»Die Konzernverantwortungsinitiative« - Gute Ziele, falsche Mittel - Von Christoph Rohner und Robert Nef

Eine verantwortungsbewusste Evaluation dieser Initiative, die für schweizerische Unternehmen

für Geschehnisse im Ausland ein neues Haftungsregime »zum Schutz von Mensch und Umwelt« schaffen will, ist allein schon deswegen erforderlich, da in der Politik nicht alles Gutgemeinte automatisch auch gut ist. Vor allem bei dieser Initiative gibt es gute Gründe, die Frage nach möglichen Folgen und Nebenfolgen zu stellen, die ein Nein nahelegen, das ebenfalls ethisch begründet ist. So sollen alle Unternehmen in der Schweiz, nicht nur Konzerne, für das Verhalten ihrer Auslandsniederlassungen und der von ihnen kontrollierten Zulieferer zur Verantwortung gezogen werden können. Dabei muss nicht ihnen ein Haftungsgrund nachgewiesen werden: Vielmehr haften sie, wenn sie nicht beweisen können, dass sie alle gebotene Sorgfalt zur Vermeidung entsprechender Rechtsverletzungen vorgekehrt haben [es handelt sich hier um die sogenannte Beweislastumkehr]. Wenn ihnen dieser Entlastungsbeweis, aus welchen Gründen immer, nicht gelingt, haften sie. Regelungen mit Beweislastumkehr - wie etwa bei der schweizerischen Geschäftsherrenhaftung nach Art. 55 OR - sind für einen einheitlichen rechtsstaatlichen Rechtsraum wie die Schweiz angemessen. Die von der Initiative vorgesehene Haftung mit Beweislastumkehr richtet sich aber, wo auch immer der fragliche Fall sich ereignet, nach schweizerischem Recht im Sinne des Initiativtexts. Ein solches Haftungsregime ist weltweit einmalig.

Warum sollen solche Prozesse in die Schweiz hereingeholt werden? Der Grund kann nur darin liegen, dass man der Gesetzgebung und Justiz der Länder, in denen seitens schweizerischer Unternehmen verursachte Missstände moniert werden, nicht traut. Gerade wenn dem so ist, fragt es sich aber, wie denn solche Prozesse mit Beweislastumkehr gegen schweizerische Unternehmen in der Schweiz ablaufen werden.

Es geht beim Sorgfaltsbeweis, den das beweisbelastete schweizerische Unternehmen führen muss, immer um Geschehnisse und Personen vor Ort. Bei Auslandstätigkeit ist man immer auf lokale Mitwirkende angewiesen. Vor Ort bestehen aber oft ganz andere rechtliche, wirtschaftliche, gesellschaftliche und mentalitätsmässige Verhältnisse. In vielen Ländern gibt es Korruption oder herrschen patriarchalische Traditionen. Ist Geschäftstätigkeit in solchen Ländern deswegen per se schon menschenrechtswidrig, z.B. wegen dort endemischer Frauendiskriminierung?

Das schweizerische Gericht, das Auslandssachverhalte beurteilen muss, ist auf Rechtshilfe aus den fraglichen Staaten angewiesen. Damit ist das beklagte Unternehmen in allen Fällen, gerade wenn es den Beweis mit lokalen Zeugen oder Beweismitteln führen muss, den systemischen Unvollkommenheiten jener Staaten und namentlich dem Risiko auch von Beweisverlust, Beweismanipulation, Korruption oder gar Sabotage schutzlos ausgesetzt. Die Risiken sind auch nicht zwingend geringer, wenn man Zeugen, so sie denn greifbar sind, in die Schweiz einfliegen muss - auf wessen Kosten? Die Ausdehnung der Geltung schweizerischen Rechts mit solcher Beweislastumkehr auf Länder mit Rechts-(pflege-)systemen, auf die es nicht zugeschnitten ist, wird die Verletzung justizieller Grund- und Menschenrechte (Art. 29 f. BV; Art. 6 EMRK) von Unternehmen provozieren.

Die Initiative schliesst im übrigen auch nicht aus, dass Prozesse auf der Basis der von ihr vorgegebenen Regeln vor Ort selber geführt werden können – mit noch potenzierten Risiken. Unklar bleibt auch, wann bei Zulieferern eine faktische‹     Kontrolle anzunehmen ist. Ist Kontrolle schon gegeben, wenn man ein guter Kunde eines Zulieferers ist? Jederzeit jedes Element einer Lieferkette durchgängig zu überwachen, ist in der Praxis schlichtweg nicht möglich, erst recht für Geschehnisse in kulturell anders gearteten Ländern. Hierfür dem Schweizer Unternehmen die Beweislast für alle Sorgfalt, d.h. einen lückenlosen Sorgfaltsbeweis, zu überbinden, setzt dieses einer faktisch existentiellen Haftung für jeglichen irgendwo in seinen Geschäftsbeziehungen passierten Fehler aus. Spezialisierte Klägervertreter werden hier (retrospektiv) immer Sollbruchstellen finden, die auch noch erkennbar gewesen wären. Diese existentielle Haftung führt zu qualifizierter Rechtsunsicherheit und zu Erpressungsrisiken für die betroffenen Unternehmen.  

Es mag in der Schweiz niedergelassene Unternehmen geben, die im Ausland eine schlechte Rolle spielen. Das ist aber mit Sicherheit eine Minderheit. Wie der Bundesrat darlegt, haben sich rund 80 % der im Ausland tätigen Schweizer Firmen Menschenrechts- und Umweltstandards auf Weltniveau gegeben. Diese Unternehmen leisten einen grossen, von den Gastländern geschätzten Beitrag zu deren Entwicklung und bieten gute, beliebte Arbeits- und Ausbildungsplätze. Die Förderung und Verstärkung solcher Standards in Zusammenarbeit mit den anderen Industrieländern liegt im Gemeininteresse und ist der richtige Weg. Dem entspricht der Gegenvorschlag.

Der schweizerische Alleingang mit einem auf die ganze Welt ausgedehnten, moralisch verbrämten, aber inadäquaten, weltweit einmaligen Haftungssystem ist dagegen so anmassend wie unklug. Er diskriminiert die betroffenen schweizerischen Unternehmen und setzt sie im Vergleich zu solchen aller anderen Länder massiven Wettbewerbsnachteilen aus. Die durch das vorgesehene Haftungsregime geschaffenen Rechts- und Erpressungsrisiken auch für konforme Unternehmen bewirken, dass sich manche von ihnen aus Risikoländern zurückziehen werden. Dies fördert weder ethisches Wirtschaften, noch hilft es den Ländern und Menschen, die geschützt werden sollen: Im Gegenteil. Und wenn wegen des unsinnigen schweizerischen Alleingangs Weltfirmen aus der Schweiz in weniger restriktive Länder wegziehen, droht auch der Schweiz der Verlust von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, von Knowhow, von Steuersubstrat, und zufolge beeinträchtigter Unternehmenswerte auch die Unterdeckung von Vorsorgeeinrichtungen. Solche Konsequenzen sind alles andere als ethisch.  

Umso deplatzierter sind die Argumentationsmuster, mit denen die Befürworter für sich eine Moral mit Monopolcharakter beanspruchen  – obwohl nicht alle angeführten Belege ohne weiteres hieb- und stichfest scheinen [1],  und denjenigen, die diese helvetische Tugendweltmeisterei aus sachlichen Gründen ablehnen, die Ethik absprechen und sie als Halunken bezeichnen  [2].

Die entscheidenden Schwächen der Initiative liegen nicht bei den Zielen, sondern bei den untauglichen juristischen und auch ethisch höchst fragwürdigen Mitteln, die sie zu deren Erreichung vorschlägt.


[1] NZZ am Sonntag vom 11. 10. 2010
[2] NZZ vom 12. 10. 2010 - Operation Libero