Bundesverfassungsgericht gegen Gerichtshof 17.05.2020 20:58
d.a. Bekanntlich hat sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erstmals
gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union mit Sitz in Luxemburg, gestellt, indem es die milliardenschweren Staatsanleihenkäufe der EZB beanstandet und als teilweise verfassungswidrig eingestuft hat. Mit seinem Urteil hat Karlsruhe der Bundesbank die Teilnahme an einem älteren EZB-Aufkaufprogramm für Anleihen untersagt, sofern die EU-Notenbank die politischen Forderungen des Bundesverfassungsgerichts nach einem »verhältnismäßigen« Vorgehen bei ihren Anleihekäufen nicht erfüllt. Der EuGH selbst war Ende 2018 in einer Entscheidung
zu dem Ergebnis gelangt, dass die Käufe nicht gegen EU-Recht verstoßen und hatte
damit die Rechtmäßigkeit des Programms bestätigt.
Nun
wird der Luxemburger Gerichtshof im allgemeinen als Garant für Ordnung und
Rechtstaatlichkeit bezeichnet, als oberste juristische Instanz der EU macht er aber
jeweils auch eine eigenwillige Politik. Fakt ist, dass sich der EuGH über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu
den EZB-Anleihekäufen verärgert geäußert hat und das deutsche Gericht als nicht
zuständig ansieht. Nur ein europäisches Gericht sei befugt, Rechtsverstöße
eines EU-Organs festzustellen, heißt es in einer Stellungnahme; Meinungsverschiedenheiten
unter Gerichten könnten das Justizsystem der EU gefährden. Wie aus Brüssel verlautete,
sei es eine Unverfrorenheit, dass ein nationales Höchstgericht ein Urteil des
Europäischen Gerichtshofs als ›objektiv
willkürlich und methodisch nicht vertretbar‹
anklage. [1]
Ein paar Tage hatte sich die EU-Kommission Zeit
gelassen, um das Urteil aus Karlsruhe, das sich über die Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs hinwegsetzt, zu verdauen. Umso deutlicher fiel die
Reaktion aus. Die für Rechtsstaatlichkeit verantwortliche Vizepräsidentin Vera
Jourova stellte klar, dass die Kommission für Deutschland keine Extrawurst
braten wird. Der Vorrang des europäischen Rechts vor nationalem Recht gelte für
alle Mitgliedstaaten. [2]
Wie
›German Foreign Policy‹ hierzu festhält, »weigert sich die EZB
bislang, der Forderung der Karlsruher Richter nachzukommen und ihre Geldpolitik
zu modifizieren. Tatsächlich, heißt es, gefährdet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
nicht nur die politische Stabilität der Union, es stellt letztlich auch die Durchführung
der EU-Konjunkturmaßnahmen in Frage, die die Kommission im Kampf gegen die
anschwellende Coronakrise plant und die der anschwellenden Wirtschaftskrise
entgegenwirken könnten«. »Parallel
zu dem beispiellosen Wirtschaftseinbruch«, so ›GFP‹ ferner, »zeichnet
sich um die Geldpolitik der Europäischen Union, die vom Bundesverfassungsgericht
unter Beschuß genommen worden ist, indem dieses die Praxis der EZB, mit ihren
Anleihekäufen die Zinslast der südlichen Euroländer zu senken, für verfassungswidrig
erklärt und zugleich das anderslautende Urteil des Europäischen Gerichtshofs als
›willkürlich‹ verworfen hat, eine Eskalation der Auseinandersetzungen ab. Karlsruhe
hat damit de facto den Rechtsgrundsatz der EU ausgehebelt, dass europäisches
Recht Anwendungsvorrang vor nationalem Recht genießt«. [3]
In ihrem Urteil sind die Karlsruher Richter zu der Auffassung gelangt, dass bei
der Gutheißung des Vorgehens der EZB der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
verletzt worden sei. »In der Union«, schreibt
hierzu der Leiter der Parlamentsredaktion in Berlin, Eckart Lohse, »die
sich gerne als Hüterin der europäischen Werte darstellt, war allen schnell
klar, dass es ein schwieriges Signal ist, wenn das höchste Gericht des größten
Mitgliedstaates derart offen die Entscheidung des obersten europäischen
Gerichts in Zweifel zieht«. [4]
Zu
dem von der EU-Kommission angekündigten Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland - ein solches hatte Frau von der Leyen unmittelbar
nach dem Karlsruher Urteilsspruch angekündigt, indem sie betonte, dass die
Währungspolitik ausschließlich in die Zuständigkeit der EU fiele, EU-Recht
Vorrang vor nationalem Recht habe und Urteile des EuGH für alle nationalen
Gerichte bindend seien - liest man in
dem Bericht von ›GFP‹:
»Vor allem
konservative deutsche Kommentatoren, Politiker und Juristen warnen freilich
nachdrücklich vor Rechtsschritten. Die EU-Kommission solle es ›nicht zum Äußersten treiben‹, heißt es etwa; ein Vertragsverletzungsverfahren
werde von Berlin als ›eine Art
Atomschlag‹ angesehen, bei dem ›alle Beteiligten großen Schaden‹ davontrügen. CDU-Europaabgeordnete
stufen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gar als ›Fundament für eine neue Rechtskultur‹ in Europa ein. Die Richter
des Bundesverfassungsgerichts haben ihr Urteil in Zeitungsinterviews als ›zwingend‹ bezeichnet und den Vorrang des Europarechts abermals in Zweifel
gezogen; jegliche rechtlichen Schritte Brüssels gegen den Karlsruher
Urteilsspruch würden Europa ›bedrohen
und schwächen‹«.
Kritik und Verteidigung
Der
Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, stellte
sich scharf gegen das Urteil aus Karlsruhe: »Das ist das erste Mal, dass ich eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für fatal halte«. Er
scheint die Hoffnung der Kanzlerin, dass der Konflikt mit ruhigem Vorgehen
gelöst werden kann, nicht zu teilen. Seiner Meinung nach führen die Karlsruher
Richter »Deutschland
in einen Konflikt mit der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Union,
der nicht lösbar ist«. Als Außen- und Europapolitiker sorgt sich Röttgen, dass sich EU-kritische Länder auf das Urteil aus Deutschland berufen könnten. »Bezeichnenderweise
kam ein Glückwunsch von der nationalkonservativen Regierung in Polen.«
[4] Die europäische und
internationale Resonanz sei verheerend, erklärte Röttgen ferner der ›Passauer Neuen Presse‹. »Das
Gebot der Stunde muß jetzt Schadensbegrenzung lauten«. Es sei mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der EuGH in der
Karlsruher Entscheidung eine Vertragsverletzung Deutschlands sehen würde. »Und
dann? Es wäre ein weiterer Schritt in die Sackgasse, die das Bundesverfassungsgericht
eröffnet hat«.
Er setze darauf, »dass
das Bundesverfassungsgericht durch die äußerst kritische Rezeption und
Diskussion dieser Entscheidung merkt, was es verursacht hat, und diesen Fehler
in Zukunft nicht wiederholt«. In jeder
Rechtsordnung müsse es eine Autorität geben, die das letzte Wort habe, erklärte
Röttgen. »Für
die Auslegung des europäischen Rechts kann das nur der EuGH sein«. [3]
Der
ehemalige Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag - und wie Röttgen einer der Anwärter auf den
CDU-Vorsitz mit festem Blick aufs Kanzleramt -
Friedrich Merz, hat das umstrittene Karlsruher Urteil zur Europäischen
Zentralbank verteidigt und Kommissionspräsidentin von der Leyen für ihre
Reaktion auf den Karlsruher Richterspruch kritisiert. »Der
Satz aus der EU-Kommission, dass nämlich europäisches Recht immer Vorrang vor
nationalem Recht hat, ist in dieser apodiktischen Form einfach unzutreffend«,
sagte Merz den Zeitungen der Funke Mediengruppe. An seine Seite stellte sich Carsten
Linnemann; er finde es ›plausibel‹, dass die EZB für ihr Vorgehen eine
tiefer gehende Begründung liefern müsse.
[4]
Solange
die Mitgliedstaaten die wesentlichen Träger des europäischen Staatenverbundes
seien, hätten die nationalen Verfassungsgerichte das Recht und
die Pflicht, »das
Handeln der Organe und Institutionen ihres jeweiligen Mitgliedstaates an den
Maßstäben des nationalen Verfassungsrechts zu überprüfen«,
sagte Merz. Dazu gehöre auch deren Handeln im Rahmen der europäischen
Institutionen. Merz erklärte, »dass der Konflikt
zwischen Verfassungsgericht und EuGH viel tiefer reiche, als es auf den ersten
Blick scheine. »Es
geht um die Frage, ob der Europäische Gerichtshof auch dort ein
Letztentscheidungsrecht hat, wo Kompetenzen nur gemeinsam von europäischen und
nationalen Institutionen der Mitgliedstaaten ausgeübt werden können«. Dies
sei in der Währungspolitik der Fall. »Denn es gibt mit den
Notenbanken der Mitgliedstaaten ja gerade diese nationalen Institutionen, die
an europäisches Recht und an das Recht ihrer Herkunftsländer gebunden sind«,
sagte Merz. Die Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts wäge dies sorgfältig
ab. »Sie
bindet nicht die EZB als Ganzes, sehr wohl aber die Deutsche Bundesbank als
Teil des Systems der Europäischen Zentralbanken«. [5]
Der
Verfassungsrichter Peter M. Huber erklärte hinsichtlich der
Reaktion der Europäischen Zentralbank auf das Karlsruher Urteil: »Ich habe natürlich mit Kritik gerechnet. Was mich
erstaunt, ist die Einseitigkeit und der eifernde Ton, der hier von manchen
angeschlagen wird. Klar ist doch, dass der Europäische Gerichtshof zwar seit 50
Jahren einen schrankenlosen Vorrang des Europarechts reklamiert, fast alle
nationalen Verfassungs- und Höchstgerichte dem jedoch genauso lange
widersprochen haben. Solange wir nicht in einem europäischen Staat leben, richtet
sich die Mitgliedschaft eines Landes nach seinem Verfassungsrecht. Dieses muss
zwar offen sein für den Anwendungsvorrang des Europarechts, kann aber auch
Grenzen vorsehen, wie das bei uns in Art. 23 des Grundgesetzes der Fall ist. Im
Übrigen haben, was die Empörung noch fragwürdiger macht, andere Gerichte, wie
das oberste Gericht Dänemarks oder das Tschechiche Verfassungsgericht,
Entscheidungen des EuGH schon für ›ultra vires‹, also offensichtlich für
kompetenzwidrig gehalten. Das alles lassen Kritiker einfach unter den Tisch
fallen«. [6]
Andreas
Voßkuhle, der scheidende Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat das
Urteil zum Anleiheprogramm der EZB gerechtfertigt und seine globalistischen
Feinde wegen ihrer ungesetzlichen Absichten frontal angegriffen. So hat Voßkuhle
die Kritik an dem Urteil seines Gerichts zu den Anleihekäufen der Europäischen
Zentralbank in einem Interview mit der ›Zeit‹ zurückgewiesen. »Wir
sind der festen Überzeugung, dass diese Entscheidung für Europa eine gute
Entscheidung ist, weil sie die Bindung an das Recht stärkt. Das wird sich
mittelfristig und langfristig zeigen«. Ferner: »Wir
sehen, dass unser Urteil viele bedrückt, und das freut uns nicht. Aber wir sind
Gesetz und Recht verpflichtet«.
Voßkuhle widersprach der Auffassung, der Europäische Gerichtshof müsse in
Fragen des Europarechts immer das letzte Wort haben. »Nach
unserer gefestigten Rechtsprechung und der Rechtsprechung vieler andere
Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten der EU sind die Verfassungsgerichte
legitimiert und verpflichtet, in seltenen Ausnahmefällen bei besonders
gravierenden Kompetenzverletzungen der europäischen Institutionen einzuschreiten«. Voßkuhle
wollte auch keinen Autoritätsverlust des Europäischen Gerichtshofs erkennen: Es
sei »völlig
alltäglich, dass Gerichte nicht einer Meinung sind«,
erklärt er. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts sei »ein
Beitrag zum Dialog«, sagt Voßkuhle. »Einige
Formulierungen darin, das Wort ›willkürlich‹
etwa, mögen dem Laien schroff erscheinen, Juristen wissen sie richtig
einzuschätzen«.
Er wies auch die Kritik zurück, von dem jüngsten Urteil könnten sich die
Regierungen in Polen und Ungarn in ihrem Streit um die Rechtsstaatlichkeit
bestärkt fühlen. »Die
Polen tun, was sie tun, unabhängig davon, was wir tun«,
sagt Voßkuhle. Das deutsche Verfassungsgericht dürfe sich nicht daran orientieren,
»wie
polnische oder sonstige Politiker möglicherweise auf eine Entscheidung
reagieren könnten«. [7]
Zur
Reaktion der Kommissionspräsidentin heißt es bei der AfD:
»Wir
müssen unser Grundgesetz vor der EU schützen. Es kann nicht sein, dass unser
Bundesverfassungsgericht von Brüssel entmachtet wird. Unsere Verfassung, unsere
Demokratie und unsere Rechte müssen vor einer nur noch sich selbst kontrollierenden,
hemmungslosen EU-Allmacht geschützt werden. Merkels EU-Phantasien zielen auf
eine Schwächung Deutschlands ab und sollen durch von der Leyen umgesetzt
werden. Die EU-Kommissionspräsidentin mißbraucht ihr
Amt, wenn sie die Bundesregierung auffordert, das BVerfG zu ignorieren und
damit den Verfassungsbruch verlangt. Von der Leyens Angriff auf das
Bundesverfassungsgericht zeigt einmal mehr: Diese EU in der jetzigen Form
widerspricht deutschen Interessen und muß an Kopf und Gliedern reformiert werden.
Als AfD-Fraktion fordern wir mehr Rechte für den Nationalstaat und eine
Beschränkung der EU und ihrer Organe, insbesondere von EZB und EuGH«.
»Frau
von der Leyens Einlassung«, so Peter Boehringer,
»ist
ein mehrfacher Skandal: Sie stellt sich als Vertreterin eines Exekutivorgans
des Nichtstaats EU gegen das höchste deutsche Gericht des größten
Haftungsstaats des Euro-Systems. Zudem bezieht sie offenkundig ohne
inhaltliches Wissen Stellung gegen die in Deutschland seit 10 Jahren stehende
Rechtsprechung des Bundesver-fassungsgerichts,
alle Euro-Urteile des EuGH auf Kompetenzüberschreitung der europäischen Organe
hin zu prüfen [ultra
vires-Prüfung]
und sich gegebenenfalls Maßnahmen dagegen vorzubehalten, was mit dem Urteil vom
5. Mai 2020 nun erstmals geschehen ist. Diese Ignoranz geltenden
Verfassungsrechts durch die EU-Kommissionpräsidentin ist sogar noch skandalöser
als die Tatsache, dass die Gerichtsschelte gegen das oberste deutsche Gericht
ausgerechnet durch eine Deutsche erfolgte.
Haushalterisch geht es angesichts der vom Urteil umfaßten gigantischen
Größenordnungen der Anleihekäufe der EZB um alles: Die laufenden billionenschweren
Kauf-Programme der EZB sind eindeutig nicht nur unverhältnismäßig im Sinne des
Urteils, sondern stellen auch eine unzulässige monetäre Staatsfinanzierung dar.
Die Aufregung in der EU-Kommission und in linksgrünen Kreisen liegt genau
hierin begründet: Karlsruhe hat mit dem überfälligen Urteil erstmals
höchstrichterlich festgestellt, welche Kriterien zu monetärer Staatsfinanzierung
führen und dass die jahrelange Rabulistik des EuGH um diese Frage im Rahmen der
EU-Verträge nun ›nicht mehr
nachvollziehbar‹ sei, so dass der
Freibrief zur Rettung des Euros, ›Koste
es was es wolle‹,
nun endlich zerrissen wurde. Die AfD-Fraktion wird im Falle der Fortführung
der als illegal erkannten Programme auf Kosten vieler künftiger deutscher
Haushalte eigene Klagen prüfen«. [8]
Nationalstaaten
entscheiden
Der
vormalige Bundesverfassungsrichter Hans Hugo Klein hat das EZB-Urteil des
Verfassungsgerichts verteidigt. Die Entscheidung der Karlsruher Richter
»liegt
voll auf den Linien des Maastricht-Urteils«“,
sagte Klein am Donnerstag, 14. 5., der ›Rheinischen Post‹. Der Jurist war 1993 als Richter am sogenannten Maastricht-Urteil
des Bundesverfassungsgerichts beteiligt, das als Grundlage für die aktuelle
Entscheidung über das Anleihekaufprogramm der EZB diente. Damals hieß es,
Karlsruhe werde EU-Rechtsakte nur dann beanstanden, wenn diese ihre Kompetenzen
überschreiten. Bezüglich der von dem EU-Parlamentsabgeordneten Sven Giegold
(Grüne) an die EU-Kommissionschefin von der Leyen ergangene Aufforderung, ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten, erklärte Klein,
dass er für eine solche Position kein Verständnis zeigt. »Nicht
nur der Europäische Gerichtshof, auch eine Reihe deutscher Politiker gibt sich
der Illusion hin, dass die EU ist, was sie früher werden sollte, ›ein Staat‹, verdeutlichte der Jurist. ›Die
EU ist aber kein Staat‹. Die Herren
der Verträge seien weiterhin die Mitgliedstaaten. Die Kritik an dem Urteil läge
an der ‹Lebenslüge der EU‹. Der Staatenverbund glaube, über den
Verträgen zu stehen«. [9]
»Die
Europäische Zentralbank«, erklärt der Ökonom und Politiker Prof. Joachim
Starbatty, »bürgt
für Schulden einzelner Staaten, ohne sich um die Konsequenzen zu bemühen. Diese
Liquiditätsschwemme hat das Bundesverfassungsgericht nun aufgedeckt«.
Das sei
ein großer Erfolg, denn künftig könne die EZB nicht mehr einfach schalten und
walten, wie sie wolle. Dies sei besonders in Zeiten der Corona-Krise wichtig,
in denen die EU-Kommission bereits die nächsten milliardenschwere Stützungsmaßnahmen
plane. [10]
Die Bundeskanzlerin
Am
Montag, den 11. Mai, hatte es seitens der Bundesregierung noch Bemühungen um
eine Beruhigung des Konflikts und um eine möglichst pragmatische Beilegung gegeben.
In der Sitzung des CDU-Präsidiums hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich
gemacht, dass schon eine Erläuterung der Anleihekäufe durch die EZB als Reaktion auf
den Urteilsspruch der Karlsruher Richter weiterführen könne. Hierzu auch die
Stellungnahme des Regierungssprechers Steffen Seibert: »Es
gilt nach wie vor, dass der Europäische Gerichtshof der sogenannte Hüter der
europäischen Verträge ist«. Das habe das
Bundesverfassungsgericht »nach unserer
Auffassung«
nicht angezweifelt, sagte Seibert. Es habe lediglich gemahnt, in diesem Fall
eine sorgfältige Abwägung und Begründung vorzunehmen. »Den
grundsätzlichen Auslegungsvorrang des Europäischen Gerichtshofs zweifelt das
Bundesverfassungsgericht nach unserer Analyse des Urteils also nicht an«. [4]
In
Reaktion auf die Angriffe konservativer und EU-skeptischer Kräfte innerhalb der
deutschen Funktionseliten ging die Bundeskanzlerin dann jedoch am 13. Mai an die
Öffentlichkeit, um in einer Grundsatzerklärung den EZB-Anleihekäufen ›demonstrativ
den Rücken‹ zu stärken. Dabei verwies Merkel auf
die globalen Ambitionen der EU, die nur realisiert werden könnten, wenn der
Euro ›international mehr Gewicht‹ erhalte. Zudem stellte die Kanzlerin
eine stärkere wirtschaftspolitische Koordination der Eurozone in Aussicht, um
die EZB zu entlasten; Konjunkturpolitik solle durch Konjunkturprogramme realisiert
werden und nicht durch Anleihekäufe der Notenbank. Zu den Instrumenten einer
kraftvolleren EU-Wirtschaftspolitik solle auch der bereits erwähnte Wiederaufbaufonds
der EU-Kommission zählen, der freilich durch das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts bedroht sei. [3]
Laut
›GFP‹ verweigert sich die EZB der Karlsruher Entscheidung und hat daher
angekündigt, an ihrer expansiven Geldpolitik weiterhin festhalten zu wollen.
Zudem hat sie ihre Anleihekäufe inzwischen erheblich auf einen neuen täglichen
Höchstwert von durchschnittlich 6,8 Milliarden € ausgeweitet. [3]
Wie ›mmnews‹ am
16. 5. berichtet hat, ignoriert EZB-Chefin Christine Lagarde »frech das deutsche
Bundesverfassungsgericht, dies auf Druck von Italien und Frankreich, und geht
offen auf Konfrontationskurs«. Die EZB will über das
jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinweggehen; man wolle es der
Bundesbank überlassen, die Öffentlichkeit und politische Institutionen in
Deutschland besser über ihre Beschlüsse zu informieren, wie das der ›Spiegel‹ unter Berufung auf Notenbankkreise berichtet hat. Zunächst habe
EZB-Chefin Christine Lagarde noch vorgehabt, dem Bundesverfassungsgericht
entgegenzukommen, doch unter dem Druck der Vertreter Italiens und Frankreichs
sei sie auf einen konfrontativen Kurs eingeschwenkt, so auch der ›Spiegel‹ des weiteren. Das
Bundesverfassungsgericht habe der EZB mangels Zuständigkeit nichts zu sagen,
argumentiere sie; die Notenbank sei einzig dem Europäischen Gerichtshof
unterworfen. Wie Ursula von der Leyen ihrerseits dem ›Spiegel‹ gegenüber
erklärte, »gehe es darum, dass wir nun in einen Dialog kommen, wie wir
sicherstellen, dass von diesem Urteil mit Blick auf den Vorrang europäischen
Rechts und europäischer Gerichtsbarkeit keine falschen Signale ausgehen«. [11]
George
Soros -
immer mit im Spiel
Der US-Milliardär und
Strippenzieher diverser NGOs und supranationaler Organisationen hat sich über
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Unverhältnismäßigkeit der Staatsanleihenkäufe
durch die Europäische Zentralbank empört, denn alles, was in Richtung nationale
Eigenständigkeit und Souveränität einzelner Länder geht, ist dem globalen
Netzwerker ein Dorn im Auge – er bangt um seinen Einfluß. Die Destabilisierung nationalstaatlicher
Souveränität und die Machtverlagerung hin zu internationalen Entscheidern ist
die Hauptagenda des umstrittenen Unternehmers, der mit seinen ›Open
Society Foundations‹ aus diesem Grund auch die globale
Migration fördert und die politische Regulierung in die Hände überstaatlicher Gremien
und Organisationen legen möchte.
Ob UNO - oder, niederschwelliger: Europäische Union - auf diese bürokratischen
Schaltzentren läßt sich für finanzstarke Politlobbyisten,
die sich als Philanthropen und visionäre Idealisten verkaufen, viel leichter Einfluß nehmen als auf einzelne Regierungen. Also
schimpft Soros, nach seiner Logik folgerichtig, über das Karlsruher Urteil und
nennt es ›eine politische Bombe, die die ganze EU zerfetzen kann‹.
Die ›Spaltung Europas‹ durch die verfassungsrechtlichen Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des Ankaufs von Staatsanleihen durch die Europäische
Zentralbank birgt das Risiko einer Stärkung eigenstaatlicher Tendenzen und Vorbehalte,
dies zulasten der Brüsseler Zentralmacht.
Durch
das Urteil, so Soros laut der ›Augsburger
Allgemeinen‹, sei »ein
offener Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen
Gerichtshof entstanden, der in der Frage kulminiere, wer eigentlich ›das Sagen‹ hat«.
In Wahrheit will natürlich er, der 89-jährige Puppenspieler mit globalen
Allmachtsphantasien, das Sagen haben. [12]
Die
Konsequenzen des Karlsruher Urteils haben es in sich. Es gilt eine
Übergangsfrist von drei Monaten. Bis dahin muß die EZB in einem neuen Beschluß
in nachvollziehbarer Weise deutlich machen, dass das Kaufprogramm trotz aller
Bedenken verhältnismäßig ist. Wenn nicht, darf die Bundesbank bei dem Kaufprogramm
nicht mehr mitmachen.
d.auerbach@gmx.ch
[1] https://www.swr.de/swraktuell/eugh-urteil-100.html 8. 5. 20 resp. https://www.br.de/nachrichten/meldungen/nachrichten-bayerischer-rundfunk100.html#n3 12. 5. 20
[2] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/bruesseler-reaktion-auf-karlsruhe-keine-extrawurst-16763151.html 10. 5. 20
Thomas Gutschker
[3] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8267/ 15. 5. 20
»Eine
Beleidigung zu viel«
[4] https://www.faz.net/2.1652/in-der-union-ist-streit-ueber-das-ezb-urteil-ausgebrochen-16766865.html 12. 5.
20 Eckart Lohse Streit
über EZB-Urteil: Was Merz plausibel erscheint, findet Röttgen ›fatal‹
[5] https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.kritik-an-von-der-leyen-merz-verteidigt-umstrittenes-karlsruher-ezb-urteil.afedbc67-a511-434a-b914-441ade96a40f.html 12. 5. 20 Kritik an Von der Leyen - Merz verteidigt umstrittenes Karlsruher EZB-Urteil
[6] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/peter-huber-im-gespraech-das-ezb-urteil-war-zwingend-16766682.html 12. 6. 20
»Das
EZB-Urteil war zwingend«– Reinhard Müller
[7] https://www.n-tv.de/politik/Vosskuhle-verteidigt-Karlsruher-EZB-Urteil-article21778548.html 13. 5. 20
»Recht
und Gesetz verpflichtet« - Voßkuhle verteidigt Karlsruher
EZB-Urteil
[8] https://www.afdbundestag.de/beatrix-von-storch-peter-boehringer-von-der-leyen-ruft-zum-verfassungsbruch-auf 11. 5. 20
[9] https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2020/nationalstaaten-entscheiden-ex-verfassungsrichter-verteidigt-ezb-urteil/ 14. 5. 20 EU-Staat
ist ›Illusion« - Nationalstaaten
entscheiden: Ex-Verfassungsrichter verteidigt EZB-Urteil
[10] https://jungefreiheit.de/wirtschaft/2020/grenzen-fuer-die-ezb/ JF-TV
Interview mit Joachim Starbatty »Grenzen für die EZB!«
[11] https://www.mmnews.de/wirtschaft/144724-bricht-erst-der-euro-und-dann-die-eu 16.
5. 20 Bricht erst der Euro und dann die EU?
[12] https://www.journalistenwatch.com/2020/05/13/nach-karlsruher-urteil/
13. 5. 20
Nach Karlsruher Urteil: Soros fürchtet um seinen Einfluss auf Brüssels
Eurokraten
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