Blick auf Bolivien 27.10.2019 19:55
In Bolivien erhebt sich massiver Protest gegen ein Joint Venture
mit
deutscher Beteiligung zur Gewinnung von Lithium für E-Auto-Batterien. Das Gemeinschaftsunternehmen,
an dem der deutsche Mittelständler ›ACISA‹ beteiligt ist, sieht sich mit dem
Vorwurf konfrontiert, die Gemeinden rund um die Lithium-Lagerstätten im
bolivianischen Hochland unter Bruch bolivianischer Gesetze nicht an den
Exporterlösen zu beteiligen. Auch
wachsen die Zweifel daran, ob das ›Joint
Venture Yacimientos de Litio Bolivianos‹ (›YLB ACISA E.M.‹) tatsächlich eine
komplette Lithium-Wertschöpfungskette bis hin zur fertigen Autobatterie in
Bolivien aufbaut; dies hatte die Regierung von Präsident Evo Morales
ursprünglich gefordert. Zusätzlich nähren Ansprüche des deutschen
Projektpartners auf Patentrechte und auf die Kontrolle der Finanzströme
wachsendes Misstrauen gegenüber dem mittelständischen Betrieb aus
Baden-Württemberg, der sich bei der Ausschreibung - mit massiver Unterstützung
der bundesdeutschen Politik - gegen Konsortien aus China, Russland und den USA
durchsetzen können hatte.
Straßenblockaden
und Hungerstreiks
Das
deutsch-bolivianische Projekt zum Abbau von Lithium stößt auf Widerstand. In
der Stadt Potosí nahe des Salzsees von Uyuni im bolivianischen Hochland, der
eines der größten Lithium-Reservoirs der Welt birgt, kommt es gegenwärtig zu
großen Demonstrationen und Straßenblockaden. Einige Aktivisten gingen sogar in
den Hungerstreik. »Heute ist Potosí wieder auf der
Straße, um für die natürlichen Ressourcen unseres Bundesstaates und unseres
Landes zu kämpfen«,
erklärte kürzlich Marco Pumari vom Bürgerkomitee Comcipo. [1] Die Demonstranten fordern den
bolivianischen Präsidenten Evo Morales auf, den Joint Venture-Vertrag zwischen
dem bolivianischen Staatsunternehmen ›YLB‹ und der deutschen Firma ›ACISA‹ (›ACI Systems Alemania‹), einer Dependance des Unternehmens ›ACI‹ aus Rottweil, zu annullieren. Nicht wenige nutzten die Kundgebungen
im Vorfeld der Wahl allerdings auch dazu, generell ihrer Ablehnung gegenüber
der sozialistischen Regierung Ausdruck zu verleihen.
Konkret
richten sich die Proteste gegen die Weigerung des Gemeinschaftsunternehmens ›YLB ACISA E.M.‹, an die umliegenden Gemeinden 3 % der Exporterlöse abzuführen, wie
dies in Artikel 2.27 des Bergbaugesetzes vorgesehen ist. Das Joint Venture, an
dem ›YLB‹ 51 % und ›ACISA‹ 49 % der Anteile halten,
will weit weniger zahlen. Das Lithium sei kein Rohprodukt mehr, sondern schon
weiterverarbeitet; es falle deshalb nicht unter den Artikel 2.27, argumentiert ›YLB ACISA E.M.‹. Die deutsche ›ACISA‹ sieht ohnehin nur ihren
südamerikanischen Partner in der Pflicht: »In
welchem Umfang der bolivianische Staat die Bevölkerung an den Gewinnen
beteiligt, ist uns nicht bekannt. ›ACISA‹ hat darauf auch keinen Einfluss«. [2]
China
im Hintertreffen
Bei der
Ausschreibung zum Abbau des Rohstoffs, der vor allem für die Herstellung von
Batterien für E-Autos von Bedeutung ist, hatte sich der mittelständische
Betrieb aus Baden-Württemberg im April 2018 gegen Konsortien aus China,
Russland, den USA und anderen Ländern durchgesetzt. »Die
Chinesen waren total überrascht«, äußerte ein Firmenvertreter: »Wenn
die sich das gesichert hätten, würden sie 75 % des Lithium-Weltmarktes
kontrollieren!«
[3] Nun allerdings erhält die deutsche ›ACI‹ über ›ACISA‹ langfristig Zugang zu dem als ›weißes Gold‹
bezeichneten Rohstoff. Der Vertrag hat eine Laufzeit von 70 Jahren.
Konzertierte
Aktion
Die
Bundesregierung hat das Vorhaben tatkräftig unterstützt: Die deutsche Botschaft
in Bolivien, das Bundeswirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt setzten
sich für ›ACISA‹ ein. Die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Thüringen
entfalteten ebenfalls rege Aktivitäten. Bundeswirtschaftsminister Peter
Altmaier telefonierte in der Sache sogar persönlich mit Präsident Morales. »Wir
brauchen in Europa dringend Lithium, um unsere Elektro-Mobilität nach vorne zu
bringen«, erklärte der Thüringens
Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee
im Herbst vergangenen Jahres in La Paz bei der Unterzeichnung der
Absichtserklärung zwischen ›ACI‹ und ›YLB‹. [4] Der
eigentliche Vertragsabschluß fand Mitte Dezember 2018 in Berlin statt. An dem
Festakt in der Landesvertretung Baden-Württembergs nahmen unter anderem
Bundeswirtschaftsminister Altmaier, der bolivianische Außenminister Diego Pary
und der bolivianische Energieminister Rafael Alarcón teil. ›ACI‹ wurde zudem laut
eigenen Angaben von einem ›Netzwerk
interner und externer Experten, Unternehmen und Institutionen wie
beispielsweise K-UTEC Salt Technologies, Fraunhofer-Gesellschaft und VDMA
(Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer)‹ unterstützt. [5]
Eine
Chance für Bolivien?
»Deutschland sichert sich Zugriff
auf weltgrößte Reserven«, hieß es zum Abschluß des Deals
triumphierend in der deutschen Wirtschaftspresse. [6] Die
Deutsche Rohstoff-Agentur (DERA) lobte: »Das Lithium-Oligopol könnte einen
Wettbewerber bekommen«.
[7] Zudem wollte die DERA »eine
Chance für Bolivien« erkennen, da das Joint Venture
vorhat, sich nicht nur auf den Rohstoffabbau zu beschränken; es plant vielmehr - jedenfalls offiziell - auch den Aufbau einer kompletten
Wertschöpfungskette in dem Andenstaat. Diese soll laut ›ACISA‹ »vom
Rohmaterial Lithiumhydroxyd bis hin zu Kathoden-Material und Produktionsanlagen für Batterie-Systeme«
reichen. [8]
»Wieder nur Rohstoff-Lieferant«
Damit
erfüllt ›ACISA‹ Forderungen der Regierung unter Präsident Morales, die nicht nur
den Abbau, sondern auch die lukrative Verarbeitung von Rohstoffen im Land halten
möchte; sie zieht damit die Lehren aus der Politik ihrer konservativen
Vorgänger, die den rücksichtslosen Ausverkauf der Reichtümer des Landes
betrieben hatten. Allerdings kommt der versprochene Aufbau einer nennenswerten
Rohstoffverarbeitung trotz wiederholter verbaler Bekenntnisse in der Praxis
nicht voran. ›ACISA‹ konzentriert ihre Anstrengungen zur
Zeit hauptsächlich darauf, eine
Fertigungsstätte zur Gewinnung von Lithium-Hydroxid zu errichten. »Nachdem
unsere Anlage dann steht und das mal läuft, geht man den nächsten Schritt«,
vertröstet ein Mitarbeiter der Firma und kündigt an: »Wir werden auch eine kleine Batterie-Fabrik
aufbauen, also erst mal im kleinen Rahmen«.
[9] Selbst daran mehren sich
inzwischen jedoch die Zweifel. »Es scheint mir, dass wir allzu
viele Zugeständnisse gemacht haben, um etwas zu erreichen, was wir alle
herbeisehnen: Eine Batterie-Fabrik und einen Absatzmarkt«,
urteilt Héctor Córdova, der ehemalige Präsident der staatlichen
Bergbaugesellschaft COMIBOL. [10] Auch Oscar Campanini von der bolivianischen
Nichtregierungsorganisation CEDIB warnt: »Wir fürchten, dass wir wieder nur
als Rohstoff-Lieferant betrachtet werden«. Während die Rohstoffgewinnung
konkret voranschreite, stehe das Projekt einer Batteriefabrik in Bolivien noch
in den Sternen. [11]
Unter
deutscher Kontrolle
Aber auch
sonst gibt es zahlreiche Bedenken gegen das Vorhaben. Einige halten generell
schon die Auftragserteilung an eine deutsche Gesellschaft für falsch, weil die
Bundesrepublik - bislang jedenfalls - nicht zu den Spitzenstandorten in Sachen
Batterietechnologie zählt. Andere trauen im Speziellen einem mittelständischen
Betrieb wie ›ACI‹ mit lediglich 50 Angestellten, geringer Kapitalausstattung und
überschaubaren Lithium-Erfahrungen nicht zu, das überaus gewichtige Projekt in
Bolivien umzusetzen. Zudem stößt das Geschäftsgebaren
der Firma auf Kritik. So hat sich ihre bolivianische Niederlassung trotz ihrer
Minderheitsbeteiligung am Joint Venture ›YLB
ACISA E.M.‹ die Patent- und
Gebrauchsmusterrechte gesichert. Auch sonst strebt ›ACISA‹ entscheidenden
Einfluß an. Zwar hält die staatliche bolivianische ›YLB‹ 51 % an
dem Gemeinschaftsunternehmen, »für die ganz wichtigen Entscheidungen«,
erklärt jedoch ein Mitarbeiter, »braucht dieses trotzdem immer
unsere Zustimmung. Das haben wir deshalb so gemacht, weil wir den Markt
bringen, die Technik und natürlich Innovationen auch da reinbringen ..... Das
heißt, wir kontrollieren die Finanzströme, die Finanzen und die Technik. Das
ist ganz klar festgelegt«.
[3]
Quelle: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8081/ 22. 10. 19
[1] [2] Rosa Muñoz Lima: Deutsches Interesse an
weißem Gold stößt auf Widerstand. dw.com 08.10.2019
[3]
Karl-Ludolf Hübener: Lithium - die Jagd nach dem ›weißen‹ Gold in
Bolivien. wdr.de 25.08.2019
[4] Carl
Moses: Deutsche Unternehmen fördern Lithium in Bolivien. Frankfurter Allgemeine
Zeitung 09.10.2018
[5] Rosa
Munoz Lima: Deutsches Interesse an weißem Gold stößt auf Widerstand. dw.com
08.10.2019
[6]
Deutschland sichert sich Zugriff auf weltgrößte Reserven. manager-magazin.de
13.12.2018
[7] Heike
Holdinghausen: Das neue Öl ist weiß. taz.de 13.12.2018
[8]
Nachhaltige und faire Lithiumgewinnung in Bolivien. acisa.de
[9] [10] Karl-Ludolf Hübener: Lithium - die Jagd
nach dem ›weißen‹ Gold in Bolivien. wdr.de 25.08.2019
[11]
Heike Holdinghausen: Peter Altmaier macht Milliarde locker. taz.de 21.02.2019
|