Täuschen und Lügen - BERLIN/BEIRUT/RAMSTEIN

(Eigener Bericht) - Das deutsche Innenministerium hat seit mindestens drei Jahren amtliche Kenntnis von systematischen Folterungen im Einflussbereich des Bundeskriminalamts (BKA). Die Opfer wurden auf Berliner Verlangen im Libanon verhaftet, anschließend der berüchtigten Hängefolter ("Ballanco") ausgesetzt und später von BKA-Beamten verhört. Zuvor war eines der Folteropfer vom BKA-Partnerdienst krankenhausreif geschlagen worden und musste aus der Folterhaft in ärztliche Behandlung. Obwohl die Folterpraktiken der Wiesbadener BKA-Zentrale im Dezember 2002 schriftlich gemeldet wurden, unterblieb die Strafverfolgung. Selbst eine persönliche Unterrichtung des BKA-Präsidenten Jörg Ziercke im August 2004 führte zu keinerlei feststellbaren Maßnahmen des Generalbundesanwalts Kay Nehm. Nehm untersteht der Justizministerin Brigitte Zypries; die politische Aufsicht über das BKA hatte zum Tatzeitpunkt der deutsche Innenminister Schily inne. In die Verantwortung der Vorgängerregierung fällt auch die Hinnahme eines Menschenraubs, bei dem die Täter am 17. Februar 2003 den Flughafen im deutschen Ramstein als Operationsbasis benutzten. Die von german-foreign-policy.com recherchierten Umstände widerlegen sämtliche Schutzbehauptungen der deutschen Behörden.

Der amtierende deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte den Abgeordneten des Parlaments in der vergangenen Woche erzählt, von Folter an Deportierten stehe "nichts in den Akten".[1] Damit wurde der Eindruck erweckt, amtliche Kenntnisse über Folterungen vor oder während deutscher Verhöre würden nicht vorliegen. Wohlweislich beschränkte sich Schäuble bei seinen Aussagen im Reichstag auf den Fall des verschleppten Deutschen Haydar Zammar [2], ohne zu erwähnen, dass dem Bundeskriminalamt (BKA) umfassende Schilderungen über Folter an BKA-Zielpersonen genau bekannt sind. Das BKA selbst hat die in Deutschland wohnhaften Opfer einem ausländischen Folterdienst zugeführt und sie im Anschluss an ihre Torturen BKA-Verhören unterworfen.
 
Reger Austausch
Wie intern nicht mehr bestritten wird, begannen deutsche Dienste im Sommer 2002 mit geheimen Observationen gegen M. Ramez Sultan, einen in München lebenden Libanesen mit australischem Pass. Die Rechtsgrundlage war vage gefasst (Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) - ob die Ermittlungen auf Verlangen oder wegen denunziatorischer Anregungen der Münchener CIA-Residentur begannen, ist bislang ungeklärt. Erwiesen ist, dass die CIA-Niederlassung in der bayerischen Hauptstadt zum fraglichen Zeitpunkt mit deutschen Diensten in regem Austausch stand - die Jagd auf "Islamisten" war freigegeben.[3]
 
Weich kochen
Obwohl M. Ramez Sultan in München jederzeit zu vernehmen gewesen wäre, warteten der Generalbundesanwalt und das BKA mit der Klärung ihrer Verdachtsbehauptungen gegen den Autohändler ab - bis zum bevorstehenden Urlaub der Familie Sultan, die (mit acht Kindern) in den Libanon, das Geburtsland des ahnungslosen Familienvaters, reiste. Dass M. Ramez Sultan in Beirut nicht verlorengehen würde, wusste man nicht nur beim BKA. Die deutschen Behörden befanden sich in einer besonders intensiven Phase ihrer Zusammenarbeit mit Geheimdiensten im Nahen Osten, deren Folterpraktiken weltweit bekannt sind. Der Urlaub des Verdächtigen kam deswegen nicht ganz ungelegen. Wie es ein Informant dieser Redaktion ausdrückt: "Man musste M. Ramez Sultan nicht selbst, sondern von den folternden Partnerdiensten verhören lassen, um ihn weich zu kochen".
 
Zusammenarbeit
Am 10. September 2002 hatte sich die Familie Sultan auf die Autobahn in Richtung Beirut begeben - zwei Wochen nach ihrer Ankunft, am 27. September, wurde das Familienoberhaupt von libanesischen Diensten verhaftet. Der Zugriff war Gemeinschaftsarbeit: Mehrere BKA-Beamte arbeiteten in Beirut, das wegen seiner rechtlosen Zustände berüchtigt ist.[4] Es wurden deutsche Peilsender montiert, konspirative Treffen verabredet und Bedrohungsszenarien ausgeschmückt; als der Verdächtige dem BKA-Partnerdienst endlich zugeführt war, konnte der letzte Teil der deutschen Terrorfahndung beginnen: Folter. Binnen weniger Stunden lieferte der verhaftete Urlauber aus München dem libanesischen Geheimdienst Material, das die in Beirut operierenden BKA-Beamten sofort entgegennahmen. Während drinnen Folter stattfand, las man draußen die Protokolle.
 
Berüchtigt
Die offenkundigen Folterdienstleistungen waren einem in Beirut eingesetzten BKA-Beamten nicht verborgen geblieben: Ralph Trede, allseits gelobter Ermittler gegen deutsche Anarchisten, erstattete Bericht. Aber von Tredes Beobachtungen blieben seine Vorgesetzten unbeeindruckt: Das in Beirut erprobte Verfahren schien dermaßen erfolgversprechend, dass es sich auch in anderen Fällen anbot - gemeinsam mit Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz (BfV) reiste das BKA im November von Beirut nach Damaskus weiter, um Erkenntnisse über den dort ebenfalls gefolterten Haydar Zammar abzuschöpfen.[5] Damit nicht genug: Trotz Tredes Folterhinweisen sah die BKA-Führung keinen Grund, den in libanesischer Untersuchungshaft befindlichen M. Ramez Sultan vor weiteren Verhören und möglichen Falschaussagen zu bewahren. Sultan wurde im berüchtigten Beiruter Roumieh-Gefängnis erneut mit BKA-Beamten konfrontiert.
 
Ballanco
Zu diesem Zeitpunkt, nämlich am 15./16. Dezember, verbreitete Amnesty International (ai) eine unübersehbare Warnung, die an die internationale Presse ging und auch bei der Berliner Regierung einlief.[6] Darin heißt es über die damals bevorstehenden Verhandlungen gegen M. Ramez Sultan und drei weitere Angeklagte: "Amnesty International ist überzeugt, daß der Prozeß gegen vier wegen 'Terrorismus' angeklagte Männer vor einem (libanesischen) Militärgerichtshof nicht fair verlaufen könnte, da die Verfahren dieses Gerichtshofes nicht internationalen Standards entsprechen (...). Drei der Männer wurden 5 Tage lang in Isolationshaft des (libanesischen) Verteidigungsministeriums gehalten, bevor man sie mit Anklagen konfrontierte (...). Über (einen der Angeklagten) wird berichtet, daß er während der Isolationshaft der Foltermethode Ballanco ausgesetzt worden ist. Dabei werden die Handgelenke auf dem Rücken gefesselt, durch die Handschellen wird ein Seil gezogen und an der Decke befestigt, so daß der Gefangene (rücklings) nach oben gezogen werden kann. Nach weiteren Berichten wurden (dem Gefangenen) Schläge in Gesicht und Magen versetzt, nachdem er 5 Tage ohne Ernährung bleiben mußte."
 
Unbekannt
Trotz dieser Meldung brachen weder die BKA-Führung noch der Generalbundesanwalt, die ihm vorgesetzte Justizministerin oder das Bundesinnenministerium die Operation gegen den Münchener Familienvater ab. Als der seit über zwei Monaten in Folterhaft befindliche Mann den BKA-Ermittlern erneut vorgeführt wurde, setzte er alles auf eine Karte: In Gegenwart libanesischer Aufseher vertraute er den Deutschen an, dass seine angeblichen Geständnisse unter Foltergewalt zustande gekommen waren und er unschuldig sei. Aber Sultans Hoffnung auf ein eventuelles Einschreiten der BKA-Ermittler trog. Sie verließen das Foltergefängnis, wie sie gekommen waren. Was M. Ramez Sultan anschließend geschah, ist unbekannt.
Unschuldig
Der Zustand des Mannes, der fließend Deutsch spricht, muss erbarmungswürdig, zumindest berichtsfähig gewesen sein - die BKA-Ermittler vermerkten in ihrem Verhörprotokoll vom 20.12.2002 den Folterverdacht. Damit lag dem BKA-Präsidenten sowie dem ermittelnden Generalbundesanwalt zum wiederholten Mal eine Meldung vor, über deren strafrechtliche Implikationen beide nicht im Unklaren gewesen sein können. Doch nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen lösten die Berichte keinerlei Aktivitäten aus - M. Ramez Sultan, den das BKA den libanesischen Folterern zugeführt hatte, wurde seinen Peinigern überlassen und am 6. Mai 2003 zu mehreren Jahren Haft verurteilt - drei Tage, nachdem der amerikanische Außenminister in Beirut über den "Krieg gegen den Terror" konferiert hatte.[7] Das Gefälligkeitsurteil des dubiosen Militärgerichtshofs ("Untergrabung der Staatsautorität") sollte nicht lange Bestand haben. Nach 18 Monaten wurde M. Ramez Sultan in Beirut entlassen. Nach seinen deutsch-libanesischen Foltererfahrungen verängstigt, kehrte er nach Australien zurück. "Die gegen ihn erhobene Anklage war unwahr und ohne Grundlage", urteilt Ali Salami, der Vorsitzende einer muslimischen Gemeinde in Sydney, die den Münchener und seine neunköpfige Familie nach der Haftentlassung aufnahm.[8]
 
Operationsbasis
Nicht nur M. Ramez Sultan wurde die deutsche Kooperation mit ausländischen Folterdiensten zum Verhängnis. Am Wochenende teilte die Schweizer Bundesanwaltschaft mit, dass sie "gerichtspolizeiliche" Ermittlungen wegen des Verdachts "auf verbotene Handlungen für einen fremden Staat" eröffnet hat.[9] Gemeint ist die Verletzung des schweizerischen Luftraums durch einen Learjet 35, der das Kennzeichen SPAR92 trug. Zweimal überflog die Maschine des US-Verteidigungsministeriums am 17. Februar 2003 die Schweiz. An Bord befand sich das Opfer eines Menschenraubs, der in Mailand begangen worden war. Dort hatten mehrere Dutzend US-Agenten am selben Tag einen Mann überfallen, betäubt und über den vor Mailand gelegenen NATO-Flughafen Aviano verschleppt. Nachdem SPAR92 durch den Schweizer Luftraum geflogen war, landete die Maschine im deutschen Ramstein (Rheinland-Pfalz). Dort befand sich die Operationsbasis der kriminellen Täter, die den Deportierten erneut Gewaltmaßnahmen aussetzten. Nach erfolgten Straftaten auf deutschem Boden hob SPAR92 von Ramstein ab, überflog erneut die Schweiz und landete wenig später in Kairo - eine weitere Folterstation.
 
Moralischer Perfektionismus
Für die gegenwärtige Bundesregierung ist die systematische Kooperation mit ausländischen Folterorganisationen und die Duldung der von ihnen begangenen Verbrechen auf deutschem Boden trotz dieser Vorgänge noch immer unbewiesen. Schrittweise und nur unter dem Druck von Zeugenaussagen sind die Verantwortlichen bereit, Versäumnisse einzugestehen. Folterberichte wie die des Kriminaloberkommissars Trede werden gefürchtet. Ihre strafrechtliche Schuld stellen die zuständigen Minister in Abrede. Wo das Täuschen und Lügen nicht mehr verfängt, werden Verfassungsregeln ethisch gedehnt: "Moralischen Perfektionismus kann es nicht geben, wenn man versucht, den weltweiten Terrorismus zu bekämpfen", rechtfertigte sich die deutsche Justizministerin, Frau Brigitte Zypries (SPD), am Wochenende.[10]
 
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56168  19. 12. 2005
 
 
[1] Wolfgang Schäuble am 14. Dezember 2005 im Deutschen Bundestag
[2] s. dazu Wo ist Haydar Zammar?
[3] Tarnen und täuschen; Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 18.12.2005
[4], [5] s. dazu Wo ist Haydar Zammar?
[6] Amnesty International: Lebanon: Political trial by Military Court must meet international human rights standards; London 16.12.2002
[7] Lebanon convicts Australian over "terror" links; Reuters 06.05.2003
[8] Australian man faces three years in Beirut jail; ABC Online 07.05.2003
[9] Bundesanwaltschaft schaltet sich in CIA-Affäre ein; news.ch 16.12.2005. Swiss Open Criminal Case on C.I.A. Flights; The New York Times 17.12.2005
[10] Zypries: CIA-Geheimtransporte rechtswidrig; netzzeitung.de 18.12.2005