Europa und die vereinende Kraft einer gemeinsamen Währung - von Werner Müller

Immer mehr Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wird klar: wirtschaftliche Kräfte, vorab jene aus der Hochfinanz und von selbsternannten Eliten wollen den Auf- und Ausbau Europas mitgestalten. Die Politiker und Beamten in Brüssel, aber auch der Landesregierungen, sind an Empfehlungen gebunden, von Kreisen ausgegeben, die jährlich an den Bilderberg-Konferenzen teilnehmen. Sie scheinen die EU zu dominieren. Die wichtigen Entscheidungen in Europa kommen nicht auf parlamentarischem Wege, also demokratisch zustande. Volksrechte, wie sie in Norwegen, Dänemark und auch in der Schweiz lebendig sind, behindern dabei eher die Absichten dieser Kräfte. Mittlerweilen haben Frankreich und die Niederlande die neue EU-Verfassung abgelehnt und damit bekundet, dass das ?tumbe? Volk sehr wohl komplizierte Vorgänge, die bewusst verschleiert werden, transparent machen kann.

Opposition kann aber heute diszipliniert werden, indem sie dort gefügig gemacht wird, wo sie verletzbar ist: bei der Angst um den Arbeitsplatz. Das Gespenst der Arbeitslosigkeit geht um. Gleichzeitig werden Sozialleistungen sukzessive abgebaut. Ministerpräsident Toni Blair lässt eine Budget-Vereinbarung platzen, mit der Forderung, die EU benötige anstatt Agrarsubventionen eine Neuverteilung der Mittel; ein an sich nachvollziehbares Postulat. Bei gleichzeitig erhöhten Einforderungen von Beteiligungen der europäischen Staaten für die Ausgaben der Nato zwecks Unterstützung des Weltpolizisten USA, scheint Blairs Attacke jedoch eine Finte zu sein, um die kriegswilligen Fabianer [1] im Schlepptau der USA aus der Schusslinie zu manövrieren. Ob da nicht die Terroranschläge von London im richtigen Zeitpunkt für ein Zusammenrücken der Nation und der EU gesorgt haben? Wenn Politikerinnen und Politiker die EU demokratischer und föderalistischer gestalten wollen, sind das beschönigende Worte, die wie Balsam in den Ohren klingen sollen. Sie klingen aber wie Hohn, gemessen an dem Einfluss der Welt-Oligarchie genannt „Neue Weltordnung“, die inzwischen sogar die Wasserrechte zu privatisieren trachtet.
 
Die zunehmende Verschuldung der meisten Staaten verbreitet derweil Signale in der Welt, wie machtlos die Regierungen gegenüber den kapitalkräftigen internationalen Financiers geworden sind, die in Wirklichkeit im Hintergrund die Fäden für ihre geheimen Ziele spinnen,. Deren Macht und Wirken wird von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Wie soll da im Hause Europa Raum für Demokratie geschaffen werden? Die Diener und Gläubigen des herrschenden neoliberalen Wirtschaftssystems schläfern uns immer wieder ein, bis die Hintersten und Letzten begriffen haben, dass wir eines Tages auf einer harten Matratze erwachen, die nur noch aus Pflichten besteht. Es ist nicht auszuschliessen  - und das System der EU lässt diesen Schluss zu -  dass sich eines Tages rüde Hausmeister im Hause Europa etablieren könnten.
 
Seit 40 Jahren wird versucht, eine monetäre Ordnung zu etablieren. Im Gegensatz zu dem, was anfänglich befürchtet wurde, führte sich der Euro ohne besondere Schwierigkeit ein; er ist aber eine Währung, die vorrangig den grossen Währungsblöcken zu dienen hat und nicht dem Markt. In gewissen Bereichen sind Fortschritte auch auf der Verwaltungsebene nicht zu leugnen, doch von einer effektiven Einigung in Europa bzw. von einer friedlicheren Welt zu sprechen, wäre übertrieben. Das wesentliche Element einer wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Befriedung wäre eine dienende Währung. Diese sehe ich als Vision, wenn das weltweite Währungssystem dereinst zusammenbrechen sollte [wir werden das Thema anschliessend vertiefen]. Bereits erwachen wieder die alten Sehnsüchte nach der eigenen Währung. Vergessen ist, dass die früheren Weichwährungsländer mit dem englischen Pfund oder der italienischen Lira resp.dem Francs ihre heute tiefen Zinsen dem Euro zu verdanken haben. Ulrich Cartellieri prophezeite einst der Deutschen Bank in Frankfurt: „Zu einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt gehört eine einheitliche Währung. Diese Erkenntnis wird sich durchsetzen, wenn wir die negativen Folgen der jüngsten Ereignisse zu spüren bekommen, nicht zuletzt in Deutschland. Denn gerade die Währungsturbulenzen und Abwertungen haben gezeigt, wie dringend wir eine Währungsunion angesichts der schon so starken wirtschaftlichen Verflechtungen in Europa brauchen.“ [2] Ganz gegenteilig reagierte Sir Alan Walthers, Washington DC, zur selben Frage [3]: „Ein gemeinsamer Markt bedeutet einfach Freihandel über die Landesgrenzen hinweg. Warum braucht man dazu eine gemeinsame Währung? England betreibt seit 1944 Freihandel ohne Einheitswährung. Die USA und Kanada haben heute untereinander Freihandel, und niemand spricht von einer gemeinsamen Währung.“ [4]
 
Beide Aussagen treffen jedoch den Kern der Sache nicht. Länder wie Deutschland, England, Frankreich und Italien haben unterschiedliche ideelle Hintergründe, übrigens auch die Schweiz. Man darf sagen, eine Währung könnte eine vereinende Kraft entwickeln, wenn sie dem Markt, statt dem Kapital dienen würde. Die Diskrepanz zwischen staatlichen Bedürfnissen und den Forderungen aus dem Kreis, der die Neue Weltordnung repräsentiert, wird immer grösser. Das Machtkartell, das sich seit dem Ersten Weltkrieg aus einer anglo-amerikanischen Interessengemeinschaft entwickelt hat, fordert von den europäischen Staaten aus der Schatulle der knapper werdenden Steuergelder ständig höhere Beteiligungen in Milliardenhöhe für militärische Zwecke. Gleichzeitig mutet man den Nettozahlern der EU-Staaten Transferleistungen an die neu aufzunehmenden Mitgliedstaaten zu. Kaum waren die Kriterien für die Haushaltsverschuldung aufgestellt - die Voraussetzung für eine Währungsstabilität - da waren sie selbst von der Bundesrepublik nicht mehr zu erbringen, geschweige denn von anderen Nationen. Es gibt Experten, welche das Abseitsstehen der Briten von der Währungsunion als Problem betrachten. So könne der Euro an den wichtigen und besonders liquiden Finanzmärkten wie London nur eine begrenzte Rolle spielen, sagt John Grahl. [5] Der britische Beitritt wäre eine gigantische Expansion der Eurozone, sagt der Autor, aber es wäre auch ein grosses Risiko, meine ich. Das ständige Auf und Ab der Finanzmärkte und die automatische Erschütterungen der Wirtschaft wäre der Preis für eine solche Ausweitung, scheint mir.
 
Die europäische Einigung scheint im Moment stillzustehen, auch wenn hektische Betriebsamkeit durch weitere Beitrittsgesuche einer forcierten Osterweiterung zu beobachten ist. Ein geeintes europäisches Wirtschaftsgebiet - der vielgepriesene Markt - macht eine einheitliche Währung erforderlich, sagen die einen. Andere sehnen sich nach den alten Zahlungsmitteln zurück. Könnte es sein, dass der Prozess der Einigung durch den Euro erschwert wurde, weil er kein dienendes Geld ist, sondern ein Geld, welches in Europa und überall auf der Welt nur partikulare Interessen verfolgt? Geld - und das bezieht sich besonders auf das Papiergeld - kann nicht Blut der Wirtschaft sein. Seit dem Beschluss von Bretton-Woods [6] muss Papiergeld auch die Wertaufbewahrung sicherstellen, ein Zielkonflikt, der seit der Auflösung der metallischen Garantien (der Golddeckung) nicht mehr zu erfüllen ist. [7] Die Meinung jener, die die anstehenden Probleme nur mit der Freizügigkeit von Kapital lösen wollen, verdrängen, dass der Markt nicht wirklich frei funktioniert, solange den Marktteilnehmern nicht die gleichen Chancen eingeräumt werden. Kapitalisten, Industrielle, Unternehmer, Bauern und Handwerker, Angestellte und Arbeiter begegnen sich auf dem Markt nicht mit gleichlangen Spiessen, ein Ausgangspunkt zu sozialen Spannungen. Die Währung hält einen Staat zusammen, wenn sie eine dienende ist. Der Staat - mit Sicht auf die EU eine Union - sprengt dann den Rahmen, wenn die Eigeninteressen überwiegen, was oft als Sachzwänge ausgegeben wird.
 
Zum Beispiel eint der US-Dollar die kalifornische Wirtschaft mit derjenigen von Massachusetts. Andererseits einte der Rubel den Wirtschaftsraum der UDSSR, bis dieser auseinander brach, weil die partikularen Interessen die Einheit ausgehöhlt hatten. Das geschah auch in Jugoslawien. Die Slowenen und Kroaten brachten eigene Geldscheine in Umlauf, bevor der erste Schuss fiel. Die nördlichen Jugoslawen wollten den unproduktiven Süden nicht länger mitfinanzieren, eine Situation, die in Italien analog zur Bildung der Lega geführt hat. Solche Tendenzen können in der EU eines Tages zum Problem werden. Die vereinende oder die sprengende Kraft liegt in der harmonischen oder der disharmonischen Wirtschaft und widerspiegelt sich in der Währung. Dazu braucht es weder einen aufgeblähten Verwaltungsapparat, noch viele Gesetze, Vorschriften und Subventionen. Wenn der Markt wirklich spielt, vereinen sich sogar zwei oder mehrere Staaten in einem einfachen Staatsvertrag zu einer gemeinsamen Währung, so die Schweiz und Liechtenstein. Sie bilden ein Wirtschaftsgebiet, wenn sie politisch und verwaltungstechnisch auch getrennt bleiben. Es ist ein Irrtum zu glauben, mit Bürokratie und Subventionen, die ohnehin zu Missbrauch und Korruption einladen, sei ein Wirtschaftsgebiet zu einen. Durch eine dienende Währung wären alle europäischen Staaten miteinander verbunden und würden das gleiche Schicksal erleiden. Die Herrschaft der Währung ist absoluter und umfassender als die Herrschaft irgendwelcher Gesetzte oder Verträge.
  Welchen Einfluss üben die Schulden aus?
 
Ob private Schulden oder solche der öffentlichen Hand, die Kredite werden von den Kapitaleignern durch Banken mittels Darlehen, Hypotheken oder Staatsanleihen vermittelt. Dies sind die partikularen Interessen, von denen gesprochen wurde. Daraus folgt: den Schulden stehen gezwungenermassen Vermögen gegenüber. Banken vermitteln grösstenteils Kapitalien, die ihnen zur gewinnbringenden Anlage anvertraut worden sind und bedienen sich mit einer Vermittlungsgebühr (Marge). Es bestehen also vitale Interessen an Schuldnern, zumal an zahlungsfähigen. Das Geld, das einst durch den Fleiss der Menschen erarbeitet wurde (Wertschöpfung) und durch geschickte Umverteilung (Zins- und Zinseszins) in die Taschen von wenigen fliesst (arbeitsloses Einkommen), die gar nichts geleistet haben, gehört Eignern immenser Vermögen, die an der Verschuldung der Staaten, der Wirtschaft und der Privaten interessiert sind. [8] Durch steuerliche Begünstigungen und Fördermassnahmen, den allseits bekannten Rahmenbedingungen, werden Bedingungen geschaffen, damit die Investoren zur Anlage bei fetten Zinsen bereit sind. So schliesst sich der goldene Kreis, der die Steuerzahler zur Milchkuh erniedrigt.
 
Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass die Voraussetzungen zur Verschuldung von Staaten nicht nur in den Parlamenten geschaffen werden, wo für die Öffentlichkeit nachvollziehbar, jede Partei mit Schuldzuweisungen operieren kann, aber kaum je für den Ausgabenüberschuss Verantwortung zu übernehmen hat. Die Schachzüge, die zur Illiquidität einer Regierung führen, geschahen in der Vergangenheit vorwiegend im Währungssektor, wo Notenbanken spekulative Angriffe auf ihre Währung abzuwehren hatten, um sich mit Zins- und Wechselkursmanipulationen gegen das Grosskapital und die ihnen verpflichteten Banken zu wehren. Es scheint, dass in dieser Hinsicht seit der Einführung des Euro eine Beruhigung eingekehrt ist. Wenn dagegen die Wechselbeziehungen berücksichtigt werden, die gegenwärtig zwischen China und den USA immer heftigere Formen annehmen, so scheint es, dass sich diese Turbulenzen vorerst auf die asiatischen Märkte verlagert haben. In Mexiko, Argentinien und Russland weiss jeder Bürger, was es bedeutet, wenn eine Währung in den Sog von hemmungslosen Spekulanten gezogen wird. Kredite erhält nur, wer auch die Schuldzinsen bezahlen kann.
  Sind Schuldzinsen am Staatshaushalt einzusparen?
 
Ganz abgesehen davon, dass ständige Sparübungen viel zerstören bzw. hemmen können, wie wir dies gegenwärtig erleben, hat die zu hohe Staatsquote einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft. Wenn aber die EU-Kommission eine Verschuldung der Mitgliedländer von maximal 60 % des Bruttosozialproduktes voraussetzte, um an der gemeinsamen Währung des Euro teilnehmen zu können, zeigt sie dann nicht an, dass eine Entschuldung der Mitgliedländer gar nicht in Betracht gezogen wird?  Die Internationalen Financiers als Kreditgeber sind an zahlungsfähigen Schuldnern interessiert. Mit dem Euro wurde eine Basis geschaffen, damit die Zinslawine weiterrollen kann, was aufgrund der Einschätzung vieler Beobachter mit der Zeit monetäre Folgen haben wird. Irgendwann bricht das aus Fiat-Money (Scheingeld) bestehende, mühsam errichtete Gebäude zusammen.[9] Zwar wäre ein Abbau der Defizite dringend notwendig, aber man hat auf der politischen Bühne alles unternommen, um der Lobby der Hochfinanz diese Ertragsquelle weiterhin zu sichern.
 
Das zeigt sich aktuell beim Schuldenerlass von 40 Milliarden Dollar zu Gunsten besonders hochverschuldeter afrikanischer Staaten. Wer von Erlass der Schulden spricht, müsste mit den bisher eingestrichenen Zinsen und Rückzahlungen zufrieden sein. Nicht so die Internationalen Financiers, in diesem Fall durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) vertreten. „Am Ende setzte sich die amerikanische Position der ‚grossen Geste’ durch, was auf einen völligen Schuldenerlass hinauslaufe, berichtet die NZZ am Sonntag. „Die USA musste allerdings zusichern, dass die beim IWF und der Weltbank abzuschreibenden Gelder sukzessive durch die Geberländer wieder ersetzt werden, damit es tatsächlich zu einer Nettoentlastung für die Dritte Welt komme. Im anderen Falle nämlich hätte der Schuldenerleass bedingt, dass die multilateralen Organisationen für künftige Projekte über weniger Mittel verfügt hätten.“ [10] Das mit viel Tamtam angekündigte Abkommen kam zustande, weil die Mitglieder des IWF, also auch die europäischen Staaten und die Schweiz, die Schulden der Afrikaner dem IWF gegenüber in Form von Sonderziehungsrechten (Fiat-Money) ausgleichen.
 
Ich darf daran erinnern, dass Alfred Herrhausen, zuletzt alleiniger Sprecher des Vorstandes der Deutschen Bundesbank, die Sache schon vor der Wiedervereinigung unverblümt beim Namen genannt hatte: "Je grösser eine Wirtschaft ist und je länger die Droge der staatlichen Umverteilungsexzesse und der vermeintlichen omnipotenten administrativen Machbarkeit geschluckt wird, um so langwieriger und um so schmerzhafter ist die Entziehungskur. Aber wenn man den Süchtigen gesund machen, das heisst von seiner Abhängigkeit befreien will, muss man sie ihm zumuten“ [11]. Herrhausen bezog sich damals auf die lawinenartige Verschuldung, die er im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten kommen sah. Er musste wahrscheinlich sein Leben für seine Offenheit und seinen Mut hergeben. Wir sehen an diesem Beispiel, dass am Geldwesen im Moment nichts zu ändern ist, müssen sogar objektiv befürchten, auf diese Weise je länger je mehr in die Sklaverei getrieben zu werden. Schon Solon von Athen (um 640-561 v. Chr.), der die Schuldknechtschaft der Bauern aufhob, sagte: „Es nützt nichts, den Menschen die Freiheit zu geben, wenn man die Freiheit wieder nimmt, indem sie als Schuldsklaven gehalten werden.“
 
Bekommt man nicht zunehmend den Eindruck, die Bildung grosser, für den einzelnen Bürger und die Bürgerin kaum überschaubare politische Institutionen sollen vom eigentlichen Problem ablenken, das in einer effizienten Umlaufsicherung des Geldes besteht. Es kann nicht länger geleugnet werden, dass die Zins- und Zinseszins-Bedienung des Kapitals die eigentliche Ursache der in regelmässigen Intervallen auftretenden Störungen im Wirtschafts-System ist. [12] Die Folgen von Inflation, Deflation, Konjunkturüberhitzung, Rezession, Verschuldung, Übernutzung der Ressourcen, Armut in der Dritten Welt, sind alle durch das bestehende Geldsystem initiiert. Sie sind systemimmanent. [13] Ein ständiges Wachstum ist völlig widernatürlich. Am menschlichen Organismus diagnostiziert hiesse diese Krankheit Krebs. Die Unternehmer haben gar keine andere Wahl, als zu rationalisieren oder abzuwandern. Die ständig steigenden Zinslasten sind nicht durch Produktivitätssteigerungen aufzufangen. Sie bleiben auch nach Rationalisierungsmassnahmen meistens bestehen. Deshalb kann nur noch an den Lohnkosten und den Sozialleistungen gespart werden.
  Sind die Bestrebungen der EU friedenssichernd?
 
Jacques Delors (und seine Nachfolger), mit dem nichtssagenden Titel „Kommissionspräsident“, in Wirklichkeit der mächtigste Mann in Europa, veröffentlichte Anfang 1994 das europäische Weissbuch. Es enthält Vorschläge gegen Arbeitslosigkeit und sollte die Fenster zu einem Dialog aufstossen. Er sagte, 1980 habe man die Vision des Binnenmarktes für 500 Millionen Einwohner verwirklicht, heute visiere man Frieden, Kooperation und „Schwesternschaft“ an, was immer darunter zu verstehen ist. Wir erfahren aus diesem Weissbuch, wie mit 30 Millionen Arbeitslosen umzuspringen sei: Man senke das Lohnniveau um 30 %, spreche von Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und jammere über zu teure Mitarbeiter. Ob das die Massnahmen sind, die den Frieden in Europa aufrecht erhalten? Immerhin wissen wir seither, wohin die Entwicklung führt. Delors sagte, wenn die Ziele des Weissbuches nicht erfüllt würden, werde Intoleranz, Hass und Terror zunehmen. War das Angstmache?
 
Die gesellschaftliche Wirklichkeit von heute zeigt, dass fast alles eingetroffen ist, was Delors prophezeit hatte, wenn auch für den Terror der Islamisten vorwiegend die amerikanische Politik unter der Leitung der „Neuen Weltordnung“ verantwortlich ist. In den grossen Städten und Ballungsräumen Europas hat die Kriminalität zugenommen. Es sind die benachteiligten Jugendlichen, zur Hauptsache jene aus Südosteuropa, welche in Banden ihr Unwesen treiben. Aber auch die Moralvorstellungen sind gesunken, die Schwelle zur Gewalt wird heute schnell überschritten. Es ist eine Entwicklung eingetreten, die trotz der Drohungen Delors, trotz Durchsetzung der gepriesenen Massnahmen, das Gegenteil bewirkt haben. Dennoch wird die politische Integration als Heilsversprechen angepriesen, ein Dogma, das öffentlich nicht diskutiert werden darf. Sollte uns diese Entwicklung nicht stutzig machen?
 
Die geförderte und gewünschte Mobilität wird zu einer Entwurzelung und Verelendung der Massen führen, wie in den Mobile Home-Ghettos der USA, und in noch grössere Ballungsräumen, Brutstätten von Übeln aller Art. Die Entwicklung des amerikanischen Arbeitsmarkts, seine Arbeitsbedingungen und sein „Wohlstand“, sind von den europäischen Arbeitnehmern je länger je mehr im Auge zu behalten. Die Gehälter des sogenannten amerikanischen Mittelstandes, welcher mit Einkommen zwischen jährlich 20'000 bis 70'000 Dollar definiert wird, sind seit 30 Jahren eingefroren. Wir erkennen den Trend an den neuesten statistischen Zahlen, die den Anteil der Löhne am Bruttoinlandprodukt (BIP) ausweisen. Er erreichte 1962 in Europa noch einen Spitzenwert von 73,4 Prozent, sank in den 1990er Jahre auf 69,2 Prozent und ist 2004 auf einem Rekordtief von 68 Prozent angelangt. Demgegenüber steht ein gewaltiger Anstieg der Profite und der Gehälter der Spitzenmanager, deren Anteil am BIP im gleichen Zeitraum von einem Viertel fast auf ein Drittel gestiegen ist. Diese Entwicklung wurde unterstützt, indem eine Steuerpolitik betrieben wurde, welche die Kapitalseite begünstigte. Aber die mittels dieser Politik versprochenen und gepriesenen Investitionen blieben aus, so dass innerhalb der 25 EU-Mitgliedstaaten erstmals wieder zwischen 2000 und 2004 ein Zuwachs an Investitionen von 3,2 Prozent zu verzeichnen war. [14]
  Umverteilung der Einkommen durch Zinsen
 
Wie vieles im Leben, so hat auch das Phänomen des Zinseffektes zwei Seiten: eine schöne, wenn es um Sparguthaben geht, die sich ohne weiteres zu vermehren scheinen und eine schlechte, die auch als eine Quelle des Missvergnügens bezeichnet werden könnte, wenn es um Bankkredite geht, das im schlimmsten Fall in den wirtschaftlichen Ruin führt. Zwar kann jeder Geschäftsfähige in den „Genuss“ beider Seiten kommen. Eine Gesamtbetrachtung vom Zinsgeben und Zinsnehmen zeigt aber, dass Freud und Leid recht asymmetrisch verteilt sind. Der Grund dafür liegt an der ungleichen Vermögensverteilung.
 
Eine Untersuchung aus dem Jahr 1978 von Mierheim und Wicke, Bundesrepublik, erhoben bei Vermögen von 8 verschiedenen Gruppen lieferte Zahlen aus den Jahren 1973 bis 1990 und geben die Entwicklung der Geldvermögen der privaten Haushalte wieder. Wir begnügen uns auf die nachfolgende Tabelle und verweisen darauf, dass der hier vermittelte Trend sich inzwischen noch um ein Mehrfaches auseinander entwickelt hat.[1]
 
    Gruppe Vermögen                                                                                                 Haushalte
1.      nur Schulden                                                                                            6,5 %
2.      weder Schulden noch Vermögen                                                              1,9 %
3.      einen Notgroschen bis 5000 DM                                                              10,6%
4.      Rücklagen von 5000 bis 35000 DM                                                         37 %
5.      ein beachtliches Polster von 35000 bis 100000 DM                                  19,9 %
6.      ein kleines Vermögen von 100000 bis 500000 DM                                  21,3 %
7.      ein Vermögen von 500000 DM bis 2,5 Mio DM                          2,3 %
8.      ein grosses Vermögen ab 2,5 Mio DM aufwärts (bis zu den damaligen Spitzenvermögen von ca. 2 Mia DM                                                     0,5 %
 
Setzt man das Vermögen der dritten Gruppe (bis 5000 DM) mit einer Säulenhöhe von nur zwei Millimetern an, dann erreicht die Säule der sechsten Gruppe (bis 500.000 DM) die Höhe einer Buchseite. Bei der siebten Gruppe steigt die Säule bereits auf die fünffache Höhe der Buchseite an, und die grössten Vermögen von damals etwa 2 Mia DM würden einer Säule von 800 hochkant aufeinandergestellten Büchern entsprechen. Das heisst die grafisch aufzutragenden Säulen würden von zwei Millimetern bis auf eine Höhe von 160 Metern reichen, was grafisch nicht darzustellen ist.
 
Wir können die Grössenverhältnisse bei den privaten Geldvermögen auch anders ausdrücken. Die 8. Gruppe (0,5 % der Bevölkerung) besitzt 98 % der Geldvermögen gegenüber 2 % aller anderen Gruppen. Mathematisch ist nachzuweisen, dass nur Einkommen ab 225'000.- DM von den direkten und indirekten Zinsen profitieren, die Erklärung dafür, warum die Reichen immer reicher werden. Alle anderen bezahlen bei dieser Umverteilung drauf, denn Zinsen sind in den Preisen aller Waren und Dienstleistungen einkalkuliert und werden auf die Konsumenten abgewälzt. Erst bei einem Einkommen über DM 225'000 wird die erdrückende Zinslast ausgeglichen. Das heisst, dass für die grosse Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung allfällige Erträge auf Sparguthaben nur die eine Seite der Medaille anzeigen. Um zu einem Einkommen in Form von Zinsgutschriften zu kommen, die gegenüber den indirekt bezahlten Schuldzinsen einen Überschuss ergeben, muss man zur kleinen Minderheit von privilegierten Menschen gehören, die dieses Privileg in den seltensten Fällen selber erworben haben. Der Zins ist ein arbeitsfreies Einkommen und deshalb ethisch nicht zu verantworten.
  Nimmt die Hochfinanz Einfluss auf die Politik?
 
Angesichts der Beweislage könnte sich diese Frage erübrigen, aber wir wollen aufzeigen, durch welche Institutionen Einfluss genommen wird. Wenn wir die Welt schon nicht verändern können, dann versuchen wir sie wenigstens transparent zu machen. Innerhalb der EU wurden 1996 Veränderungen angekündigt; wie diese aussehen sollten, darüber wurde nur hinter verschlossenen Türen diskutiert. Heute wissen wir, dass die Osterweiterung, selbst der Beitritt der Türkei, schon lange beschlossen worden waren. Die NATO ist kein Verteidigungsbündnis mehr. Nach aussen soll sie unter dem Kommando der USA die Demokratie weltweit verbreiten bzw. durchsetzen. In Wirklichkeit dient sie amerikanischen Interessen zur Sicherung der eigenen Energieversorgung. Diese Entwicklung verunsichert die Bevölkerung in Europa mehr und mehr. Glücklicherweise verraten bestinformierte Personen immer wieder einmal Aktuelles, was gesamtheitlich betrachtet aufschlussreich ist.
 
So sei die Bank für internationalen Zahlungsverkehr mit Sitz in Basel aufgewertet worden. Allen Greenspan, der Präsident des FED [15], übernahm gleichzeitig den Vorsitz der BIZ, die in Zukunft globaler auszurichten sei und den Zentralbanken (welchen?) zu dienen habe. [16] Wer sich den Chef der mächtigsten Notenbank der Welt, Lohnempfänger der erwähnten Financiers, vorsetzen lassen muss, wird sich in Zukunft die Befehle der eigentlichen Herren gefallen lassen müssen. Ist daraus nicht abzuleiten, dass die EU nur die Vorstufe einer globalen Weltordnung ist? Wurden die ursprünglichen Ziele der EU möglicherweise schon längst verraten? 
 
Wer kann bei sachlicher Prüfung der vorliegenden Sachverhalte in einer zentralistisch gesteuerten, undemokratischen EU das Heil der sogenannten freien Marktwirtschaft und der Demokratie erblicken? Freier Markt würde bedeuten, dass alle die gleichen Chancen haben. Demokratie bedeutet, dass wir über unsere Lebensbedingen selber bestimmten können, doch sind wir mehr und mehr fremdbestimmt. Wir mögen mitunter von mutigen Reformen träumen, von weitsichtigen Taten, welche in der korrupten Welt des Geldes eine ethische Ausstrahlung haben könnten, wie einst der Beitrag von Henri Dunant. Doch wenn wir sehen, wie die Mächtigen dieser Welt mit souveränen Staaten umgehen, die sich gegen die „Neue Weltordnung“ stellen, dann muss einem bewusst werden, dass die Währungshüter alle im gleichen Boot sitzen. Eher bricht die gesamte Ordnung des Geldwesens weltweit zusammen, als dass ein einzelner Staat oder die EU heute noch ein Zeichen setzen könnte.
 
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[1] Fabian Society; die 1883 gegründete Vereinigung brit. Sozialisten, die im Gegensatz zu Marx eine allgemeine gesetzliche Sozialisierung anstrebt und die Grundlage für die Labour Party schuf. Nach dem römischen Fabius Cunctator (Fabier) benannt.
 
[2] Finanz und Wirtschaft Nr. 77 v. 29.9.93, S 139
 
[3] ebda S. 136
 
[4] Basler-Zeitung v. 21.6.94
 
[5] John Grahl, Wirtschaftswissenschafter der Metropolitan University und Mitglied der EuroMemorandum Gruppe (www.memo-europe.uni-bremen.de), Verfasser von „European Monetary Union, Problems of Legitimacy, Development and Stability“, London (Kogan Page)2001 
 
[6] Im Sommer 1944 schlossen 44 Staaten ein Finanz- und Währungsabkommen, aus dem der Internationale Währungsfonds hervorging. Es wurde versucht, den vor dem Zweiten Weltkrieg bestehende Goldstandard zu ersetzen und den Dollar zur internationalen Leitwährung zu machen, die durch eine Einlösepflicht in Gold abgesichert war. 1971 gab die USA die Einlösepflicht auf, 1973 brach das System ganz zusammen.
 
[7] Ferdinand Lips, Die Goldverschwörung, Kopp-Verlag 2003
 
[8] Der Wahrheit halber muss auch gesagt werden, dass die institutionellen Anleger, welche die Pensionskassengelder verwalten, auch dazu zu zählen sind.
 
[9] Baader Roland, Geld, Gold und Gottspieler, am Vorabend der nächsten Weltwirtschaftskrise, Resch-Verlag, 2005
Ferdinand Lips, Die Goldverschwörung, Kopp-Verlag 2003,
 
[10] NZZ Sonntags-Zeitung v. 12.6.05
 
[11] Reden und Aufsätze von Herrhausen, "Denken, Ordnen, Gestalten" S. 147, herausgegeben von Kurt Weidemann bei Goldmann
 
[12] Helmuth Creutz, "Das Geldsyndrom", Kap. 7, S. 107, Wirtschaftsverlag Langen/Müller/Herbig; die Umverteilung geschieht durch den Zins
 
[13] ebda, S.295
 
[14] siehe [5]
 
[15] Die amerikanische Notenbank ist im Besitze der Rothschild Banks of London and Berlin, Lazard Brothers Bank of Paris, Israel Moses Self Banks of Italy, Warburg Bank of Hamburg, Lehmann Brothers Bank of New York, Kuhn Loeb Bank of New York, Goldmann Sachs Bank of New York, Rockefeller, New York, also mitnichten im Besitz der amerikanische Staates. Diese Eigner kontrollieren inzwischen die meisten Notenbanken, auch die Schweizerische Nationalbank, sowie die Weltbank und den IWF. Die amerikanische Notenbank ist keine Staatsbank, sondern eine Privatbank, welche sich 1913 in einem einmaligen Coup die Ausgabe des amerikanischen Dollar-Notengeldes gesichert hat. Sie wird auch nicht vom amerikanischen Senat kontrolliert, wie immer wieder von Experten behauptet wird, die es eigentlich besser wissen sollten. Die oben aufgeführten Institute repräsentieren die wichtigsten der Internationalen Financiers, von denen im Text die Rede ist .
 
[16] gemäss Andrew D. Crockett, Generaldirektor der BIZ, Basler-Zeitung v. 27.7.94




[1] Helmut Creutz, Das Geldsyndrom, Wirtschaftsverlag Langen Müller/Herbig 1993