Karikaturenstreit mit der NZZ

Da der Karikaturenstreit keineswegs als beigelegt erscheint und noch immer die Gemüter bewegt, möchten wir unseren Leser einen weiteren an die NZZ gerichteten Leserbrief nicht vorenthalten, der sich aus dem Geschehen selbst und der diesbezüglich mit der NZZ bereits geführten Korrespondenz ergab (auf politonline einsehbar). Es eröffnet sich hier eine absolut lesenswerte Folge, die keinerlei Kommentars bedarf!

E-Mail an die Redaktion der NZZ vom 8. 2. 06
 
Sehr geehrte Damen und Herren
 
Mit Freude möchte ich Ihnen heute den in herzlicher Zusammenarbeit mit Peter Knauer SJ verfassten Leserbrief zum heiss diskutierten Karikaturenstreit zusenden. Er spiegelt unser gemeinsames Anliegen wider, dem Frieden und der Versöhnung zu dienen, und zeigt, dass Christen und Muslime in schweren Zeiten im Geiste der Liebe zusammenfinden können, um gemeinsam das Wesentliche in Erinnerung zu rufen... 
 
Mit besten Grüssen Said Huber
 
 
RELIGIÖSE KARIKATUREN
 
Im Kommentar «Meinungsfreiheit und Menschenwürde» (NZZ vom 3. 2. 2006) bestreitet Anton Christen "die herabwürdigende Kraft der Karikaturen in der Zeitung «Jyllands-Posten»" und wirft den Muslimen vor, auf die Karikaturen masslos zu reagieren. Denn nach Auffassung Christens ziele selbst die schärfste Karikatur der Serie "nicht auf Verleumdung und  Beleidigung  ab,  sondern  illustriere  eine Vermutung". Der Karikaturist äussere in Wirklichkeit nur eine Meinung, nämlich dass zwischen dem prophetischen Kampf von damals und demjenigen heutiger "muslimischer Terroristen" ein Zusammenhang bestehe. Anton Christen   sieht  vielleicht  nicht  deutlich   genug,  dass  in  Religionsdingen  Karikaturen gewöhnlich doch verhöhnen und verspotten wollen und jedenfalls von den Betroffenen so wahrgenommen werden. Sich auf religiöse Dinge beziehende Karikaturen werden gerade von Muslimen immer als verletzend empfunden, sogar wenn es gar nicht um den Islam, sondern um andere Religionen geht. Das Recht auf freie Meinungsäusserung ist, wie A. Christen selbst   mit   Recht sagt,  in  der  Menschenwürde   begründet.   Es   würde  deshalb selber untergraben, wenn man meint, die freie Meinungsäusserung dürfe auch in der Verhöhnung und Verspottung dessen bestehen,  was anderen Menschen heilig ist und für sie gerade den Grund ihrer Menschenwürde ausmacht. Zwar mag es wenig Sinn haben, gegen solchen Missbrauch der Meinungsfreiheit strafrechtlich vorgehen zu wollen (wie man es etwa gegenüber der Leugnung des Holocaust versucht).  Doch  dient  es  nicht  dem  Frieden und der Versöhnung unter den Menschen, wenn man diese innere Grenze des Rechts auf  Meinungsfreiheit ausser acht lässt. Andererseits stehen die masslosen gewaltsamen Reaktionen mancher Muslime ausserhalb Europas auch nach Meinung sehr vieler Muslime in vollem Widerspruch zum  Islam selber. Der wahre Islam versteht sich als eine Religion des Friedens und der Barmherzigkeit. Die Worte "Islam" und "Salam (= Frieden) [hebr. Shalom]" haben die gleiche Wurzel. Allahs Barmherzigkeit will die Menschen zu Liebe und Barmherzigkeit gegenüber der Schöpfung führen.
 
Peter Knauer SJ (Brüssel) und Said Huber (Kerzers)   
 
E-Mail der Redaktion der NZZ vom 13. 2. 06
 
Sehr geehrter Herr Huber
Vielen Dank für Ihre zweites bzw. drittes Schreiben. Es ist leider während meiner ferienbedingten Abwesenheit liegen geblieben. Ich denke, dass es jetzt für eine Veröffentlichung zu spät ist, mein Kommentar liegt zu lange zurück.
 
Mit freundlichen Grüssen  A. Christen
 
E-Mail von SH an Anton Christen (ach.) vom 13. 2. 06
 
Sehr geehrter Herr Christen
Das ist schade. Denn die in Ihrem Kommentar vom 3. Februar angelegte Argumentation (Verharmlosung  der Gravität der Verspottungen) spiegelt sich in zahllosen, von der NZZ letzte Woche veröffentlichten Leserbriefen wider und erscheint mir nach wie vor aktuell.
 
Natürlich habe ich inzwischen mit Erleichterung gesehen, dass seither zahlreiche sachkundige, einfühlsame  und ganz auf unserer Linie (Knauer / Huber)  liegende Kommentare zum Karikaturenstreit erschienen sind: der NZZ-Artikel von T. Maissen "Was bedeutet Toleranz heute", das KNA-Interview mit Hans Küng "Islamische Reformkräfte stärken", die spiegel-online Interviews vom 12. 2. mit Ahmed Rashid "Für Entschuldigungen ist es zu spät" bzw. mit  Tariq Ramadan  "Wir müssen der Vernunft mehr Gehör verschaffen" (etc.). All diese fundierten, vortrefflichen Analysen lassen Ihren Kommentar als überholt erscheinen. Dass es daher besser wäre, ihn schlicht zu vergessen, nicht mehr davon zu sprechen und somit auch auf eine Publikation unseres Leserbriefes zu verzichten, welche gewisse peinliche Fehleinschätzungen in Erinnerung riefe, leuchtet mir natürlich ein. 
 
Trotzdem wäre ein solcher Verzicht bedauerlich. Denn unser christlich-muslimischer Leserbrief bringt in wenigen Zeilen eine Sicht auf das WESENTLICHE zum Ausdruck, die in den bisher von der NZZ publizierten Leserbriefen nicht anzutreffen war und - wie zu befürchten ist - wohl auch kaum anzutreffen sein wird. Bisher war die Tonlage allzu vieler Leserbriefe gegenüber den Muslimen gehässig und von den sattsam bekannten mainstream-Stereotypen getragen. Deshalb hätte (würde) unsere, den wahren Idealen verpflichtete christlich-muslimische Antwort "Ihre" Leserbriefspalte wohltuend bereichert/n (audiatur et altera pars).
 
Angesichts Ihrer Antwort, lieber Herr Christen, bleibt uns - Prof. Peter Knauer SJ und mir - in Gottes Namen eben nichts anderes übrig, als uns damit abzufinden und zu hoffen, dass eine der Menschlichkeit und wahrer Nächstenliebe verpflichtete Vernunft, ohne jegliche Doppelmoral, den weiteren Diskurs in der "Auseinandersetzung" mit "den" Muslimen und "dem" Islam bestimmt, bestimmen wird - insbesondere in der NZZ.
 
Mit nach wie vor (aber etwas weniger) traurigen Grüssen
Said Huber
 
 
 
E-Mail von ach. an SH vom 13. 2. '06
 
"All diese fundierten, vortrefflichen Analysen lassen Ihren Kommentar als überholt erscheinen."  
 
Glauben Sie das wirklich? Na schön, glauben Sie mal drauflos. In Tat und Wahrheit habe ich nichts, gar nichts zurückzunehmen; meine Linie ist zumindest in der Tagesausgabe der NZZ brav und zu meiner Freude auch von meinem guten Bekannten Thomas Maissen eingehalten worden. Ich habe gute Gründe dafür, die Karikaturen-Serie weiterhin für an sich harmlos, aber  politisch unklug zu halten. Harmlos, weil sie jeglicher Systematik und Böswilligkeit entbehrt; diejenige über Mohammed, dem die Jungfrauen für Selbstmordattentäter ausgegangen sind, ist sogar humorvoll-witzig. Von beabsichtigter, böswilliger Störung der Glaubensfreiheit  der  Muslime  ist  da  herzlich wenig  zu entdecken - es sei denn, man will partout Erniedrigungen und Beleidigungen herauslesen. Politisch unklug: Als einigermassen informierter Zeitungsmacher weiss man ja, welch empfindsame Gemüter die heftig Glaubenden und die einen Glauben nur Vorgebenden haben oder sind - man gibt ihnen am besten keinen Anlass, ihr Geschrei zu erheben. 
So long, Herr Huber, und glauben Sie bitte statt bloss zu meinen.  A. Christen, NZZ 
 
E-Mail von SH an ach. vom 13. 2. 06
 
Lieber Herr Christen!
Ihre Denklogik verblüfft mich:
 
War es - wie Sie zutreffend schreiben - politisch unklug, eine solche Karikaturen-Serie zu veröffentlichen, dann kann diese Serie doch nicht "harmlos" sein, wie Sie meinen, jedenfalls nicht in den Augen derer, die sich zu Unrecht gewaltsam oder mit Recht friedlich dagegen erhoben  haben. War  die  WIRKUNG  der Karikaturen-Serie verheerend, nachdem sie als bösartig und niedriger Gesinnung entstammend empfunden wurde und wie ein Funken im Pulverfass wirkte,  können Sie doch nicht länger deren  "Harmlosigkeit"   behaupten, sofern Sie natürlich bereit sind, ausser Ihrer Wahrnehmungsweise der Wirklichkeit auch noch andere anzuerkennen. Wenn Sie im Sinne eines Paradoxon die Karikaturen-Serie weiterhin für "harmlos" halten wollen, dann respektiere ich Ihren Glaubensentscheid.  Hans Küng, der eine für  alle (!) Christen lesenswerte Sicht über den Islam verfasst hat, überzeugt mich wegen seiner unerschrockenen Wahrheitsliebe, welche zeigt, was es heute heisst, Christ zu sein und für den Friedensdialog einzustehen - und das in einer Zeit, von der Kulturpessimisten behaupten, die wahren Christen seien fast alle ausgestorben.
 
Gottlob gibt es Christen wie Peter Knauer SJ, Christian Troll SJ und Hans Küng: möge deren Beispiel mehr Christen als leuchtendes Beispiel auf dem Weg dienen!
 
Mit freundlichen Grüssen und mit sichtlicher Erheiterung, für die ich Ihnen herzlich danke, lieber Herr Christen!  Said Huber
PS: der scharfsinnige Artikel von Max Frenkel gestern in der NZZ vom 12.2.06 war übrigens ausgezeichnet und, wie ich glaube, gar nicht auf Ihrer Linie...
 
 
E-Mail von ach. an SH vom 13. 2. 06
 
Wer sagt denn um Teufels oder Hubers willen, ich müsste die Karikaturen mit den Augen eines Islamisten oder empfindelnden-empfindsamen Muslims betrachten? Ich betrachte sie mit den Augen eines  robusten, aber der Toleranz verpflichteten Westlers, nicht mit jenen eines Islamisten oder überempfindsamen Muslims oder geschwätzigen Sonst-was-Glaubenden. Natürlich  kann ich die Harmlosigkeit dieser Karikaturen mit guten Gründen behaupten. Vergleichen Sie mal! Sie wissen ganz offensichtlich nichts von böser, niederträchtiger Satire. Betrachten Sie mal antijüdische Karikaturen aus Nazi-Propagandaorganen, da dürfte Ihnen ein Licht aufgehen. Die Tatsache, dass überempfindliche Seelen wie Sie Anstoss am harmlosen dänischen Zeugs nehmen, widerlegt doch nicht die Harmlosigkeit. Sie zeigt nur, dass die Schwelle der Empfindlichkeit höchst variabel ist - und dass es unsere islamistischen Freunde darauf abgesehen haben, aus nichtigen Anlässen ihr Süppchen zu kochen. Und genau weil dies so ist, muss man als Herr Redaktor ein bisschen politische Klugheit walten lassen und auf empfindsame Seelen sowie auf raffinierte politische Propagandisten ein wenig Rücksicht nehmen. Ist doch nur klug, oder etwa nicht? 
Lassen Sie sich weiterhin von Logik verblüffen, denn die nehme ich in der Tat in Anspruch. Und behaften Sie mich nicht auf das, was unsere Freaks im sonntäglichen Schwesterblatt so alles absondern. Ich fühle mich unschuldig.
Mit abendlichen Grüssen A. Christen
 
 
E-Mail von SH an ach. vom 13. 2.06
 
Lieber Herr Christen!
Um Gottes willen, nein, nein, niemand verlangt doch von Ihnen, dass Sie sich meiner Sichtweise als Muslim vorbehaltlos anschliessen... aber meine - wie Sie es gut ausgedrückt haben - überempfindliche Seele bringen Sie natürlich schon in Wallung, wenn sie ernsthaft andeuten wollen, der Prophet Muhammad a.s.s. mit einer Bombe auf dem Kopf (mit all dem, was damit fies angedeutet wird) wäre für einen Muslim weniger schlimm, als es eine niederträchtige Stürmerkarikatur für einen braven Juden sein muss, der darin z. B. als "Ungeziefer" diffamiert wird und der die Schatten der mörderischen NS-Vergangenheit herauftauchen sieht... nein, so einfach sind die Dinge wirklich nicht, mein lieber Herr Christen!
 
Mir ist bei der Analyse Ihrer robusten Seele ein Licht aufgegangen:
Dass Sie zutiefst bösartige, abscheuliche Nazi-Karikaturen gegen Juden nicht auf gleicher Ebene ansiedeln wollen wie z. B. die angeblich "harmlose" Bombe auf dem Kopf einer als Propheten bezeichneten Karrikatur (die ja auch Ali Baba/Bin Laden/GWB/Sharon/Putin etc. heissen könnte und diesfalls kaum jemanden in Aufruhr versetzen würde) zeigt, dass Sie sich leider noch immer den Luxus erlauben, sich nicht ernsthaft mit dem Islam und der Liebe der Muslime zum Propheten Muhammad a.s.s. auseinanderzusetzen (das Buch von Hans Küng wäre ein guter Einstieg und danach Al Ghasali, Das Elixier der Glückseligkeit, Diederichs). So ist es auch nur folgerichtig, dass Sie den Standpunkt der Muslime als (unvernünftige?) "Überempfindlichkeit" wegrationalisieren und deshalb die WAHRE INFAMIE islamistischer Hassprediger und politischer Propagandisten nicht wirklich in ihrer katastrophalen Tragweite durchschauen, die eben darin besteht, genau solche Karikaturverspottungen, welche für alle (!) Muslime inakzeptabel sind, auszunutzen, um ihre vergifteten Suppen zu kochen und sich als Hüter des "wahren Islams" aufzuspielen... mit all den verheerenden Folgen massloser Gewalt, die Sie zu Recht ja auch beklagen, ohne aber den weiteren Kontext näher zu beachten (vgl. Sie z. B. die Andeutungen im Interview von Hans Küng). 
 
Weil die kleinen, vielfach schlecht informierten, bisweilen unwissenden "einfachen" Gläubigen oder nur scheinbaren "Gläubigen" (etc.) zu sinnloser Gewalt verführt werden (sollen), SIND die Karikaturen eben NICHT harmlos, lieber Herr Christen! Leuchtet Ihnen das wirklich nicht ein?
 
Möge Gott in Seiner unendlichen Liebe und Weisheit Ihnen helfen, dies auch so zu sehen, und mir verzeihen, dass ich mich nicht klar und logisch genug ausdrücken konnte, um Ihnen den Ernst des Karikaturenstreits deutlich vor Augen zu führen... ist es denn für Sie so schwer, sich von der lieb gewonnenen Vorstellung des "harmlosen dänischen Zeugs" zu trennen? Manchmal braucht es Mut dazu - den wünsche ich Ihnen von Herzen!
 
Mit abendlichen Grüssen
 
Ihr überempfindlicher Said Huber, dem es vor dem drohenden Chaos graut, wenn nicht...
... das scheint Max Frenkel vom sonntäglichen Schwesterblatt mit seinen Anmerkungen zur kriminellen Idiotie der Publikation mit intuitiver Genialität irgendwie zu erahnen; wie Recht er doch hat! So schlecht ist die NZZ am Sonntag wirklich nicht. Vielleicht werde ich die NZZ abbestellen und mich mit Ihrem Schwesterblatt begnügen.
 
 
E-Mail von ach. an SH vom 14. 2. 06
 
Herr (said) Huber
Irgendwie reizen Sie mich zum Widerspruch und zum Verplempern meiner Zeit. Aber wohlan, lasset uns streiten, es ist 1000mal besser als im stillen Kämmerlein die Faust im Sack zumachen.
1. Zwischen den Stürmer-Karikaturen  und der Mohammed-plus-Bombe-Zeichnung besteht ein fundamentaler Unterschied. Erstere erklären Repräsentanten einer Ethnie/Religions­gemeinschaft,  Juden, zum  Abschaum  der Menschheit, in klarer Absicht, ihren Gegenstand zu erniedrigen und dessen Nichtwürdigkeit blosszustellen. Die Mohammed-plus-Bombe-Zeich­nung tut nix dergleichen, sie stellt einen sichtbaren Zusammenhang her zwischen einem Sinnbild für  heutige (terroristische?? ) Gewalt,  der Bombe, und  einem  Finsterling,  der  Mohammed repräsentieren soll. 
2. Die inhaltliche Ausführung des Zusammenhangs zwischen moderner (islamistisch-terroristischer?) Gewalt und dem Religionsstifter Mohammed wird von der Zeichnung nicht geleistet, kann vermutlich auch gar nicht von einer Zeichnung geleistet werden. Eben darum gibt sie zu Missverständnissen Anlass, sie lässt eine sehr ernsthafte Fragestellung in der Schwebe. Das ist die Wurzel meines Unklugheitsvorwurfs an die Zeitung, die eine solche Karikatur publiziert.
3. Ihre anscheinend religiös gefärbte oder gar begründete Liebe zu Mohammed respektiere ich gerne; no problems with it. Selbstverständlich bemühe ich mich, solcherlei religiösen Lieben und Liebschaften zu tolerieren, es kostet mich nicht einmal eine grosse Anstrengung.
4. Umgekehrt  nehme ich Ihre Toleranz gegenüber meiner Sicht auf Mohammed in Anspruch. Ich bemühe mich  um einen kalten, historischen Blick, no  love,  no hatred.  Für  mich  ist Mohammed eine historisch bedeutsame Gestalt, die einen für mich merkwürdigen, noch nicht restlos durchschauten Wandel vom Propheten zum Heerführer und Staatsmann durchgemacht hat. Als Heerführer und Begründer eines kleinen Imperiums hat er Gewalt eingesetzt, Gewalt angewandt. Die Natur dieser Gewalt, die Verflechtung  von religiösen und kaufmännischen Absichten, von  religiösen  und  tribalen Interessen, von religiöser Praxis und politischem Alltag/Pragmatismus will ich studieren, das fasziniert mich.
5. Selbst der von Ihnen so hochverehrte Emeritus aus Sursee streicht in einem seiner dicken Konvolute den militaristischen Charakter des Islams - im Unterschied zum Charaktes des Christentums - heraus. Haben unsere "Freunde" der Kaida und ihre sich Salafisten nennenden Anhänger nicht einen guten historischen Anhaltspunkt in der Disziplin und Konsequenz, mit der  Mohammed  und seine Gefährten die religiösen und politischen Gegner in Schlachten vernichteten?  Auch  für  diese Fragestellung nehme ich ein nirgends verbrieftes und doch fundamentales Grundrecht in Anspruch, dasjenige der Neugier.
6. Wenn  Sie Mühe haben, die Züge, die Sie bei Mohammed religiös verehren, mit seiner weltlichen Existenz als Heerführer und Staatsmann in Übereinstimmung zu bringen: trösten Sie  sich, auch  das  Christentum  hat  eine Epoche des Kurzschlusses zwischen religiöser Sendung und politischer Macht durchgemacht. Glücklicherweise - für Sie wie für mich - hat es sich wieder  auf den Satz besonnen, wonach man dem Cäsar geben soll, was des Cäsars ist, und darauf, dass Jesu' Reich nicht von dieser Welt ist. Das ist eine ganz hübsche Basis für solche Frager und Skeptiker wie mich, die, religiös eher schwerhörig, sich ums  jenseitige Reich  der  religiös Verehrenden  nicht zu  kümmern  brauchen,  es   sei dann, die religiös musikalisch Feinsinnigen wollen mich dazu nötigen, ihre Vorlieben zu teilen.
 
Einen schönen Gruss, diesmal aus dem morgendlich-morgendländischen Zürich.
ach.     
 
E-Mail von SH an ach. vom 14. 2. 06
 
Lieber Herr Christen!
Es ist wirklich schön, dass Sie sich Zeit genommen haben, um meine Sichtweise zu überdenken, und mir so ausführlich geantwortet haben.
 
Die Zeit, die Sie dafür verbracht haben, ist sicherlich nicht "verplempert", es sei denn, Sie hätten bei den grauen Herren der "Zeitsparkasse" ein Konto eröffnet (vgl. MOMO von Michael Ende - falls Sie Kinder haben, sollten Sie ihnen dieses Buch unbedingt schenken und mit Ihnen lesen). Ihre Ehrlichkeit und Offenheit erfreut mich sehr, da Sie bemüht sind, den Islam  allgemein  und Muslime  wie mich besser zu verstehen. Dass Sie mit mir "streiten" wollen, nehme ich natürlich nicht wörtlich, da wir gemeinsam nachdenken wollen und zwar über wirklich wesentliche Fragen.
 
Zwar halten Sie sich für einen "Skeptiker", einer, der "religiös eher schwerhörig" sei. Aber Skepsis ist in Religionsdingen gut, ja notwendig, wenn ich den grossen Missbrauch sehe, der in aller Welt "im Namen Gottes" von Menschen veranstaltet wird, die sich einbilden Muslime, Christen, Juden etc. zu sein. Da stehen mir die Haare zu Berge und ich habe Verständnis, wenn konsequente Skeptiker deshalb glauben, die Existenz Gottes in Frage stellen zu müssen. 
 
Und schon sind wir beim Kern des Problems, das uns letztlich beide zusammengeführt hat:
Wer sind eigentlich die authentischen Repräsentanten der sogenannten "Religionen", welche sich auf so hohe Werte wie "Liebe", "Nächstenliebe", "Wahrheit", "Glück", "Rechtleitung" etc. berufen und predigen? Hat es sie je gegeben, gibt es sie heute überhaupt noch? Ich frage Sie (ohne dass Sie mir darauf schriftlich noch einmal antworten müssten):
 
Haben Sie die Gegenwart des Göttlichen jemals erfahren? Hat Sie eine überwältigende, überweltliche Liebe  jemals  innerlich erfüllt?  Sind  Sie  jemals  einem  religiösen   Menschen begegnet, der Sie innerlich im Herzen getroffen, mit grosser Liebe erfüllt, menschlich überzeugt  hat?  Wenn Sie diese  Fragen  oder  auch nur eine mit "ja" beantwortet haben, dann können Sie sich glücklich schätzen. Solche Geschenke werden nicht vielen Menschen zuteil. Viele leugnen auch, dass es sie gibt... aus Mangel an eigener Erfahrung.
 
Sie müssen mir glauben, es gibt Menschen, die aufrichtig und aus tiefster Seele heraus all diese Fragen mit "ja" beantworten können. Wenn Sie sich sine ira et studio  einen solchen Menschen, den Sie vielleicht nie gesehen haben, wenigstens - für wenige Augenblicke - nur  vorstellen können, dann sind wir genügend gerüstet, um gemeinsam Ihre Liste der Widersprüche durchzugehen:
 
Zu  (1) + (2): Wird in einer bildlichen Darstellung ein Mordinstrument (Bombe) einer als "Prophet" bezeichneten Karikaturfigur auf das Haupt gelegt, so ist die Aussage für diejenigen, die ihn als heilig verehren klar: die Person ihrer Verehrung soll erniedrigt und als nichtswürdig dargestellt, also entheiligt werden. Das ist ja auch die Aussage der Darstellung, so wie sie von den Verletzten in guten Treuen aufgefasst werden muss: der Prophet a.s.s. ist gleichsam Stammvater des "salafitischen Terrors". Dass Sie hier nur eine "Missverständlichkeit" sehen, hilft  nicht  weiter: der Prophet Muhammad a.s.s. ist für den Muslim der heiligste Mensch überhaupt (noch vor Mutter, Vater, Ehefrau etc.) und eine Beschmutzung Seines Andenkens mittels einer solchen Darstellung wird als niederträchtig empfunden. Der Tabubruch ist vollendet. Die Darstellung war also nicht "harmlos". Eine andere Frage ist: wie wehrt sich der Muslim angemessen dagegen? Darf/soll er wild durchdrehen und "Sündenböcke" opfern? Die Antwort ist klar: Nein - das gebietet die Liebe zum Propheten: in Sura 25:63 al Furqan werden die wahren "Diener des Barmherzigen" als diejenigen beschrieben, welche auf Erden in Demut wandeln und "Friede" sagen, wenn die Unwissenden sie ansprechen (und provozieren wollen). Mit dem Herzen und in Worten ist diese Infamie klar zu verurteilen!
 
Zu  (3) + (4):  Ja,  ja  die  Liebe zum Propheten  Muhammad a.s.s. ist eine geheimnisvolle Angelegenheit!
Wer kann denn behaupten, Muhammad a.s.s. wirklich zu lieben?
Wer hat ihn denn gesehen, dass er ihn a.s.s. lieben könnte?
Was bedeutet es denn, ihn a.s.s. zu lieben?
 
Es gibt viele Bücher mit widersprüchlichen Geschichten über ihn - von Freunden und von Gegnern geschrieben... wer sagt die Wahrheit? Welches ist die treffende "Darstellung" seines Wesens? Wie war er wirklich? Sind es wirklich (verstaubende) Bücher, die uns hier weiterhelfen können?  Gibt  es überhaupt Menschen, die Muhammad a.s.s. wirklich kennen und deshalb seinem Weg auch tatsächlich folgen? Oder ist alles/vieles nur Heuchelei religiöser Eiferer, welche nach Lust und Laune das ihnen Gefällige in den Propheten a.s.s. hineinprojizieren?
 
Sie sehen, lieber Herr Christen, alles schwierige, aber entscheidende Fragen für uns Muslime und unser Selbstverständnis. Gemäss einer unbestrittenen Tradition des Propheten a.s.s. wird sich seine Gemeinschaft nach seinem Tode in viele Gruppen teilen, wobei nur EINE rechtgeleitet sein wird ...  jeder,  der  diese Tradition  kennt, glaubt oder hofft natürlich, dazu zu gehören... worauf kommt es denn an, um zur "rechten" Gruppe zu gehören? Sie sehen, die Liebe zum Propheten Muhammad a.s.s. bedeutet eine grosse Verantwortung, wenn wir Muslime den Islam ernst nehmen wollen - wenn ich selbst den Islam ernst nehmen will...
 
Zu (5): Ihre Neugier wird Ihnen eine grosse Hilfe sein, wenn Sie sie einsetzen, um ihr Bewusstsein in selbstkritischer Offenheit und geistiger Demut zu vertiefen. Andernfalls werden Sie nur eine Mauer von Vorurteilen aufschichten und diese Mauer für den "kalten, historischen Blick" halten. Und er wird tatsächlich jenseits der Liebe sein ("no love"). "Hatred" wird von selbst kommen.
 
Zu (6):  Dass Muhammad a.s.s. neben seiner Sendung als geistiger Erzieher auf dem inneren Weg auch Kaufmann, Staatsmann, Richter, Heerführer war, bereitet mir keinerlei Schwierigkeiten, da die vertikale und die horizontale Dimension unsere menschliche Existenz ausmachen. Insbesondere gibt es bisweilen tatsächlich Notwehr- und Notstandssituationen, in denen auch die Waffe ergriffen werden muss (wie z. B. gegen die Nazibarbarei, um ein neuzeitliches Beispiel zu nennen). Eine Schwierigkeit habe ich aber tatsächlich, die mir bisher niemand überzeugend beantworten konnte: nähmen wir bereits einen kleinen Teil des Kriegsrechts des Propheten Muhammads a.s.s. ernst (d. h. keine Tötung von Zivilisten, keine Zerstörung der Umwelt/Natur etc. ist erlaubt), dann wären heute nach Sharia-Gesichtspunkten alle Kriege mit ihren hightechkriegsführungsimmanenten "Kollateralschäden" illegitim. Diese Vorstellung gefällt mir sehr; schade nur, dass sie sich nicht in allen Herzen und Köpfen angeblicher Christen, Juden und Muslime durchsetzt. Genau das ist ja auch der Grund: WEIL diese Menschen vom WESEN ihrer Religion keinen blassen Dunst haben (haben wollen), erliegen solche Menschen der ihnen (legitim oder illegitim) zugekommenen Macht und missbrauchen sie. Deshalb sprach der selige Carl Amery auch nicht mehr von homo sapiens sapiens, sondern von homo demens, wenn er den neuzeitlichen Menschentypus meinte, der auf bestem Wege ist, Mitmenschen und Umwelt an den Abgrund zu führen.
 
zu (7): ihr e-mail von 12:40h (Herr Fürsprecher Huber. Neugierig wie ich bin, nimmt mich noch eines wunder: Warum testen Sie, der Sie den Paragraphen 261 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vermutlich auswendig kennen, die Validität Ihrer These von der Verunehrung des Propheten durch unsere dänischen Schlecht-Zeichner nicht vor Gericht?  Schweizer Zeitungen haben ja fleissig nachgedruckt (nicht die von Ihnen als neoliberale Profitmaximierer beschimpfte TAGESAUSGABE der NZZ). Also, warum nicht? Ich bitte um Aufklärung)
 
Das ist eine gute Frage! Aufklärung tut heute wirklich Not!
Vorab: es ist lobenswert und der NZZ hoch anzurechnen, dass sie die Karikaturen nicht nachgedruckt hat. Das entspricht auch der Linie ihres promovierten Juristen und NZZ-Redaktors, Max Frenkel, der in seiner geistreichen Kolumne vorgestern die Publikation als kriminelle "Brandstiftung" bezeichnete und eine unmissverständliche Verurteilung der verantwortungslosen und nur an Provokation interessierten dänischen Brandstifter forderte. Das ist Klartext eines feinfühligen Juristen. Ob natürlich die hiesigen Strafgerichte den Nachdruck durch andere Zeitungen auch so sehen, nämlich als Akt, mit dem öffentlich "in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen verspottet" werden sollte (Art. 261 Abs. 1 StGB), bezweifle ich. Die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung ist mager und eher liberal eingestellt. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob inzwischen Muslime in der Schweiz gegen die entsprechenden Zeitungen strafrechtlich vorgehen wollen oder bereits vorgegangen sind. In einem früheren E-Mail habe ich Ihnen meine Überlegungen dazu bereits ansatzweise mitgeteilt: Wer Infames äussert, verdient keine Beachtung, auch nicht Verachtung, sondern Mitleid. Denn: In was für einer seelischen Hölle leben denn diese armen Menschen, die sich von Infamie ernähren (müssen/wollen)? Ich betrachte strafrechtliche Instrumente nur als ultima ratio, welche bei hasserfüllten Meinungsäusserungsüberzeugungstätern (oder solche Überzeugungen weiterverbreitenden Zeitungen) ebenso wirkungslos sind, wie bei unbelehrbar-dummen Holocaustverharmlosern/-leugnern. Die metaphysische Schuld, welche ihre dänischen Schmierfinken und ihre Beschützer auf sich nehmen, ist bereits so gross, dass mir davor graut. Was  können denn Strafgerichte bei diesem Spiel mit dem Feuer anrichten? Bussen fällen, Gefängnis bedingt aussprechen?  Ich bezweifle,  dass sich die Brandstifter und ihre Gehilfen durch Bestrafung bessern würden. Im Gegenteil: sie werden sich einbilden, Märtyrer der "Meinungsäusserungsfreiheit" zu sein, also der Freiheit, andere in ihren religiösen Überzeugungen zu verletzen. 
 
Mit einem ebenfalls schönen Gruss aus dem abendlich-abendländisch-eindunkelnden Frauenkappelen
Said Huber 
 
 
E-Mail von ach. an SH vom 15. 2. 06
 
"Dass Muhammad a.s.s. neben seiner Sendung als geistiger Erzieher auf dem inneren Weg auch Kaufmann, Staatsmann, Richter, Heerführer war, bereitet mir keinerlei Schwierigkeiten, da die vertikale und die horizontale Dimension unsere menschliche Existenz ausmachen. Insbesondere gibt es bisweilen tatsächlich Notwehr- und Notstandssituationen, in denen auch die Waffe ergriffen werden muss  (wie z. B. gegen die Nazibarbarei, um ein neuzeitliches Beispiel zu nennen")
 
So einfach lasse ich Sie  Ihren  eigenen  Widerspruch  nicht auflösen. Es gibt Gewalttaten Mohammeds, die weit über legitime Selbstverteidigung hinausgehen. Schon die erste Schlacht, die er mit seinen Ansar schlug, diejenige gegen eine Karawane der Kuraisch von Syrien  nach  Mekka, war totally unprovoked; Mohammed hätte eine einfache Alternative gehabt, er hätte sich in Medina niederlassen und sich dort als Chieftain feiern lassen können. Nein, er wollte seinen Gott den Kuraisch mit Gewalt aufzwingen - so wie heute seine salafistischen Adepten ihre Religion den Säkularisten und gleichgültigen Muslimen aufzwingen wollen. Die historische Sachlage ist klar: Mohammed hat sich - nicht ausschliesslich, aber wesentlich - mit Gewalt die Kuraisch und darüberhinaus einen Teil der arabischen Halbinsel gefügig gemacht. Von den Hudud, die er anordnete, rede ich gar nicht, mir sträuben sich die Haare ob der Unbarmherzigkeit, mit der er - immer laut den Ahadith - Peitschungen, Steinigungen, Handabhacken und dergleichen angeordnet oder angedroht hat. Dass es neben diesen Schattenseiten auch zivilisatorische Fortschritte unter Mohammed gegeben hat, etwa bei der Behandlung von Witwen und Waisen, ja selbst der Frauen, will ich gerne anerkennen, auch dies gehört zur Geschichte. Summa, summarum, wenn ich bei dem von Mohammed prophezeiten jüngsten Gericht Gott spielen könnte, würde ich ihn zwar nicht, wie Dante, in die Hölle verbannen, aber zur Strafe würde ich ihn von allen himmlischen Gesprächen mit Jesus und den  meisten katholischen Heiligen einschliesslich meines Ahnen in der x-ten Generation, Niklaus von Flüe, auf ewig ausschliessen. Auch mit meinem Idol Martin Buber dürfte er nie reden, denn er hat das Leben von Juden auf den Gewissen, die er als Illoyale und Kollaborateure mit dem Feind hatte abschlachten lassen.
 
Muten Sie mir bitte keine Liebe zu Mohammed zu, erklären Sie mir lieber, wie Sie den Historiker in Ihnen mit dem Verehrer einer solch zwiespältigen Gestalt vereinen können. Ohne Distanzierung vom Militarismus Ihres Meisters und seiner Nachfolger geht's nicht, schliesslich fordert dies von den Muslimen auch unser  Pressesprecher in Sachen theologischer Eitelkeit, Herr Professor Doktor Hans Küng.
So viel für jetzt, hier und heute. Und ich bin ganz froh, dass das Schweizerische Militärstrafgesetz keine Hudud kennt, sonst kämen Sie als Major der Militärjustiz womöglich noch in Versuchung, es Mohammed gleichzutun. Oder nehmen Sie am Ende diesen Teil der Mohammedschen Persönlichkeit gar nicht so ernst?
 
Mit schönen Grüssen
ach. (das ist kein Seufzer, dieses Mal) 
 
E-Mail von SH an ach. vom 14. 2.'06
 
Tu es déjà éteint, mon frère, avant de subir l'extinction,
et tu n'es rien avant même d'être annihilé.
Tu es une illusion dans une illusion et un néant dans un néant.
 
Sidi Ahmad El-Alawi QAS