Die USA planen neue Sanktionen

d.a. Der European Council on Foreign Relations (ECFR) hat jetzt vor einer dramatischen

Ausweitung des US-Wirtschaftskriegs zu Lasten der EU und Deutschlands gewarnt. Wie es in seiner aktuellen Analyse heisst, lässt das jüngste US-Sanktionsgesetz gegen Nord Stream 2 keinen Zweifel daran, dass Washington im Wirtschaftskrieg kein »Tabu« mehr kennt. Es geht nun um ein neues, als »Protecting Europe's Energy Security Clarification Act« »PEESCA« bezeichnetes Sanktionsgesetz, das vor kurzem ins Repräsentantenhaus eingebracht worden ist. Dem aktuellem Stand zufolge wird es wahrscheinlich

gemeinsam mit dem Gesetz zum US-Verteidigungshaushalt, dem
»National Defense Authorization Act« »NDAA« verabschiedet. Danach könnte »PEESCA«, das sich gegen die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 wendet, in wenigen Monaten in Kraft treten.  [1] 

Darüber hinaus eröffnet »PEESCA« zum ersten Mal eine Möglichkeit, sogar Sanktionen gegen Vertreter staatlicher deutscher Stellen zu verhängen.

Nicht nur, dass es bezüglich weiterer Sanktionsvorstösse aus den Reihen der Republikaner in Washington heisst, man solle Russland zum staatlichen Terrorsponsor erklären, sondern es wird auch gefordert, Russland vom   Zahlungsdienstleister SWIFT abzuschneiden. Damit wäre das Land faktisch vom globalen Finanzsystem abgeschnitten. Zwar hätten die Vereinigten Staaten über die in Belgien angesiedelte Organisation keine unmittelbare Kontrolle, wie dies in dem republikanischen Positionspapier dargelegt wird, doch könnte Washington Sanktionen gegen SWIFT selbst verhängen, die erst dann aufgehoben würden, wenn der Dienstleister Russland aussperre. Diese Strategie habe man gegen den Iran erfolgreich angewendet. Tatsächlich hatte SWIFT den Iran aufgrund massiven US-Drucks im November 2018 ausgeschlossen.

Zwar hat der ECFR darauf hingewiesen, dass Russland und China 2014 begonnen haben, sich von SWIFT unabhängig zu machen, beide Staaten haben dies auf nationaler Ebene erreicht, und dass weitere Staaten ein Interesse daran zeigten, sich anzuschliessen, jedoch sei dies, wie der ECFR ausführt, für die EU keine Option: Allzu eng sind die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen.

Bereits 2019 hat der ECFR das Volumen der Handelsströme zwischen der EU und Russland, die von entsprechenden Sanktionen betroffen wären und möglicherweise gestoppt würden, berechnet: Es beläuft sich auf 190 Milliarden Euro.

Besondere Sorgen macht dem ECFR die Option der USA, ihre Exportkontrollen zu verschärfen. Diese wirken extraterritorial: Washington behält sich vor, den Export auch fremder Produkte in bestimmte Länder zu verbieten, wenn das Produkt einen 25-Prozent-Anteil aus US-Herstellung enthält; für manche Waren liegt der Wert noch niedriger. Der ECFR hat jetzt darauf hingewiesen, dass Washington die Definition von Waren, die zumindest theoretisch militärisch genutzt werden können und deshalb US-Exportrestriktionen unterliegen, immer weiter fasst; die jüngste Ausweitung der einschlägigen Definition ist vergangene Woche in Kraft getreten.

Zudem setzt die Trump-Administration immer mehr ausländische Unternehmen auf ihre offizielle Sanktionsliste [die Entity List]; auf dieser sind diesen Mai 33 chinesische Firmen hinzugefügt worden, und weitere werden, wie der ECFR konstatiert, wahrscheinlich folgen. Das betrifft auch unmittelbar deutsche Hersteller, die US-Bauteile nutzen. Hinzu kommt, dass das US-Sanktionsgeflecht sogar für Experten kaum noch zu durchschauen ist, was insbesondere für kleinere Unternehmen das Risiko erhöht, und letztlich dazu führt, Lieferungen etwa nach China gar nicht mehr anzustreben.  

Ins Visier der Gruppe republikanischer Kongressabgeordneter geraten dabei auch die Bemühungen Berlins und Brüssels, Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten vor US-Sanktionen zu schützen. Um trotz der extraterritorial wirksamen US-Sanktionen gegen den Iran Lieferungen in das Land durchführen zu können, gründete die EU das Finanzvehikel INSTEX [Instrument in Support of Trade Exchanges], das Geschäfte nach Art einer Tauschbörse abwickelt und den Handel vom US-dominierten Finanzsystem unabhängig machen soll. Doch ist dieses bislang nicht erfolgreich, so dass mit Hilfe von INSTEX erst eine einzige Lieferung abgewickelt wurde, die zudem als Hilfslieferung im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie von den US-Sanktionen nicht erfasst worden wäre. Dennoch bauen die US-Republikaner vor. Ein Mitglied der Abgeordnetengruppe hat schon im Februar einen Gesetzesentwurf, den H.R.6015 - Stop Evasion of Iran Sanctions Act of 2020, ins Repräsentantenhaus eingebracht. Dieser würde das Finanzministerium dazu ermächtigen, jede Finanzinstitution, die eine signifikante Transaktion unter Einbezug von INSTEX durchführt, mit Sanktionen zu belegen. »Dies diene vor allem dazu«, urteilt der ECFR »den Europäern eine Lehre zu erteilen«.  

Druck mit Hilfe des IWF

Als ob die US-Sanktionen generell nicht schon anzeigten, dass es praktisch kaum mehr etwas gibt, was die USA nicht für sich zu regeln beanspruchten, plädiert jetzt die republikanische Abgeordnetengruppe auch noch dafür, den IWF zur weltweiten Durchsetzung von US-Zielen zu nutzen. Demnach soll Washington dem Währungsfonds die Mittel für ein Darlehen an den Libanon streichen, solange dort die Hizbollah Einfluss hat. So haben Mitglieder der Gruppe im Januar auch den sogenannten H.R.5698 Promoting Secure 5G Act of 2020 im Repräsentantenhaus vorgelegt. Dieser sieht vor, Finanzhilfen des IWF oder anderer internationaler Finanzorganisationen nur noch dann zuzulassen, wenn das Empfängerland eine sichere 5G-Technologie nutzt, womit der Ausschluss des chinesischen Huawei-Konzerns gemeint ist. Auch das träfe EU-Staaten unter Umständen schwer.

Indessen weist der ECFR darauf hin, dass keineswegs feststeht, dass die erwähnten Sanktionsvorschläge in Kraft gesetzt werden. Das gilt auch hinsichtlich der Möglichkeit, chinesische Regierungsmitglieder und Staatsbeamte, ihre Familien eingeschlossen, mit Einreisesperren zu belegen resp. die Abhaltung regelmässiger öffentlicher Finanzmanöver, mit denen demonstriert werden soll, wie die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten im Fall einer russischen Aggression russisches Vermögen einfrieren und konfiszieren. Ausschliessen, vermerkt der ECFR ferner, lässt sich die Realisierung dieser und anderer Schritte im US-Wirtschaftskrieg allerdings nicht.  [1]

Da es im Fall von Nord Stream 2, der zweiten Ostsee-Pipeline zwischen Russland und Deutschland, selbstredend nicht um eine Sicherstellung der europäischen Energie geht, sondern einzig und allein darum, diese von den USA als direkte Konkurrenz betrachtete Gaspipeline zu verhindern, wird es nicht einfach sein, sich der angedrohten Sanktionen der USA zu erwehren, selbst wenn am 1. Juli erklärt wurde, dass die Bundesregierung und der Bundestag die amerikanischen Sanktionsandrohungen gegen die Ostseepipeline nicht ohne Widerstand hinnehmen wollen. Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, »hat den amerikanischen Gesetzesentwurf als schwerwiegenden Eingriff in die deutsche und europäische Souveränität in der Energiepolitik kritisiert. Es sei absurd, dass der Gesetzgeber in Washington als Regulator europäischer Fragen auftreten wolle. Wir wollen dem im gemeinsamen EU-Interesse und im Interesse der transatlantischen Partnerschaft entgegentreten, sagte Annen. Wie genau der Widerstand aussehen soll, liess er indessen offen. Die Bundesregierung setze auf Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten, Sanktionen sind der falsche Weg.«

Verhandlungen sind in Wirklichkeit aber auch die einzige Möglichkeit, hier zu versuchen, die Interessen der BRD zu wahren, da die Vorstellung, gegen die Übermacht Washingtons selbst Sanktionen verhängen zu wollen, ihrerseits absurd, weil undurchführbar ist.  [2]

Wie German Foreign Policy am 30. 6. festhielt, »kommt hinzu, dass extraterritoriale US-Sanktionen, wie Washington sie etwa auch gegen den Iran verhängt hat, im globalen Mächtekampf ein Mittel darstellen, das Berlin und Brüssel bislang nicht auszuhebeln vermögen. Entwickelt die EU jedoch kein Gegeninstrument, dann kann die US-Regierung sie in jedem transatlantischen Konflikt um die Politik gegenüber Drittstaaten zum Nachgeben zwingen«.  [3]

Wie zu erwarten, war US-Präsident Trump Ende Januar am WEF in Davos dem Zeremoniell des Forums entsprechend empfangen worden. Keiner der Berichte hierzu erwähnte indessen, dass Trump gegen die Schweizer Firma Allseas Sanktionen erlassen hatte. Diese waren am Abend des 20. 12. 2019 mit Trumps Unterschrift in Kraft getreten. Eine 30-tägige Übergangsfrist nach Inkrafttreten der Sanktionen, wurde erklärt, gelte nur, wenn das Unternehmen überzeugend darstellte, dass es seine Arbeiten an dem Projekt abwickelte. Des weiteren erging die Mitteilung: »Sollten Sie versuchen, die Pipeline in den nächsten 30 Tagen fertigzustellen, würden Sie ihren Aktionärswert vernichten und die künftige finanzielle Existenzfähigkeit ihres Unternehmens zerstören«. Ziel der Sanktionen sei es, sicherzustellen, dass die Pipeline nicht fertig werde. 

Daraufhin hatte die an der Verlegung von Rohren beteiligte Allseas ihre Arbeiten per sofort beendet. Die Firma hatte zudem einen Drohbrief erhalten, mit dem die US-Senatoren Ted Cruz und Ron Johnson das Schweizer Unternehmen ultimativ aufforderten, die Arbeit an Nord Stream 2 einzustellen: »Stoppen Sie JETZT und lassen Sie die Pipeline unfertig zurück, oder Sie riskieren, Ihr Unternehmen für immer aufzugeben«. Die US-Senatoren schlossen ihren Drohbrief mit dem Kommentar, dass es für die Allseas-Spezialschiffe Zeit sei, »andere Gewässer zu finden«. Alseas ist der weltweit einzigartige Spezialist für den Bau von Unterseepipelines.  [4]

Russlands Aussenminister Sergej Lawrow hatte in Bezug auf die Sanktionen der USA gegen Nord Stream 2 bereits Ende Dezember Gegenmassnahmen angekündigt. Die Gasleitung, so Lawrow, wird ungeachtet der US-Sanktionen fertiggestellt. Wir werden auf die Sanktionen reagieren, aber auf eine Weise, die uns selbst keinen Schaden zufügt. Aber darauf reagieren werden wir auf jeden Fall. »Ich hätte niemals gedacht«, betonte Lawrow ferner, »dass Politiker so weit gehen können, Entscheidungen zu treffen, die eines seriösen Politikers nicht würdig sind«.  [5]    

Man darf gespannt sein, wie sich die BRD in diesem Fall herauswinden wird. Es stellt sich auch die Frage, wie sich das von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Mitte Juni 2019 bei einer Versammlung der Atlantik-Brücke abgegebene Bekenntnis zu den USA und den gemeinsamen Werten mit einer Knebelung, wie sie die USA durch ihre Sanktionen zeitigt, vereinbaren lässt.  [6]

Man könnte durchaus folgern, dass sich das Verhängen von Sanktionen zu einer ansteckenden Praxis entwickelt hat. So hat Grossbritannien, offensichtlich weitgehend unkommentiert, am 6. Juli neue Wirtschaftssanktionen gegen   Einzelpersonen und Organisationen in Saudi-Arabien, Russland, Myanmar und Nordkorea angekündigt, wie dies der in Brooklyn beheimatete US-Journalist Dave DeCamp soeben berichtete. Zwar hat Grossbritannien als Teil der Europäischen Union schon zuvor Sanktionen verhängt, aber es ist jetzt das erste Mal, dass dieser Schritt des Vereinigten Königreichs unabhängig erfolgen soll, da das Land Anfang dieses Jahres formell aus der EU ausgetreten ist. Die Sanktionen sind nach dem Vorbild des Magnitsky-Gesetzes der USA gestaltet. Dieses gibt Washington die Befugnis, wirtschaftliche Vermögenswerte von Einzelpersonen und Gruppen, die es der Verletzung der Menschenrechte beschuldigt, einzufrieren. Der Akzent liegt hier offenbar auf Beschuldigung und nicht etwa darauf, diese zunächst in einem ordentlichen Verfahren zu beweisen.

Englands Sanktionen richten sich gegen 25 russische Staatsangehörige, die angeblich am Tod von Sergej Magnitzkij, einem Steueranwalt, der 2009 in einem russischen Gefängnis starb, beteiligt waren. Zwanzig saudische Beamte, die beschuldigt werden, am Tod des Journalisten Jamal Khashoggi beteiligt gewesen zu sein, sind ebenfalls Ziel der neuen Sanktionen, zusammen mit zwei hochrangigen Militärbeamten aus Myanmar, die der systematischen Gewalt und Brutalität gegen Rohingya-Muslime beschuldigt werden; ferner zwei nordkoreanischen Unternehmen, denen vorgeworfen wird, Gefangenenlager zu betreiben. »Sie können keinen Fuß in dieses Land setzen, und wir werden ihre blutgetränkten, unrechtmäßig erworbenen Gewinne beschlagnahmen, wenn sie es versuchen«, sagte der britische Aussenminister Dominic Raab, als er die Sanktionen ankündigte. »Dies ist eine Demonstration des Engagements von Global Britain, als eine Kraft des Guten in der Welt zu wirken«. Das mit diesem winzigen Tropfen auf den heissen Stein zu erzielende Gute wird durch die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen, wie sie infolge der durch die USA und die EU in Kraft getretenen Sanktionen unverändert bestehen, weder wettmachen, noch die weitere Verhängung solcher Massnahmen beeinflussen resp. verhindern können.

Das Statement von US-Aussenminister Mike Pompeo, der das Vereinigte Königreich für die Einführung der neuen Sanktionen lobt, liest sich wie folgt: »Das britische System der globalen Menschenrechtssanktionen wird Großbritannien ein mächtiges neues wirtschaftliches Instrument an die Hand geben, um die Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen auf globaler Ebene zu fördern. Die neuen Befugnisse Großbritanniens werden die Bemühungen der Vereinigten Staaten und Kanadas ergänzen und unsere Fähigkeit zum gemeinsamen Handeln weiter verbessern«.  

Eine Verbesserung gerade des Handelns auf US-Seite ergäbe sich bezüglich der von Pompeo zitierten Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen zunächst einmal dann, wenn die unter Präsident George W. Bush 2002 erfolgte kategortische Ablehnung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag aufgehoben würde, so dass internationale Klagen gegen dem US-Militär resp. den CIA-Agenten anzulastende Straftaten ermöglicht würden. Insofern kann man Pompeos Stellungnahme nur belächeln.

 

[1]  Quelle: 
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8329/    9. 7. 20
Aus der Folterkammer des Wirtschaftskriegs
[2] 
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/nordstream-2-schroeder-fuer-schmerzliche-gegenreaktionen-gegen-usa-16841490.html    1. 7. 20
[3]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8319/
30. 6. 20   Transatlantische Konflikte (II)
[4]  https://www.bazonline.ch/ausland/standard/trump-erlaesst-sanktionen-gegen-schweizer-firma/story/23411188  21. 12. 19
[5]  https://de.sputniknews.com/wirtschaft/20191222326272073--moskau-verspricht-antwort-auf-nord-stream-2-sanktionen/     22. 12. 19
[6]  https://deutsch.rt.com/inland/89123-kramp-karrenbauer-bei-atlantik-brucke/  12. 6. 19
[6]  http://antikrieg.com/aktuell/2020_07_07_grossbritannien.htm   7. 7. 20
Großbritannien kündigt erste Sanktionen gegen Russen, Saudis und andere an – Von Dave DeCamp