Schreiben an das Mitglied des Deutschen Bundestags Fritz Kuhn vom 18. 1. 2006

Sehr geehrter Herr Kuhn, wie bekanntgeworden ist, befasst sich Ihre Partei mit der CIA-Affäre resp. den geheimen Flügen und Gefangenenlagern, die Zustände erkennen lassen, die niemand für möglich gehalten hätte. Es ist im übrigen seit dem Afghanistankrieg bekannt, dass die USA Gefangene nach Jordanien und in andere verbündete arabische Länder ausfliegen lässt, weil dort angeblich die besseren Foltermethoden praktiziert werden. Das ist sicherlich auch der UNO bekannt, deren Hauptaufgabe sich mittlerweile fast nur noch darauf beschränkt, uns in jeder erdenklichen Weise Vorhaltungen zu machen, uns mit Ermahungen zu versorgen und uns die Kosten für sämtliche "Kollateralschäden", zu deren Verhinderung sie wenig bis nichts beiträgt, aufzubürden. Der jetzt zutage getretene Morast jedoch übersteigt das Erträgliche, wozu auch der soeben bekanntgewordene Umstand gehört, dass der Bundesnachrichtendienst der USA im Irakkrieg militärische Informationen geliefert hat und die Mossad-Agenten, wie vermeldet wurde, mit deutschen Pässen im Iran unterwegs sind.

Ich denke, dass Sie bei Ihren Aufklärungsversuchen nur unter einer Bedingung zum Ziel kommen, indem sie von Brüssel verlangen, dass dem Bundestag und damit dem ganzen deutschen Volk und den EU-Bürgern die NEW TRANSATLANTIC AGENDA vorgelegt wird. Die diesbezügliche Information von Réseau Voltaire ist diesem e-mail angefügt. Das Dokument geht auf eine von der Abteilung Justiz und innere Angelegenheiten des europäischen Ministerrats und Vertretern des US-Justizminiteriums am 22. Januar 2003 gemeinsam in Athen abgehaltene Sitzung zurück. Dieses Geheimdokument umfasst verschiedene Verpflichtungen, die darauf abzielen, die europäischen Gesetzgebungen auf den US-Patriot Act auszurichten, was allein schon eine Ungeheuerlichkeit darstellt. Man kann hier lesen, dass die Europäer ihre Emächtigung zu einer <erhöhten Benutzung europäischer Transporteinrichtungen> erteilen, um bei der Rückkehr von Kriminellen resp. unerwünschten Fremden Hilfe zu leisten. Knapp formuliert: Die „Folterflüge“ sowie die geheimen Gefängnisse der CIA in Europa sind in voller Kenntnis des Sachverhalts und schriftlich genehmigt worden. Den hierzu Stellung nehmenden Artikel auf  www.politonline.ch sende ich Ihnen ebenfalls zu.
 
Man darf mit Sicherheit davon ausgehen, dass die NEW TRANSATLANTIC AGENDA keineswegs eine Erfindung darstellt. Wo immer man diese zitiert, herrscht betretenes Stillschweigen. Es hat nicht den Anschein, als wäre jemand bereit, dieses Thema aufzugreifen. Es ist ja wohl nicht möglich, dass die Mitgliedländer des EU-Ministerrats nicht darüber Bescheid wissen. Ich werde mir daher erlauben, dieserhalb auch an Aussenminister Steinmeier zu gelangen, der zum Zeitpunkt des Besuches von Condoleezza Rice in Brüssel anwesend war, wo-mit es so gut wie ausgeschlossen ist, dass er nicht über dieses Geheimdokument informiert ist.
Es wäre daher an der Zeit, dass ihm der Bundestag die Frage stellt, ob er das Dokument eingesehen hat.
 
Sie sind in der „Welt“ vom 8.1.06 mit folgenden Worten zitiert: Die Schließung (von Guan-tánamo) sei überfällig und würde „die Glaubwürdigkeit der USA als freiheitsliebendes Land fördern“. Ich darf Ihnen versichern, dass ich die Bezeichnung „freiheitsliebend“ für einen Aggressor wie die USA mit äusserstem Befremden registriert habe, da diese angebliche Freiheitsliebe doch offensichtlich nur für sie selbst gilt. Wie man die USA nach den von dieser seit 1945 geführten zahllosen Angriffskriegen sowie in Anbetracht der mörderischen Überfälle auf Vietnam, Afghanistan und den Irak im ersten Golfkrieg sowie des jetzt er-folgten zweiten Terrorüberfalls auf dieses praktisch in die Steinzeit zurückgebombte Land noch als „freiheitsliebend“ bezeichnen kann, ist mir unerklärlich. Darüber hinaus deutet nichts darauf hin, dass Washington von seiner bisherigen Linie abzuweichen gedenkt, was allein schon aus den jetzt gegen den Iran ausgestossenen Drohungen ersichtlich ist, denen sich un-begreiflicherweise auch die EU anschliesst. Thomas P.M. Barnett, Professor am U.S. Naval War College, hat die eiskalt konzipierten möglichen zukünftigen Angriffsziele der USA inzwischen aufgelistet. 1
 
Frau Claudia Roth sprach im Zusammenhang mit dem Besuch von Frau Merkel in der USA von einem "richtigen Signal" an US-Präsident Bush. "Es darf keine rechtsfreien Räume geben, die das humanitäre Völkerrecht eklatant verletzen", erklärte sie in Berlin. Guantánamo diskreditiere die Demokratie und den Rechtsstaat und sei völlig ungeeignet in der Bekämpfung des Terrorismus.“ Genau das trifft auch auf das Verhalten der EU und der BRD in Sachen Folter und Gefangenenlager zu. Frau Roth forderte daneben Frau Merkel auf, sich nicht nur für die Schliessung Guantánamos einzusetzen, "sondern auch für die lückenlose Aufklärung illegaler CIA-Flüge, Gefängnisse, Verschleppung von Menschen, Anwendung von Folter bei Vernehmungen und der möglichen Verwicklung deutscher Sicherheitskräfte in diesem Zusammenhang zu sorgen."  Wie es weiter heisst, will auch Grünen-Politiker Volker Beck die Frage geprüft wissen.
 
Insofern düfte es berechtigt sein, von Ihnen allen zu verlangen, die EU-Kommission in Brüssel aufzufordern, die vor uns geheimgehalte New Transatlantic Agenda offenzulegen. Geschieht das nicht, so ist für meine Begriffe keinen der hier zitierten Worte auch nur die mindeste Glaubwürdigkeit beizumessen. 
 
Ich darf Sie um eine kurze Bestätigung des Eingangs dieses e-mails bitten.
Mit freundlichen Grüssen
Doris Auerbach
 
1 http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/USA/barnett.html
 
Kopie an
www.politonline.ch
Marcus Becher MdB
Dr. Peter Gauweiler MdB
Angelika Beer, EP Strassburg
Dieter Wiefelspütz MdB
Peter Aebersold Zürich
Willy Wahl Zürich
Young4FUN u.a.