenn Geld sich bei Inflationen entwertet, hat das im Boden investierte Geldkapital die Eigenschaft, weitgehend resistent zu bleiben. Dieser Effekt hat der Konzentration des Bodens Vorschub geleistet.
 
Hätte man die rechtliche Nutzung und die Verfügbarkeit städtischen Bodens im Interesse des Gemeinwohls im Rahmen des Allmendrechts geregelt, wäre den Städteplanern und dem Finanzbedarf der öffentlichen Hand viel erspart geblieben. Es besteht immer noch, dieses gemeinnützige Bodenrecht, das sich aus vorchristlichen Rechtsformen ableiten lässt und bis in die Gegenwart nachzuweisen ist. In meinem Beitrag ‚Der Geburtstag der Schweiz’ (siehe Archiv politonline) habe ich dargelegt, wie sehr sich gerade dieses Bodenrecht für die alte Eidgenossenschaft positiv ausgewirkt hat. Die verbrieften Rechte haben dem Volksganzen nur Vorteile gebracht. Das Allmendrecht sowie Alpkorporationen sind Reste solcher Bodenrechtsformen, die bis auf den heutigen Tag bestehen. [[ii]] Es ist also nicht abwegig, das absolute Privatrecht an kollektiven Rechtsformen zu messen, die der Allgemeinheit weit mehr dienen würden als das Privateigentum. Leider wurde aber das gemeinwirtschaftliche Interesse seit der Einführung der Geldwirtschaft an den Rand gedrängt bis gänzlich verdrängt, wobei meines Erachtens die Banken eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der besseren Übersicht willen möchte ich diesen Zusammenhang an anderer Stelle betrachten. Bleiben wir bei der Bodenfrage. 

Die Bodenfrage im Altertum
 
Konzentriert man sich in dieser Frage auf die Altvorderen und die Naturvölker, um nachzuvollziehen, wie diese mit dem Boden umgegangen sind, so finden wir ihr Denken in Legenden, z.B.. „Wenn Du stirbst, wird Gott Dich nicht fragen, wie reich oder bekannt Du warst. Er wird Dich fragen: Was hast Du mit dem Land getan, das ich Dir anvertraut habe?“ Hans Tschäni schreibt in seinem Buch „Wem gehört die Schweiz? [[iii]], unser Eigentums- und Bodenrecht sei auf dem besten Weg zum Feudalsystem und erinnert an folgendes: „Der Eigentumsbegriff beruhte bei vielen Völkern auf einer magisch-religiösen, aber auch auf einer sozialen Basis. Der Ansatz zum Gottesgnadentum wird sichtbar. Aber auch hinsichtlich des Gemeinbesitzes findet man bei den Naturvölkern Beispiele. Sesshaft gewordene Sippen gaben den Bebauern des Bodens meist nur ein Gebrauchsrecht. Boden erscheint aber nie als alltäglicher Besitz, sondern wird immer als Lebensbasis gesehen und besonderen Regeln unterstellt.“
 
Aus der griechischen Namensgebung „Gaia“ spricht die grosse Ehrfurcht für die Mutter Erde, die in der Neuzeit erstaunlicherweise von den Astronauten im Weltall wahrgenommen wurde. Die Ehrfurcht gegenüber einer höheren Gesetzmässigkeit war denn auch die Ursache, weshalb bei vielen Völkern des Altertums Grund und Boden nicht für immer verkauft werden durfte, denn, so heisst es im Alten Testament: „das Land gehört Jahwe und ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir“. Wenn Bodenbesitz für die Hebräer unverkäuflich war und ein vererbungspflichtiges Lehen bildete, dann war dies nach heutigem Verständnis keine theologische Vorschrift, sondern eine Regelung zivilen Rechts. Eine derart weitreichende Vorschrift musste vor 3500 Jahren in einen tabuisierten Zustand versetzt werden, wozu die religiöse Vorschrift diente. Was sich hebräisch als ‚nachala’ eingebürgert hatte, ist im Psalm 78,54f. als weise, heute würden wir sagen ‚ethisch wirkende’ göttliche Empfehlung ausgedrückt. Das Bodenrecht, bei den Alt-Israeliten religiös motiviert, sowie andere Glaubenssätze, wurden von den Hebräern im Laufe der Zeit selber missachtet. So lagen die Philister und Kanaanäer mit den Israelis im Streit um ihre Vorrechte. Wegen der ständigen Unfriedfertigkeit gelang es den Alt-Israeliten, in der Bibel auch Gottesstreiter genannt, nicht, mit den umliegenden Völkern in Frieden zu leben.
 
Aus dieser Optik heraus kann nachvollzogen werden, dass das Bodenrecht, das Moses den Israeliten auferlegt hatte, eine tiefere Erkenntnis vermittelte, die durchaus als eine ökonomische und nicht als eine religiöse aufzufassen wäre, wenn wir uns die Mühe nähmen, den tieferen Sinn des Gebots zu begreifen. [[iv]] Es kann wohl kein Zufall sein, dass die sogenannten Wilden und Unzivilisierten, wie die Aborigines, die Indianer und andere Naturvölker, sowie die heute noch im Regenwald lebenden Ureinwohner, die Erde als Teil des Göttlichen respektiert haben und z. T. heute noch respektieren. Die Wissenschaft bestätigt, dass wenn die Reste des heute noch bestehenden Urwaldes abgeholzt würden, ein enormer Verlust durch das Aussterben des Pflanzenpotentials entstünde. Dieser Schutz kann nur von der Allgemeinheit ausgehen. Es verwundert deshalb nicht, dass der schwedische Staat seiner Urbevölkerung, den Samen, ihr eigenes Land abgekauft hat, worauf traditionellerweise seit Urzeiten Rentierzucht betrieben wird, so dass dieses nicht mehr veräussert werden kann. 

Woher kommt denn diese Widersprüchlichkeit gegen bessere Einsicht?
 
Mir scheint, dass die Menschheit sich einesteils im Zug ihrer Emanzipation vom mythischen Denken und Handeln befreit hat, nun aber auf dem Weg dazu ist, sich selbstzerstörerisch den Ast abzusägen, auf dem sie, sinnbildlich gesprochen, immer noch sitzt, genauso wie ihre Urahnen. Offenbar ist die Menschheit bereit, dem materiellen „Fortschritt“ alles zu opfern, auch wenn bekannt ist, dass Geld nicht unbedingt glücklich macht. Wie heisst es im weisen Spruch von Häuptling Seatle doch so wahr: „Der weisse Mann wird den letzten Fisch verzehren, das letzte Tier im Walde töten, um festzustellen, dass er den Haufen Geld, den er angehäuft hat, nicht essen kann.“ Leider widmen sich wenige Autoren mit ökonomischem Weitblick dieser Thematik. In seinem Aufsatz "Ökonomische Möglichkeiten für unsere Grosskinder" schreibt John Maynard Keynes: „Wir werden von diesen pseudomoralischen Prinzipien, welche die verachtenswertesten menschlichen Eigenschaften zu höchsten Tugenden emporstilisiert haben, Abschied nehmen. Die Liebe zum Geld als reinem Besitz wird endlich als das erkannt werden, was sie ist, nämlich als eine dieser halb kriminellen, halb krankhaften Neigungen, die man erschaudernd dem Spezialisten für Geisteskrankheiten übergibt." Es muss auf dem hier verkürzt dargestellten Weg in der Entwicklung des materiellen Denkens etwas übersehen worden sein. Und da wir dem sogenannten jüdisch/christlichen Kulturkreis entstammen, liegt es nahe, jene Quellen zu konsultieren, welche das abendländische Denken am meisten beeinflusst haben.
 
Joseph als Verwalter Ägyptens
 
So darf man sich zum Beispiel darüber wundern, mit welcher Naivität die Religionslehrer uns die biblische Geschichte des Josephs als positiven erzieherischen Beitrag unter dem Motto "Spare in der Zeit, so hast du in der Not" vorgesetzt haben. Man vergleiche nur einmal den Bericht der Bibel (l. Mos. 47. 13-23) und urteile selber, ob darin nicht das Bild eines Spekulanten oder Wucherers zu erkennen ist. Joseph liess die hungernden Ägypter und Kanaanäer Wucherpreise für das Brot bezahlen, beutete sie restlos aus, um sie letztendlich sogar zu Schuldsklaven des Pharaos Bnon zu machen, der kurz zuvor die Macht an sich gerissen hatte. Zunächst nahm er ihnen das Geld, das heisst alles Edelmetall und allen Schmuck ab, dann sämtliches Land, und schliesslich mussten sie sich selbst als Sklaven verkaufen“ (1. Mos. 47, 13-23). [[v]] Angesichts des Umstands, dass der biblische Joseph als Sklave verkauft worden war, zeugt sein späteres Handeln von einer unglaublichen Kaltblütigkeit, die selten auf Moral und Ethik untersucht worden ist. Der biblische Bericht gibt denn auch keine Auskunft darüber, wie mit jenen umgegangen wurde, die den Tribut von einem Fünftel (20 %) nicht bezahlen konnten. Vermutlich hat man Verhungerte, was bei Leichen von Armen üblich war, einfach in den Nil geworfen. Hingegen ist von Joseph, seinem Vater (der Hinterlistige genannt), (l. Mos. 27.36) und von seiner Sippe bekannt, dass sie reich beschenkt aus den Dienste des Pharaos entlassen wurden und sich im Land Gosen in Ägypten niederlassen durften (1. Mos. 47.11-12.).
 
Wer Quellenmaterial, das unsere Kultur nachhaltig beeinflusst hat, unvoreingenommen prüft, wenn auch seine Geschichtlichkeit nicht schlüssig zu beweisen ist, der entdeckt ein Gedankengut, das zu einer Jahrtausende alten Ordnung beigetragen hat. [[vi]] Die geschichtliche Erinnerung der Bibel bezieht sich nicht darauf, dass der Fellache geliehenes Land bebaut hat. In der agrarwirtschaftlichen Organisation Ägyptens spielte Landeigentum selten eine Rolle. Auch heute noch spielt sich das Leben der Landbewohner Ägyptens im Kollektiv ab. Der Fellache lebt in einer Gruppe. Auf den Feldern ist er Pächter, selten Kleingrundbesitzer. Diese Bodenordnung hatte während Jahrtausenden Bestand. Die Erinnerungsgeschichte der Bibel vermittelt dagegen, wie wir der Geschichte von „Joseph dem Verwalter“ entnehmen können, dass eine Hungersnot dazu benutzt wurde, um den  Boden in den Besitz eines Pharaos zu bringen, ein Pharao übrigens, der einer Reihe von „Fremdherrschern“ entstammte, also Eroberern, die sich des Landes bemächtigten. [[vii]] In Kenntnis dieses Zusammenhangs ist es völlig unverständlich, dass Joseph der christlichen Welt als eine positive biblische Figur vermittelt wurde, denn nach uraltem ägyptischen Recht konnte die Anwartschaft auf den Pharaonenthron nur über eine Pharaonentochter erworben werden. Sie allein war der uralten Tradition gemäss diejenige, die Kraft ihres Besitzes das Anrecht auf die Verleihung des Pharaonentitels übertragen konnte, was einer matriarchalischen Rechtsform entsprach. [[viii]] Als Salomon „König der Israeliten“ wurde, heiratete er eine ägyptische Prinzessin: Ihr Name war Naama (der hohe Geist) und sie war „die Tochter des Pharaos“ [[ix]] (1. Kön. 14,21 u. l. Kön. 7,8).
 
Anhand dieser verkürzt dargelegten Beispiele möchte ich aufzeigen, dass in der Bibel sich gegenseitig absolut widersprechende „Gesetzmässigkeiten“ vereint sind, die in der Auslegung oft das Gegenteil dessen bewirkt haben, was man sich unter einer „göttlichen Ordnung“ erhoffen konnte. Es ist meine Überzeugung, dass diese Widersprüchlichkeiten bewusst angelegt worden sind. Die Textgeschichte der Bibel ist zwar ausreichend erforscht, aber deren Erkenntnisse sind nur wenigen Spezialisten bekannt. Um dies zum besseren Verständnis auf die ökonomische Welt von heute zu übertragen, könnte man sagen: Joseph war ein Vertreter, den wir als ein Opportunist und Diener bezeichnen dürfen und der heute mit jenen Vertretern vergleichbar ist, welche für die Globalisierung stehen, Diener von ausbeuterischen Fremdmächten. Demgegenüber muss man König Salomon als den Fürst bezeichnen, der die mosaischen Gesetzte angewendet und sein Land innert 30 Jahren zu Blüte und Wohlstand gebracht hatte. Man soll sich nicht wundern, dass ausgerechnet König Salomon verraten und verteufelt worden ist. 

Zwiespalt oder Nachhaltigkeit
 
Wenn wir die Welt als zerrissen und gespalten empfinden, dann dürfen wir nicht vergessen, dass dies in den Ursprüngen unserer Kultur bewusst angelegt worden ist und zwar von jenen, die schon immer nach der Macht gegriffen haben. Der moderne Mensch scheint vergessen zu haben, dass es höhere Gesetzmässigkeiten gibt, die man als „den Willen Gottes“ zu verstehen hatte, so auch beim Umgang mit dem Boden. Die mosaischen Gesetze wurden nach der Reformation aus dem christlichen Regelwerk verbannt, obwohl wir sie der Bibel heute noch entnehmen könnten, wenn wir wollten. Dagegen fand das römische Recht in Form des Patrimonium Petri durch die römisch-katholische Kirche Eingang, was als Erbgut des Heiligen Petrus ausgegeben wurde. Auf dieser Grundlage konnten die Klöster die grössten Landgüter zusammenraffen, wobei die Vorrechte der alemannischen Bauern mehr und mehr eingeschränkt wurden. Aber auch das Gegenstück, die Eroberung, die Unterdrückung, die Ausbeutung, lässt sich aus der Bibel ableiten, was die Habsburger während tausend Jahren praktiziert haben, oder was gegenwärtig von der US-amerikanischen Aussen- und Drohpolitik so schmerzhaft vorgeführt wird. Das Fatale ist - und man muss sich das ehrlicherweise eingestehen - dass diese mindestens 3500 Jahre alten, höheren geistigen Gesetze heute noch Sinn machten, wenn wir sie mit den dringend erforderlichen Geboten für Nachhaltigkeit verbinden würden. Es dürfte wohl kaum jemand bezweifeln, dass die nachfolgenden Generationen ebenso auf das Anrecht haben, was heute im Namen von Mächtigen für Wenige verschleudert wird.
 
Seit der Aufklärung wurde von der Wissenschaft mehr oder weniger alles über Bord geworfen, was der Bibel zu entnehmen wäre, auch wenn es noch so viel Sinn gemacht hätte. Wohlverstanden, ich appelliere weder an eine fundamentalistische Frömmigkeit, noch mache ich mich für die Interessen irgend einer Mauerkirche stark. Ich appelliere im Sinne eines Paracelsus an den gesunden Menschenverstand. Ich appelliere an Ökonomen, die mit ihren Modeströmungen, die wissenschaftlich nicht zu belegen sind, zwecks Erhaltung materieller Vorrechte nur die Macht der Reichen festigen. Im Klartext: man kann sagen, dass grundlegende Fragen der Ökonomie „Glaubensfragen“ geblieben sind. Galten die in der Bibel stipulierten Gesetze einmal als zwingend, so kann man die heute gültige „Religion“ durchaus in den Dogmen „Globalisierung“ oder „heiliger Markt“ wiedererkennen. Oder einfacher ausgedrückt: man ist vom einen Extrem ins andere verfallen.
 
Solon von Athen (561 v. Chr.)
 
Die höheren Gesetzmässigkeiten sind nicht nur der Bibel zu entnehmen, sie sind auch bei den alten Griechen zu finden. Solon von Athen (561 v. Chr.), der 367 v. Chr. auch vom Römer Licinus nachgeahmt wurde, war ein athenischer Gesetzgeber und Dichter, der den Zusammenhang von wirtschaftlichen, rechtlichen und religiösen Einflüssen erkannt hatte und sie mit seiner Ethik verband. Es war die besondere Leistung des griechischen Staatsmannes, dass es ihm gelang, die Bürger zu entschulden, um ihnen auf diese Weise die Freiheit zu sichern: "Denn ohne Nutzen sind Gesetze, welche eine Gleichheit einführen, die den Armen durch ihre Schulden wieder genommen wird. Gerade da, wo sie am meisten die Freiheit zu geniessen scheinen, sind sie am meisten Sklaven der Reichen, wenn sie beim Richten, beim Führen eines Amtes und beim Reden Befehle empfangen und dienen müssen."
 
Man sollte diesen Satz der US-amerikanischen Regierung entgegenhalten, die sich bei jeder Gelegenheit für Menschenrechte und Demokratie ausspricht. Die moralische und ethische Wertung Solons durch den Biographen Plutarch beeindruckt umso mehr, als die Verschuldung von Staat, Wirtschaft und Privaten heute wiederum verheerend voranschreitet, wie zu Solons Zeiten. Die Geldvermögen haben inzwischen das Ausmass des Bruttosozialproduktes von reichen Staaten überschritten. Plutarchs Definition hat heute die genau gleiche Bedeutung wie damals, man muss nur die Bereitschaft haben, sie zu erkennen
 
Die antiken Geistesgrössen haben sich nicht nur den Kopf über die gleichen Fragen zerbrochen. Sie haben sogar Lösungen gefunden. Vergessen wir nicht, dass mehr Kriege wegen dieses Zusammenhangs geführt wurden, als wir uns dies vorstellen können. Ich erinnere an die Blut- und Bodenideologie der Nazis, an ihre Forderung nach mehr Lebensraum, welche die deutsche Bevölkerung in einen Weltkrieg stürzte. Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass sich die Mafia überall dort entwickelt hat, wo sie sich mittels Latifundien als Grossgrundbesitzer einnisten konnte und der breiten Bevölkerung dadurch die Lebensgrundlage raubte. Es war dieser Umstand, der die verarmte Bevölkerung Siziliens zur Auswanderung zwang.
 
Letztlich ist auch der Irak-Krieg mit der Frage der Landnahme verbunden. Heute weiss jedes Kind, dass es um das Erdöl ging, so wie es in der iranischen Frage neuerdings auch wieder um Öl geht. Es ist deshalb keineswegs überflüssig, sich zu fragen, welche Konsequenzen sich aus der Art und Weise, wie mit dem Boden umgegangen wird, für die Volkswirtschaft ergeben. Ob er mehr und mehr zentral verwaltet, der Verstädterung oder der Industrialisierung zugeführt wird oder ob der Landwirtschaft eine Überlebenschance eingeräumt werden soll? Schliesslich braucht man den Boden zum Leben wie die Luft zum atmen. Auch wäre es nach wie vor wichtig, wenn die Landesernährung gesichert bliebe. Wie viele Völker wurden schon ausgehungert? Schliesslich kann sich die Lage innert kürzester Frist dramatisch zuspitzen. Stattdessen wird in unserem Lande Propaganda gemacht, man soll doch den Lastenausgleich zwischen städtischen und unproduktiven ländlichen Gegenden einstellen. Meines Erachtens spielt man mit dem Feuer, weil man in den öffentlichen Haushalten am Anschlag ist und das Geld zur Bezahlung der Schuldzinsen fehlt.




[i] Bieri Hans, Die Schweiz , Wirtschafts- und Lebensraum im Konflikt, S 117ff., Zürich 2003

[ii] Prof. Miakovski, „Die schweizerische Allmend vom 13. Jh. bis heute“.

[iii] Tschäni Hans, „Wem gehört die Schweiz“, Orell Füssli, 1986

[iv] Die mosaischen Gesetze, 2. Mose 20, 2-17 Die zehn Gebote (vergl. 5. Moses 5, 6-21) 3. Mose 25, 1 Sabbat und Halljahr. 8 do. 23 Grund und Boden darf nicht für immer verkauft werden, denn das Land ist mein (Jahwe) und ihr seit Fremdlinge und Beisassen bei mir. Unterstützung von Verarmten. Du sollst keinen Zins und keine Zulage von ihm nehmen (Zinseszins) Zinsverbot! 5. Mose 23, 19 Wiederholung des Zinsverbotes. Unterscheidung Ausländer/Bundesgenossen (analog Islam)

[v] Robert Sträuli, Museion 1/1997, ABZ-Verlag, Zürich

[vi] Die gnostische Philosophie der Erleuchtung leitet sich vom urbiblischen Wort Schlange „nahash“ ab, dem althebräischen Stammwort „NHSH“. Die eigentliche Bedeutung ist „entziffern, herausfinden“. Einer der bedeutendsten Zweige dieser Philosophie ist das auf alttestamentarischen Quellen basierende Geldprinzip, wie der „Tanz um das goldene Kalb“, der dem Baalskult entlehnt war, also nicht mosaischen Ursprungs ist (s. 1. Mose 47, 10-29, Joseph als Verwalter in Ägypten). Dieses Prinzip sollte im 20/21. Jahrhundert die alles beherrschende Macht werden, die den Kapitalismus förderte und von einer kleinen Gruppe gelenkt und gesteuert wird, die heute auf dem Weg dazu ist, die Welt zu beherrschen.

[vii] Die Fremdherrschaft geht auf die Eroberung Ägyptens durch die Hyksos zurück, die später von den Churritern abgelöst wurden, fremde Herren, die aus Kleinasien in Ägypten eingefallen waren.

[viii] Bis vor kurzem noch war in Burkina Faso und in anderen zentralafrikanischen Staaten der Boden im Besitz der Mütter

[ix] Pharao Amenemope oder Siamon? Siamon war ein Sohn Amenemopes und Naama seine Schwester und zugleich “Tochter des Pharaos” Amenemope; nach Erik Hornung, Untersuchung zur Chronologie und Geschichte des Neuen Reiches, S. 109