Die USA planen neue Sanktionen 12.07.2020 22:38
d.a. Der European Council on Foreign Relations (ECFR) hat jetzt vor einer dramatischen
Ausweitung des US-Wirtschaftskriegs zu Lasten der EU und Deutschlands gewarnt. Wie es in seiner aktuellen Analyse heisst, lässt das jüngste US-Sanktionsgesetz gegen Nord Stream 2 keinen Zweifel daran, dass Washington im Wirtschaftskrieg kein »Tabu« mehr kennt. Es geht nun um ein neues, als »Protecting Europe's Energy Security Clarification Act« »PEESCA« bezeichnetes Sanktionsgesetz, das vor kurzem ins Repräsentantenhaus eingebracht worden ist. Dem aktuellem Stand zufolge wird es wahrscheinlich
gemeinsam
mit dem Gesetz zum US-Verteidigungshaushalt, dem »National
Defense Authorization Act« »NDAA« verabschiedet. Danach könnte »PEESCA«, das
sich gegen die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 wendet, in
wenigen Monaten in Kraft treten. [1]
Darüber
hinaus eröffnet »PEESCA« zum ersten Mal eine Möglichkeit, sogar Sanktionen
gegen Vertreter staatlicher deutscher Stellen zu verhängen.
Nicht
nur, dass es bezüglich weiterer Sanktionsvorstösse aus den Reihen der
Republikaner in Washington heisst, man solle Russland zum ›staatlichen Terrorsponsor‹
erklären, sondern es wird auch gefordert, Russland vom Zahlungsdienstleister SWIFT abzuschneiden. Damit
wäre das Land faktisch vom globalen Finanzsystem abgeschnitten. Zwar hätten die
Vereinigten Staaten über die in Belgien angesiedelte Organisation keine
unmittelbare Kontrolle, wie dies in dem republikanischen Positionspapier dargelegt
wird, doch könnte Washington Sanktionen gegen SWIFT selbst verhängen, die erst
dann aufgehoben würden, wenn der Dienstleister Russland aussperre. Diese
Strategie habe man gegen den Iran erfolgreich angewendet. Tatsächlich hatte
SWIFT den Iran aufgrund massiven US-Drucks im November 2018 ausgeschlossen.
Zwar
hat der ECFR darauf hingewiesen, dass Russland und China 2014 begonnen haben,
sich von SWIFT unabhängig zu machen, beide Staaten haben dies auf nationaler
Ebene erreicht, und dass weitere Staaten ein Interesse daran zeigten, sich
anzuschliessen, jedoch sei dies, wie der ECFR ausführt, für die EU keine Option:
Allzu eng sind die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen.
Bereits
2019 hat der ECFR das Volumen der Handelsströme zwischen der EU und Russland,
die von entsprechenden Sanktionen betroffen wären und möglicherweise gestoppt
würden, berechnet: Es beläuft sich auf 190 Milliarden Euro.
Besondere
Sorgen macht dem ECFR die Option der USA, ihre Exportkontrollen zu verschärfen.
Diese wirken extraterritorial: Washington behält sich vor, den Export auch
fremder Produkte in bestimmte Länder zu verbieten, wenn das Produkt einen
25-Prozent-Anteil aus US-Herstellung enthält; für manche Waren liegt der Wert
noch niedriger. Der ECFR hat jetzt darauf hingewiesen, dass Washington die
Definition von Waren, die zumindest theoretisch militärisch genutzt werden
können und deshalb US-Exportrestriktionen unterliegen, immer weiter fasst; die
jüngste Ausweitung der einschlägigen Definition ist vergangene Woche in Kraft getreten.
Zudem
setzt die Trump-Administration immer mehr ausländische Unternehmen auf ihre
offizielle Sanktionsliste [die
›Entity List‹]; auf
dieser sind diesen Mai 33 chinesische Firmen hinzugefügt worden, und weitere werden,
wie der ECFR konstatiert, wahrscheinlich folgen. Das betrifft auch unmittelbar deutsche
Hersteller, die US-Bauteile nutzen. Hinzu kommt, dass das US-Sanktionsgeflecht
sogar für Experten kaum noch zu durchschauen ist, was insbesondere für kleinere
Unternehmen das Risiko erhöht, und letztlich dazu führt, Lieferungen etwa nach
China gar nicht mehr anzustreben.
Ins
Visier der Gruppe republikanischer Kongressabgeordneter geraten dabei auch die
Bemühungen Berlins und Brüssels, Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten vor
US-Sanktionen zu schützen. Um trotz der extraterritorial wirksamen
US-Sanktionen gegen den Iran Lieferungen in das Land durchführen zu können, gründete
die EU das Finanzvehikel INSTEX [›Instrument
in Support of Trade Exchanges‹], das
Geschäfte nach Art einer Tauschbörse abwickelt und den Handel vom
US-dominierten Finanzsystem unabhängig machen soll. Doch ist dieses bislang nicht
erfolgreich, so dass mit Hilfe von INSTEX erst eine einzige Lieferung
abgewickelt wurde, die zudem als Hilfslieferung im Kampf gegen die
Covid-19-Pandemie von den US-Sanktionen nicht erfasst worden wäre. Dennoch
bauen die US-Republikaner vor. Ein Mitglied der Abgeordnetengruppe hat schon im
Februar einen Gesetzesentwurf, den ›H.R.6015 - Stop Evasion of Iran Sanctions Act of 2020‹, ins
Repräsentantenhaus eingebracht. Dieser würde das Finanzministerium dazu
ermächtigen, jede Finanzinstitution, die eine ›signifikante‹
Transaktion unter Einbezug von INSTEX durchführt, mit Sanktionen zu belegen. »Dies
diene vor allem dazu«, urteilt der ECFR »den Europäern eine Lehre zu erteilen«.
Druck mit Hilfe des IWF
Als
ob die US-Sanktionen generell nicht schon anzeigten, dass es praktisch kaum
mehr etwas gibt, was die USA nicht für sich zu regeln beanspruchten, plädiert
jetzt die republikanische Abgeordnetengruppe auch noch dafür, den IWF zur weltweiten
Durchsetzung von US-Zielen zu nutzen. Demnach soll Washington dem Währungsfonds
die Mittel für ein Darlehen an den Libanon streichen, solange dort die
Hizbollah Einfluss hat. So haben Mitglieder der Gruppe im Januar auch den sogenannten
›H.R.5698 Promoting Secure 5G Act of
2020‹ im Repräsentantenhaus vorgelegt.
Dieser sieht vor, Finanzhilfen des IWF oder anderer internationaler
Finanzorganisationen nur noch dann zuzulassen, wenn das Empfängerland eine ›sichere‹ 5G-Technologie nutzt, womit der Ausschluss des chinesischen
Huawei-Konzerns gemeint ist. Auch das träfe EU-Staaten unter Umständen schwer.
Indessen
weist der ECFR darauf hin, dass keineswegs feststeht, dass die erwähnten
Sanktionsvorschläge in Kraft gesetzt werden. Das gilt auch hinsichtlich der
Möglichkeit, chinesische Regierungsmitglieder und Staatsbeamte, ihre Familien
eingeschlossen, mit Einreisesperren zu belegen resp. die Abhaltung ›regelmässiger öffentlicher Finanzmanöver‹, mit denen demonstriert werden soll, wie
die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten im Fall einer russischen
Aggression russisches Vermögen einfrieren und konfiszieren. Ausschliessen, vermerkt
der ECFR ferner, lässt sich die Realisierung dieser und anderer Schritte im
US-Wirtschaftskrieg allerdings nicht. [1]
Da
es im Fall von Nord Stream 2, der zweiten Ostsee-Pipeline zwischen Russland und
Deutschland, selbstredend nicht um eine Sicherstellung der europäischen Energie
geht, sondern einzig und allein darum, diese von den USA als direkte Konkurrenz
betrachtete Gaspipeline zu verhindern, wird es nicht einfach sein, sich der
angedrohten Sanktionen der USA zu erwehren, selbst wenn am 1. Juli erklärt wurde, dass die Bundesregierung und der Bundestag die amerikanischen Sanktionsandrohungen
gegen die Ostseepipeline nicht ohne Widerstand hinnehmen wollen. Niels Annen, Staatsminister
im Auswärtigen Amt, »hat den amerikanischen
Gesetzesentwurf als ›schwerwiegenden
Eingriff in die deutsche und europäische Souveränität in der Energiepolitik‹
kritisiert. Es sei ›absurd‹, dass der Gesetzgeber in Washington als Regulator europäischer
Fragen auftreten wolle. ›Wir wollen dem im gemeinsamen EU-Interesse und im Interesse der
transatlantischen Partnerschaft entgegentreten‹, sagte Annen. Wie genau der Widerstand aussehen soll, liess er
indessen offen. Die Bundesregierung setze auf Verhandlungen mit den Vereinigten
Staaten, ›Sanktionen sind der falsche Weg‹.«
Verhandlungen
sind in Wirklichkeit aber auch die einzige Möglichkeit, hier zu versuchen, die
Interessen der BRD zu wahren, da die Vorstellung, gegen die Übermacht Washingtons
selbst Sanktionen verhängen zu wollen, ihrerseits absurd, weil undurchführbar
ist. [2]
Wie
›German Foreign Policy‹ am 30. 6. festhielt, »kommt
hinzu, dass extraterritoriale US-Sanktionen, wie Washington
sie etwa auch gegen den Iran verhängt hat, im globalen Mächtekampf ein Mittel
darstellen, das Berlin und Brüssel bislang nicht auszuhebeln vermögen. Entwickelt
die EU jedoch kein Gegeninstrument, dann kann die US-Regierung sie in jedem
transatlantischen Konflikt um die Politik gegenüber Drittstaaten zum Nachgeben
zwingen«. [3]
Wie
zu erwarten, war US-Präsident Trump Ende Januar am WEF in Davos dem Zeremoniell
des Forums entsprechend empfangen worden. Keiner der Berichte hierzu
erwähnte indessen, dass Trump gegen die Schweizer Firma Allseas Sanktionen
erlassen hatte. Diese waren am Abend des 20. 12. 2019 mit Trumps Unterschrift in
Kraft getreten. Eine 30-tägige Übergangsfrist nach Inkrafttreten der Sanktionen,
wurde erklärt, gelte nur, wenn das Unternehmen überzeugend darstellte, dass es seine
Arbeiten an dem Projekt abwickelte. Des weiteren erging die Mitteilung: »Sollten
Sie versuchen, die Pipeline in den nächsten 30 Tagen fertigzustellen, würden
Sie ihren Aktionärswert vernichten und die künftige finanzielle Existenzfähigkeit
ihres Unternehmens zerstören«. Ziel der Sanktionen sei es, sicherzustellen, dass
die Pipeline nicht fertig werde.
Daraufhin
hatte die an der Verlegung von Rohren beteiligte Allseas ihre Arbeiten per
sofort beendet. Die Firma hatte zudem einen Drohbrief erhalten, mit dem die US-Senatoren
Ted Cruz und Ron Johnson das Schweizer Unternehmen ultimativ
aufforderten, die Arbeit an Nord Stream 2 einzustellen: »Stoppen Sie JETZT und
lassen Sie die Pipeline unfertig zurück, oder Sie riskieren, Ihr Unternehmen
für immer aufzugeben«. Die US-Senatoren schlossen ihren Drohbrief mit dem
Kommentar, dass es für die Allseas-Spezialschiffe Zeit sei, »andere Gewässer zu
finden«. Alseas ist der weltweit einzigartige Spezialist für den Bau von
Unterseepipelines. [4]
Russlands
Aussenminister Sergej Lawrow hatte in Bezug auf die Sanktionen der USA gegen Nord
Stream 2 bereits Ende Dezember Gegenmassnahmen angekündigt. Die Gasleitung, so
Lawrow, wird ungeachtet der US-Sanktionen fertiggestellt. Wir werden auf die
Sanktionen reagieren, aber auf eine Weise, die uns selbst keinen Schaden zufügt.
Aber darauf reagieren werden wir auf jeden Fall. »Ich hätte niemals gedacht«, betonte
Lawrow ferner, »dass Politiker so weit gehen können, Entscheidungen zu treffen,
die eines seriösen Politikers nicht würdig sind«. [5]
Man
darf gespannt sein, wie sich die BRD in diesem Fall herauswinden wird. Es
stellt sich auch die Frage, wie sich das von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Mitte Juni 2019 bei einer Versammlung der Atlantik-Brücke
abgegebene Bekenntnis zu den USA und
den ›gemeinsamen Werten‹ mit einer Knebelung, wie sie die USA durch ihre
Sanktionen zeitigt, vereinbaren lässt. [6]
Man könnte durchaus folgern, dass sich das
Verhängen von Sanktionen zu einer ansteckenden Praxis entwickelt hat. So hat
Grossbritannien, offensichtlich weitgehend unkommentiert, am 6. Juli neue
Wirtschaftssanktionen gegen Einzelpersonen
und Organisationen in Saudi-Arabien, Russland, Myanmar und Nordkorea angekündigt,
wie dies der in Brooklyn beheimatete US-Journalist Dave DeCamp soeben berichtete.
Zwar hat Grossbritannien als Teil der Europäischen Union schon zuvor Sanktionen
verhängt, aber es ist jetzt das erste Mal, dass dieser Schritt des Vereinigten
Königreichs unabhängig erfolgen soll, da das Land Anfang dieses Jahres formell
aus der EU ausgetreten ist. Die Sanktionen sind nach dem Vorbild des
Magnitsky-Gesetzes der USA gestaltet. Dieses gibt Washington die Befugnis,
wirtschaftliche Vermögenswerte von Einzelpersonen und Gruppen, die es der
Verletzung der Menschenrechte beschuldigt, einzufrieren. Der Akzent liegt hier
offenbar auf Beschuldigung und nicht etwa darauf, diese zunächst in einem
ordentlichen Verfahren zu beweisen.
Englands Sanktionen richten sich gegen 25
russische Staatsangehörige, die angeblich am Tod von Sergej Magnitzkij, einem
Steueranwalt, der 2009 in einem russischen Gefängnis starb, beteiligt waren.
Zwanzig saudische Beamte, die beschuldigt werden, am Tod des Journalisten Jamal
Khashoggi beteiligt gewesen zu sein, sind ebenfalls Ziel der neuen Sanktionen,
zusammen mit zwei hochrangigen Militärbeamten aus Myanmar, die der
systematischen Gewalt und Brutalität gegen Rohingya-Muslime beschuldigt werden;
ferner zwei nordkoreanischen Unternehmen, denen vorgeworfen wird,
Gefangenenlager zu betreiben. »Sie können keinen Fuß in dieses Land setzen, und wir werden ihre
blutgetränkten, unrechtmäßig erworbenen Gewinne beschlagnahmen, wenn sie es versuchen«, sagte der britische Aussenminister Dominic
Raab, als er die Sanktionen ankündigte. »Dies ist eine Demonstration des Engagements von Global Britain, als eine
Kraft des Guten in der Welt zu wirken«. Das mit diesem winzigen ›Tropfen auf den heissen Stein‹ zu
erzielende ›Gute‹ wird durch die anhaltenden
Menschenrechtsverletzungen, wie sie infolge der durch die USA und die EU in
Kraft getretenen Sanktionen unverändert bestehen, weder wettmachen, noch die weitere
Verhängung solcher Massnahmen beeinflussen resp. verhindern können.
Das Statement von US-Aussenminister
Mike Pompeo, der das Vereinigte Königreich für die Einführung der neuen
Sanktionen lobt, liest sich wie folgt: »Das britische System der globalen Menschenrechtssanktionen wird
Großbritannien ein mächtiges neues wirtschaftliches Instrument an die Hand
geben, um die Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen auf globaler
Ebene zu fördern. Die neuen Befugnisse Großbritanniens werden die Bemühungen
der Vereinigten Staaten und Kanadas ergänzen und unsere Fähigkeit zum gemeinsamen
Handeln weiter verbessern«.
Eine Verbesserung gerade
des Handelns auf US-Seite ergäbe sich bezüglich der von Pompeo zitierten ›Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen‹ zunächst
einmal dann, wenn die unter Präsident George W. Bush 2002 erfolgte kategortische
Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag aufgehoben würde, so
dass internationale Klagen gegen dem US-Militär resp. den CIA-Agenten anzulastende
Straftaten ermöglicht würden. Insofern kann man Pompeos Stellungnahme nur belächeln.
[1] Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8329/ 9. 7. 20 Aus
der Folterkammer des Wirtschaftskriegs
[2] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/nordstream-2-schroeder-fuer-schmerzliche-gegenreaktionen-gegen-usa-16841490.html 1. 7. 20
[3] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8319/
30. 6. 20 Transatlantische Konflikte
(II)
[4] https://www.bazonline.ch/ausland/standard/trump-erlaesst-sanktionen-gegen-schweizer-firma/story/23411188 21. 12. 19
[5] https://de.sputniknews.com/wirtschaft/20191222326272073--moskau-verspricht-antwort-auf-nord-stream-2-sanktionen/ 22. 12. 19
[6] https://deutsch.rt.com/inland/89123-kramp-karrenbauer-bei-atlantik-brucke/ 12. 6. 19
[6] http://antikrieg.com/aktuell/2020_07_07_grossbritannien.htm 7. 7. 20 Großbritannien kündigt erste Sanktionen gegen
Russen, Saudis und andere an – Von Dave DeCamp
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