Hohe Zeit für Profiteure - Von Wolfgang Effenberger 01.05.2022 16:42
Am Sonntagabend, dem 24. April 2022, machten US-Verteidigungsminister Lloyd Austin
und
sein Kabinettskollege, US-Außenminister Antony Blinken, dem ukrainischen Präsidenten
Wolodymyr Selenskyj ihre Aufwartung. Nach Einschätzung von Austin können die
Ukrainer gewinnen, «wenn sie die richtige Ausrüstung und die richtige
Unterstützung haben». [1] Diese
Unterstützung wurde von beiden US-Ministern umgehend zugesagt. Russland dagegen
müsse weiter geschwächt werden: «Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt
wird, dass es zu so etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der
Lage ist», sagte der Pentagon-Chef.
Wenn
das das amerikanische Kriegsziel ist, dann wird sich der Krieg noch sehr lange
hinziehen, viele Opfer fordern und viel Geld in die Kassen der US-Konzerne
spülen. Für jeden ist offensichtlich, dass der große Gewinner der tragischen
Entwicklung in Europa die Vereinigten Staaten von Amerika sind. In der Ukraine
verbluten Nichtamerikaner für US-Interessen und die US-Rüstungskonzerne boomen,
ebenso wie die US-Energie/Gaskonzerne.
Da
die weltgrößten Lieferanten von Weizen, die Ukraine und Russland, wohl künftig
ausfallen werden, können die US-Farmer in die Marktlücke springen. Außerdem
stehen die 30 NATO-Staaten geschlossen hinter den USA - wie schon lange nicht
mehr. «In nahezu allen Staaten ist das Zwei-Prozent-Ziel erreicht, selbst in
Deutschland [Rüstungsausgaben machen 2 % des BIPs aus], was vor ein paar Wochen noch
unvorstellbar gewesen ist», sagte vor kurzem der ehemalige militärpolitischer
Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Brigadegeneral a.D., Erich Vad. «Insofern
ist das für die USA auch ein Vorteil, wenn man die wirtschaftlichen
Konsequenzen sieht, aber die großen Verlierer sind die Europäer,
vor allem Deutschland». [2] Die USA scheinen obendrein konsequent ihrem im
Langzeitstrategiepapier ›TRADOC 525-3-1‹ [September 2014] festgelegten Ziel ›Win in a Complex World
2020-2040» näherzukommen. [3]
Nur
fünf Wochen nach der Vorstellung des ›TRADOC‹-Pamphlets Ende
Oktober 2014 warnten Roman Herzog, Gerhard Schröder und mehr als 60 andere
Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien in dem Aufruf ›Wieder
Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!‹ vor einem Krieg und riefen zum
Dialog mit Russland auf. [4] Sie forderten eine neue Entspannungspolitik
für Europa. Ihren Appell richteten sie an die Bundesregierung, die
Bundestagsabgeordneten und die Medien: «Wir, die Unterzeichner, appellieren an
die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu
werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf
der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten,
gegenseitig geachteten Partnern. Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg,
wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und
zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so
legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der
Ukrainer. Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre
unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener
Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas.
Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert, zuletzt
das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch
Russland zu unterwerfen.
Wir
appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages als vom Volk
beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam
auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur
Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft
die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müßten.
Einbinden statt ausschließen muß das Leitmotiv deutscher Politiker sein. Wir
appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung
überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren
dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder
außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit
NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis
zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um
Europa. Es geht darum, den Menschen wieder die Angst vor Krieg zu nehmen. Dazu
kann eine verantwortungsvolle, auf soliden Recherchen basierende
Berichterstattung eine Menge beitragen». Doch eine auf soliden Recherchen
basierende Berichterstattung und das Engagement für den Frieden scheinen heute
in noch weitere Ferne gerückt zu sein.
Ähnlich
war die Situation, als die britische Regierung im Mai 1904 nach dem desaströsen Burenkrieg das ›Committee of
Imperial Defence‹ (CID), einen ›Verteidigungsrat‹, gründete:
Man wollte auf künftige Kriege besser vorbereitet sein. Im Bericht des
Gründungskomitees wurde gefordert, dass künftig ›eine definitive und auf
soliden Daten beruhende Kriegspolitik
formuliert werden kann‹. [5] Der ›CID‹ wurde bald zu einem bedeutenden Hintergrundgremium der britischen Regierung, er arbeitete bis 1939. Im ›CID‹ wurde von 1905 an der Aufbau eines Frankreich unterstützenden Expeditionskorps [ca.
160.000 Mann], die Vorbereitung der Blockade Deutschlands und die Einbeziehung
der britischen Dominions in die Kriegspläne vorbereitet – alles per Handschlag
und am Parlament vorbei. Der Direktor des ›CID‹, Konteradmiral
Sir Charles Ottley, schrieb 1908 dem Ersten Seelord, eine Blockade Deutschlands
sei während der gesamten drei Jahre seiner Amtszeit als Marinegeheimdienstchef
ein ständiges Thema gewesen. Die Admiralität habe den Standpunkt vertreten, das
Zusammenspiel aus der geografischen Lage und seiner herausragenden Seemacht
gebe England hierzu eine einfache Methode an die Hand. Die Mühlen der
Seestreitkräfte würden «die deutsche Industrie sowie die Bevölkerung vielleicht
nur langsam ..., aber überaus fein zermahlen. Früher oder später würde Gras auf
den Straßen Hamburgs wachsen, Tod und Untergang würde sich ausbreiten». [6]
Die
Akte mit den Kriegsplänen der Admiralität von 1907 enthält 7 Argumente für den
Krieg:
1.
Der deutsche Handel wächst rasch.
2.
Der Pro-Kopf-Verbrauch von Getreide
nimmt zu.
3.
Deutschland wird immer stärker abhängig
davon, Lebensmittel und Rohstoffe aus dem Ausland zu beziehen.
4.
Es gibt keine ausreichend neutrale Schiffe, um britische und deutsche Schiffe,
die aufgrund eines Krieges festsitzen [und
ansonsten Deutschland beliefern würden], zu ersetzen.
5.
Aufgrund ihrer geografischen Lage können
Deutschlands Handelshäfen gut durch einen starken, vom Wasser aus angreifenden
Gegner geschlossen werden.
6.
Von dem Geld, das Deutschland aufgrund
der Handelsausfälle entgehen würde, fände ein Großteil seinen Weg zwingend nach
England.
7.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass
Deutschland Getreide usw. auf dem Landweg beziehen würde, wären die Preise sehr
hoch. [7]
Unter dem Marine-Nachrichtenoffizier Maurice Hankey
[1908 leitender Mitarbeiter und 1912
Direktor des ›CID‹] wurden die Blockadepläne dann auf
wissenschaftlichem Niveau ausgearbeitet. Um ungehindert global ausplündern zu
können, muß man nationale Strukturen auf Dauer beseitigen. 1914 ging es zunächst
darum, die drei großen Dynastien auf dem europäischen Kontinent zu vernichten.
Diese Absicht hatte Kardinal John Murphy Farley, Erzbischof von New York, schon
früh erkannt. Auf dem Eucharistischen Weltkongreß in Lourdes Ende Juli 1914 [22. - 26. 7. 1914], also nur wenige Stunden vor der Jahrhundertkatastrophe,
warnte er: «Der Krieg, der in Vorbereitung ist, wird ein Kampf zwischen dem
internationalen Kapital und den regierenden Dynastien sein. Das Kapital wünscht
niemanden über sich zu haben, kennt keinen Gott oder Herrn und möchte alle
Staaten als großes Bankgeschäft regieren lassen. Ihr Gewinn soll zur alleinigen
Richtschnur der Regierenden werden …Business … einzig und allein». [8]
Am
gleichen Tag nahm in den USA der Karikaturist Charles L. Bartholomew die
amerikanischen Kriegsspekulanten in den Blick: Vor einem Rekrutierungsoffizier
steht stramm ein riesiger Weizenmann mit der Aufschrift ›U.S. Crop‹.
Der Offizier
macht sich auf einem Papier mit der
Aufschrift ›Recruits World War‹ Notizen. Auf dem am Boden
liegenden Papier ist zu lesen: ›Crop Failure Abroad‹ [Ernteausfall
im Ausland]. [9] Zeitgenössische Nachrichten berichten über
massive Überschüsse in den USA und gestiegene Preise wegen des kommenden
Weltkriegs. Die Vorhersage der britischen Admiralität von 1907 war unmittelbar
eingetroffen. So wie damals die Zerstörung Deutschlands in Großbritannien
bereits 1907 angedacht wurde, hat US-Präsident Ronald Reagan mit seiner ›National
Security Decision Directive 54‹ [›NSDD-54‹ vom 2. September
1982] schon in den achtziger Jahren den Niedergang der Sowjetunion eingeleitet.
Mit dieser Direktive wollte Reagan den Sowjetblock destabilisieren, den
Warschauer Pakt untergraben und Moskaus Griff auf Osteuropa schwächen: Mit der
Sowjetunion verbündete Regierungen, die vom Sozialismus zurücktraten, liberale
Reformen annahmen oder Unabhängigkeit von Moskau zeigten, würden, so versprach
Reagan, von amerikanischer Unterstützung profitieren. «Zu den im ›NSDD-54‹
aufgelisteten Anreizen gehörten die Gewährung des ›most favoured nation‹-Status, Zugang zu amerikanischem Kapital und Krediten,
die Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds (IWF), kultureller und
wissenschaftlicher Austausch sowie Besuche auf hoher Ebene». [10]
Nach
der Auflösung der Sowjetunion 1991 brachen dann in den ehemaligen Sowjetrepubliken
die farbigen Revolutionen aus, die ihren Höhepunkt auf dem Maidan 2014
erreichten. Briten wie US-Amerikaner sehen seit über hundert Jahren in einer
möglichen Kooperation von Deutschland und Russland eine große Gefahr. Diesen
Zusammenhang sprach am 4. Februar 2015 George Friedman, Gründer und Vorsitzender
des führenden privaten US-amerikanischen Think Tanks ›STRATFOR‹,
überraschend deutlich auf dem Chicago Council an. Die USA hätten keine ›Beziehungen‹
zu Europa, es gebe lediglich bilaterale Beziehungen zu einzelnen Staaten. «Das
Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten
und Zweiten Weltkrieg sowie im Kalten Krieg, waren die Beziehungen zwischen
Deutschland und Russland..... Seit einem Jahrhundert ist es für die Vereinigen
Staaten das Hauptziel, die einzigartige Kombination zwischen deutschem Kapital,
deutscher Technologie und russischen Rohstoffressourcen, russischer
Arbeitskraft zu verhindern». [11]
Wie kann sich
der deutsche Kanzler Olaf Scholz vor diesem Hintergrund zum Sprachrohr der USA
machen und mit eiserner Miene verkünden: «Russland darf nicht gewinnen»? [12] Um das zu erreichen, will er T-72
Panzer aus Slowenien in die Ukraine liefern, im Gegenzug soll Slowenien Panzer
aus deutscher Produktion erhalten. Das mag zwar vom militärischen Standpunkt
aus sinnvoll sein, steht aber einer Friedensregelung diametral entgegen und
zeigt, dass nur noch die emotionalisierte Logik des Krieges das Denken
beherrscht. Ausgeklammert wird, dass Russland eine potente Nuklearmacht ist und
bei Existenzbedrohung durchaus von Atomwaffen Gebrauch machen könnte.
Hat
Europa und hier vor allem Deutschland nichts aus den kaum vorstellbaren Leiden
der zwei Weltkriege gelernt?
[1] https://www.gmx.at/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/ukraine-krieg-news-ticker-us-verteidigungsminister-austin-richtigen-militaerausruestung-ukraine-krieg-gewinnen-36757878 [2] https://zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-7-8-vom-24-april-2022.html [3]
Ergänzt
durch Multi-Domain Battle: Evolution of Combined Arms for the 21st Century
2025-2040 - October 2017 [4]
«Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem
Namen!» www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog [5] M.V.
Brett (Hrsg.): Journals and Letters von Lord Esher, Bd. III, London 1939, S. 46 [6] Arthur Jacob Marder: From the Dreadnought to Scapa
Flow. Barnsley 2014, S. 379 [7] Zitiert
wie Patrick Walsh: Schlafwandler? Von wegen! Wie Großbritannien seinen Krieg
gegen Deutschland plante. In: Effenberger/Macgregor: Sie wollten den Krieg, S.
35 [8] Michael
von Taube: Der großen Katastrophe entgegen, Leipzig 1937, S.379 [9] American Recruit
vom 27.7.1914 unter https://forms.gle/t8RrH4ev56UuHzwZ7 [10]
https://alphahistory.com/coldwar/reagan-policy-soviet-bloc-nations-1982/ [11]
https://www.kultur-port.de/kolumne/buch/15983-wolfgang-bittner-der-neue-west-ost-konflikt-.html [12]
https://www.zdf.de/nachrichten/video/scholz-bundestag-regierungsbefragung-ukraine-corona-100.htm
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