Papst Franziskus: »Wir erleben den dritten Weltkrieg« - Das Eskalationsprogramm des US-geführten Westens - Von Wolfgang Effenberger 19.06.2022 16:46
Am Dienstag, 14. Juni 2022, war das Gespräch von Papst Franziskus veröffentlicht worden,
das er am 19. Mai im Vatikan mit den Chefredakteuren jesuitischer Zeitschriften aus verschiedenen europäischen Staaten geführt hatte. [1] Aus der Runde der Redakteure wurde der Papst um Rat im Umgang mit dem Angriffskrieg in der Ukraine gebeten. Unverzüglich wies das Oberhaupt der Katholiken die Redakteure an, sich vom üblichen Schema des »Rotkäppchens« zu lösen:»Rotkäppchen war gut, und der Wolf war der
Bösewicht. Hier gibt es keine metaphysisch Guten und Bösen auf abstrakte Art
und Weise«. [2] Franziskus verwies auf die Gefahr, dass »wir nur das sehen, was ungeheuerlich ist, und
nicht das ganze Drama, das sich hinter diesem Krieg, der vielleicht in gewisser
Weise entweder provoziert oder nicht verhindert wurde, abspielt. Und ich
registriere das Interesse am Testen und Verkaufen von Waffen. Das ist sehr
traurig, aber darum geht es ja offensichtlich«. [3] Der
Papst ging auch auf den Vorwurf ein, er sei pro Putin. »Nein, das bin ich
nicht. So etwas zu sagen, wäre vereinfachend und falsch«, um dann noch einmal darauf hinzuweisen, dass
er dagegen ist, »die Komplexität auf die Unterscheidung zwischen Guten und
Bösen zu reduzieren, ohne über die Wurzeln und Interessen nachzudenken, die sehr
komplex sind«. [4] Ein kurzer Blick auf die acht Tage vor dem
Angriff vom 24. Februar 2022 sind sehr aufschlußreich. Der Bericht der
OSZE-Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine vom 15. Februar verzeichnete
41 Explosionen in den Waffenstillstandsgebieten. »Diese Zahl erhöhte sich
auf 76 Explosionen am 16. Februar, 316 am 17. Februar, 654 am
18. Februar, 1413 am 19. Februar, insgesamt 2026 am 20. und
21. Februar und 1484 am 22. Februar. Aus den Berichten der
OSZE-Mission geht hervor, dass die überwiegende Mehrheit der Einschläge der
Artillerie auf der separatistischen Seite der Waffenstillstandslinie stattfand«. [5]
Auf der wie üblich als »Sicherheitskonferenz« firmierenden
diesjährigen NATO-Konferenz in München (18.– 20.
Feb. 2022) deklarierte am 19. Februar der ukrainische Staatspräsident
Volodymyr Selenskyj: »Die Ukraine wird sicherlich die Krim und die
besetzten Gebiete des Donbass zurückerobern [...] Seit 2014 hat die Ukraine
dreimal versucht, Konsultationen mit den Garantiestaaten des ›Budapester
Memorandums‹ einzuberufen. Drei Versuche scheiterten. Heute wird die
Ukraine den vierten Versuch unternehmen. Und ich werde meinen ersten Versuch
als Präsident machen. Aber sowohl die Ukraine als auch ich tun dies zum letzten
Mal. Ich initiiere Konsultationen im Rahmen des ›Budapester Memorandums‹.
Der Außenminister wurde beauftragt, sie einzuberufen. Wenn sie nicht wieder
stattfinden oder zu keinen konkreten Entscheidungen zur Gewährleistung der
Sicherheit unseres Staates führen, wird
die Ukraine mit Recht glauben, dass das ›Budapester
Memorandum‹ nicht funktioniert und alle Beschlüsse des Pakets von 1994 in Frage stellen«. [6] Mit
der Infragestellung des Memorandums durch ein ukrainisches Verfassungsorgan ist
die Absicht erkennbar: Kiew will sich atomar bewaffnen. Dieser
offene Affront gegen Russland geschah vor der versammelten internationalen
Elite. »Da vermutet der politische Beobachter
zwangsläufig ein abgestimmtes Vorgehen mit den (angelsächsischen)
NATO-Politikern hinter dieser Aktion«. [7] USA vs. Russia Nach russischer Auffassung gilt die Ukraine als Heimat der Kleinrussen; sie bilden gemeinsam mit den heute in Russland lebenden
Großrussen und den Weißrussen die russische Volksgemeinschaft. [8] Unter Ausnutzung des
russisch/sowjetischen Bürgerkriegs war es Polen nach dem Ende des Ersten
Weltkriegs gelungen, mit unterstützenden ausländischen militärischen Verbänden
nach Osten vorzustoßen und weite Teile der Ukraine und Weißrusslands zu
erobern. Im anschließend in Riga erzwungenen Friedensschluß am 18. 3. 1921 - die Sowjets waren durch die Konterrevolution
geschwächt - wurde die am 8. 12. 1919
festgelegte polnisch-russische Grenze, die ›Curzon-Linie‹,
um ca. 250 km nach Osten verschoben. [8] [9] [10]
Die Bevölkerung zwischen der
alten und der neuen polnisch-russischen Ostgrenze umfaßte etwa 6 Millionen
Ukrainer und Weißrussen, etwa 1,4 Millionen Juden und nur etwa 1,5 Millionen
Polen. [11] Das
eroberte Gebiet ging als ›Ostpolen‹ in die Geschichtsbücher ein. [12] In diesen von Polen besetzten Gebieten
wurde aufkeimender Widerstand mit harter Hand niedergehalten. [13]
Nach dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 und der polnischen Niederlage marschierte die Rote Armee am 17. September
1939 bis zur ›Curzon-Linie‹ auf und stellte somit den Zustand vor dem
polnischen Angriff wieder her. [14] Diese
Westgrenze hatte Bestand bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991. Das
heutige Staatsgebiet der Ukraine entspricht weitgehend der Gliederung der Sowjetunion
seit 1945. Erst 1954 wurde die Krim aus Gründen der
Verwaltungsvereinfachung der Ukraine zugeschlagen. Ebenso wie die baltischen
Staaten strebte die Krim 1991 Selbständigkeit an, was im Westen jedoch keine Unterstützung
fand.
Für die US-amerikanischen
Strategen ist die Ukraine der Hebel, um Russland so zu schwächen, dass es nicht einmal mehr als
Regionalmacht in Erscheinung treten kann und so den Weg für die USA frei macht,
über ganz Eurasien zu herrschen. Nicht von ungefähr haben die USA Anfang der
80er Jahre ihr Regionalkommando CENTCOM unterhalb vom Schwarzen und Kaspischen
Meer installiert und dazu Eurasien mit annähernd 80 Militärbasen umgeben. Bereits
vor über 100 Jahren, im Mai 1918, starteten die USA ihre erste
Militärintervention in Murmansk, Archangelsk und im russischen Fernen Osten mit
über 10.000 Soldaten. Grund war der Abschluß des deutsch-sowjetischen
Friedensvertrags von Brest-Litowsk vom 3. März 1918, der Deutschland in die Lage
versetzte, die Truppen der Ostfront nach Frankreich zu verlegen. [15]
Die erste und einzige
US-Militärintervention in Russland begann am 27. Mai 1918, als der Kreuzer USS
Olympia in Murmansk eintraf, das bereits unter britischer Kontrolle stand.
Einige Monate später stiegen 5.500 Soldaten der US-Armee in einem anderen
russischen Hafen, Archangelsk, aus. Etwa zur gleichen Zeit kamen weitere 8.000
US-Soldaten im russischen Fernen Osten an. Hauptgrund dafür war der bereits
genannte Abschluß des Vertrags von Brest-Litowsk vom 3. März 1918, der den
Rückzug Russlands aus dem Krieg und den wirksamen Zusammenbruch der Ostfront
einleitete. Das Deutsche Reich konnte nun seine gesamte verbleibende Macht auf
Frankreich konzentrieren und den Alliierten große Probleme bereiten. Ziel der US-Intervention
war die Stärkung der russischen Konterrevolutionäre, die den Krieg gegen
Deutschland wieder aufnehmen wollten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat in den USA am 19.
Dezember 1949 der Kriegsplan ›Dropshot‹
in Kraft. In der ›Grundannahme‹ heißt es
wörtlich: »Am oder um den 1. Januar 1957 ist den Vereinigten Staaten durch
einen Aggressionsakt der UdSSR und/oder einer ihrer Satelliten ein Krieg
aufgezwungen worden.« Daraufhin sollten 300 Atombomben und 29.000
hochexplosive Bomben auf 200 Ziele in einhundert Städten abgeworfen werden,
um 85 % der industriellen Kapazität der Sowjetunion mit einem einzigen Schlag
zu vernichten. Der Zeitpunkt war zweifellos auf den ursprünglich geplanten Abschlußtermin der
Remilitarisierung Westdeutschlands abgestimmt.
[16] Als dann
jedoch 1957 der fiepsende Sputnik seine Kreise um die Erde zog, mußten die
Kriegsplanungen überarbeitet werden, und der Zeitpunkt für ›Dropshot‹ wurde
vertagt. In Moskau aber ist der Plan unvergessen. Am 27.
Oktober 1951, der Geheimhaltungsstatus von›Dropshot‹
wurde erst 1977 aufgehoben, widmete das US-amerikanische
Magazin ›Collier's Weekly‹ seine gesamte
130-seitige Sonderausgabe den Ereignissen eines hypothetischen Dritten
Weltkriegs in einem Artikel mit dem Titel ›Preview of the War We Do Not Want - an
Imaginary Account of Russia's Defeat and Occupation, 1952-60‹, ›Vorschau
auf den Krieg, den wir nicht wollen - ein imaginärer Bericht über Russlands
Niederlage und Besatzung, 1952-60‹. Zwanzig Autoren, darunter Edward R.
Murrow, Arthur Koestler, Philip Wylie, Hal Boyle, Marguerite Higgins und Walter
Winchell trugen unter Leitung von Cornellius Ryan zu diesem Projekt mit dem Codenamen
›Operation Eggnog‹ bei. Anfang 1951 waren die Herausgeber von ›Collier's Weekly‹ angesichts der
Bedrohung durch eine nicht enden wollende Reihe von Kriegen [Korea....] über
den schleichenden Pessimismus der freien Welt beunruhigt. Ihr Ziel war es:
- Die
bösen Herren des russischen Volkes zu warnen, dass ihre gewaltige Verschwörung
zur Versklavung der Menschheit der dunkle Weg zum Dritten Weltkrieg ist;
- ein
Machtwort für Vernunft und Verständigung zwischen den Völkern des Westens und
des Ostens zu sprechen - bevor es zu spät ist;
- zu
zeigen, dass wir gewinnen werden, wenn uns der Krieg, den wir nicht wollen,
aufgezwungen wird. [17]
In dem Szenario dringen sowjetische und
alliierte Truppen im Mai 1952 in Jugoslawien ein, um einen von
COMINTERN-Agenten organisierten Anti-Tito-Aufstand zu unterstützen.
Nachdem sich die Sowjets weigern, das Land zu verlassen, erklären die
Vereinigten Staaten und die wichtigsten Länder der Vereinten Nationen den
Krieg. Die USA
setzen Atombomben gegen die strategischen Industriekomplexe der Sowjetunion
ein. Nach dem russischen Gegenschlag wird Moskau atomar angegriffen. Nach drei
Jahren drängen UN-Truppen die Sowjetarmee quer durch Europa zurück und UN-Truppen
erobern die Krim. Wladiwostok wird von US-Marines eingenommen. Nach dem
Einstellen der Feindseligkeiten versinkt die Sowjetunion in Chaos und internen Aufständen. Die Vereinten Nationen besetzen Teile der
Sowjetunion unter ›UNITOC‹, dem ›United Nations Temporary
Occupation Command‹. Hier werden Träume wieder wahr:
Am 14. Juni versprach der ukrainische Präsident Selenskyj seinen Landsleuten
zum wiederholten Mal die Rückeroberung der Krim. Noch erinnert das Vorgehen in
der Ukraine an die ›Stellvertreterkriege‹ [englisch ›proxy war‹]
zu Zeiten des Kalten Krieges. Dieser Begriff wurde während des Vietnamkriegs erstmals
verwendet und bezog sich nur auf die Kriege nach 1945, in denen einerseits die
USA und Verbündete und andererseits die Sowjetunion und Verbündete ihre
geopolitischen und ideologischen Interessenkonflikte in Drittstaaten
militärisch austrugen.
Angesichts der
stetig zunehmenden westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine, der
Gefechtsfeldunterstützung [Kommunikation, Aufklärung und Propaganda] und
des Einsatzes von vornehmlich westlichen
Söldnern in der ukrainischen Fremdenlegion, darunter mehrere Tausend
US-Veteranen [18], schwindet die Hoffnung auf
eine Friedenslösung immer mehr. Inzwischen berichten die westlichen Medien sogar
ausführlich darüber, dass die US-Veteranen Andy
Tai Ngoc Huynh [27] und Alexander Drueke [39] seit
dem 8. Juni im Osten der Ukraine vermißt sind.
[19]
Die Brutalität des Krieges sah der Papst
mitbedingt durch den Einsatz vor allem von ›Söldnertruppen‹. Moskau würde vor allem Tschetschenen und Syrer
in den Kampf schicken. Obwohl er die westlichen Söldner Kiews unterschlug,
wies Franziskus doch auf die Gefahr hin, daß man »nur das Monströse sehe und nicht
das ganze Drama, das sich hinter diesem Krieg abspielt, der vielleicht auf
gewisse Weise provoziert oder nicht verhindert wurde«. [20] Weiter gab das Kirchenoberhaupt zu bedenken, dass es in
einem Jahrhundert drei Weltkriege gegeben hat, mit all dem Waffenhandel dahinter!
Zum Schluß wünschte sich der Papst von den Redakteuren, »dass sich eure
Zeitschriften mit dem menschlichen Drama des Krieges befassen«. [20]
[1] https://www.herder.de/stz/online/papst-franziskus-im-gespraech-mit-den-europaeischen-kulturzeitschriften-der-jesuiten
[2] https://www.rnd.de/politik/papst-franziskus-so-ist-fuer-mich-heute-der-dritte-weltkrieg-ausgebrochen-JHCUVWZRPCR77JQSG76BQ5TPIM.html
[3] https://www.rnd.de/politik/papst-franziskus-so-ist-fuer-mich-heute-der-dritte-weltkrieg-ausgebrochen-JHCUVWZRPCR77JQSG76BQ5TPIM.html
[4] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/papst-gibt-nato-mitschuld-am-krieg-in-der-ukraine-18105802.html
[5] https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2022/nr-12-31-mai-2022/doppelte-standards-im-un-menschenrechts-und-sicherheitsrat
[6] https://www.berliner-zeitung.de/welt-nationen/selenskyj-einer-von-uns-
luegt-li.212932
[7] Franz-Jürgen Römmeler: 30
Tonnen Plutonium in Saporischschja (UA) unter
info@einnachrichtenblatt.org Nr. 12 | 12. Juni 2022, S. 11
[8] https://www.merkur.de/welt/ukraine-staat-geschichte-politik-bevoelkerung-geografie-staedte-sprache-90175895.html#:~:text=Die%20Ukraine%20gilt%20als%20Heimat%20der%20Kleinrussen.%20Diese,sich%20stark%20auf%20die%20Geschichte%20des%20Staates%20ausgewirkt
[9] The Harmsworth Atlas, S. 97/98 - Central & South Russia vor dem Ersten Weltkrieg
[10] Vgl. Norman Davies: White Eagle – Red Star. The
Polish Soviet War 1919–1920; Pimlico, London 1972
[11] Nach Angaben auf Grund
polnischer Quellen [»Polen, Deutschland und die Oder-Neiße-Grenze«; Ostberlin, 1959, S. 863, 928 f.]
[12] Parallel zum
polnisch-sowjetischen Krieg überfiel Polen Litauen und eroberte im Oktober 1920
die litauische Hauptstadt Vilnius [polnisch Wilno]
[13] Euro-Maidan press: ?https://euromaidanpress.com/2014/06/29/ethnic-cleansing-or-ethnic-cleansings-the-polish-ukrainian-civil-war-in-galicia-volhynia/
in http://johnhelmer.net/anschluss-again-anticipating-polands-strategy-in-russias-intelligence-assessment/print/
Karte mit Sprachregionen im 1921 eroberten „Ostpolen“
[14] https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/ueberfall-auf-polen-1939.html
[15] https://de.rbth.com/geschichte/84919-als-usa-in-russland-einfielen
[16] http://nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27899&css=print
[17] https://www.docdroid.net/LjUq5xg/colliers-weekly-27-october-1951-pdf,
S. 6
[18] https://usmilitary.org/us-veterans-ukraine/
[19] https://www.businessinsider.com/families-of-military-veterans-ukraine-fear-capture-by-russians-2022-6
[20] https://katholisches.info/2022/06/14/papst-franziskus-russlands-truppen-kaempfen-grausam-aber-schuld-am-krieg-ist-die-nato/
[21] https://www.herder.de/stz/online/papst-franziskus-im-gespraech-mit-den-europaeischen-kulturzeitschriften-der-jesuiten
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